Jaecki Schwarz

Wir kannten unsere Stasi-Fritzen, aber man hat uns in Ruhe gelassen.

Schauspieler Jaecki Schwarz über den 300. „Polizeiruf 110“, sein Leben in der DDR, den offenen Umgang mit seiner überwundenen Alkoholsucht und mangelnde Aufklärung in Sachen Homosexualität

Jaecki Schwarz

© MDR

Wer Jaecki Schwarz besuchen möchte, muss hoch hinaus. Der Schauspieler wohnt seit einigen Jahren im achten Stock eines modernen Neubaus in unmittelbarer Nähe der Berliner Friedrichstraße. Glücklicherweise gibt es einen Aufzug. „Eigentlich wollte ich ja in irgendeinen Altbau in der City-West ziehen, doch nach unzähligen Besichtigungen ist mir der Kragen geplatzt und ich habe mir gesagt, bevor du noch bis an dein Lebensende von einem Makler zum anderen rennst, nimmst du jetzt einfach diese Wohnung“, wird Schwarz später erzählen. Auf dem Klingelschild ein kleines gelbes Herz, in der Garderobe eine Polizeimütze. „Der Landesverband Sachsen der Deutschen Polizeigewerkschaft hat Wolfgang Winkler und mich im Jahr 2006 für unsere ‚Polizeiruf’-Arbeit zu Ehrenkommissaren ernannt“, erklärt Schwarz stolz. Er führt seinen Besuch ins Wohnzimmer zur gemütlichen Sitzgruppe, bietet Tee und Apfelsaft an – man fühlt sich sofort heimisch. Auf dem ordentlichen Wohnzimmertisch eine aktuelle Tageszeitung, Fernsehzeitschrift, Telefon und Fernbedienung. Schwarz zündet zu Beginn des Interviews eine Kerze an.

Herr Schwarz, im November jährt sich der Mauerfall zum zwanzigsten Mal. Sie wurden 1946 in Berlin geboren und haben die Stadt seitdem nie für längere Zeit verlassen. Gefällt Ihnen, wie sich Berlin seit der Wiedervereinigung verändert hat?
Schwarz: Natürlich, auf jeden Fall. Es klingt wahrscheinlich nach Klischee und nach tausend Mal gehört, aber es ist wirklich spannend, in dieser Stadt zu wohnen. Ich bin Berliner mit Leib und Seele und könnte mir nicht vorstellen, in irgendeiner anderen Stadt zu leben. Ich halte mich natürlich gerne auch einmal an anderen Orten auf, aber dann eben nur für eine bestimmte Zeit und mit dem Wissen im Hinterkopf, bald wieder nach Berlin zurückzukehren.

Sie haben bis zum Mauerfall in der DDR gelebt. Haben Sie nie mit dem Gedanken gespielt, wie viele Ihrer Kollegen auszureisen oder zu flüchten? Durch Ihre zahlreichen Gastspiele im Westen hätten Sie ja sogar die Möglichkeit dazu gehabt…
Schwarz: Das ist richtig, ich hatte jedes Jahr zwei Mal die Möglichkeit, die DDR zu verlassen, aber gerade deshalb hat sich nie ein fester Termin für eine Ausreise ergeben. Hätte man mir gesagt, dass ich nur ein Mal rauskomme, dann hätte ich mich darauf natürlich vorbereitet und hätte diese Gelegenheit wahrgenommen. Aber ich habe es immer aufgeschoben: bestimmt beim nächsten Gastspiel, habe ich mir dann gesagt, noch ist es daheim erträglich – und die Repressionen, die ich hatte, waren wirklich zu ertragen. Wir hatten am Theater doch einen gewissen Freiraum und eine Art Narrenfreiheit. Man hat uns zwar beobachtet und wir kannten unsere Stasi-Fritzen, aber man hat uns in Ruhe gelassen. Wir wussten, was wir sagen und wie weit wir gehen konnten. Manchmal haben wir diese Grenze sogar überschritten, es ist uns aber dennoch nichts passiert.

