Alexander Osang

Es gibt eine Nähe zur Macht, die korrumpiert.

Alexander Osang über die Verfilmung seines Romans "Die Nachrichten", autobiographische Bezüge, Informationshonorare, Berichterstattung aus New Orleans und warum er "kein Fernsehmann" ist

Alexander Osang

© linksverlag.de

Herr Osang, Ihr Buch „Die Nachrichten“ über einen ostdeutschen Journalisten, der in West-Deutschland Karriere macht, wurde gerade verfilmt – wie viel steckt von Ihrer eigenen Biographie in Buch und Film?
Alexander Osang: Eine ganze Menge, vor allem in der Hauptfigur des Jan Landers, der ähnlich wie ich nach der Wende eine relativ steile Karriere gemacht hat, sich wegentwickelt hat von den Leuten, mit denen er einst angefangen hat. Ich habe kurz nach der Wende schon sehr viel mehr Geld verdient als Leute in meiner Familie, als meine Freunde und ehemalige Kommilitonen. Natürlich habe ich mich immer wieder gefragt: Bleibst du dir treu, verrätst du die Ideale? Schadet dir diese Veränderung? – In diesem Konflikt steht der Jan Landers, er vergisst, wer er eigentlich war und wird dann aber irgendwann gezwungen, zurückzugehen in seine Vergangenheit.
Dann gibt es außerdem diese Spiegel-Reporterin, in der auch etwas von mir steckt, diese Wut, die sie hat, ist mir nicht unvertraut. Und auch der versoffene Lokalreporter Raschke, der immer davon träumt, irgendwann mit einer großen, wirklich großen Geschichte ganz groß rauszukommen – den kenne ich auch. Der steckt auch in mir drin.

Sie haben den Konflikt angesprochen, der Sie und Jan Landers betroffen hat – wie haben Sie denn die sich aufdrängenden Fragen für sich beantwortet?
Osang: Die lassen sich nicht beantworten. Diese Veränderung gehört mit zum Leben, auch wenn das manchmal ein bisschen schmerzhaft ist – manche Dinge sind einfach nicht aufzuhalten. Ich habe jetzt sechs Jahre in New York gelebt, und manchmal frage ich mich, ob ich überhaupt noch ein Gefühl habe dafür, was die Leute hier in Deutschland wirklich wollen. Treffe ich deren Nerv noch, wenn ich Geschichten wie „Die Nachrichten“ schreibe?

Ihr Protagonist sieht sich auf dem Höhepunkt seiner Karriere im Westen dem Verdacht ausgesetzt, zu DDR-Zeiten als IM, als inoffizieller Mitarbeiter der Stasi, gearbeitet zu haben. Mussten Sie bei Ihren ersten Arbeitgebern in West-Deutschland etwas unterschreiben, dass Sie nicht als inoffizieller Mitarbeiter für die Stasi tätig gewesen sind?
Osang: Nein, ich musste nie etwas unterschreiben. Man hat mich in der DDR zweimal versucht, anzuwerben. Ich habe Nein gesagt und hatte einfach Schwein, weil die mich wahrscheinlich nicht richtig erpressen konnten – oder weil es nette Stasi-Leute waren, keine Ahnung. Einmal ging es um eine Reise Nordkorea und mir wurde untersagt, dorthin zu fahren, wenn ich nicht mitarbeite. Ich habe abgelehnt. Da waren die sauer, aber das war es dann auch schon, ich hatte nie irgendwelche Konsequenzen zu tragen.

Und es hat sich später, nach der Wende, auch niemand an Ihnen „gerächt“, weil Sie nicht „mitgearbeitet“ haben?
Osang. Nein. Von mir gibt es, vermute ich mal, keine Akte. Insofern war ich fein raus. Ich habe damals Texte über Planwirtschaft geschrieben. Dadurch ist niemand verletzt worden, andererseits war das war natürlich großer Mist und ich frage mich heute: Wie konntest du so etwas machen? Was ist da mit dir passiert? Ich bin kirchlich aufgewachsen, ging in einen katholischen Kindergarten, meine Eltern wollten mir ein alternatives Leben bieten, das mir zeigen sollte, dass es mehr gibt als diesen Staat. Mit 25 habe ich dann in der Wirtschaftsredaktion der Berliner Zeitung gesessen und irgendwelche Lobhymnen auf die DDR-Wirtschaft gesungen – aber danach hat mich später nie jemand gefragt.

