Marc Rothemund

Ich versuche die Erwartungen immer selber an mich zu stellen.

Regisseur Marc Rothemund über die wichtigste Vorführung von "Sophie Scholl", seinen Berlinale-Triumph und den Wahlerfolg der NPD in Sachsen

Marc Rothemund

© X-Verleih

Herr Rothemund, ist es eigentlich Zufall, dass die Veröffentlichung Ihres Films über Sophie Scholl in ein Gedenkjahr fällt, 60 Jahre nach Ende der Naziherrschaft?
Rothemund: Ja, das ist totaler Zufall. Ich habe vor zwei Jahren etwas über den 60. Todestag von Sophie Scholl in der Zeitung gelesen. Da habe ich auch zum ersten Mal von diesen Protokollen gehört, die während ihrer Vernehmung angefertigt wurden, die aber noch unveröffentlicht waren und an die ich unbedingt rankommen wollte. Denn an diesen Protokollen sieht man, dass diese Frau nicht als Heldin geboren wurde, sondern dass sie mit jeder Frage, die ihr in den Verhören gestellt wurde, gewachsen ist. Sie hatte ja an den Flugblättern, die sie verteilt hat, nicht selber mitgeschrieben, das heißt, sie hatte im Gegensatz zu den anderen die Möglichkeit, ihr Leben zu retten. Sie hätte ihr Leben retten können, aber sie sagt zu dem Verhörleiter: "Nicht ich, sondern Sie haben die falsche Weltanschauung, ich bereue meine Tat nicht, ich werde die Folgen dafür auf mich nehmen und ich würde es genauso wieder machen." Das sind die letzten Sätze, die sie nach vier Tagen Verhör und 60 Seiten Protokoll sagt – und dann unterschreibt sie.

Wenn man einen Film über die NS-Zeit dreht, hat man da als Regisseur gewisse Ängste?
Rothemund: Mein einzige Angst war, dass wir das Vermächtnis der "Weißen Rose" und von Sophie Scholl vielleicht nicht vermitteln können. Aber wir hatten die jüngere Schwester von Willi Graf und auch die jüngere Schwester von Sophie Scholl, die uns beim Verfassen des Drehbuchs begleitet haben und die uns viel erzählt haben.
Wir hatten dann eine Vorführung, zu der wir alle Zeitzeugen eingeladen haben, die uns bei der Drehbucharbeit geholfen haben und die heute natürlich alle zwischen 80 und 90 Jahre alt sind. Als wir denen den Film gezeigt haben, habe ich gemerkt, dass mir persönlich so eine Vorführung viel wichtiger ist, als die Berlinale-Premiere und die Münchner Premiere zusammen. Diese Leute kannten ja Sophie Scholl, ihren Bruder, die kannten auch alle anderen der Weißen Rose. Und sie haben uns ihren Segen gegeben, sie haben sich bei uns so herzlich bedankt, vor allem bei Julia Jentsch. Sie haben gesagt, sie seien stolz auf uns, auf den Film, und darauf, dass wir für unsere Generation die Idee von Freiheit und Menschenwürde weitergetragen haben. Darüber bin ich sehr froh, das war mir auch das Allerwichtigste, dass die uns ihren Segen geben.

Und wie aufgeregt waren Sie auf der Berlinale?
Rothemund: Ich hatte ein bisschen Angst vor der Pressevorführung. Denn ich weiß, die Presseleute sitzen da drin und überlegen sich von Anfang an, was sie schreiben, wie sie eine Szene finden, was uns der Regisseur mit dem Radiergummi sagen will usw. Da war ich wahnsinnig erleichtert, dass viele von der internationalen Presse ihre Herzen geöffnet haben und den Film wohlgesonnen aufgenommen haben.
Dann kam die wirkliche Welturaufführung vor 1700 ‚normalen‘ Zuschauern, die nicht die ganze Zeit überlegen, was sie schreiben sollen, sondern die der Sophie Scholl wirklich den ganzen Film in die Augen schauen. Und dass wir von denen 15 Minuten Standing Ovations bekamen – das fand ich fantastisch. Seitdem habe ich auch keine Angst mehr, weil ich weiß, dass die Julia und die Geschichte der Sophie Scholl die Herzen der Menschen berührt.

