Stanislas Klossowski de Rola

Alles ist schöner, als es auf den ersten Blick scheint.

Balthus-Sohn Stanislas Klossowski de Rola über Sichtweisen seines Vaters, Diskussionen über seine Gemälde, einen gemalten Hammer und die "Gitarrenstunde"

Stanislas Klossowski de Rola

© Nikos Choudetsanakis

Herr Klossowski de Rola, die erste Ausstellung der Bilder Ihres Vaters in Deutschland zeigt viele seiner schönsten Werke aus den Jahren 1932 bis 1960. Aber zu seinem berühmten Bild, die obszöne „Gitarrenstunde“ ist nur eine Skizze zu sehen. Warum?
Stanislas Klossowski de Rola: Ja, das ist eine Schande. In Venedig, bei der Retrospektive 2001 war es zu sehen aber für Köln wurde es nicht herausgegeben.

Man hätte die Darstellung einer Gitarrenlehrerin, die sich ihre entblößte Schülerin auf den Schoß legt hinter einem Vorhang zeigen können, wie auf seiner ersten Ausstellung 1934.
Klossowski de Rola: Ein möglicher Skandal war nicht der Grund. Mit Museen gibt es da eigentlich nie Schwierigkeiten. Das Problem sind die Eigentümer der Balthus-Gemälde, das sind meistens ein sehr schwierige Verhandlungspartner. „Die Gitarrenstunde“ wurde damals ohne das Wissen meines Vaters von seinem Galeristen nach Amerika verkauft und vorher von einem Maler mit einem unverdächtigen Motiv übermalt. Es wurde ihm regelrecht gestohlen. Ich habe versucht, es zurück kaufen zu lassen, aber das war nicht möglich. Es gehört einem großen Exzentriker, der es einem sehr schwer macht, überhaupt einen Blick auf das Bild zu werfen.

Und gerade Balthus ist ein Maler, bei dem es noch einmal einen großen Unterschied macht, die Bilder leibhaftig in ihren Texturen vor sich zu sehen.
Klossowski de Rola: Reproduktionen können den Emotionen, die von den Originalen hervorrufen werden, niemals wirklich gerecht werden. Wenn man die Bilder einmal gesehen hat, besitz man sie in seinem Herzen, egal welcher Typ mit Geld oder welche Institution sie gerade hat. Soweit ich weiß, stand selbst „La Rue“, das vor Köln schon in der MOMA-Ausstellung in Berlin zu sehen war, in der MOMA jahrelang nur im Lager.

Manchmal wird einem in einem Museum allerdings der künstliche Rahmen, in dem dort Kunst präsentiert wird, schmerzhaft bewusst. Man fühlt sich aufgrund der geballten Eindrücke wie im Zoo und wünscht sich Möglichkeiten, die Bilder in einem anderen Kontext, gewissermaßen ‚in der freien Wildbahn’ zu sehen.
Klossowski de Rola: Aber wo waren die Bilder in früheren Zeiten? In den Häusern derer, die sie sich leisten konnten, in den Kirchen oder bei den Reichen. Danach kam der Zoo. Allerdings hat diese Kultur zu einem schrecklich versnobten Verhältnis zur Kunst geführt. Mein Vater bedauerte auch den Umstand, dass junge Menschen, die in der Lage waren, seine Kunst zu verstehen, sie sich nicht leisten konnten. Und dass Idioten mit viel Geld sie nur als Statussymbol benutzten. „Schau mal hier, mein Fünf-Millionen-Dollar-Gemälde…“

Sie haben eine sehr interessante Stimme. Wenn Sie französisch sprechen, ist sie recht hoch, und Ihr Englisch scheint manchmal einen tieferen Unterton zu haben, als würden Sie mit sich selbst zweistimmig sprechen.
Klossowski de Rola: Ich habe viele Stimmen. Ich habe sie zum Beispiel für verschiedene Rollen in dem Hollywoodfilm „Shining Blood“ benutzt, bei dem ich auch Regie geführt habe.

Aber Sie sind kein Sänger?
Klossowski de Rola: Doch, auch. Ich war Mitglied der Band von Vince Taylor, den sich David Bowie zum Vorbild nahm, als er sein alter Ego Ziggy Stardust kreierte.