Der Beruf des Schauspielers war in der DDR also auf gewisse Weise privilegiert?
Schwarz: Ja, und das Berliner Ensemble, an dem ich ab 1974 engagiert gewesen bin, war ein privilegiertes Theater. Dadurch, dass man jedes Jahr die DDR für Gastspiele verlassen konnte, hatte man die Möglichkeit, Urlaub in Jugoslawien zu machen, in Kanada, Südamerika, Israel, Italien oder Edinburgh. Wir haben somit nach der Maueröffnung auch keinen Kulturschock erlebt, weil wir schon vorher wussten, wie es im Westen zugeht und dass es dort eben nicht so aussieht wie im Werbefernsehen. Eine Ausreise oder Flucht hat sich einfach nicht ergeben, schließlich hatte ich auch meine Freunde und meine Arbeit in der DDR. Und ich war mit meiner künstlerischen Arbeit zufrieden. Man darf nicht vergessen, dass andere Schauspieler künstlerisch eingeengt waren und Manfred Krug zum Beispiel hat man wirklich hinausgekrault, aber bei mir war die Obergrenze der Unterdrückung noch nicht erreicht.

Kurios ist die Anekdote, wie Sie den Mauerfall erlebt haben – nämlich nach einem Alkoholexzess im Krankenhaus. Wissen Sie noch, wann und wie Sie realisiert haben, dass die Mauer tatsächlich weg ist?
Schwarz: In der Nacht selbst natürlich überhaupt nicht und auch nicht drei oder vier Tage später. Ich hatte mich am 9. November 1989 nach einer Vorstellung von Michail Schatrows „Blaue Pferde auf rotem Gras“ im Berliner Ensemble hinter der Bühne ziemlich betrunken, erlitt einen Kreislaufkollaps und wurde ins Krankenhaus eingeliefert – und dort hatte man damals ja auch keinen Rundfunk und kein Fernsehen. Davon abgesehen habe ich in dieser Nacht aber sowieso nicht mehr viel mitbekommen. Irgendwie habe ich den Mauerfall erst realisiert, als mich meine Mutter im Krankenhaus besuchte, mir Bananen und Apfelsinen mitbrachte und ich sie ungläubig fragte, wie sie denn an diese Südfrüchte käme, schließlich sei erst November und noch nicht Weihnachten. Und als sie mir dann erklärte, dass die Mauer gefallen sei, konnte ich gar nicht mehr sagen als ein erstauntes „Ach“. Ich habe mir auch mein Begrüßungsgeld erst ganz spät abgeholt, erst im April 1990.

Wie ging Ihr Leben nach der Entlassung aus dem Krankenhaus weiter?
Schwarz: Es klingt vielleicht merkwürdig, aber eigentlich vollkommen normal. Ich habe weiter Theater gespielt, meine Filme gedreht und hatte eigentlich gar keine Zeit, mich mit der Wiedervereinigung zu beschäftigen, zumal ich eben auch schon von meinen Theatertourneen wusste, wie es in Westberlin aussieht. Aber natürlich war der Mauerfall ein besonderes Ereignis und ich habe es genossen, dass man plötzlich völlig spontan und ohne langwieriges bürokratisches Prozedere seine Freunde im Westen besuchen konnte.

Sie gehen sehr offen mit der Tatsache um, dass Sie früher ein großes Alkoholproblem hatten. Erfordert es nicht sehr viel Mut, mit so einem Bekenntnis an die Öffentlichkeit zu gehen?
Schwarz: Nein, überhaupt nicht, man muss sich dem stellen. Warum sollte man es verheimlichen? Alkoholabhängigkeit ist eine Krankheit und doch kein Makel. Ich denke, wenn man prominent ist, hat man auch so eine Art Vorbildcharakter und kann den Leuten damit zeigen, dass es eben nicht nur Menschen gibt, die wieder rückfällig werden, sondern auch welche, die vom Alkohol loskommen. Mein Anliegen ist es, dass sich die Leute sagen: „Ach, kiek mal, da gibt’s eenen, der schafft dett. Warum soll ick es denn nich och schaffen, wenn dett so’n pobliger Schauspieler schafft?“ Das ist der Grund, warum ich so offen über meine Alkoholabhängigkeit spreche, ich habe da überhaupt keine Hemmungen. Es nutzt niemanden, wenn man das Thema unter den Teppich kehrt. Ich kann berichten, wie ich in die Abhängigkeit hineingerutscht bin und dann sagt sich vielleicht einer: „Hm, bei mir ist das ganz ähnlich. Vielleicht sollte ich mal versuchen, eine Woche keinen Alkohol zu trinken.“

