Laith al-Deen

Mit Idealismus hat das schon lange nichts mehr zu tun

Laith al-Deen über Verkaufszahlen, Effizienz im Musikgeschäft, fehlende Moral bei „Deutschland sucht den Superstar“, Inspiration und das Handy als musikalisches Gedächtnis

Laith al-Deen

© Peter Boettcher

(Ein Telefon-Interview) Laith, du sitzt gerade im Auto auf der Fahrt von einer Radio-Station zur nächsten – schlaucht dich das Musikbusiness noch sehr?
Al-Deen: Das kommt drauf an, wie sehr man sich schlauchen lässt. Letztendlich gibt es ein ganzes Kontingent von Aufgaben, die zu dem Business dazu gehören – und Promotion halt auch. Aber das hält sich normalerweise in einem überschaubaren Rahmen, wenn man jetzt nicht „Superstar“ ist. Man kriegt das alles ganz gut geregelt, von daher macht es sogar eher Spaß.

Ist es für dich heute entspannter als früher, in den ersten Jahren deiner Karriere?
Al-Deen: Also, die ersten anderthalb Jahre habe ich mich mehr oder weniger selbst gemanagt und irgendwann kam sich das zeitlich in die Quere. Inzwischen habe ich einige Erfahrungen gesammelt, man kann besser abschätzen, was auf einen zukommt. Von daher würde ich sagen, es fällt mir heute auf jeden Fall etwas leichter.

Du kannst inzwischen auf einige Erfolge, live und in den Charts, zurückblicken. Macht das auch einiges leichter?
Al-Deen: In manchen Teilen auf jeden Fall, es gibt Fragen, die man jetzt nicht mehr zu beantworten hat. Andererseits geht es bei der ganzen Geschichte auch immer wieder darum, von sich zu erzählen und da gibt es dann klassisch wiederkehrende Kreisläufe. Aber wenn man das begriffen hat und auch toleriert, dann funktioniert das sehr reibungslos.

Gibt es denn auch ein Mechanismus, der erfordert, dass man im Gespräch bleibt? Dass man als Künstler nicht völlig untergeht wenn man gerade mal nicht produziert…
Al-Deen: …und dann ins „Dschungelcamp“ geht?

Wäre ein aktuelles Beispiel.
Al-Deen: Ja, im Prinzip kann man natürlich versuchen, das zu machen. Andererseits: ich glaube, jeder braucht Pausen. Es ist immer ok, wenn man mal nicht präsent ist, selbst in der Zeit, in der es ohne Präsenz eigentlich gar nicht denkbar ist. Aber man loggt sich dann einfach aus, was auch gut ist, weil man Platz für andere Leute schafft. Es gibt ja einfach wahnsinnig viel.
Ich finde es gut, diesem Dauerpräsenz-Ding entgegenzuwirken, ich finde es auch viel entspannter, wenn ich von jemandem mal eine Weile nichts höre und dann wieder etwas Gutes kommt.

Lässt sich das Musikerleben eigentlich in einen normalen Berufsrhythmus bringen? Will man das als Musiker überhaupt?
Al-Deen: Es gab bei mir lange die Bestrebung, dieses „wildere Ding“ zu leben. Aber, ich bin jetzt auch verheiratet und ich habe festgestellt, dass eine gewisse Disziplin für jemanden, der das vielleicht nicht als oberste Priorität hat, erst durch einen geregelten Tagesablauf zustande kommt. Das schafft viel mehr Zeit für den Rest des Tages. Zeit, die man wirklich nutzen, in der man sinnvolle Sachen machen kann, viel mehr als wenn man jetzt so vor sich hinlottert. Das mit der Lotterei habe ich auch eine ganze Weile betrieben im Leben, so viel Freiheit gönnt man sich als Musiker. Aber ich stehe jetzt eigentlich eher darauf, relativ zeitig aufzustehen, um dann relativ viel Zeit für mich nutzen zu können.

