Katarina Witt

Stalking wird es immer geben

Katarina Witt über höfliche und aufdringliche Fans, ihre erste Filmhauptrolle, Starkult in der DDR und was sie beim Eiskunstlauf in Deutschland momentan vermisst

Katarina Witt

© SAT.1/Conny Klein

Frau Witt, werden Sie gerne erkannt?
Witt: Wie meinen Sie das?

Zum Beispiel auf der Straße, beim Einkaufen…
Witt: Es gehört halt zum Leben dazu. Ich hatte ja das Glück, dass ich nicht über Nacht berühmt geworden bin, sondern ich bin in diese Situation langsam reingewachsen.
Für mich ist das Erkanntwerden heute fast selbstverständlich. Das merken zum Beispiel Freunde, wenn ich mit denen unterwegs bin: Während denen sofort auffällt, wenn mich jemand erkennt, nehme ich selbst das fast nicht mehr wahr. Und wenn ich angesprochen werde, empfinde ich es eigentlich immer als Kompliment, wenn zum Beispiel jemand auf mich zukommt und erzählt, er sei damals bei den Olympischen Spielen nachts aufgeblieben, um mir die Daumen zu drücken. Besonders lustig finde ich, wenn jemand vor mir steht und erschrocken sagt: „Jetzt sehe ich Sie ja gerade live!“

Aber gewöhnt man sich zum Beispiel an Handykameras?
Witt: Nein, das ist tatsächlich nicht so schön. Da muss man wissen, wie man damit umgeht und versuchen, dem etwas aus dem Weg zu gehen. Es war glaube ich besonders extrem, als die Handykameras gerade neu auf den Markt kamen, das war schon nervig, wenn ich im Restaurant saß und jemand versuchte, mich abzufilmen. Allerdings muss man auch sagen: Zum Glück ist Deutschland ist nicht Hollywood, dort ist das wahrscheinlich viel mehr gang und gäbe. Hierzulande wird die Privatsphäre schon noch geachtet, viele Leute fragen vorher „Macht es Ihnen etwas aus…?“ Und es wird auch akzeptiert wenn ich sage: „Seien Sie mir nicht böse, ich bin hier privat unterwegs, ich möchte das gerade nicht.“ Da wird einem schon Respekt entgegengebracht.

Wobei es Paparrazzi geben dürfte, die hartnäckiger sind.
Witt: Aber auch das läuft in Deutschland noch relativ gesittet ab, wenn man es damit vergleicht, wie in den USA Prominente abgeschossen werden.

Haben Sie eine Tarnung? Sonnenbrille, Kopftuch?
Witt: Nein. Das fällt dann ja nur um so mehr auf, je mehr Aufwand man betreibt, um sich zu verstecken. Ich gehe ganz normal auf die Straße. Und wenn man mal ungekämmt und im Schlumper-Look ist, weil man nur mal schnell um die Ecke eine Zeitung holen will, ja dann setzt man vielleicht schon mal eine Brille oder eine Schiebermütze auf, um einfach… um die Leute nicht zu erschrecken (lacht).

Sie spielen jetzt die Hauptrolle im TV-Film „Der Feind in meinem Leben“. Gehen Sie an die schauspielerische Tätigkeit mit dem gleichen Ehrgeiz heran wie früher an den Sport?
Witt: Ja. Ich gehe aber eigentlich an alles, was ich gemacht habe, mit Ehrgeiz heran. Nach meiner Profi-Karriere war ich jahrelang in Amerika mit großen Tourneen unterwegs, da muss man genauso fit und vorbereitet sein. Genauso war es mit der Münchner Olympiabewerbung, wo ich plötzlich ein komplett neues Gebiet betrat, mit Sportpolitik, mit Themen wie Hotelkapazität, Sicherheit oder Infrastruktur. Das musste ich alles lernen und da gehört genauso viel Vorbereitung dazu.

Und so war es jetzt auch beim Film?
Witt: Ja, mein Anspruch ist, dass ich Qualität abliefere, die Leute sollen sehen, dass ich den Job ernst nehme. Mir war wichtig, dass jeder am Set wusste, dass ich vorbereitet bin, meinen Text kann, die Choreographie und die Abläufe kenne usw. Dann hat man auch offenere Herzen, wenn das ganze Team sieht: Die will, die kann es vielleicht noch nicht hundertprozentig, aber sie bemüht sich, strengt sich an und ist auch offen für Kritik. Mir wurde deshalb beim Dreh sehr viel Achtung entgegengebracht.

