betr. Interview mit Ulrike Guérot

Seit Beginn der Corona-Pandemie ist mir die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot mit verschiedenen Beiträgen (Interviews, Talkshow-Auftritte etc.) aufgefallen. Manche nahm ich mit Verwunderung zur Kenntnis, zum Beispiel, dass sie die Risikogruppe für Covid-19 mit „maximal zwei Prozent der Bevölkerung“ bezifferte. Positiv fiel mir auf, dass sie sich häufig für das Thema Meinungs- und Pressefreiheit stark machte – insofern nahm ich an, dass Ulrike Guérot mit Journalisten auch sauber umgeht.

Ich habe es anders erlebt.

Am 18. März führte ich mit Frau Guérot ein telefonisches Interview, dieses dauerte ca. 65 Minuten, einige meiner Fragen hatte ich ihr zur Vorbereitung vorab gemailt.

Am 25.03., während ich noch an der Finalisierung des Transkriptes arbeitete, erhielt ich vom Pressesprecher des Westend-Verlages die Nachricht, Ulrike Guérot „zieht das Interview zurück“, „sie schafft es aus Zeitgründen und Übermüdung nicht, das Interview weiter zu bearbeiten“ (und natürlich schaffte sie es auch nicht, mir dies persönlich mitzuteilen, sondern schickte einen Pressesprecher vor).

Hm, seit dem 18.03. wurden mehr als 20 Interviews mit Ulrike Guérot veröffentlicht, von Bild-TV bis Tichys Einblick, von Deutschlandfunk bis NZZ, von Apolut bis Infrarot (komplette Liste siehe unten). Aber ausgerechnet mein Interview kann „aus Zeitgründen“ nicht freigegeben werden?

Ich habe den Pressesprecher umgehend angerufen und ihm mitgeteilt, dass dies mit mir nicht zu machen ist. Wer die Autorisierungsvereinbarung als Instrument begreift, unliebsame Interviews komplett aus der Welt zu schaffen, hat Null Respekt vor Journalismus. Stunden der Vor-Recherche, Lektüre ihres Buches, Arbeit am Transkript etc. – alles wäre zunichte gewesen, wäre ich dem Willen von Prof. Guérot gefolgt. Es wäre auch das Interview-Genre generell infrage gestellt, schließlich erfolgen die meisten Print-Interviews hierzulande unter Autorisierungsabrede. Welcher Journalist hätte noch Lust auf ein Interview, wenn er wüsste, dass sein Interview-Partner je nach Laune einfach alle Gesprächsinhalte eliminieren kann?

Ich habe gegenüber Frau Guérot diesen Standpunkt mehrfach, auch persönlich in Telefonaten, zum Ausdruck gebracht. Am 13.04., zwei Wochen nachdem ich ihr das Transkript zur Autorisierung vorgelegt hatte, erklärte sie per Mail nochmals, das Interview zurückziehen zu wollen (verwunderlich ist in diesem Zusammenhang, dass Frau Guérot selbst schon mal ein anderes Medium dafür kritisiert hat, ein Interview mit ihr nicht publiziert zu haben).

Nach einem weiteren Telefonat hat Ulrike Guérot den Widerstand gegen das eigene Wort jedoch aufgegeben und versprach, das Interview zu autorisieren. Und dann geschah anderthalb Monate nichts. Also setzte ich Frau Guérot am 30. Mai eine Deadline bis zum Pfingstwochenende, an welche sie sich schließlich auch gehalten hat. Ich erhielt die erste autorisierte Fassung am 04. Juni, die zweite autorisierte Fassung am 06. Juni.

[AN ALLE JOURNALISTEN, DEREN INTERVIEW-PARTNER EIN GESPRÄCH VOLLSTÄNDIG ZURÜCKZUZIEHEN WOLLEN: LASST EUCH DAS NICHT BIETEN! ERST RECHT NICHT VON ANGESTELLTEN STAATLICH-FINANZIERTER INSTITUTIONEN. WIDERSTAND KANN SICH LOHNEN!]

Die allermeisten Antworten hat Frau Guérot überarbeitet, z.T. sind Äußerungen, auf die ich meine Nachfragen bezog, nun nicht mehr im Text enthalten. Weiterhin hat Frau Guérot viele Aussagen schriftlich hinzugefügt. Viele davon hätte ich im direkten Gespräch gerne kritisch hinterfragt, etwa ihre nun ergänzte Behauptung zur Ukraine-Resolution der UNO, dass „auf die Bevölkerung gerechnet, ein Drittel der Welt dagegen gestimmt hat, denn China und Indien haben sich dem Votum enthalten“, oder andere direkt beantwortet, wie die von ihr nachträglich eingebauten Fragen, ob ich angebliches „Shadow Banning“ gut finde, oder ob ich möchte „dass ukrainische Teenager auf russische Teenager schießen“.