Was waren das noch für die Dinge, wo dir früher die Disziplin fehlte?
Al-Deen: Im Prinzip schon in jeder Hinsicht. Ich meine, es fiel mir immer leicht, konsequent an Musik zu arbeiten und relativ viele Projekte gleichzeitig zu machen. Aber Konsequenz in puncto Sport zum Beispiel, oder auf anderen Aufgabenfeldern eine gewisse Kontinuität an den Tag zu legen, fiel mir immer schwer. Alles was mir nicht zuflog war ein bisschen schwierig. Die Einstellung hat sich inzwischen ein wenig geändert.

Hat zur Disziplin auch der zunehmende Erfolg geführt, aus dem sich ja immer auch neue Aufgaben ergeben?
Al-Deen: Das wurde dann zum Teil ja durch das Management übernommen. Aber dann gibt es auch den eigenen Erwartungsdruck. Und ich habe es nicht geschafft, den wirklich in einem niedrigen Maß zu halten, sondern ich habe selbst sehr hohe Ansprüche an mich, genauso meine Band. Und deswegen gibt es eigentlich immer etwas Neues, woran man arbeiten kann…

…und wenige Tage, die du ruhig und entspannt bist, weil du immer denkst, du musst dieses oder jenes machen?
Al-Deen: Das ist gefährlich. Aber dafür gibt es ja die geregelten Abläufe. Wenn man die nämlich nicht hat, kommt man – wenn man so drauf ist wie ich – schnell in so eine „ich- kann’s-mir-jetzt-nicht-leisten-mir-Zeit-zu-nehmen“-Phase. Aus dieser Phase kommt man am besten dadurch raus, dass man seine klaren Abläufe hat und sagt: „Jetzt ist gut, ich lasse es jetzt mal für ein paar Tage oder Wochen richtig gerade sein.“ Dieser angenehme Status hat sich bei mir eingestellt.

Jetzt gibt es diesen Song „Du“, den du u.a. beim Bundesvision Song Contest singst und darin die Zeile: „Ich habe dich lange gesucht, jetzt habe ich dich gefunden“. Eigentlich kein besonderer Satz, aber trotzdem die Frage: Funktioniert das überhaupt, findet man durch eine lange Suche? Oder kommt man nicht eher durch eine Situation des Zufalls zusammen?
Al-Deen: Ich finde, der Zustand des Suchens beschreibt es am besten. Weil der Versuch, sich in seinem Leben zu orientieren, schon viel von einer Suche hat. Es ist aber auch vergleichbar mit Glück: Man rennt dem Glück ganz gerne hinterher und findet es aber erst dann, wenn man die Suche danach für sich selbst schon ein Stück weit aufgegeben hat. Das ist etwas, was mir auch passiert ist. Dabei aber letztendlich auch noch irgendwo anzukommen ist glaube ich eine Frage der Entscheidung und nicht nur des Zufalls. Man muss sich wirklich klar sein: das will ich jetzt machen, das will ich jetzt durchziehen. Weil, dass einem die Liebe bis ans Ende des Lebens so einfach zufällt, da glaube ich nicht dran. Sondern man muss das schon machen. Und die Entscheidung habe ich getroffen, sie hat sie getroffen – und wenn zwei Leute das tun ist das schon ein guter Anfang.

Wie ist es in der Musik? Wenn man lange nach einer Melodie oder einer Textzeile sucht – findet man dann auch etwas?
Al-Deen: Das gibt es ja ganz verschiedene Auffassungen. Ich habe Leute kennen gelernt, die in einer endlosen Form von Brainstorming arbeiten: die schreiben sich seitenweise Sätze zusammen und arbeiten dann damit nach dem Baukastenprinzip. Und es gibt die, die von sich behaupten, sie könnten das nur fließen lassen. Bei mir ist es eher diese tatsächlich intuitive Variante, dass mir entweder etwas einfällt, was mir gefällt oder ich lasse es erst mal ruhen. Wobei es am Ende auch wichtig ist, zu entscheiden: diese Konstellation nehme ich jetzt, die ist gut, die muss ich nicht verbessern – weil auch einfach mal Schluss sein muss.

