Marliese Weißmann

Rechtsextremes Gedankengut gibt es auch bei CDU- und SPD-Wählern.

Die Wissenschaftlerin Marliese Weißmann über weit verbreitete Ausländerfeindlichkeit und eine geringe Wertschätzung der Demokratie in Deutschland

Marliese Weißmann

© Tobias Goltz

Frau Weißmann, Sie konstatieren in Ihrer Studie „Ein Blick in die Mitte“ weit verbreitete ausländerfeindliche Einstellungen und eine geringe Wertschätzung der Demokratie in Deutschland. Haben Sie die Ergebnisse überrascht?
Weißmann: Ja, ich finde die Resultate erschreckend. Wir hatten schon in unserer ersten Studie „Vom Rand zur Mitte“ 2006 in einer repräsentativen Befragung festgestellt, dass ausländerfeindliches Gedankengut in Deutschland in allen gesellschaftlichen Bereichen recht stark vertreten ist. Die Ergebnisse der vorausgegangenen Studie konnten wir bestätigen und sogar noch Schlimmeres feststellen. Wir haben bundesweit in zwölf Gruppendiskussionen beobachtet, wie fremdenfeindliche Positionen und Vorurteile in der Gruppe diskutiert werden. Dabei kamen bestimmte Vorbehalte immer wieder zutage, die unter den Diskussionsteilnehmern breite Zustimmung fanden. Darüber hinaus wurde zwischen guten und schlechten Migranten unterschieden.

Was sind die Hauptgründe für rechtsextremes Gedankengut?
Weißmann: In der Studie wurde die These „Wohlstand als narzisstische Plombe“ aufgestellt. Der wirtschaftliche Aufschwung nach dem Krieg hatte den Effekt, eine Lücke zu füllen, die nach dem Krieg und dem Nationalsozialismus entstanden war. Durch den schnellen Aufschwung und den neu aufkommenden Wohlstand setzte man sich nach dem Krieg nicht ausreichend mit der NS-Vergangenheit auseinander, was zur Folge hat, dass heute oft sogar die Tendenz dahin geht, die Deutschen als Opfer der NS-Diktatur zu sehen. Demokratie wird aufgrund der Historie mit Wohlstand gleichgesetzt. Von daher wird heutzutage das Bröckeln des Wohlstandes von den Menschen als sehr stark empfunden. Viele befürchten, irgendwann nicht mehr am Wohlstand der Gesellschaft teilhaben zu können. Durch diese Angst entwickeln sich Ressentiments, die sich dann zum Beispiel gegen Migranten richten.

Ab wann ist zu befürchten, dass aus Ressentiments konkretes fremdenfeindliches Handeln wird?
Weißmann: Über den Zusammenhang zwischen Gedankengut und Handeln wird unter Sozialwissenschaftlern sehr kontrovers diskutiert. Wir konnten in unserer Studie feststellen, dass rechtsextremes Gedankengut auch bei CDU- und SPD-Wählern vorhanden ist. Das heißt also, dass ein Bürger nicht zwangsläufig die NPD wählt, wenn er derartiges Gedankengut vertritt. Aber von den Ergebnissen der Gruppendiskussionen kann man ableiten, welche Dynamiken und Aggressionen entstehen können, die sich beispielsweise gegen Migranten richten. Diese werden auch in den Medien oft thematisiert, was eine große Gefahr darstellt.

In der Studie heißt es, dass sich die Menschen nur selten als „Subjekte der Demokratie“ betrachten. Was genau ist damit gemeint?
Weißmann: Oft unterscheiden die Menschen zwischen „denen da oben“ und „wir da unten“ – also einerseits die Politiker an der Spitze und andererseits das Volk als „der kleine Mann“. Es gibt eine riesige Entfremdung, da vielen Menschen die Möglichkeiten einer Demokratie, zum Beispiel durch die Selbstorganisation und Mitwirkung in Bürgerinitiativen überhaupt nicht bewusst sind. Außerdem haben wir insbesondere bei Hartz IV-Empfängern festgestellt, dass bei vielen eine große Resignation vorherrscht, was den Glauben an die Demokratie und die Politik generell betrifft.

Woran liegt das? An der mangelnden Politikvermittlung?
Weißmann: Da gibt es viele Gründe. Das beginnt schon in der Schule, wo die Funktionsweisen der Politik und die Bedeutung der Demokratie nicht ausreichend gelehrt werden. Allgemein fühlen sich die Menschen von der Politik oft nicht ernst genommen. Bei Hartz IV zum Beispiel greift der Staat sehr stark in die privaten Bereiche des „kleinen Mannes“ ein. Jeder kann so Opfer des gesellschaftlichen Zugriffs werden. 