Gab es für den Film also ein „hartes Training“, wie man beim Sport sagen würde? Haben Sie Schauspielunterricht genommen?
Witt: Ja, ich habe mich mit der Teresa Harder vorbereitet, auch was das technische Herangehen betrifft. Zum Beispiel, dass die Szenen nie in der Reihenfolge gedreht werden, wie man sie später im Film sieht – das war eine große Schwierigkeit, mir das zu erarbeiten und es zu verstehen. Generell habe ich beim schauspielerischen Part gemerkt, dass das eben ein richtiges Handwerk ist. Man hat mir ja schon früher einige Rollen angeboten, wo ich aber sagte: Nein, das muss man erstmal richtig lernen.

Konnten Sie vom Eiskunstlauf etwas übernehmen, die Mimik betreffend?
Witt: Nein. Mimik und Gesichtsausdruck, das ist auf dem Eis ist alles viel dramatischer, weil die Zuschauer so weit weg sitzen.
Ich habe bei der Vorbereitung das Buch von dem großartigen Schauspieler Michael Caine gelesen und seinen Rat befolgt mit „Weniger ist mehr “. Das war eine hilfreiche Lektüre und dieses eher „Sparsame“ wurde dann beim Dreh im Zusammenspiel mit Bernd Böhlichs feinfühligen Regieanweisungen so etwas wie meine Maxime.

Sind Sie auf dem Eis heute nach wie vor fit?
Witt: Nein, für den Dreh auf dem Eis habe ich mich auch vorbereiten müssen. Die Szene im Film dauert zwar nur eine Minute, doch das bedeutete für mich mehrere Monate Training. Das ist dann doch nicht wie Fahrradfahren, draufsteigen und losradeln. Das ist ein anderer Sport, diese Schritte, die Geschwindigkeit, eine Pirouette drehen – das kann man nach vier Jahren ohne Eislaufen nicht einfach aus dem Handgelenk schütteln, da würde man sofort eine Zerrung bekommen und drei Monate darnieder liegen.

War das Filmthema Stalking eines, wo Sie erstmal gezögert haben?
Witt: Nein. Ich kenne den Regisseur Bernd Böhlich schon 20 Jahre, und er hatte immer den Wunsch, einen Film mit mir zu machen. Schließlich kam die Idee auf, einen Film mit dem Stalking-Thema zu drehen, wobei klar war, dass es eine fiktive Handlung wird und nicht meine Geschichte von vor 20 Jahren umgesetzt wird. Es ist sicher ein sensibles Thema, weil es in der Gesellschaft vorkommt. Und was mir damals passiert ist, das sind unangenehme Erinnerungen, über die ich öffentlich auch nicht spreche.

Zitiert

Wir hatten in jedem Klassenzimmer Erich Honecker hängen. Das war in der DDR unser Starkult.

Katarina Witt

Im Film erwähnen Sie eine Bibel, die Ihnen jemand auf das Eis legte…
Witt: Ja, das sind Erinnerungen im Film, die sich auf die realen Geschehnisse von damals beziehen.

Man stellt sich die psychische Belastung durch einen Stalker enorm vor. Hat man als Prominenter eine bestimmte Strategie, mit dieser Belastung fertig zu werden?
Witt: Die Strategie ist eben die, dass man darüber in der Öffentlichkeit nicht redet. Ich habe damals Rat bei einem Profiler gesucht, der hat mir genau das empfohlen. Weil der Stalker die Aufmerksamkeit will. Und an diese Strategie halte ich mich seit 20 Jahren.

Was lässt sich denn gegen Stalking tun? Glauben Sie, die Ursachen lassen sich bekämpfen?
Witt: Ich denke nicht, dass sich das bekämpfen lässt. Stalking wird es immer geben, im Kleinen wie im Großen. Wir erfahren von diesen Fällen ja meistens nur, wenn es einen Prominenten betrifft. Aber unter nicht-prominenten Menschen ist es genauso verbreitet, wenn jemand, dessen Liebe zurückgewiesen wird, es nicht wahrhaben will und die geliebte Person dann verfolgt. Solange es Emotionen und Leidenschaft gibt, wird Stalking auch existieren. Wobei es bei manchen Menschen an eine psychische Erkrankung grenzt, was dann auch behandelt werden muss.
Eine andere Form von Stalking hat sich inzwischen im Internet entwickelt. Wenn sich jemand anonym hinter einer Kritik versteckt, hinter Kommentaren im Netz, die bösartig und teilweise unter der Gürtellinie sind, dann ist das für mich auch eine Form von Stalking.