Und wenn es fließen soll – was ist dafür die beste Inspiration?
Al-Deen: Nichts zu wollen (lacht). Bei mir kommt das meistens in den blödesten Situationen. Zum Beispiel wenn ich nachts arbeite und eigentlich gar keine Lust mehr habe und müde bin, im Bett aber nicht abschalten kann – dann fallen mir sehr oft Sachen ein. Und dann kommt es schon vor, dass ich wieder aufstehe, weil ich sonst keine Ruhe finde. Ich würde das jetzt aber auch nicht pauschalisieren wollen. Weil dieses klassische „mit- Diktiergerät-auf-der-Toilette-sitzen“ ist glaube ich ein Mythos.

Früher haben Musiker immer erzählt, sie würden von unterwegs zu Hause anrufen und auf ihren Anrufbeantworter singen…
Al-Deen: Das geht auch. Ich bin im Handy-Zeitalter auch sehr froh… Ich habe schon einige Titel auf meinem Handy wiedergefunden, in unglaublich schlechter Qualität – die es dann aber am Ende auf eine Platte geschafft haben.

Wie klingt das dann?
Al-Deen: Das ist wirklich nur drauf gesungen, ich brumme dann quasi den Bass und den Gesang, pfeife noch irgendwelche Gitarren rein und versuche letztlich, daraus den Song entstehen zu lassen.

Wie schreibst du Texte, per Hand, am Computer?
Al-Deen: Wenn ich sowieso schon am Laptop sitze, wo ich mit sehr einfach strukturierten Programmen arbeite, dann macht das Sinn einen Text zu tippen.
Ansonsten schreibe ich schon lieber. Ich finde, sich hinzusetzen und ein Blatt Papier zu nehmen hat noch etwas sehr Romantisches, und meistens versuche ich es so. Weil ein halb beschriebenes Blatt Papier hat zumindest noch so etwas leicht Sehnsüchtiges – dagegen hat eine halbbeschriebene Seite im Rechner etwas sehr steriles, da stehe ich nicht so drauf.

Bist du generell etwas weniger technik-affin?
Al-Deen: Also, die Tatsache, dass ich mich da ein bisschen sperre, liegt glaube ich daran, dass ich leichte Wahnvorstellungen in Bezug auf eine Beobachtung durch das Internet habe. Auch wenn diese Vernetzung sehr von Vorteil sein kann, ich fühle mich da inzwischen gar nicht mehr wohl. Was auf der anderen Seite dazu führt, dass ich selten auf dem neuesten Stand bin. Ich glaube ich bin einer von den Leuten, die zu hohe Telefon-Gebühren bezahlen, viel zu hohe Stromrechnungen usw. Das liegt bei mir an diesem fehlenden Informationsbedürfnis. Und das Angebot ist halt auch wahnsinnig groß.

Kapitulierst du vor dem Massen-Angebot?
Al-Deen: Ein Stück weit ist es auch reine Aversion. Und zu einem großen Teil ist es ganz klar Faulheit.

Für Prominente ist die Frage der Beobachtung nicht selten eine heikle Angelegenheit, gerade was das Medium Internet betrifft. Schaust du dir an, was im Netz über dich geschrieben wird?
Al-Deen: Ich schaue regelmäßig auf meiner Homepage vorbei, oder bei unserem Fanclub und gucke, was sich da so tummelt.
Ich fand es dann immer wieder lustig, von irgendjemandem zu hören: „Ich habe bei Wikipedia über dich gelesen…“ So habe ich zum Beispiel erfahren, dass ich sehr christlich erzogen worden bin, wovon ich nichts wusste und was ich auch nie geäußert habe. Aber so etwas finde ich eher lustig, ich gucke mir das ganz gerne an – dazu jetzt aber bewusst Stellung zu beziehen, das werde ich nicht.

Aber deinen Wikipedia-Eintrag könntest du theoretisch selbst verändern und korrigieren.
Al-Deen: Ich könnte ihn selber verändern, aber ich finde es so eigentlich lustiger. Dann stehen da wenigstens ein paar ansatzweise kontroverse Sachen drin (lacht).