War Ihnen bewusst, dass Sie alkoholabhängig sind?
Schwarz: Ja, es war mir bewusst, dass ich auf eine gewisse Weise abhängig war. Ich habe das auch daran gemerkt, dass ich meine Wege damals so gelegt habe, dass ich wusste, ich komme auf meiner Strecke an dieser und jener Kneipe vorbei. Und auch bei der Arbeit ist es mir aufgefallen, ich konnte mir meinen Text nicht mehr richtig merken und war unkonzentriert.

Haben Sie heute – fast zwanzig Jahre nach Ihrem Entzug – noch Angst vor einem Rückfall?
Schwarz: Nein, nicht mehr. Ich habe aber vor einigen Wochen durch eine Lungenentzündung mit dem Rauchen aufgehört und da habe ich offen gestanden mehr Angst vor einem Rückfall. Ich nehme deshalb jetzt auch Pflaster und Tabletten und lasse mich von einem Lungenfacharzt beraten…

Jaecki Schwarz sieht, dass sein Gegenüber keine Schuhe an die Füßen hat und fragt erstaunt: „Sagen Sie mal, haben Sie die Schuhe etwa an der Garderobe ausgezogen? Das ist doch nicht nötig.“ Schwarz springt auf und verschwindet im Flur, gedämpft dringt seine Stimme ins Wohnzimmer: „Das habe ich gar nicht mitbekommen. Also im Prinzip werden die Schuhe hier angelassen.“ Er kommt zurück und stellt zwei weiße Hausschlappen vor die Füße des Interviewers. „So bitteschön, hier haben Sie zwei Schluppies“, er setzt sich wieder, „wo waren wir stehen geblieben?“

Bei der Angst vor einem möglichen Rückfall…
Schwarz: Genau. Das Aufhören mit dem Rauchen erscheint mir da wirklich schwieriger. Aber es ist ja auch klar, dass man irgendwann mit dem Rauchen aufhören muss und vielleicht war die Lungenentzündung gar kein schlechter Anlass. Die Ärzte haben mir zwar gesagt, dass ich nicht zwingend aufhören müsse, dass es aber schon besser wäre, wenn ich es täte. Und ich denke, dann sollte man es wirklich versuchen, damit man sich nicht irgendwann sagen muss (klopft auf den Tisch): „Hätteste damals mal aufgehört.“ Es wird durch das Rauchen eben doch alles in Mitleidenschaft gezogen: die Lunge, das Wohlbefinden, das Zahnfleisch, die Nase. Und dass Rauchen nicht gesundheitsfördernd ist, weiß ich natürlich auch.

Man hört in letzter Zeit immer wieder, dass man auch durch Hypnose zum Nichtraucher werden könne…
Schwarz: Ja, aber daran glaube ich nicht. Mein Freund und „Polizeiruf“-Kollege Wolfgang Winkler hat sich vor einiger Zeit für 500 Euro hypnotisieren lassen. Beim ersten Mal ist er dabei eingeschlafen und beim zweiten Mal hat es auch nichts geholfen, aber in beiden Fällen war das Geld weg (lacht). Und da nehme ich dann doch lieber meine Tabletten; hoffe, dass es etwas hilft und zahle nicht ganz so viel, obwohl die Sachen natürlich auch sehr teuer sind. Wenn man aber bedenkt, wie viel die Zigaretten kosten würden, kommt es im Saldo natürlich trotzdem billiger.

