Kai Wiesinger

Wir leben sicher kein ‚normales’ Leben.

Kai Wiesinger über den Film „Durch Himmel und Hölle“, das Thema Adoption und das „unstetige“ Leben als Schauspieler

Herr Wiesinger, in dem Film "Durch Himmel und Hölle" spielen Sie den Arzt Dr. Tom Gerling. Das Ehepaar Gerling heiratet, erwartet ein Kind, doch plötzlich kommen nacheinander mehrere Tiefschläge, das Glück scheint verloren. Haben Sie selbst eine ähnliche Situation schon mal erlebt?
Wiesinger: Beziehungen, die plötzlich den Bach runtergehen, das kennen wir alle. Es kommt immer darauf an, wie man das wertet. Ich kenne schon die Zeit, vor allem beruflich, wo ich dachte, das macht keinen Sinn und das wird nichts mehr. Ich war total verzweifelt und hatte die Hoffnung verloren, ein gutes Rollenangebot zu erhalten oder je mit der Schauspielerei meinen Unterhalt zu verdienen.

Wann war das genau?
Wiesinger: Das ist schon lange her – das war vor 17 oder 18 Jahren. Da war ich gerade mit der Schule und dem Schauspielunterricht fertig und hatte angefangen Theater zu spielen. Es kamen aber nicht die richtigen Angebote und ich wusste überhaupt nicht, wie es weitergehen sollte. Dann kam eine Anfrage von Martin Benrath , damals Schauspieler und Regisseur am Prinzregententheater in München, ob ich bei dem Stück "Eines langen Tages Reise in die Nacht" von Eugene O’Neill eine Hauptrolle spielen wollte. Das Angebot hatte sich am nächsten Tag aber schon wieder zerschlagen und in Rauch aufgelöst. Aber mir hat das bestimmt zwei Jahre Kraft gegeben, weil ich gedacht habe, wenn Martin Benrath glaubt, dass ich gut genug sein könnte, um bei ihm mitzuspielen, dann kommt auch noch mal einer.

Glauben Sie an Schicksal?
Wiesinger: Wenn Sie das Wort Schicksal in dem Sinne verwenden, dass alles – vielleicht auch unser Gesprächsverlauf – schon feststeht: nein, das glaube ich nicht.
Ein Freund von mir verunglückte vor vielen Jahren in einer Lawine und überlebte. Jahre später geriet er wieder in eine Lawine und verlor sein Leben. Da hatte ich den Eindruck, es gibt doch so etwas. Aber ich glaube nicht, dass alles schon feststeht.

Sie spielen gerne Figuren, die etwas durchmachen müssen. Was reizt Sie daran?
Wiesinger: Na ja, es ist ja langweilig, einen Helden zu spielen. Einer der immer strahlt und vor Kraft strotzt – das ist stinklangweilig. Das wäre nicht mein Ding.

Was war für Sie entscheidend, als Sie die Rolle in "Durch Himmel und Hölle" angenommen haben?
Wiesinger: Der Film hat eine Thematik, die ich nicht kannte. Ich versuche die Zu- und Absagen danach zu richten, dass ich abwechslungsreich spiele. Nach einem Kinderfilm beispielsweise spiele ich gern einen Splatterfilm. Ich möchte in meinem Schauspiel eine große Variationsbreite abdecken und hätte keine Lust drei ähnliche Filme hintereinander zu drehen. Ich suche ganz bewusst gegensätzliche Filme aus. Aktuell spiele ich den Kapitän der Gustloff in dem ZDF-Zweiteiler "Hafen der Hoffnung", sehr spannend.

Entscheiden Sie immer aus dem Bauch heraus oder achten auch darauf, was sich mit der Karriere gut verträgt?
Wiesinger: Für die Karriere ist es eigentlich einfacher, immer das gleiche zu drehen. In der öffentlichen Wahrnehmung ist man dann viel besser sortiert: das ist der Gute, das ist der Nette, das ist der Böse, das ist der Hässliche.
Vor dem Film "14 Tage lebenslänglich" hatte ich eigentlich nur Komödien erfolgreich gedreht. Danach drehte sich das Bild von dem netten, schwulen, prima Schwiegersohn zum Charakterdarsteller – so hieß das dann. Und Charakterdarsteller ist eine Berufsbezeichnung aber für die Wahrnehmung des Schauspielers durch den Zuschauer eine Katastrophe.