Du singst am 14. Februar beim „Bundesvision Song-Contest“, und gleich am nächsten Tag bei der Echo-Preisverleihung. Welcher Preis bedeutet dir mehr, ein Echo oder ein Sieg bei Stefan Raab?
Al-Deen: Das ist schwierig zu beantworten. Dadurch, dass der Echo eine klare Verkaufsveranstaltung ist, was in der romantischen Sicht sozusagen ein echtes Fanfeedback bedeutet, würde ich mich natürlich freuen, den Echo mal zu bekommen. Ich bin ja auch nicht zum ersten Mal nominiert. Und letztendlich zählt der Plattenverkauf, was nichts anderes darstellt als ein reines Aufzeigen der Fangemeinde. Insofern wäre es wohl schon der Echo.
Auf der anderen Seite: Ich hab’s mit Preisen nicht so. Ich finde, sich musikalisch zu messen, wie beim Song Contest mit 15 anderen Bands aus anderen Genres, sehr spannend. Ich lege aber auch da die Messlatte nicht so hoch – eine schöne Platzierung wäre aber natürlich klasse.

Aber nach acht Jahren im Plattengeschäft – wie wichtig sind dir da überhaupt noch die Verkaufszahlen?
Al-Deen: Na gut, ich will eine Familie gründen, von daher kann man auf Geld nicht einfach verzichten. Ich bin noch lange nicht an dem Punkt, dass ich sagen könnte, ich habe ausgesorgt. Das ist heutzutage nämlich nicht mehr ganz so leicht.
Die Verkaufszahlen sind auch wichtig, weil es ja mein oberstes Ziel ist, meine Live-Gemeinschaft zu vergrößern – und da geht noch Einiges. Je mehr Leute die Platte kennen, desto mehr interessieren sich auch für die Live-Geschichte. Und gute Verkaufszahlen sind auch kein schlechter Ansporn für mich, weiterzumachen.

Wie hast du denn die Veränderungen der Musikindustrie in den letzten Jahren erlebt?
Al-Deen: Ich gehöre auch zu denjenigen, bei dem die Verkäufe ein bisschen rückläufig gewesen sind, wenn auch nicht im gleichen Maße wie bei wesentlich jüngeren Bands. Aber ich habe auf jeden Fall gelernt, dass man sich definitiv mit dem Internet auseinandersetzen muss, um das auch als die Plattform zu sehen, über die man Menschen erreicht. Das ist alles eine Entwicklung, über die man heute nicht mehr klagen muss.
Und es gibt ja Gott sei Dank noch Leute, die immer noch so etwas Wertiges wie eine CD mit Booklet usw. haben wollen. Auf der anderen Seite gibt es Musiker, die ihre Songs bereits direkt im Mp3-Format mastern, damit es auf dem Rechner gut klingt.

Musik-Online-Shops wie Musicload oder Itunes sind vor allem auf den Verkauf von einzelnen Songs hin strukturiert. Siehst du das Album-Format dadurch in Gefahr?
Al-Deen: Irgendwo natürlich schon. Die Frage wird sein: Wie sehr reduziert sich die Menge von Leuten, die sich für das gesamte Paket interessieren, die sich irgendwo auch ein Stück weit mit dem identifizieren, was sie sich kaufen, was sie sich anhören. Das wird sich zeigen.
Dann muss man als Musiker natürlich gucken, wie man es weiterhin schafft seinen Lebensunterhalt einzustreichen. Letztendlich glaube ich, dass es sich schon auf irgendeine Art und Weise verteilt, wie es sich eigentlich schon immer verteilt hat. Das war ja beim Aufkommen der Vinyl-Platte und später der Kassette nicht großartig anders.

Werden Entwicklungen im Internet auch das Live-Geschehen beeinflussen?
Al-Deen: Ja, ich denke im Zeitalter von Live-Streams und sonstigen Geschichten wird es in Zukunft vielleicht auch Leute geben, die sich sagen: Ich gucke mir das lieber von Zuhause an, da habe ich einen guten Platz. Auch damit werden wir umgehen müssen. Aber ich glaube, es gibt nach wie vor noch genügend Leute, die Lust haben, zwei Stunden Alltagsflucht zu betreiben und sich mal richtig laut volldröhnen zu lassen. Die wird es auch immer geben, das hört nie wirklich auf.