Am 5. April strahlt die ARD den 300. „Polizeiruf 110“ aus, die Folge „Fehlschuss“ ist gleichzeitig Ihr 40. Auftritt als Kommissar Herbert Schmücke. Was macht Ihnen an dieser Rolle auch noch nach dreizehn Jahren Spaß?
Schwarz: Da gibt es mehrere Gründe. Zum einen habe ich mich einfach an den „Polizeiruf“ gewöhnt, diese drei Monate Arbeit an der Figur Herbert Schmücke im Jahr sind mittlerweile zu einem festen Bestandteil meines Lebens geworden. Zum anderen finde ich es spannend, dass die Figur durch die verschiedenen Autoren und Regisseure nicht immer gleich ist, man kann immer wieder neue Facetten ausloten und zeigen. Und auch die Resonanz des Publikums ist nicht zu vergessen. Natürlich macht es mir Freude, wenn ich ein Feedback bekomme und mir die Leute sagen: „Ach, Sie sehe ich aber gerne, machen Sie weiter so.“

Ist es eine Ehre für Sie, in der Jubiläumsfolge ermitteln zu dürfen?
Schwarz: Ja, auf jeden Fall – auch wenn das offen gestanden ursprünglich gar nicht so geplant war. Als wir die Folge im letzten November gedreht haben, wussten wir noch gar nicht, dass sie als Jubiläumsfall ausgestrahlt werden würde. Es ist aber natürlich schon eine Auszeichnung.

Der „Polizeiruf 110“ wurde 1971 als Pendant zum westdeutschen „Tatort“ entwickelt. Welchen Stellenwert hatte die Krimireihe in Ihrem Leben, bevor Sie selbst Fernsehkommissar wurden?
Schwarz: Eigentlich überhaupt keinen. Ich glaube, ich habe dort zu DDR-Zeiten ein oder zwei Mal mitgespielt, also nur ganz selten. Und angeguckt habe ich mir den „Polizeiruf“ auch nicht, da ich generell so gut wie kein Ostfernsehen gesehen habe. „Tatort“ oder „Der Alte“ im Westfernsehen haben mich da mehr interessiert. Insofern hatte ich keinen allzu großen Bezug zu dieser Krimireihe.

Der MDR-„Polizeiruf“ gilt als sehr behäbig, eine Kritikerin sprach einmal von einem „lahmen Bummelzug, in den die Verdächtigen nach und nach ein- und wieder aussteigen“…
Schwarz: Es ist ja nichts Neues, dass ein und derselbe Film von unterschiedlichen Menschen ganz unterschiedlich gesehen wird. Kritik ist natürlich subjektiv. Was die MDR-„Polizeirufe“ im Gegensatz zu anderen Krimis auszeichnet, ist meiner Meinung nach die Tatsache, dass unsere Geschichten relativ überschaubar sind. Die Handlungen sind nicht zu sehr versponnen, der Zuschauer kann immer mitdenken. Manchmal ist er schneller als wir, manchmal langsamer. Und ich weiß, dass gerade diese Möglichkeit zum Miträtseln beim Publikum gut ankommt. In unseren Krimis geht es nicht besonders hektisch zu – dem einen gefällt das, dem anderen ist das zu langsam und zu tüddelig.

Zitiert

Es bedarf immer noch einer großen Aufklärung, was Homosexualität anbelangt. Es wird nicht besser, es wird schlimmer – Ignoranz und Intoleranz nehmen zu.

Jaecki Schwarz

Eine Frage der Sehgewohnheiten?
Schwarz: Ja, und gerade die Jugendlichen sind natürlich durch die Videoclips, bei denen keine Einstellung länger als eine Sekunde ist, eine gewisse Schnelligkeit gewohnt. Die langweilen sich dann, wenn in einem Film einmal eine längere Einstellung zu sehen ist – also wenn beispielsweise ein Auto langsam um die Ecke fährt. Die Jugendlichen können damit nichts anfangen, denn sie haben nicht gelernt, ihren Blick einfach auch einmal schweifen zu lassen und zu beobachten, wie das Auto fährt. Wie sieht die Staubwolke aus, die aufgewirbelt wird? Wie das Feld und die Bäume am Straßenrand? Die Jugendlichen können nicht mehr gucken.