In der DDR konnte von Pressefreiheit bekanntlich wenig die Rede sein. Im Vergleich: was sehen Sie heute für Restriktionen in Ihrer Arbeit?
Osang: Ich spüre keine Restriktionen. Höchstens, wenn ich mir die Frage stelle: für wen schreibst du? Du hast eine Schere im Kopf. Ich habe eine andere Schreibweise, wenn ich für die Berliner Zeitung schreibe, als wenn ich für den Spiegel schreibe, da ändert sich die Ansprache. Aber zu DDR-Zeiten gab es Wörter, die man nicht benutzen durfte, da gab es Indexlisten, wie etwas geschrieben werden soll. Solche Tabus gibt es heute nicht, zumindest keine, bei denen ich das Bedürfnis hätte, sie zu brechen. Ich habe nicht das Gefühl bei meiner Arbeit an Grenzen zu stoßen, außer an stilistische vielleicht. Wobei, es gibt sicher Kollegen in Lokalredaktionen, die unter Druck stehen und bestimmte Sachen nicht schreiben dürfen, weil ihre Zeitung vom Anzeigengeschäft abhängig ist. Und von den Fernsehsendern will ich gar nicht erst anfangen…

Sie haben nie für das Fernsehen journalistisch gearbeitet. Hat das einen bestimmten Grund?
Osang: Ich wollte eigentlich Sportreporter beim Fernsehen werden, weil das zu DDR-Zeiten die einzige Möglichkeit gewesen wäre, zu reisen und mal in den Westen zu kommen. Sport war auch nicht so politisch und sowieso bin ich ein Sportfan. Ich habe dann einen Aufnahmetest gemacht, die hätten mich auch genommen – aber dann fiel die Mauer und ich habe das aus den Augen verloren. Darüber bin ich heute auch sehr froh, ich bin halt kein Fernsehmann. Weil für mich verändert Fernsehen oft das Leben und die Situationen, die es eigentlich beschreiben soll. Weil es eben auch viel aufwendiger ist: da gibt es den Lichtmann, den Tonmann, den Kameramann und so fangen die Leute dann an, ganz anders zu reden, wenn sie im Fernsehen sind. Vor allem die einfache Leute. Ich schreibe ja viel über einfache Leute, an die kann man als schreibender Journalist sehr viel unauffälliger und ruhiger herangehen, da fühle ich mich wohl. Insofern habe ich auch gar keine Ambitionen, fürs Fernsehen zu arbeiten, weil irgendwo tun mir die Fernsehleute auch nur noch leid.

Wenn Sie beispielsweise die Tagesschau sehen, finden Sie, dass Politiker und politische Inhalte dort angemessen dargestellt werden?
Osang: Ich sehe seit sechs Jahren keine deutschen Fernsehnachrichten mehr und bekomme davon nur wenig mit. Aber ich saß kürzlich in einer Diskussionsrunde mit Hans Leyendecker von der Süddeutschen Zeitung und mit Kollegen vom Spiegel und vom ZDF. Und wir haben darüber geredet, inwieweit die Medien die Bundestagswahl beeinflusst haben und ob es so ein geschlossenes Wertesystem gibt, in dem man die rot-grüne Regierungskoalition schon abgeschrieben hat und wo die Medienlandschaft von neoliberalen Kreisen gesteuert wird. Ich weiß nicht, ob das alles wahr ist oder ob das nur Verschwörungstheorien sind.
Was es aber gibt, das ist eine Nähe zur Macht, die korrumpiert. Das spüre ich auch in den USA, das habe ich nach dem 11. September gespürt und genauso als Bush wiedergewählt wurde. Journalisten tendieren dazu, sich an den Leuten zu orientieren, die an der Macht sind – das ist offenbar ein Gesetz. Dazu kommt, dass sich politische Korrespondenten oft in großen Gruppen bewegen, die gucken aufeinander und da entstehen schnell bestimmte Tendenzen.

Und Sie sind diesem Einfluss ebenso ausgesetzt?
Osang: Nein, ich bewege mich als Reporter – und das ist das schöne an meinem Beruf – fast immer außerhalb dieser Gruppen. Ich versuche mich immer von diesen Gruppen weg zu bewegen, weil das meine einzige Chance ist, etwas Originelles zu schreiben. Wenn ich ein Angela Merkel-Portrait schreiben will, dann fahre ich vielleicht vier Wochen mit ihr mit, schreibe mein Portrait und bin dann wieder weg. Politische Korrespondenten dagegen müssen immer wieder über sie schreiben und immer wieder über die CDU. Ich hingegen kann da sozusagen auch mal verbrannte Erde hinterlassen.