Nun ist kürzlich die fünfte Staffel von „Deutschland sucht den Superstar (DSDS)“ gestartet. Sind das vier Staffeln zu viel?
Al-Deen: (Lacht) Aus moralischer Sicht: Ja. Aus Szene-Sicht würde ich aber sagen: Nein.

Warum nicht?
Al-Deen: Das Schöne an der ganzen Geschichte ist doch, dass sich die Veranstaltung inzwischen selbst relativiert hat. Einerseits wissen die Protagonisten genau, dass ihre Halbwertszeit mit großer Wahrscheinlichkeit sehr klein ist. Das Publikum weiß das auch, weil letztendlich kommt ja irgendwann die nächste Staffel, da muss man ja wieder jemand anderes verfolgen und gut finden – oder eben auch nicht. Das hat sich inzwischen so eingespielt, dass jeder – inklusive der Jury – seine Position gefunden hat, in einem immer wieder kehrenden Zyklus. Das Interesse hat sich auch irgendwo eingepegelt, die Qualität der Leute hat sich eingepegelt… Die ganze Sendung hat sich eine feste Position verschafft, was jetzt aber die Musikindustrie in keiner Weise wirklich negativ oder total positiv beeinflusst.

Was sind denn aber deine moralischen Bedenken?
Al-Deen: Ich finde, wenn jemand seine Ausbildung aufgibt, weil er eine Hoffnung aufbaut, die ganz klar auf einem extrem dünnen Eis steht, dann ist es moralisch schwierig, das auch noch zu unterstützen. Ich denke da zum Beispiel an eine Teilnehmerin, die in der vierten Runde ausgeschieden ist und dann erzählte, sie hätte jetzt schon ihre Lehre abgebrochen – das finde ich dann wirklich schwierig.
Aber der ganze Apparat suggeriert dir halt: dein Leben kann sich entscheidend verändern. Das finde ich problematisch, weil die größten Leidtragenden sind natürlich die Protagonisten, die scheitern. Sowohl durch die Kritik, die sie durch die Öffentlichkeit erfahren als auch durch die Schadenfreude der anderen, und natürlich dadurch, dass sie ihr Leben zwischenrein komplett unterbrochen oder gedreht haben.

Die Sendung ist auch aufgrund der Knebelverträge in die Kritik geraten, welche von den Protagonisten allerdings bereitwillig unterschreiben werden.
Al-Deen: Das ist der Punkt, dass viele Protagonisten nicht wissen, dass das Business eine gewisse Form von Kompromissen verlangt, zumindest im Mainstream-Bereich. Wobei ich finde, dass bei Kandidaten, die sehr jung sind, Freunde und Eltern es schaffen sollten, diese Form von Verantwortung auf jeden Fall aufkommen zu lassen. Und wenn das nicht funktioniert, dann muss derjenige durch die Schule halt einfach durch.
Das System, das genau diesen Faktor ausnutzt, und sagt: Wir holen überall das letzte raus – das war im Musikgeschäft noch nie anders. Es ist nur wild, dabei zugucken zu müssen.

Du sagtest, aus Szene-Sicht sei „DSDS“ noch interessant. Dabei ist die Erfahrung doch so, dass sämtliche „DSDS“-Kandidaten auf ein gängiges Format zurechtgeschneidert werden und die Entwicklung zu individuellen Künstler-Persönlichkeiten gar nicht möglich ist.
Al-Deen: Eigentlich nicht, das stimmt. Man muss aber auch sehen: Wenn bei einem Künstler solche individuellen Keime auftauchen – das hat sich zum Beispiel bei Tobias Regner ganz deutlich gezeigt – dass die dann draußen nur relativ schwer angenommen werden. Tobias hatte ja eine gute Fanbase und auch seine Tour lief relativ gut. Aber dann hat er sich komplett eingebracht und ist daran auch gescheitert.