Warum soll es dann der Charakterdarsteller sein?
Wiesinger: Das ist ein Etikett der Medien, aber damit kann ich gut leben. Ich bin ein Schauspieler, der seinen Beruf ernst nimmt, und möchte nicht nur eine öffentlich festgesetzte Figur sein. Mein Beruf ist mir wichtig und das öffentliche Bild ziemlich schnuppe.

Zurück zu dem Film "Durch Himmel und Hölle". In dem Film liegt der Schwerpunkt bei dem Thema Adoption. Reizte Sie diese Problematik?
Wiesinger: Sowohl das Thema Adoption als auch das Thema Ehekrise reizte mich. Die Ehekrise war für mich eigentlich entscheidender. Wie geht man mit Problemen in der Partnerschaft um? Wie leben sich die Leute auseinander? Das ist ein kommunikatives Problem zwischen den beiden Hauptdarstellern, was auch dazu führt, dass die Situation eskaliert.

Hatten Sie vorher Berührung zu dem Thema Adoption?
Wiesinger: Nein, gar nicht. In meiner Schulzeit kannte ich zwar Kinder, die adoptiert waren. Aber ich hatte mich damit noch nie auseinandergesetzt.

Über eine Adoption haben Sie noch nie nachgedacht?
Wiesinger: Wir wollten eigene Kinder und es hat funktioniert, daher stand das in unserer Familie nie zur Debatte. Die Frage "was wäre wenn" gab es bei uns nicht. Auf der anderen Seite muss man sagen, dass wir durch unseren Beruf viel unterwegs sind und ein bewegtes Leben führen. Daher sind wir auch keine Familie, die sich dafür anbieten würde, ein Kind zu adoptieren. Unsere beiden Kinder müssen das nun schon genug mitmachen, diese Unstetigkeit.

Leben Sie unstetig?
Wiesinger: Wir leben sicher kein “normales” Leben. Beruflich bedingt unterscheidet sich unser Alltag deutlich von dem anderer Menschen.
Die ersten Jahre sind die Kinder immer mitgekommen und jetzt, da sie in die Schule gehen, bleibt immer einer der Eltern Zuhause. Man konnte das mitunter auch gut verbinden. Als ich z.B. auf Gran Canaria gedreht habe, ist die Familie mitgekommen. Das klappte meistens gut – aber eben nicht immer. Als ich in Litauen gedreht habe, da habe ich die Reservierungen für die Familie wieder storniert, da die Verhältnisse am Drehort für kleine Kinder zu unpraktisch waren. Zu manchen Zeiten habe ich meine Familie auch lange nicht sehen können, oder ich habe pausenlos im Flugzeug gesessen. Das ist für uns alle natürlich anders als wenn ich in einem Büro in Hamburg arbeiten würde.

Ist das der Grund, warum sich Ihre Frau jetzt auf die Musik spezialisiert – damit sie mehr Zuhause ist?
Wiesinger: Nein. Natürlich hat sie erst einmal viel mehr Zeit für die Kinder opfern müssen und wollen. Das hat auf der einen Seite damit zu tun, dass sie wegen der Kinder vier Jahre gar nicht gedreht hat. Als Schauspieler kann man sich nach einer vierjährigen Pause in dem Alter auch wieder hinten anstellen. Wenn man nicht mehr 20 Jahre ist sondern Ende 30, dann sieht das in unserem Beruf gleich ganz anders aus. Auf der anderen Seite ist das Angebot für Dunkelhäutige minimal. In erster Linie wurden ihr Rollen als Prostituierte, Kindermädchen oder Putzfrauen angeboten.