Inwiefern spielte bei Ihrer Motivation, diesen Film zu drehen, auch ein Schuldgefühl gegenüber der Opfer des NS-Regimes eine Rolle?
Rothemund: Ich persönlich fühle mich nicht schuldig, als ´68-Geborener. Aber ich fühle die Verantwortung, das Vermächtnis der Opfer und die Idee von Freiheit und Menschenwürde weiterzugeben. Ich hoffe auch, dass die nachfolgenden Generationen genauso ihre Filme machen über diese grauenhaften Verbrechen. Man muss die Erinnerung daran wach halten, dass jeder weiß, er hat die Verpflichtung, das Böse in sich wegzudrängen und das Gute siegen zu lassen.

Nun hat der deutsche Regisseur Michael Verhoeven Anfang der 80er Jahre ebenfalls die Geschichte der "Weißen Rose" verfilmt…
Rothemund: Ja, und sein Film war so wichtig für seine Generation. Das war vor allem ein sehr politisch motivierter Film, denn im Abspann hat Verhoeven darauf hingewiesen, dass die Gerichtsurteile des Volksgerichtshofs, die Todesstrafen von diesem Blutrichter Freisler, der etwa 6000 Todesurteile ausgesprochen hat, 1981 – als der Film gedreht wurde – noch anerkannt waren. Und es dauerte nach seinem Film tatsächlich noch mal vier Jahre, bis die Freisler-Urteile für ungültig erklärt wurden, eine unglaubliche Zeitspanne. Ich weiß auch, wie schwer es Michael Verhoeven hatte, diesen Film zu finanzieren. Und: Sophie Scholl durfte damals nicht weinen. Die hat in dem ganzen Film nicht geweint, weil sie eine starke Figur sein musste, damit es aus politischer Sicht keine Zweifel gab – damit diese Gerichtsurteile endlich aberkannt wurden.

Zitiert

Ich hoffe, dass die nachfolgenden Generationen genauso ihre Filme machen werden über diese grauenhaften Verbrechen.

Marc Rothemund

Standen Sie denn hinsichtlich des Verhoeven-Films unter einem gewissen Erwartungsdruck?
Rothemund: Nein. Ich versuche die Erwartungen immer selber an mich zu stellen. Und die Erwartung, die ich an mich selbst habe, ist, einen Film so gut zu machen wie möglich. Ich muss persönlich davon überzeugt sein, alles gegeben zu haben. Ob da ein Druck von der Öffentlichkeit ausgeht, weil es so einen Film schon mal gab, damit beschäftige ich mich nicht. Ich hätte den Film dadurch ja auch nicht besser machen können.

Wie ist Ihr Film genau entstanden?
Rothemund: Ich war wie gesagt an diese Vernehmungsprotokolle gekommen. Und dann habe ich mich mit zwei befreundeten Schauspielern an einen Tisch gesetzt, mit zwei Videokameras, die man so für 500 Euro kriegt, und dann haben wir erst mal zwei, drei Tage nur gelesen. Ich wollte das einfach mal hören, weil mich haben diese Protokolle so in Beschlag genommen, jede Frage ist so spannend, und dann die Antwort, was steht hinter dem Doppelpunkt?
Ich habe mich dann mit dem Drehbuchautor Fred Breinersdorfer getroffen und es hat schon ein paar Wochen gedauert, bis er überzeugt war, dass das kein Schulfunk ist, auch kein wirklich politischer Film, sondern ein unglaublich emotionaler Film. Ein Film, der – wenn wir Glück haben – zu einer politischen Diskussion anregt. Wir sind dann irgendwann zur Franz-Josef-Str. 13 in München gegangen, wo das Haus von den Scholls ja noch steht. Und das sah so aus, als ob wir für den Film gar nicht viel verändern müssten: wir haben einfach ein modernes Fahrrad zur Seite geschoben und ein älteres hingestellt, und schon war das der Hauseingang, wo die Scholls vor 62 Jahren tatsächlich rauskamen. Dann sind wir mal den Weg abgegangen, bis zur Universität. Ich hatte in alten Büchern schon Fotos von der Uni gesehen, und mich hat’s fast umgehauen – auf den historischen Fotos sind die Bäume genauso groß wie heute. Und dann sind wir reingegangen und haben diesen riesigen Lichthof gesehen, diese riesige Kuppel. Wir haben auch gemerkt, dass es da drin ja gar nichts Modernes gibt, selbst die Schilder an den Hörsälen sehen so aus, als hingen sie da seit 60 Jahren. Da war uns klar, hier werden wir drehen.
Und kurz darauf habe ich angefangen rumzutelefonieren wegen der Finanzierung, bei dem FilmFernsehFonds Bayern angerufen, bei der Filmförderungsanstalt FFA, arte, SWR. Und dann wuchs dieses Projekt, bis wir am Ende fast 2½ Millionen Euro zusammen hatten – weil das Thema Zivilcourage eben immer noch wichtig ist.

