Die Sterne

…dann sieht es schlecht aus für das Feierabendbier.

Frank Spilker von Die Sterne über die Gemeinsamkeiten von Disco und Werbung, das harte ökonomische Klima und die Selbstzerstörungskräfte von Hamburg

Die Sterne

© diesterne.de

Frank, du machst seit  fast einem Vierteljahrhundert Musik, lass uns über das Alter reden.
Spilker: Warum sprichst du ausgerechnet mich darauf an? (lacht)

Weil wir alle alt werden.
Spilker: Jaja, aber auch die jungen Leute werden älter.

… und alle gehen trotzdem noch in die Disco?
Spilker: Natürlich. Das ist ja vielleicht so ein zentrales Statement. Es gab immer Orte, die klassischer Weise mit Jugendkultur assoziiert wurden. Das ist nun nicht mehr unbedingt so. Es ist nicht ausgeschlossen, dass man mit 40 noch in einen Club Tanzen geht, oder zumindest an der Bar steht.

Die Disco ist mit dem Publikum mitgewachsen?
Spilker: Vor allem ist die Pop-Kultur Teil des kulturellen Kanons geworden, mit Malerei, Literatur und Musik. Es gibt eine Tiefe in der Leichtigkeit, es gibt nicht mehr die im Grunde aus der Ständegesellschaft stammende Trennung von hoch Geistigem und Volksmusik, Volkskultur.

Eine Entwicklung, die aber noch nicht überall angekommen ist. Der geniale Jacques Offenbach zum Beispiel, wird als Komponist von Operetten, wie „Pariser Leben“ noch immer eher belächelt.
Spilker: Jaja, die „leichte Muse“ – das ist im Grunde ein ganz schlimmer Begriff.

Zurück zur Disco. Ist Dir heute schon Werbung aufgefallen?
Spilker: Werbung? Ja. Ich bin auf dem Weg zu MTV bei Universal vorbeigekommen und da hängen die ganzen Plakate für das neue Tocotronic-Album. Sonst ist  mir nichts so richtig bewusst geworden.

Hast Du mal bewusst ein Produkt gekauft, weil Du in der Werbung drauf gestoßen wurdest?
Spilker: Das funktioniert ja nicht so direkt. Bei geschickter gewerblicher Kommunikation gibt man einem Produkt eher ein langfristiges Image, das so unterschwellig mitschwingt, anstatt einen direkt zum Kauf aufzufordern. Das sitzt dann und dem kann man sich dann auch nicht mehr entziehen. 

Meine Frage zielte darauf, dass mir die neue Platte der Sterne „24/7“ manchmal so vorkommt, als würde sie mit den Mitteln einer Werbeagentur arbeiten, musikalisch und textlich, mit prägnanten Slogans und Sounds, die immer wieder wiederholt werden.
Spilker: Diese Wiederholungen sind entstanden, weil wir ein Echo-Gerät mit in den Übungsraum genommen haben. Die haben also erstmal eine ästhetische Ursache. Allein durch die Echos sind die Stücke teilweise doppelt so lang geworden und auch die Texte haben sich verändert – wo man sonst vier Worte gebraucht hätte, reichte durch das Echo plötzlich eins. Da mussten wir eine für uns ganz neue, leichtere Sprache entwickeln. Ich finde es ein bisschen schade, wenn man dann mit dieser Leichtigkeit gleich ein Mittel der Werbung assoziiert.

Diese Assoziation beschreibt lediglich eine Wirkung, die von einigen der neuen Songs ausgeht. 
Spilker: Mit einer Oberflächlichkeit zu spielen und mit einer Leichtigkeit Musik zu machen, ist per se nichts schlechtes. Das ist immer eine Frage des Feingefühls, des Tempos. Von dort aus gleich auf Methoden der Werbung zu schließen, haut nicht hin. Es ist ganz grundsätzlich so, dass Kommunikationsstrategien von Unternehmen oft komplexer als die komplexeste Kunst sind, weil sie so langfristig angelegt werden.