Haben Sie mit dem Musikmachen aufgehört?
Klossowski de Rola: Mein letztes Rock’n’Roll-Projekt war 1988 die Produktion der CD der „Dirty Strangers“ mit Keith Richards und Ron Wood. Es klang wie die frühen Rolling Stones, noch bevor gitarrenbetonter Rock wieder zum Sound des fin des siecle wurde. Ich mochte noch nie Synthesizer, war immer ein Fan von den gro?en Soulern, wie Aretha Franklin oder Wilson Pickett. „Dirty Strangers“ wurde veröffentlicht und kam nicht recht in die Charts. Danach wechselte ich den Namen meiner Plattenfirma. Thrill Records wurde Thrill Entertainment, um andere Projekte zu realisieren. Zum Beispiel arbeiten wir an einer intelligenten TV-Show über eine der großen Lieben meines Lebens: Alchemie und Magie. Mit HD-Kameras und zukunftsweisenden Computerprogrammen wollen wir das Bewusstsein auf einen intelligenten Spaziergang führen. Nicht akademisch langweilig, es bringt dich dazu zu denken, ist erotisch…

Psychic TV, gewissermaßen?
Klossowski der Rola: Exakt. Psychedelisch.

Ein paar Fragen noch zu ihrem Vater…
Klossowski de Rola: Ja, bitte. Sehr gern.

Was ist Ihre erste Erinnerung an Ihren Vater?
Klossowski de Rola: Ich weiß noch, wie ich in als kleines Kind meinen Vater in der Villa Diodati in Cologny bei Genf sah, als er eine Zeichnung von einem Hammer machte. Und ich liebte Hämmer – fragen sie mich nicht warum. Ich dachte jedenfalls, der gezeichnete Hammer wäre echt. Ich griff nach ihm, aber der Griff ging ins Leer. Und er lachte. Eine andere Erinnerung ist, dass er bei mir am Bett saß, als ich Mumps hatte. Er war für mich wie ein Gott. Ich sah ihn oft, auch noch als meine Eltern sich trennten und wir im Internat oder bei unserer Mutter lebten. Sie liebten sich immer noch sehr und waren sich sehr nah. Heute träume ich fast jede Nacht von meinem Vater und wir unterhalten uns, das ist seltsam.

Zitiert

Mein Vater meinte nur: Mir war kalt und ich verbrenne alles, was ich finden kann.

Stanislas Klossowski de Rola

Das ist dann wie eine echte Konversation?
Klossowski de Rola: Ja, mein Vater und ich hatten eine intensive gemeinsame Ebene, weil wir uns über esoterische Ideen austauschen konnten. Er war der Einzige in meiner Familie, mit dem ich darüber reden konnte, daher vermisse ich ihn heute sehr. Auch als er nicht mehr lesen konnte, habe ich ihm neue Texte vorgelesen und er konnte noch sehr gut über sie reflektieren.

Wie haben die Sichtweisen Ihres Vaters Ihre eigenen Sichtweisen geprägt? Waren Sie von seinen Werken beeindruckt, oder gehörten die einfach zum Alltag?
Klossowski de Rola: Als ich ein Teenager war, etwa Mitte der 50er Jahre, begann ich langsam zu realisieren, dass er ein großer Maler war. Dann erschienen Bilder von ihm im LIFE-Magazin und wir begannen unseren Vater als Prominenten zu sehen. Er war immer eine sehr rebellische Person mit einer aristokratischen Haltung, aber auch mit einem großen Sinn für Humor. Er konnte mit jedermann umgehen, unabhängig von dessen Hintergrund.

Legendäre Künstler wie Marlon Brando oder Federico Fellini gehörten zum Umgang Ihrer Familie. Verändert das nicht die Sicht auf das Leben?
Klossowski de Rola: Mein Vater drückte einige interessante Dinge aus, von denen sich andere angesprochen fühlten. Aber Sie wissen wie das ist mit den Ideen, die Ihre Eltern haben: Man entwickelt lieber seine eigenen. In den 60ern wurde ich zum Rock’n’Roller. Mein Vater hasste diese Musik, aber er lud mich trotzdem ein, bei ihm in der Villa Medici zu proben. Er hatte Vorurteile, aber er war auch bereit, seine Meinung zu ändern. Lustigerweise freundete er sich später ja mit David Bowie an und mit Bono von U2, der ein Lied für meinen Vater geschrieben hat.

Bowie und Bono machen Musik mit unverwechselbarer Atmosphäre und lieben wohl die ebenso unverwechselbare Atmosphäre der Balthus-Bilder.
Klossowski de Rola: Ja, aber er kannte ihre Musik nicht. Sobald er dich jedoch als Person akzeptierte, konnte er mit allem umgehen, was du machst.

In dem Buch „Erinnerungen“…
Klossowski de Rola: … ein schreckliches Buch!