Und die Besetzung, wie haben Sie die zusammengekriegt, gab es da Schwierigkeiten?
Rothemund: Nein, es gibt ja immer viele Probleme beim Film, aber das macht den Job ja so spannend: die Problemlösung. Jedes Problem, das auf mich zukommt, nehme ich als berufliche Herausforderung. Wir haben solch eine tolle Riege an Schauspielern in Deutschland, auf Theaterbühnen, im Fernsehen, Fabian Hinrichs an der Volksbühne in Berlin oder Julia Jentsch seit drei Jahren an den Münchner Kammerspielen. Als ich sie das erste Mal getroffen habe, da gab es ja noch gar nicht "Die fetten Jahre sind vorbei", denn zu dem Zeitpunkt saß der Regisseur, Hans Weingartner noch im Schneideraum. Als ich Julia kennen gelernt habe, dachte ich, sie sieht der Sophie Scholl ganz schön ähnlich. Sie war sensibel, warmherzig, schüchtern, unglaublich ehrlich… Und dann bin ich ins Theater gegangen und habe sie da auf der Bühne gesehen. Da dachte ich: Das kann doch nicht wahr sein! Diese zurückhaltende Frau, was die auf der Bühne für eine Kraft entwickelt, wie die mit erwachsenen, gestandenen Männern auf der Bühne spielt, in vollem Haus. Sie spielt die Nibelungen über sechs Stunden und am nächsten Abend im Othello und am nächsten auch noch die Antigone. Unglaublich, was diese Frau stemmt. Aber so wurde mir auch Sophie Scholl beschrieben: als schüchterne, eher zurückhaltende Frau, im Hintergrund, manchmal sogar als "graues Mäuschen". Und manche, die sie kannten, haben es gar nicht für möglich gehalten, zu welcher Haltung sie in Extremsituation fähig war.

Wie war das aber mit der Rolle des grausamen Richters Freisler? Ich meine, das ist ja eine Rolle, die vielleicht nicht jeder spielen möchte.
Rothemund: Die möchte nicht jeder spielen, aber es gibt dann doch Schauspieler, die sagen, "Je schwerer die Aufgabe…usw." Und der André Hennicke, der den Freisler spielt, der ist ein solcher Pazifist und so ein friedliebender, warmherziger Mensch. Aber solche Leute braucht man dann auch, um wiederum so böse Menschen darzustellen.

Sie haben sich nun sehr intensiv mit der NS-Zeit beschäftigt – was empfinden Sie nun heute angesichts des aktuellen Vormarsches der NPD, insbesondere in Sachsen?
Rothemund: Ich finde es ganz gruselig, dass die immer öfter in den Nachrichten sind. Dresden hat die Nazis satt, die hatten damals mit am meisten NSDAP-Anhänger. Und heute schalte ich den Fernseher ein und sehe, wie die durch Dresden marschieren, nach dem Motto: Schnauze voll, wählt rechts. Das finde ich so verblendet und menschenunwürdig, weil sie ja die Schuld auf andere abwälzen, auf die Schwächeren, teilweise mit Gewalttaten und ich kann nur hoffen, dass durch unseren Film einige ins Nachdenken kommen, dass man eben nicht die Schuld bei den Schwächeren suchen darf.

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