Welche Rolle spielt bei den Ursachen für Stalking der Starkult, den die Medien betreiben?
Witt: Sicher inszenieren die Medien auch. Es ging mir schon oft so, dass ich auf einer Veranstaltung war, wo ich dachte, „wo bin ich hier nur gelandet“ und am nächsten Tag steht in der Zeitung, dass sei DAS Event in der Stadt gewesen. Da wird von den Medien viel kreiert: bestimmte Images, ein Personenkult… – das geschieht vermutlich auch, weil jeder irgendwie von jedem leben will. Da ist eine Wirtschaft dahinter.
Hinter dem Glamour stecken dann oft große Anstrengungen. Wie beim Eiskunstlauf: Da siehst du am Ende eine hübsche Eisläuferin in den schönsten Kostümen lächelnd übers Eis schweben, dabei ist es ein genauso harter Sport wie Marathonlaufen, und es gibt jeden Tag auch Schmerzen, Schweiß und Tränen.

Gab es einen Starkult in der DDR?
Witt: Wenn, dann bezog er sich nur auf Legenden wie Catherine Deneuve oder Alain Delon. Heute ist der Starkult ja inflationär, bis dahin, dass man sagt „ich bin ein Star, hol mich hier raus“. (lacht) Es gibt den schnellen Ruhm, den man heutzutage über eine Fernsehsendung erlangen kann – und wenn man Teenager fragt, wie sie sich ihre berufliche Zukunft vorstellen, kommt häufig die Antwort „Ich will berühmt werden und ein Star sein“. Aber was ist ein Star? Diejenigen, die wir so nennen, weisen es ja oft von sich und sagen: Ich habe vielleicht auf einem Gebiet etwas Besonderes, mehr aber nicht.
Auf der anderen Seite gehört es auch dazu, dass die Menschen eine Figur haben, die sie bewundern, in die man gewisse Träume und Faszinationen hineininterpretieren kann.

In der DDR wurde dieser mediale Kult vermutlich etwas weniger forciert.
Witt: Dafür hatten wir Erich Honecker überall hängen. (lacht) Das war unser Starkult, der hing sozusagen als Popstar in jedem Klassenzimmer.

Sie wurden zu DDR-Zeiten von der Stasi bespitzelt, nach der Wende waren Sie Opfer eines Stalkers, hinzu kommt bis heute die Beobachtung durch die Medien…
Witt: Und Sie wollen jetzt wissen, wie man da noch so fröhlich bleibt, wie ich?

Ja, wie hält man das psychisch durch?
Witt: Tja, in dem man einfach immer irgendwie weitermacht. Mich haben schon öfter Freunde gefragt: „Wo steckst du all diese Sachen, die passiert sind, eigentlich hin?“ – Trotzdem bin ich fröhlich und optimistisch und versuche immer, das Positive zu sehen.
Vielleicht hängt es auch mit dem Sport zusammen. Das ist – Lance Armstrong jetzt mal beiseite genommen – so ehrlich und geradeaus, was man sich dort hart und mit viel Disziplin erarbeiten musste, ist so real, dass alles andere einen gar nicht mehr berühren kann. Durch diese harte Arbeit schafft man sich eine gewisse Schale und Rauheit. Und wenn dann Dinge oder Menschen verletzend sind, man unfair behandelt wird, dann drückt man das irgendwo in diesen Panzer und macht einfach weiter. Augen zu und durch.

Paparazzi stören dann auch nicht mehr?
Witt: Das Problem mit den Fotografen habe ich zum Glück nicht. Weil es mir gelungen ist, mein Privatleben zu schützen. Wir haben ja einen Staat, der uns Prominente ein wenig schützt, insbesondere dann, wenn man selbst Privates nicht öffentlich macht. Ich habe keine Home-Storys gemacht, niemand weiß, wie ich privat lebe – das wird dann auch respektiert. Und wenn ich mal von einem Paparazzi abgeschossen werde kann ich dagegen mit rechtlichen Mitteln vorgehen.
Wenn man die Tür zu seinem Privatleben extrem öffnet, bekommt man sie nicht wieder zu. Ich versuche deswegen auch, Interviews mit aktuellen Projekten zu verbinden und so mit Inhalten zu füllen. Dieses „ich muss jetzt in die Zeitung und dafür muss mein Privatleben herhalten“ gibt es bei mir nicht.