Dann lieber Musik.
Wiesinger: Sie macht schon lange Musik und ist schon so weit. Sie hat viele Stücke geschrieben. Sie geht in ihrer Musik total auf und ist nur noch im Studio. Sie hat jetzt auch wieder einen Film in der Schweiz gedreht, aber die Musik ist für sie absolut im Vordergrund.

Zitiert

Im Gegensatz zum guten Journalismus ist die Schauspielerei sehr emotional beladen.

Kai Wiesinger

Stand die Rollenverteilung schon vor der Geburt fest?
Wiesinger: Das war grundsätzlich offen. Ich finde, die Fragen um das Thema ‚ob’ Kinder und ‚wie’ Kinder muss die Frau entscheiden. Ich bin Chantal sehr dankbar, dass sie sich diese Zeit genommen hat, für unsere Kinder komplett dazusein. Als unsere erste Tochter geboren war, hatte meine Frau während der Stillzeit noch gedreht. Das war eine Katastrophe. Es wurden Pausen gemacht zu den Stillzeiten, aber dann war das Kind total durch den Wind.
Manche Kollegen schaffen das. Die drehen drei Monate nachdem sie ein Kind bekommen haben. Jeder muss seinen Weg finden, damit zurechtzukommen.

Sie sind Schauspieler, drehen Dokumentarfilme, produzieren Filme, fotografieren und betreiben ein Musiklabel. Wo wollen Sie hin?
Wiesinger: Na ja, das Musiklabel steht ganz am Anfang. Wir betreiben einen kleinen Internetladen und haben einen ersten Soundtrack zum Kauf angeboten. Aber wir haben vor, das weiter auszubauen. Unsere Arranque Filmproduktion hat ihre ersten Filme produziert, und entwickelt sich ebenfalls. Mal sehen wo es hinführt…

Wie entstand die Filmproduktion?
Wiesinger: Meine Schwester, meine Frau und ich haben die Produktion vor Jahren gegründet. Im Moment stehe ich aber sehr viel vor der Kamera, daher musste ich die Arbeit dort ein wenig eindampfen. Ich kann mich sonst nicht mehr richtig konzentrieren. Meine Schwester kümmert sich um die Filmproduktion.

Entstand damals bei der Gründung der Filmproduktion auch ein gewisser Erwartungsdruck?
Wiesinger: Das war am Anfang ganz schlimm. Aber ich habe da selber Schuld – in ein oder zwei Talkshows habe ich die Filmproduktion erwähnt und gesagt, ich würde jedes Buch lesen. Ich dachte, ich finde auf diese Weise die Perle im Heuhaufen. Wir haben daraufhin unendlich viele Drehbücher bekommen. Unendlich viele Briefe von Menschen, die ihr Leben verfilmt haben wollten. Und das ist in der Regel alles unbrauchbar für einen Film.

An was arbeitet die Arranque-Filmproduktion zur Zeit?
Wiesinger: Wir produzieren gerade eine Dokumentation für den NDR über das Thema "Ehe". Ich führe Regie und Kamera und meine Schwester übernimmt die Produzentenarbeit. Ansonsten arbeiten wir zur Zeit nur an einen Kinofilm, den wir als Co-Produzent mit vorbereiten. Die Firma Cinecentrum wird ihn ausführen.

Ihre Eltern sind Journalisten. Gehen Sie mit ihren Dokumentarfilmen damit einer alten Leidenschaft nach?
Wiesinger: Ich weiß es nicht genau – wenn dann unbewusst.

Der Schauspielberuf hat auch journalistische Züge: Sie müssen für eine Rolle recherchieren und die Sichtweise einer Figur dem Publikum nahe bringen…
Wiesinger: Im Gegensatz zum guten Journalismus ist die Schauspielerei aber sehr emotional beladen. In der Schauspielerei entfernt man sich von manchen Fakten, um sie durch eine Rolle zu interpretieren.