Aber immerhin: Frau Guérot hat autorisiert (Klaus Brinkbäumer und Mark Forster hatten diesen Anstand nicht). Rund 11.000 Zeichen, entspricht ca. zweieinhalb A4-Seiten, hat sie dabei hinzugefügt, weshalb nun sehr viele Inhalte vorkommen, die nicht Teil unseres Telefonats waren. Aussagen von mir, welche sie bei der Autorisierung gelöscht hat (wie z.B. den Hinweis, dass in vielen Ländern die Corona-Zertifikatspflicht abgeschafft wurde) habe ich entsprechend gekennzeichnet.

Warum erhielt ich nun zwei autorisierte Fassungen von Frau Guérot?

Eine mögliche Erklärung: In der ersten Fassung hatte sie in einer Antwort schriftlich formuliert „Fragen Sie doch mal meine Journalisten-Freunde, die z.B. wegen impfkritischer Artikel in Deutschland oder Österreich entlassen wurden, wie die die Zeit erlebt haben“. Hierzu bat ich Ulrike Guérot per Mail, konkrete Angaben zu machen: Wer wurde entlassen, bei welchen Medien? – Anstatt einer Antwort hierauf, erhielt ich eine neue Interview-Fassung, in der ebenjene Bemerkung über „Journalisten-Freunde, die z.B. wegen impfkritischer Artikel in Deutschland oder Österreich entlassen wurden“ wieder verschwunden war. Stattdessen benennt Guérot nun Journalisten „bei denen nicht einmal impfkritische Äußerungen im Spiel“ waren (und von denen mir einer bereits bestätigte, nicht mit Frau Guérot befreundet zu sein).

Wenn nach ihrem jüngsten Auftritt bei „Markus Lanz“ Kritik laut wurde, Ulrike Guérot würde in der Öffentlichkeit unbelegte Tatsachenbehauptungen aufstellen, so kann ich dem, nach dieser Erfahrung, leider nicht widersprechen.

Ulrike Guérot erzählt im Interview: „Ein Reservist der Bundeswehr sagte mir kürzlich, die Ukraine sei faktisch, auf der Ebene der Operabilität, eingebunden in die NATO.“

Ob es diesen Reservisten in Wirklichkeit gibt und ob er sich genau so geäußert hat, ob tatsächlich ein „Freund“ von Ulrike Guérot beim „MoMa“ arbeitet, wie sie an anderer Stelle behauptet, dass kann nur die Professorin selbst beantworten. Weshalb ich alle Journalisten, die zukünftig mit ihr sprechen, motivieren möchte, Frau Guérot seehr genau nach ihren Belegen zu fragen.

Ach ja, und vielleicht könnte dann noch jemand von diesen Journalisten Frau Guérot fragen, warum eine Kritikerin, die eine mediale „Gleichschaltung“ inklusive „ungeheure Säuberung von kritischen Stimmen“ anprangert, in diesem „gleichgeschalteten“ Deutschland ÜBERALL ihre Meinung frei äußern kann? – Das hier sind alle Interviews und Talk-Auftritte von Ulrike Guérot seit dem 18.03.2022 (Liste vermutlich unvollständig):

19.03. Deutschlandfunk
22.03. MDR Kultur
23.03. Apolut
25.03. Villa Lessing (Youtube)
25.03. Die Welt
27.03. NZZ (CH)
28.03. SWR
31.03. Philosophie Magazin
01.04. Bonner Generalanzeiger
01.04. Tichys Einblick
04.04. Idealism Prevails (Youtube)
05.04. Podcast Burchardt & Böttcher
08.04. Markus J. Karsten (Youtube)
12.04. Stimme der Vernunft (Youtube)
19.04. Bild-TV
21.04. arte
24.04. Deutschlandfunk
30.04. Regenbogenkreis-Podcast
01.05. Der Standard (Youtube-Talk, AT)
03.05. Bild-TV
02.06. Bild-TV
02.06. Markus Lanz
04.06. Kaiser TV (Youtube)
04.06. Infrarot (Youtube)

4 Kommentare zu “betr. Interview mit Ulrike Guérot”

  1. Ralf Heinritz |

    An Tim: wie wäre es wenn man TAZ Autoren aus den Qualitätsmedien ausschließen würde? Außerdem ist jemand wie Tim natürlich Verfassungsfeind (Pressefreiheit).

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  2. Tim |

    Was erwarten sie denn von einem Menschen, der Bild-TV (3x) und Tichy Interviews gibt? Mich wundert da nix.

    Und ja, leider ist es tatsächlich so einfach. Wer Anstand hat, spricht nicht mit Tichy und Bild.

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    1. Einer von Vielen |

      Gibt es nicht viele Märtyrer die belegen, daß friedfertiges Verhalten oft tödlich ist?
      Ihrem Auftritt bei Lanz zur Ukraine entnahm ich, daß Menschenkenntns und Erfahrung nicht zu ihren Stärken zählt und daß sie diesen Mangel auch nicht wahrnimmt.
      Interessant an ihr ist für mich nur, wie sie es zur Professorin schaffte.

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