Sie haben bei „Fehlschuss“ mit vier sehr jungen Schauspielern gespielt. Konnten Sie von der Arbeit mit diesen jungen Menschen profitieren?
Schwarz: Es ist schon etwas Besonderes, mit jungen Leuten zu arbeiten, denn sie sind wie kleine Tiere (lacht). Sie machen im Prinzip immer etwas anderes, sie können noch nicht so reproduzieren wie ein professioneller Schauspieler, sie haben noch nicht dieses Timing. Manchmal kann das stören, aber es hat auch seine Reize und etwas Erfrischendes, weil es eben nicht immer dasselbe ist. Man kann als erfahrener Schauspieler darauf eingehen und improvisieren. Manchmal kommt dabei etwas heraus, was man gar nicht erwartet hätte und im Idealfall sogar noch besser ist als ursprünglich gedacht. Wenn die jugendlichen Laien begabt sind, macht die Arbeit mit ihnen wirklich Spaß und dann kann auch ich davon profitieren.

Sie haben einmal gesagt, dass Sie die Gagen beim Fernsehen manchmal auch als eine Art Schmerzensgeld betrachten und genau abwägen, ob es sich in bestimmten Fällen lohnt, sich aufzuregen. Das klingt ein wenig desillusioniert…
Schwarz (lacht): Ach, wissen Sie, manche Sachen im Fernsehen sind doch wirklich sehr einfach gestrickt, das kann man schon sagen. Ich denke da an diese Liebesschmonzetten, Schnulzen und solche Dinge; an Filme, bei denen die gesellschaftliche Tiefe so flach ist wie eine Pfütze. So etwas muss es natürlich auch geben, so etwas muss auch gespielt werden und so etwas sollte auch gut gespielt werden. Aber man muss schon aufpassen, dass man dabei nicht verblödet. Das meinte ich mit dem „Schmerzensgeld“.

Dabei hat Ihre Kollegin Thekla Carola Wied, mit der Sie ja auch privat befreundet sind, kürzlich hervorgehoben, dass sie es nicht richtig fände, dass das Spielen von Komödien immer ein wenig belächelt werde. Schließlich sei dies mit eine der schwierigsten Aufgaben des Schauspielerberufes…
Schwarz: Das stimmt. Und gute Komödien sind vor allem auch schwer zu schreiben, weil man immer darauf achten muss, dass man nicht in den blanken Blödsinn abrutscht. Aber natürlich kann auch eine Komödie in die Tiefe gehen. Ich glaube, gerade weil es so schwierig ist, Komödien zu schreiben, gibt es auch so selten richtig gute Filme in diesem Genre. Da ist es für die Drehbuchautoren eben einfacher, eine Schmonzette oder einen Thriller zu schreiben.

Sie haben sich mehrmals an verschiedenen Schauspielschulen beworben, erhielten aber erst beim dritten Versuch eine Zusage. Gehört Hartnäckigkeit zu den wichtigen Eigenschaften eines Schauspielers?
Schwarz: Eine gewisse Hartnäckigkeit kann nicht schaden, man muss es wirklich wollen – und ich wollte es. Wenn man aber zwanzig Mal eine Absage bekommt, sollte man sich schon überlegen, ob der Beruf des Schauspielers wirklich der richtige für einen ist. Aber vier, fünf Mal kann man sich meiner Meinung nach schon bewerben, weil ja auch die Tagesform – sowohl des Prüflings als auch des Prüfenden – variiert und nicht immer dieselbe ist. Wenn man denkt, dass man Talent hat, dann sollte man es ruhig mehrmals versuchen.

Mit der DEFA-Produktion „Ich war neunzehn“, in dem Sie den Kriegsheimkehrer Gregor Hecker spielten, erlangten Sie 1968 gewissermaßen über Nacht Berühmtheit. Glauben Sie, dass Ihnen auch ohne diesen Film der Durchbruch als Schauspieler gelungen wäre?
Schwarz: Das ist schwer zu sagen. Der Film hat mir natürlich insofern genutzt, als dass ich durch ihn wirklich von einem Tag auf den anderen bekannt wurde – zwar nur in der DDR, aber auch das war selbstverständlich schon ein großer Schritt. Ich unterscheide da jedoch: der Film hat zwar unbestritten meiner Popularität genutzt, aber logischerweise wurde ich durch ihn nicht automatisch ein besserer Schauspieler. Es ist ja ohnehin so, dass man nicht von heute auf morgen Schauspieler wird, man wird es langsam und mittels „learning by doing“.