Ich habe gelesen, dass Sie sich zur Zeit viel mit der Fotografie beschäftigen. Wie kamen Sie zur Fotografie?
Wiesinger: Ich habe meine erste Fotokamera von meinem Vater geschenkt bekommen und habe eigentlich immer schon fotografiert. In meiner eigenen Dunkelkammer habe ich die Fotos als Kind entwickelt und an Tierzeitschriften verkauft. Zu der Zeit wollte ich ein Heinz Sielmann werden. Ich habe mich später dann aber mit Malerei beschäftigt und das Fotografieren vernachlässigt. Durch die Produktion von Dokumentarfilmen bin ich jetzt wieder bei der Fotografie gelandet. Ich liebe das.

Und was ist im Moment der Schwerpunkt Ihrer Tätigkeiten?
Wiesinger: Seit zwei Jahren beschäftige ich mich intensiv mit der Fotografie und arbeite an einem längerfristigen Projekt. Dann mache ich meine Dokumentarfilme und stehe für Film- und Fernsehprojekte vor der Kamera.

Das heißt, Sie wollen sich nicht für das Eine oder das Andere entscheiden?
Wiesinger: Nein, warum? Das läuft nebeneinander her. Aber nicht als Hobby – ich hasse dieses Wort. Einige Leute haben gedacht, ich werde nur noch hinter der Kamera arbeiten als wir die Arranque Filmproduktion gegründet hatten. Aber sicher bleibe ich immer in erster Linie Schauspieler.

Aber was treibt Sie zu diesen Dingen an?
Wiesinger: Spaß! Ich gehe nicht danach, was wohl für die Schauspielkarriere am besten ankommt oder wie ich mich am besten verkaufe. Es macht mir einfach Spaß.

Geht es um die Eroberung von neuen Gebieten? Geht der Reiz verloren, wenn man sich erst mal in einen Bereich hineingearbeitet hat?
Wiesinger: Ich habe mal sehr gut Golf gespielt und kam in den B-Kader der Jugend-Nationalmannschaft. Und an dem Tag, als ich da rein kam, habe ich aufgehört zu spielen. Von daher ist die Frage nicht unberechtigt. Ich habe mir damals gesagt, jetzt dürfte ich da mitmachen. Aber wenn ich zugesagt hätte, dann hätte ich auch mitmachen müssen. Zwänge engen mich ein. Das ist dann nicht mein Ding.

Sie haben Preise gewonnen, die die Publicityarbeit eines Schauspielers unterstützen. "GQ Best-Dressed Man", "MAXIM Grooming Man", Sie haben ein Gala- Foto-Shooting zusammen mit Ihrer Frau gemacht. Wie wichtig sind diese Dinge für Ihre Karriere?
Wiesinger: Es gehört dazu. Ich gehe ganz wenig auf Partys. Aber es wird dann oft auch davon berichtet, wenn wir auf Partys sind. Dann haben die Menschen vielleicht den Eindruck, wir sind ständig auf Partys um ständig in die Zeitung zu kommen. Ich bin am glücklichsten, wenn ich allein Filmmaterial bearbeite. Ich brauche es nicht, mich in der Öffentlichkeit aufzuhalten.

Stört es Sie, wenn von Ihrem Privatleben berichtet wird?
Wiesinger: Von meinem Privatleben weiß niemand etwas. Die Journalisten wissen, dass wir zwei Kinder haben und das Chantal und ich seit 14 Jahren glücklich sind, ansonsten weiß kein Mensch etwas von uns. In gewisser Weise kann man das auch steuern und auf seine Grenzen gegenüber den Medien hinweisen. Wenn wir auf Veranstaltungen von Journalisten fotografiert werden, dann werden wir oft aufgefordert für das Foto zu “kuscheln” oder uns zu küssen. Das geht uns zu weit. Man kann uns gerne als Gäste für das Event fotografieren, aber ich möchte kein Pseudo-Privatleben für ein Foto vorspielen.

Unsere Schlussfrage lautet: Das Leben ist ein Comic – welche Figur sind Sie?
Wiesinger: Ich habe das so wenig gelesen. Ich kenne nur "Fix und Foxi" und "Donald Duck". Wir alle, die als Schauspieler arbeiten, haben vielleicht etwas von Peter Pan.

Kommentar schreiben

* Erforderliche Angaben. Emailadresse wird nicht veröffentlicht.