Sie mögen es nicht?
Klossowski de Rola: Es ist dumm. Mein Vater war da schon ein sehr alter Mann. Ich sagte zu seinem Anwalt: „Hören sie zu, ich denke nicht, dass mein Vater lange genug leben wird, um dieses Buch zu beenden. Sie müssen vertraglich festhalten, dass es nicht erscheinen darf, wenn er vor der endgültigen Fertigstellung und seiner Einwilligung sterben sollte.“ Sonst würde das eine unehrenhafte Sache werden. Der Autor kam ein paar Mal zu meinem Vater, als er schon sehr alt und krank war. Er sprach mit ihm, aber es gab keine kritische Instanz gegenüber dem, was der Typ zusammensammelte. Dann starb mein Vater und der Mann beendete es selbst, sammelte Zitate aus anderen Büchern und veröffentlichte es.

Es finden sich schöne Gedanken darin, allerdings war ich erstaunt vom Tonfall des Buches und dachte, es könnte mit der Übersetzung zusammen hängen.
Klossowski de Rola: Es gibt da zwar ein paar schöne Sätze drin, aber es ist ein ärgerliches Buch, vertrauen Sie mir. Wenn sie den wirklichen Balthus kennen lernen wollen, lesen sie die Briefe! Sie stammen aus der Zeit zwischen Balthus‘ 21. und 30. Lebensjahr und man kann ihn dort als echten romantischen Sturm und Drang-Menschen erleben, mit einer sehr interessanten, brutalen Lebenswut. Das ist nicht der Balthus der letzten Jahre, in denen er ausgequetscht wurde, wie eine Zitrone.

Sie haben diesen Briefwechsel Ihrer Eltern vor zwei Jahren veröffentlicht. Wie kam es dazu?
Klossowski de Rola: Als es meinem Vater schon nicht mehr besonders gut ging, besuchte mein Bruder Thaddeus ihn und fand ihn vor dem Kamin, wie er dabei war, seine Briefe zu verbrennen. „Was tust du?“ rief mein Bruder und mein Vater meinte nur „Mir war kalt und ich verbrenne alles, was ich finden kann.“ Glücklicherweise konnten diese Briefe noch gerettet werden, aber wer weiß, welche Schätze da verbrannt worden sind. Ich hatte die Briefe, die er an meine Mutter geschrieben hatte, um sie zu transkribieren, aber ich hatte keine Ahnung, dass die Antworten noch existieren. Wir haben dann beide Hälften dieser Konversation zusammengefügt. Es ist viel Müll über Balthus geschrieben worden, ob man ihn nun für pervers oder für einen Heiligen gehalten hat. Aber es ist faszinierend zu lesen, was er wirklich gedacht hat.

Sind Sie der Diskussionen über den erotischen Gehalt der Bilder Ihres Vaters müde, die bei jeder Ausstellung neu geführt werden?
Klossowski de Rola: Auch deshalb sind diese Briefe so wichtig sind. Er spricht in ihnen genau dieses Thema an. Später hat er dann wie mit einem Radiergummi vieles gelöscht und seine Sichtweise geändert. Aber Mitte der 30er Jahre schrieb er zum Beispiel meiner Mutter: „Ich habe das Bedürfnis, erotische Bilder zu malen. Denn die Menschen sind wie Puppen, du musst ihnen auf den unteren Magen schlagen, denn das ist die einzige Möglichkeit, die Menschen zu einer Reaktion zu bewegen. Man muss sie provozieren und Sexualität und Erotik sind die einzigen Mittel, das zu erreichen.“

Wie würden Sie die Besonderheit der Bilder Ihres Vaters beschreiben?
Klossowski de Rola: Mein Vater machte mit seiner Malerei das Geheimnis der Dinge sichtbar, in dem er die gewöhnliche Realität eines Bildes durchdrang. So fing er durch das Zeigen von etwas Natürlichem eine tiefere Wahrheit ein.

Sozusagen dreidimensionale Malerei?
Klossowski de Rola: Es gibt diese andere Welt, diese Balthus-Welt, das Königreich der Schönheit und des Charmes. Auf diese geheime Welt bezog er sich und im Wissen um diese geheime Ebene fühlten wir uns verbunden.

Aber Sie würden nicht sagen, dass es Ihr Ideal ist, für immer Kind zu bleiben, wie es Ihr Vater von sich gesagt hat?
Klossowski de Rola: Dieses Zitat ist ziemlich überbewertet worden. Was er meinte war eher im Sinne von Novalis, sich eine besondere Reinheit zu bewahren, einen Zugang zur Welt, der es erlaubt, sie wie ein Kind zu betrachten: als Wunder. Diese Haltung verlieren wir leicht, wenn wir größer werden und uns an alles gewöhnen. Mein Vater strebte danach, nie diese Sichtweise zu vergessen, dass alles schöner ist, als es auf den ersten Blick scheint.

Stanislas Klossowski de Rola (*1942) ist der älteste Sohn des legendären Malers Balthus (1908-2001). Während sein Vater sich inmitten einer immer abstrakter werdenden Avantgarde stoisch an klassischen, vor allem italienischen Meistern orientierte, mehr

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