Am eigenen Engagement?
Al-Deen: Es stand dann natürlich auch schon wieder die nächste „DSDS“-Staffel im Raum, die ihn einfach seiner Plattform beraubt hat.
Also, ich glaube, sich zu behaupten ist wie eh und je eine Frage von Zeit und Beständigkeit, und die kann einem niemand geben außer man selbst. Wenn du das nicht hast, dann ist es schwierig, egal ob du in dem Ding deine Künstler-Persönlichkeit wirklich ausleben kannst oder nicht.

Bei erfolgreichen „DSDS“-Teilnehmern sind es jedenfalls in erster Linie die Produzenten, die über das Aussehen des Produkts entscheiden…
Al-Deen: Klar, wenn man bestimmte Platten kennt, dann weiß man, wie viele Leute da mitarbeiten, alle mit dem Ziel, sich eine mini-goldene Nase zu verdienen. So etwas schlägt sich auf einem Album natürlich auch nieder, weil ganz viele Köche da einen einzigen Brei verursachen. Und das hat schon von vornherein einen seltsamen Beigeschmack.
Aber ich habe zum Beispiel mit Mike Leon Grosch relativ lange gesprochen und der fand seine Platte schon gut. Dass das ganze Ding natürlich auch aus einer wirtschaftlichen Sicht aufgebaut ist, war für ihn dann ein sehr schwieriger Punkt. Den muss man aber vorher einfach wissen, wenn man so alt ist wie Mike.

Du bist als Erwachsener ins Musikgeschäft reingekommen – hattest du trotzdem schmerzhafte Erfahrungen im Musikgeschäft?
Al-Deen: Ich weiß, wie es ist, wenn man sich langfristig einer Plattenfirma verpflichtet, wenn man im anfänglichen Freudentaumel nicht darüber nachdenkt, was allein für zeitliche Konsequenzen sich dadurch ergeben. Vieles kann man aber vorher einfach nicht absehen, man weiß einfach nicht, was passieren wird. Auf der anderen Seite: irgendwas wagen und eine Entscheidung treffen muss man. Außer man sagt: Ich mache das komplett autark. Dann weiß ich, woran ich groß geworden bin, oder woran ich gescheitert bin. Das ist auch eine Variante, da gibt es auch Modelle, die funktioniert haben.
Letztendlich ändert es aber an der Tatsache nichts, dass man immer vorsichtig sein sollte. Und wenn es einen Ratschlag gibt, den ich immer gebe, dann der, sich die Zeit und das Geld zu nehmen, einen Anwalt zu konsultieren.

„DSDS“ wird von RTL veranstaltet, die CDs der Kandidaten bringt Sony auf den Markt, beide Unternehmen gehören zur Bertelsmann-Gruppe. Siehst du das auch kritisch?
Al-Deen: Ich glaube, was den Verkauf von Musik angeht, gibt es ja aufgrund der ganzen Entwicklungen relativ wenig Möglichkeiten für die Plattenlabels und Fernsehsender diese Form von Joint-Venture zu suchen. Die überlegen sich natürlich: Wie kriegen wir das Ganze für uns besser unter einen Hut? In anderen Wirtschaftszweigen ist das ja sehr ähnlich, man versucht, die Manpower zu verringern, um einfach effektiver und effizienter zu arbeiten. Das ist eine Entwicklung, die mit Emotionalität natürlich gar nichts zu tun hat und mit Idealismus schon lange nicht mehr. Sie ist aber nur zu verständlich und ich glaube, wenn man in dem Apparat eine Weile drin ist, dann kann man das auch ganz gut für sich einschätzen. Ich finde das nicht bedenklich. Natürlich ist das irgendwo schade, weil es mindert so den emotionalen Wert – aber es ist eben eine klar absehbare Entwicklung.

Aber es mindert doch auch die musikalische Qualität.
Al-Deen: Naja… Also ich glaube, die bleibt bei Künstlern schon irgendwo bestehen. Die Entscheidung zu sagen, „ok, ich passe meine Musik der Entwicklung an“ das ist natürlich ein Fehler. Für mich zum Beispiel besteht nach wie vor die gleiche, ganz persönliche Messlatte und Erwartung. Sicher besteht die Gefahr, dass man das dann mit Verkäufen nicht so gut unterfüttern kann wie früher. Aber wenn man immer nur davor Angst hat, mit der Herangehensweise kommt man dann nicht weit.