Dafür, dass Sie kein Fernsehmensch sind, beschreiben Sie im Buch den Ablauf hinter den Kulissen einer Tagesschau-Sendung sehr genau.
Osang: Ja, ich habe ja auch recherchiert für das Buch. Ich war zehn Tage in der Tagesschau-Redaktion und habe mir angeschaut, wie das alles funktioniert, habe Interviews mit den Sprechern gemacht, war auf Redaktions-Konferenzen und habe mich in den Sprecherstuhl gesetzt.

War das Bild, das Sie bekommen haben, letzten Endes ernüchternd für Sie?
Osang: Ich kenne natürlich Zeitungsredaktionen und ich kenne Hierarchien. Die sind beim Fernsehen ähnlich, wobei dort hinzukommt, dass das irgendwie eine politische Behörde ist. Ja, das ist ernüchternd und nicht besonders romantisch. Eine Spiegel-Redaktionskonferenz ist auch nicht sehr romantisch.

Im Übrigen kommt der Spiegel bei Ihnen auch nicht gerade gut weg, sowohl im Buch als auch im Film.
Osang: Richtig. Aber die Arbeit beim Spiegel kannte ich ja noch nicht, als ich das Buch geschrieben habe, insofern ist das alles fiktiv. Ich war auch vorher nie in einer Redaktionskonferenz beim Spiegel und später haben mir die Kollegen erzählt, dass würde alles ganz anders ablaufen.

Und die „Informationshonorare“, welche die Spiegel-Reporterin in Ihrer Geschichte großzügig zahlt?
Osang: Auch das ist alles Fiktion, über die Realität kann ich da nicht viel sagen. Es werden Informationshonorare gezahlt, von allen die sich das leisten können, das ja. Ich persönlich habe allerdings noch nie eins gezahlt.

Finden Sie diese Honorare verwerflich?
Osang: Nein. Aber ich war auch noch nie mit dem Gedanken konfrontiert. Es gab nur einmal eine Situation in New York, als ich über einen Mann schreiben wollte, der im Empire State Building 40 Stockwerke mit dem Fahrstuhl abgestürzt ist. Aber der wollte dann zehntausend Dollar von mir haben für ein Gespräch, was ich unfassbar hoch fand. Bei Tausend Dollar hätte vielleicht noch gesagt: Ok, warum nicht?

Sie kommen gerade aus New Orleans, von wo Sie für den Spiegel über die große Flutkatastrophe berichtet haben. Wie empfanden Sie die Berichterstattung diesbezüglich in den deutschen Medien?
Osang: Die habe ich nur wenig verfolgt. Aber ich erinnere mich an eine ähnliche Situation, nämlich den großen Stromausfall in New York. Und da fand ich die hiesige Berichterstattung ein bisschen hämisch, so nach dem Motto: „Die Supermacht hat jetzt ihren Blackout“. Ich habe die Befürchtung, dass das im Fall von New Orleans ähnlich ist, dass es bei manchen scheinbar das Bedürfnis gibt, denen zu zeigen, wie doof sie eigentlich sind und wie wenig sie als angebliche Supermacht in der Lage sind, mit solchen Krisen umzugehen.
Dazu muss ich sagen: Wenn man nach New Orleans fährt, über eine achtspurige Autobahn, die meilenweit durch Sümpfe führt, man den Mississippi sieht – das ist eine andere Natur, mit der die Leute dort umgehen müssen, das ist ein viel größeres Land, da wirken ganz andere Kräfte. Aber das vergisst man hierzulande natürlich relativ schnell. Darüber hinaus habe ich den Eindruck, dass sich in Deutschland dieses Anti-Bush-Denken oft mit einem generellen Anti-Amerikanismus vermischt – und das mag ich überhaupt nicht.

Wie sehr verlassen sich denn Ihrem Eindruck nach die US-Bürger auf ihre Regierung?
Osang: Der Staat spielt keine so große Rolle im Leben der Leute. Da herrscht nicht nur Misstrauen, sondern die verlassen sich auch nicht auf den Staat. Da wird viel auf die Unternehmen verlagert, die großen Industrien kümmern sich um Krankenversorgung und Rentenversicherung. Und wenn ein Betrieb pleite geht, stehen die Leute natürlich sehr schlecht da. Auf der anderen Seite ergreifen viele Leute deshalb selbst die Initiative. Ich habe zwei Kinder, die dort zur Schule gehen und die Leute in dem Bezirk wissen, dass sie sich um diese Schule auch kümmern müssen. Fundraiser sammeln Geld und die Eltern sind viel mehr involviert, als Eltern das in Deutschland wären, weil sie wissen: Die Schule ist gut für unsere Kinder, also müssen wir auch selber etwas dafür tun.