Anna Maria Mühe, die Tochter Ihrer damaligen Filmpartnerin Jenny Gröllmann, sagt über sich, dass sie sich selbst noch nicht als Schauspielerin bezeichnen würde, da sie noch am Beginn dieses Berufes stünde…
Schwarz: Ich finde diese Einstellung bewundernswert, weil sie so selten ist. Wenn man die Schauspielschule verlässt, ist man noch kein Schauspieler und deshalb sind Laien, die in Serien und Soaps auftreten, für mich auch keine Schauspieler. Der Beruf ist nicht geschützt –  jeder, der ein Mal vor drei Menschen auf einem Nudelbrett gestanden oder in einem Film eine Wurze gespielt hat, kann sich Schauspieler nennen. Ich bin der festen Überzeugung, dass man in diesem Beruf nie ganz fertig ist, man lernt bis zum Schluss, ein Leben lang. Und gerade das finde ich schön, weil es kein fest vorgegebenes Ende gibt. Je älter man wird, desto mehr wächst man in ein anderes Rollenfach, man wird erfahrener und spielt dadurch auch anders.

Sie sind jetzt 63 Jahre alt. Möchten Sie noch einmal ein Kind sein?
Schwarz: Nein. Ich bin eigentlich sehr froh, so alt zu sein, wie ich es jetzt bin.

Wie waren Sie als Kind?
Schwarz: Ich war aufgeweckt, vorlaut und – wie man es bei Schauspielern erwartet – auch so eine Art Klassenclown. Ich war sehr quirlig und hatte immer Schwierigkeiten mit dem Stillsitzen und den Betragensnoten.

Wie waren Sie denn generell in der Schule?
Schwarz: Ich war ein mittelmäßiger Schüler und habe mein Abitur gerade so geschafft. In Literatur, Deutsch, Geschichte und den musischen Fächern war ich ganz gut, aber die Naturwissenschaften gingen nach hinten los. Mathematik und vor allen Dingen Chemie habe ich nie begriffen.

Sie sind Mitglied im Kuratorium der Organisation „Queer Nations“, die sich für die Gründung eines Magnus-Hirschfeld-Instituts als Forschungs- und Erinnerungsstätte der Homosexualitäten in Berlin-Mitte einsetzt. Warum liegt Ihnen diese Arbeit am Herzen?
Schwarz: Ich denke, dass es immer noch einer großen Aufklärung bedarf, was Homosexualität in der Gesellschaft anbelangt. Es wird nicht besser, es wird schlimmer – Ignoranz und Intoleranz nehmen zu. Und meiner Überzeugung nach geschieht dies vor allem durch mangelnde Aufklärung. Das Thema muss in der Öffentlichkeit angesprochen, thematisiert und verbreitet werden und darf nicht verklemmt in Hinterzimmern stecken bleiben. Man muss mit dem Thema Homosexualität in die Schulen, man muss sich damit wissenschaftlich auseinandersetzen – je eher, desto besser. Man muss den Kindern schon im jungen Alter erklären, dass Homosexualität etwas Normales ist und keine Krankheit.

Das Berliner Stadtmagazin „zitty“ titelte vor einigen Wochen zum Thema homophobe Gewalt: „Noch immer wird so getan, als ginge es um Angriffe auf eine Minderheit, dabei richten sich die Angriffe gegen die ganze Stadt.“
Schwarz: Ja, so ist es. Und wie gesagt: das hat meiner Meinung nach alles mit Bildung zu tun. Da die Bildung sowieso den Bach runtergeht – Stichwort: Pisa –, hängt auch die zunehmende Homophobie in meinen Augen damit zusammen. Wie ich schon sagte: es muss schlicht und einfach in größerem Stile Aufklärung betrieben werden.