2004 hast du mit unterschrieben bei der Forderung nach einer Deutsch-Quote fürs Radio. Die Quote gibt es nach wie vor nicht, ist es dennoch leichter geworden, deutschsprachige Popmusik ins Radio zu bringen?
Al-Deen: Nein, das glaube ich nicht. Ich kriege manchmal Tendenzen mit, wo Sender sagen, „Oh, schon wieder was Deutschsprachiges, muss das sein?“ – Letztendlich bleibt das eine Geschmacksfrage und es orientiert sich natürlich auch am Erfolg, was man da präsentieren möchte. Die Toleranz der Hörer ist jedenfalls besser geworden, glaube ich. Aber jedes Radio-Format entscheidet genauso wie früher für sich selbst, wofür es stehen will – und da die meisten Sender für nichts stehen, hat sich nichts geändert.

Die meisten Stationen setzen auf kommerziell erfolgreiche Sende-Formate und spielen lieber die „besten Hits der 70er, 80er und 90er“.
Al-Deen: Ganz genau. Und so etwas wie eine echte Haltung bei Radiosendern zu finden ist da wirklich schwierig.

Deine Single „Du“ hat Sommer-Feeling. Daher die Frage: Was ist dein Lieblings-Sommer-Hit: „Macarena“, „Mambo No.5“…
Al-Deen: Also, da müssste ich jetzt drüber nachdenken.
Mir fällt da eigentlich immer mehr auf, was ich nicht mag. Zum Beispiel diese Zeit, wo immer die ganzen spanischen und lateinamerikanischen Geschichten kommen, die aber nicht lateinamerikanisch sind, sondern nur so hinproduziert – mit denen kann ich herzlich wenig anfangen, wenn der Fröhlichkeitsfaktor einfach ein Stück zu groß wird und wenn man die Nummer dann einfach zu oft hört. „Mambo No.5“ ist dafür glaube ich ein gutes Beispiel: So einen Hit muss man erstmal schreiben. Man muss ihn aber auch nicht so lange spielen, bis er jedem aus dem Ohr quillt. Von daher bin ich auch immer wieder ganz froh, wenn die Phase dann wieder vorbei ist.

Hast du inzwischen auch jahreszeitliche Erfahrungen mit deinen Songs und Alben?
Al-Deen: Nein. Obwohl man mir „Herbst-Platten“ andichtet, kann ich das überhaupt nicht bestätigen. Das war bis jetzt in keinster Weise wirklich einzuordnen, mit den Jahreszeiten, sondern es kam einfach drauf an, dass quasi die richtige Nummer zum richtigen Zeitpunkt kommt. Und ich lag selbst so oft daneben, dass ich gar nicht behaupten würde, ich könnte das wirklich einschätzen.

Bei deiner letzten Platte wären mir eher „Frühlingsgefühle“ eingefallen…
Al-Deen: Für mich passt das gut, der Bundesvision Song Contest ist am Valentins-Tag, da passt die Nummer …, das ist Zufall damit hatte ich auch nicht gerechnet. Das passt im Prinzip in die Zeit ganz gut rein, ich hoffe, dass das Wetter da auch irgendwie mitspielt und dieses frühlingshafte der Nummer übernimmt – war aber nicht geplant.

Unsere Schlussfrage: Das Leben ist ein Comic – welche Figur bist du?
Al-Deen: Ich würde mal sagen… Fred Clever von Clever und Smart

Der Clevere also…
Al-Deen: Der Clevere ist eigentlich nur derjenige, der quasi in vielerlei verschiedenen Versionen versucht, an sein Ziel zu kommen. Und sich doch eher ein bisschen im Hintergrund hält und dann irgendwann zwischenrein mal zuschlägt, aber trotzdem oft genug scheitert.

Durch Scheitern zum Erfolg?
Al-Deen: Ja, ich glaube, so lernt man auf jeden Fall am ehrlichsten.

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