Die Schauspielerin Katrin Sass erzählte uns in einem Interview, dass sie relativ ahnungslos war gegenüber Boulevard-Journalisten und Illustrierten, als sie von der DDR in die Bundesrepublik kam. Erging es Ihnen ähnlich?
Witt: Für mich war das auch neu, zunächst in der Wende-Zeit und dann vor allem bei meinem Sprung vom Profisport in die Unterhaltung. Ich war es gewohnt, wenn man in der Zeitung auf der Sportseite über mich berichtete, doch dann wurde ich plötzlich mit der Yellow Press konfrontiert. Das musste ich auch erstmal lernen, wobei ich mir auch ein paar blaue Flecken geholt habe.

20 Jahre später gehört es zum Medienalltag, dass auch außerhalb des Sport-Teils über Sportler berichtet wird…
Witt: Ja, man weiß heute, dass auch zum Hochleistungssport die Yellow Press irgendwie mit dazugehört. Wenn du als Zuschauer zu einem Athleten eine Emotion hast, dann hast du das nicht nur zu seiner Leistung, sondern auch zu seiner Persönlichkeit. Und dann willst du ihn auch in seiner Persönlichkeit kennen lernen. Für den Sportler heißt das aber trotzdem noch nicht, dass er sich komplett öffnen muss. Man kann gewisse Dinge und Gedanken mit den Leuten teilen, doch die Tür zum Privatleben sollte man geschlossen halten.
Viele Sportler sind heute auf Facebook aktiv, zeigen dort viele private Fotos – das gibt es bei mir nicht, kein einziges privates Fotos, sondern nur Bilder, die in der Öffentlichkeit von mir gemacht wurden und mit meiner Arbeit zusammenhängen. Ich trenne das sehr genau.

Kritisch wird es ja vor allem, wenn Medien eine Privatgeschichte aufbereiten, während der Sportler auf dem Platz oder auf dem Eis steht und die Nerven verliert.
Witt: Das ist dann schade, ja. Aber daran merkt man, dass es neben dem Konkurrenzdruck auf dem Sportplatz auch den Konkurrenzdruck unter den Medien und Journalisten gibt, wer wo seinen Artikel platziert. Insofern hatte ich das Glück, dass es diese Art der Berichterstattung in der DDR noch nicht gab. Ich habe regelmäßig im Winter in Zeitungen wie „Sport-Echo“, „Neues Deutschland“ und „Junge Welt“ stattgefunden, aber da ging es nur um den Sport. Das Einzige nicht-sportliche, woran ich mich erinnere, war ein Foto, wo ich in einer Küche stehe mit einem Rührlöffel in der Hand.

Wie wichtig ist denn der Persönlichkeitskult heute für Ihren Sport, für den Eiskunstlauf?
Witt: Eiskunstlauf findet im Fernsehen ja so gut wie überhaupt nicht mehr statt, was ich sehr bedauerlich finde. Das hängt sicher auch mit den Protagonisten zusammen, das kennen wir ja auch von anderen Sportarten. Solange Boris Becker und Steffi Graf die emotionalen Protagonisten waren, gab es auch Tennis im Fernsehen. Das ist ja der Punkt, dass die Menschen eine emotionale Bindung an ihre Stars brauchen, an denjenigen, dem sie die Daumen drücken, wo sie mitfiebern wollen. Wenn das funktioniert, hat man auch die Einschaltquoten.

Eine Schlussfrage: Ihr Film läuft nun im Winter im Fernsehen, vermutlich, weil es auch um den Wintersport Eiskunstlauf geht. Ist der Winter Ihre liebste Jahreszeit?
Witt: Nein, ich bin eigentlich ein total sonniges Gemüt. Es ist doch jedes Mal schön, zu sehen, wie viel fröhlicher die Deutschen sind, wie viel italienischer sie sind, wenn die Sonne scheint. Und dann heißt es ja nicht umsonst: Die Wintersportler werden im Sommer gemacht. Damit man im Winter das Ergebnis präsentieren kann, muss man im Sommer durchtrainieren. Manchmal war es übrigens auch sehr praktisch, wenn man sich bei 35 Grad Hitze in der Eishalle etwas abkühlen konnte.
Aber natürlich hat auch der Winter seine schönen Seiten, etwa wenn in den Bergen Schnee liegt, blauer Himmel und die Sonne scheint. Und ich versuche eigentlich immer und überall, zu jeder Jahreszeit, das Schöne zu finden.

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