Offiziell wurde erst vor fünf Jahren bekannt, dass Sie schwul sind, obwohl Sie sich bereits zuvor immer wieder mit Ihrem damaligen Freund in der Öffentlichkeit gezeigt hatten. Wie war es, in der DDR homosexuell zu sein?
Schwarz: Die DDR war insofern fortschrittlicher, als dass der Paragraph 175, der sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte, schon viel früher abgeschafft wurde als in der Bundesrepublik. Trotzdem war es in der DDR nicht einfacher, offen schwul zu leben. Es wurde nicht bejubelt, es wurde geduldet und es gab auch latente homophobe Gewalt. Allerdings wurde das Thema Homosexualität in der DDR vom wissenschaftlichen Standpunkt aus betrachtet. Man hat eingesehen, dass der Paragraph schwachsinnig ist und dass er sich gegen die Natur des Menschen richtet, also wurde er gestrichen.

Gab es so etwas wie eine schwule Szene in Ostberlin?
Schwarz: Ja, es gab schon ein paar Schwulenkneipen, aber nicht sehr viele. Und es gab auch nicht so ein Szeneviertel wie es beispielsweise heute Schöneberg ist. Aber einzelne Kneipen und den sogenannten „Sonntags-Club“, wo sich die Schwulen trafen, gab es.

Gerade im Theatermilieu war es wahrscheinlich auch einfacher, offen homosexuell zu leben?
Schwarz: Es war vielleicht ein bisschen einfacher, als wenn man in der Schmiede oder der Kohlengrube stand oder bei der Reichsbahn war. Generell war und ist es im künstlerischen Milieu sicherlich ein wenig leichter, homosexuell zu sein, allerdings ist man auch dort nicht mit einem „Hallöchen, ich bin schwul“-Schild vor der Brust herumspaziert.

Bedauern Sie eigentlich manchmal, keine eigene Familie oder Kinder zu haben?
Schwarz: Wenn man auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen ist, dann natürlich schon, ansonsten aber offen gestanden eher nicht (lacht).

Sie sprachen vorhin von Ihrer Lungenentzündung. Gerade wenn man krank ist, ist man aber doch auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen?
Schwarz: Für solche Fälle habe ich dann Freunde – und das Schöne dabei ist, dass die sich dann um mich kümmern, weil sie es wollen und nicht, weil sie es müssen, weil sie Familienangehörige sind. Ich bin sowieso der Meinung, dass Freundschaftsbeziehungen viel intensiver sein können als Familienbeziehungen. Um aber auf die Frage zurückzukommen: manchmal stelle ich mir natürlich schon vor, wie es wohl wäre, einen Bruder oder eine Schwester zu haben. Im Grunde ist es mir schon sehr angenehm, so wie es ist, weil ich faul sein und das tun kann, was ich möchte und nicht so viel Rücksicht auf andere nehmen muss (lacht).

Sie sind seit dreieinhalb Jahren Single. Haben Sie manchmal Angst vor Einsamkeit im Alter?
Schwarz: Nein. Manchmal ist mir ein bisschen langweilig, aber dann macht man eben den Fernseher an, liest Zeitung, ein gutes Buch oder geht Freunden auf die Nerven. Aber ich finde auch, dass eine gewisse Einsamkeit ganz schön sein und dass man sich daran gewöhnen kann.

Sie leben seit einigen Jahren in Berlin-Mitte, in unmittelbarer Nähe der Friedrichstraße. Geht Ihnen der Großstadtrummel nicht manchmal auch auf die Nerven?
Schwarz: Nein, überhaupt nicht. Ich wohne hier ja im achten Stock, bekomme somit vom Treiben auf der Friedrichstraße überhaupt nichts mit und befinde mich dennoch mitten in der Stadt – das war auch der Hauptgrund, warum ich hier eingezogen bin. Ich genieße es, dass ich alle wichtigen Orte zu Fuß erreichen kann. Ich bin in wenigen Minuten am Gendarmenmarkt, in der Philharmonie, im Berliner Ensemble und im Deutschen Theater. Ich habe unten vor der Tür direkt S-Bahn, U-Bahn, Busse und die Straßenbahn. Ich fahre mit der S-Bahn nur eine Station bis zum Hauptbahnhof, ich bin gleich am Brandenburger Tor und am Alex. Das ist schon toll und faszinierend. Und wenn ich Ruhe habe und ganz für mich sein will, dann gehe ich auf meine Dachterrasse und lege mich in die Sonne.