Sehen Sie auf Grund der Ergebnisse Ihrer Studie eine Gefahr für die Demokratie?
Weißmann: Es ist wichtig, Demokratie mit Leben zu erfüllen. Die Menschen in diesem Land müssen begreifen, was Demokratie eigentlich bedeutet und in welcher Form sie daran teilnehmen und sie mitbestimmen können. Es ist notwendig, weitere Partizipationsmöglichkeiten zu schaffen. Damit muss man bereits in den Schulen ansetzen, zum Beispiel durch eine gezielte Förderung von Schülervertretungen und Jugendparlamenten. In der Hinsicht stehen wir erst am Anfang der Entwicklung. 

Zitiert

Demokratie wird aufgrund der Historie mit Wohlstand gleichgesetzt. Daher wird das Bröckeln des Wohlstandes von den Menschen als sehr stark empfunden.

Marliese Weißmann

Schülervertretungen und auch Jugendparlamente gibt es doch schon seit vielen Jahren.
Weißmann: Ja, aber es wäre gut, wenn gerade Jugendparlamente einen eigenen kleinen Haushalt zu verwalten hätten, mit dem sie selbstständig Veranstaltungen organisieren können, um beispielsweise auch auf kommunaler Ebene in einen Dialog mit den Politikern zu treten und ihren Wünschen Nachdruck zu verleihen. Ich finde es wichtig, dass bereits in Schülervertretungen und Jugendparlamenten Diskussionen geführt und Entscheidungen getroffen werden und dass man dort einen Pluralismus pflegt.

Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Hövelmann will Besuche in NS-Gedenkstätten für Schüler zur Pflicht machen, um rechtsextremes Gedankengut zu bekämpfen. Macht das Sinn?
Weißmann: Ich halte es für problematisch, wenn man Schülerinnen und Schüler dazu verpflichtet, sich so mit der Geschichte auseinanderzusetzen, vor allem auch, wenn man darin die einzige Möglichkeit sieht, der Entstehung rechtsextremen Gedankenguts und Handelns vorzubeugen. Ich glaube, dass man eher die Schüler dazu anregen sollte, sich auch in ihren Familien stärker mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen.

Viele Schüler beklagen sich über eine übermäßige Präsenz der NS-Zeit im Unterricht.
Weißmann: Das stimmt, aber das liegt sicherlich daran, dass die Schüler mit zahlreichen abstrakten Fakten auf einer globalen Ebene konfrontiert werden, während zum Beispiel die Verstrickungen der eigenen Familien im Nationalsozialismus sehr wenig reflektiert werden. In der Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunft sehe ich eine große Chance.

Als Konsequenz aus den Resultaten der aktuellen Studie wird unter anderem gefordert, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk noch mehr seinem Bildungsauftrag nachkommen müsse. Wie genau?
Weißmann: In den Medien werden oft Einzelfälle dargestellt, zum Beispiel „Florida Rolf“. Diese Einzelfälle rufen Wut und Empörung hervor und führen zu Pauschalisierungen. Das ist eine große Gefahr. Jeder kann in unserer Gesellschaft nicht nur Opfer des gesellschaftlichen Zugriffs, sondern auch der Stigmatisierung werden. Diese Gleichwertigkeitsdiskurse in den Medien müssen aufhören.

Die Methode, Einzelfälle zu thematisieren und als gesellschaftliches Problem darzustellen, verwendet auch die NPD, um Wählerstimmen zu erlangen. Was muss passieren, um der NPD diese Grundlage zu nehmen?
Weißmann: Die Politik muss meines Erachtens auf den Frust der Menschen reagieren, die sich in der Gesellschaft ausgegrenzt und nicht entsprechend entlohnt fühlen. Die Bevölkerung nimmt sehr bewusst war, dass der Wohlstand zurückgeht. Zum Beispiel bringt der Bezug von Arbeitslosengeld II und Hartz IV für einen Arbeitslosen einen sehr drastischen sozialen Abstieg mit sich. Dem müsste die Politik entgegenwirken. Es ist allerdings unmöglich, aus einer wissenschaftlichen Perspektive der Politik konkrete Handlungsprogramme vorzugeben.

Wie beurteilen Sie den bisherigen Umgang der Politik mit der NPD?
Weißmann: Ich glaube, dass einige Parteien, zum Beispiel die CDU unter der Führung von Roland Koch in Hessen, durchaus aufpassen müssen, dass die Diskurse nicht verschwimmen. In Sachsen, wo die NPD im Landtag sitzt, funktionieren die Absprachen unter den anderen Parteien meines Erachtens recht gut – wenn die NPD Anträge stellt, werden diese von den anderen Parteien in der Regel geschlossen abgelehnt.

In der deutschen Bevölkerung zeigen sich weit verbreitete ausländerfeindliche Einstellungen sowie eine geringe Wertschätzung der Demokratie. Zu diesem Befund kommt die bundesweite Studie „Ein Blick in die Mitte“, die im Auftrag der mehr

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