War denn das Misstrauen gegenüber der Regierung auch ein Grund dafür, dass viele Menschen in New Orleans die Warnung vor der Katastrophe ignoriert haben?
Osang: Das glaube ich nicht. Das mag zwar auch eine Rolle spielen, aber ich glaube, dass das mehr damit zu tun hat, dass die in den Südstaaten mit diesen Hurrikans leben. Deren Lebensphilosophie ist: Wir haben die Hurrikans seit zwanzig Jahren ausgesessen und wir werden den nächsten auch wieder aussitzen.

Wie schwer empfinden Sie eigentlich Ihre Position als Reporter in Krisensituationen? Wenn Sie mit Menschen umgehen müssen, deren Existenz, deren Leben sogar vielleicht bedroht ist, und Sie auf der anderen Seite als Medienvertreter alle Sicherheiten haben?
Osang: Das ist nun eine ziemlich komplexe Frage. In New Orleans kam es zum Beispiel dazu, dass wir ein Auto hatten, und wir hatten Benzin. Wir haben dann Leute mit aus der Stadt genommen, die mehr oder weniger in unser Auto gesprungen sind, als diese Massenhysterie aufkam. Also, manchmal vermischen sich da Dinge, und ich habe mich in dieser Situation auch nicht besonders wohl gefühlt. Ich greife da in bestimmte Dinge mit ein, weil mir die Leute natürlich leid tun, ich habe selber Kinder und mir tun die vielen Kinder leid, ich würde die am liebsten alle da rausholen. Aber mir ist immer auch sehr, sehr bewusst, dass ich Reporter bin. Und dass ich mit ganz anderen Sicherheiten lebe, ist mir klar. Das geht ja bis hin zu unserem Spiegel-Büro in Manhattan. Da arbeiten zwei deutsche Sekretärinnen, die aber nach amerikanischem Recht eingestellt sind. Die haben viel weniger Urlaub als wir. Die haben nicht diesen ganzen Versicherungs- und Kündigungsschutz wie wir und die arbeiten tagtäglich mit uns zusammen. Das ist nicht einfach – aber das ist einfach so.

Ein Kommentar zu “Es gibt eine Nähe zur Macht, die korrumpiert.”

  1. Imri |

    So richtig kann man Herrn Osagen nicht beschreiben. Ja, er ist manchmal kritisch, gelegentlich angepasst und ab und zu auch spöttisch. In jedem Fall bekommt man den Eindruck dass er sich nicht soweit in eine politische Ecke schieben lassen möchte und immer den Freiraum sucht damit nichts an ihm hängen bleibt. Insbesondere hat mich sein letzter Artikel im Spiegel zum Thema Trump und die Jerusalem/Botschaft sehr gestört weil er es offensichtlich auch nicht lassen kann sich über andere lustig zu machen und sie zu verspotten. Das ist etwas sehr überheblich und zeichnet eigentlich keinen guten Journalismus aus. Irgendwie scheint er doch seine DDR Vergangenheit nicht ganz überwunden zu haben wo eine übermäßig kritische Bewertung der Nahostverhältnisse Gang und Gebe waren und in jedem Fall abweisend zum Nachteil einer Beziehung zum jüdischen Staat. Dass die Botschaft der USA nach Amerika umgesetzt wurde ist eigentlich ein relativ einfache und normale politischer Vorgang. Jeder Staat hat das Recht sich den Standort den er als Hauptstadt erklären will, zu bestimmen. Weshalb die Welt meint sie kann es Israel anders vorschreiben ist für mich überhaupt nicht nachvollziehbar. Wie wäre es denn wenn wir Chemnitz vorschlagen würden als Bundeshauptstadt? Manch einer würde überhaupt nicht verstehen was So eine schwachsinnige Vorstellung überhaupt soll!. Man erinnere sich an das Theater mit Berlin als Hauptstadt der DDR. War zwar nicht ganz so eine chaotischer Angelegenheit wie man sie in Nahen Osten abspielt, aber dennoch völlig abstrus für die Menschen die dort gelebt haben seit 1948-1990.
    Das einzige Gute an unsere Gesellschaft ist dass man ja eigentlich nur die Schoner Listen lesen sollte die einen zu sprechen und die andern kann man einfach vernachlässigen. So geht’s mir auch ich wünsche Osang alles gut. Schön wäre es, wenn er etwas tiefer bei seinen Recherchen bezüglich beider Seiten einsteigen würde. Ich hätte Trump zwar nicht gewählt aber ich erinnere mich noch an die Geschichte mit Nix den man gesellschaftlich erst fertig gemacht hat und im Nachhinein festzustellen er war ja doch nicht ganz übel. Man muss auch manchmal abwarten können. Vielleicht ist die zur Zeit wenig verstanden der Dynamik von Trump bezüglich des Nahen Osten eine Überraschung.

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