Haben Sie einen Lieblingsplatz in Berlin?
Schwarz: Ich gehe gerne auf den Dorotheenstädtischen Friedhof, weil dort viele ehemalige Kollegen von mir liegen – Schauspieler, Regisseure, Intendanten. Es werden immer mehr…

3 Kommentare zu “Wir kannten unsere Stasi-Fritzen, aber man hat uns in Ruhe gelassen.”

  1. Bärbel Jürs |

    Lieber Jaeki Schwarz, es ist mir ein besonderes Bedürfnis, Ihnen nach dem gestrigen Filmabend im Kino“Toni“ zu Ehren von Egon Günther ein paar dankende Zeilen zu senden, weil ich Sie so erstmalig, natürlich in Film und Fernsehen seit Jahrzehnten bereits gern gesehen, erlebt und „noch immer “
    für uns „Alte aus guten Zeiten“ erlebt habe, Sie sind sich und Ihrem Leben treu geblieben, das zählt!!! Ihre alte Penne habe ich aus dem Küchenfenster meiner Tante immer miterlebt, Sie mich vielleicht auch mal? Danke, dass es Sie gibt, auch als “ Sputnik“ in “ Ein starkes Team“, das wirklich ein starkes Team ist, weil es eben zusammenhält und nicht wie in den meisten Kriminalfilmen hysterisch und arrogant den Zusammenhalt und damit die erfolgreichen Fahndungsergebnisse sprengt, damit immer wieder zeigt, wie wichtig der Einzelne mit kleinen Aufgaben zum Erfolg des Großen beiträgt.
    „Die Schlüssel“ war ein ganz besonderer Film, Dokufilm nach meiner Ansicht, dennoch revolutionär ob der vielen Szenen und Drehauffassungen, das anschließende Gespräch hat noch einiges dazu aufgeklärt.
    Ich hoffe, Sie sind gut mit der Straßenbahn nach Hause gekommen, denn ich habe Sie an der Haltestelle noch gesehen, ich hoffe nicht, ganz allein!
    Alles, alles Gute!
    B. J.

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  2. Dr. Seewald |

    Sehr geehrter Herr Schwarz. Eine Mitsängerin unseres Köpenicker Chors sprach mich neulich an, ob ich noch eine Erinnerung an Sie habe. In einer Sendung wäre angeblich mein Name als Behandler (1962-1970 Ausbildung und Tätigkeit als Chirurg im KH. Bln.-Köpenick) genannt worden, was mich persönlich sehr ergriff. Sollte dies der Fall gewesen sein, würde es mich freuen, wenn Sie dieses bestätigen könnten. Ich habe seit einigen Jahren meine chirurgische Tätigkeit aus Altersgründen beendet, erfreue mich meiner 84 Lenze bei leidlicher Gesundheit, singe noch fleißig in einem Köpenicker Chor und freue mich, wenn mal wieder ein spätes Loblied an mich gerät.
    Ein herzliches Dankeschön vorab, Ihnen persönliches Wohlergehen und viel Optimismus. Beste Grüße, Ihr Dr. Horst Seewald.

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  3. Rolf Donath |

    Meine erste Filmbegegnung zu Jäcki Schwarz war vor vielen Jahren mit dem Film „Ich war 19 “ Von seinen Tatortfilmen habe ich bis auf wenige Ausnahmen fast alle auf DVD. Ich finde Herrn Schwarz und Herrn Winkler als ein ausgezeichnetess Team. Leider ist dieser Tatort vorbei,aber es kommen immer noch mal Wiederholungen,die ich vorher leider verpasst habe,die nehme ich jetzt nachträglich noch auf.
    Danke Ihr Beiden.

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