So komplex diese Strategien sein mögen, sie zielen im Kern aber doch nur darauf ab, etwas zu verkaufen.
Spilker: Ehrlich gesagt finde ich es eher angenehm, wenn man dieses Ziel noch so klar voraussetzen kann. Anders ist es mit Imagekampagnen für eine Organisation oder einen Staat. Die Bundesrepublik Deutschland betreibt ja auch Öffentlichkeitsarbeit, oder die Armee. Gerade bei der Armee geht es weniger darum, ein bestimmtes Produkt zu verkaufen, sondern Leute zu rekrutieren, sie zu einer bestimmten Überzeugung zu bringen, damit sie Dinge mit sich machen lassen und das sind ja eher zweifelhafte Ziele.

Bedeutet das, dass auch ein Song, ein Kunstwerk die Chance hat, komplexer zu werden, je klarer es ein Ziel verfolgt?
Spilker: Ich weiß nicht. Komplexität ist gerade im Bezug auf unsere neue Platte ein schwieriger Begriff. Die Entscheidung, ob ich einen Text oder das, was zwischen den Texten und der Musik entsteht, für gehaltvoll genug halte, um es auf die Platte zu bringen, hängt von meinem Gefühl ab,   ob es da eine Reibung gibt. Es sind vielleicht nur ein paar Worte, die etwas Komplexes anreißen, oder in die Luft stellen. Das schwingt aber nur mit, wird nicht auseinander genommen und zu Ende diskutiert. Ob ich damit richtig liege, ob Leute mein Gefühl teilen, weiß ich erst hinterher, durch Gespräche wie dieses hier oder aus anderen Reaktionen. Unser Song „Deine Pläne“ ist zum Beispiel von den Spex-Lesern zu einem der beliebtesten Songs des Jahres gewählt worden, auf Platz 18 oder so, obwohl das ja keine Single war. Daran merkt man, der Text funktioniert, der Song hat hat die Herzen getroffen und darauf kommt es letzten Endes an.

Um mit der Analogie zur Werbung abzuschließen: Ist die Musikrichtung Disco vielleicht so etwas, wie Musik gewordene Werbung? Sie verwendet ja auch sehr prägnante Mittel für klare Ziele. Es geht darum, eine gute Zeit zu haben, Tanzen, möglicherweise jemanden abzuschleppen. Ist das ein roter Faden von „24/7“, die jetzt als die Disco-Platte der Sterne gilt.
Spilker: Der Begriff „Disco“ ist ein bisschen fies gewählt, weil bestimmte Sachen, die man mit Disco-Musik assoziiert, von uns bewusst ignoriert werden. Wir orientieren uns mit unserem Produzenten Mathias Modica eher an New Yorker No Wave, als an den Elektroniksachen von Giorgio Moroder. Trotzdem werden wir oft mit dem verglichen, weil Modica, wie Moroder aus München kommt. Das sind Klischees die da abgerufen werden, da hat man manchmal keine Chance gegen.

Warum ärgert dich der Vergleich mit dem erfolgreichen Produzenten Moroder?
Spilker: Eine Band wie Chic war auch erfolgreich und funktioniert musikalisch ganz anders. Disco ist ja so ein wahnsinnig beladener Begriff, was mit Vorstellungen zusammenhängt, die vor allem aus dem Film „Saturday Night Fever“ kommen. Da spielt John Travolta halt den kleinen Maler, der am Wochenende so richtig Gas gibt und Frauen aufreißt. Das ist eine Geschichte, die man erzählen kann, die ist sicher auch wahr und wird von vielen auch gelebt. Es gibt aber auch die Geschichte der Danceteria…

Jener Club, der in den 80er Jahren der Kristallisationspunkt der Schwulen und Lesben in New York war….
Spilker: Dort fand der ganze gesellschaftliche Druck, der tagsüber auf den Menschen lastet in dem unglaublich schrillen Ventil einer Partykultur seinen Ausdruck. Das ist auch eine tolle Geschichte, die ist auch verbunden mit Kritik, wenn man sich zum Beispiel die Texte von Madonna anguckt. Indem sie diese Kultur für sich aufgesogen und instrumentalisiert hat, wurde sie zu einer Symbolfigur dieser Musik und Tanzkultur. Da steckt auch in jeder Strophe, wie schwierig es mit einem „9 to 5-Job“ ist, oder mit der Diskriminierung, die einem begegnet. Und trotzdem hört man, wenn man oberflächlich ist, im Refrain nur „Holiday“ und „Celebrate“.

Das kann ja für den Moment auch reichen…
Spilker: Genau. Ich meine nur, die Oberflächlichkeit, die man mit „Disco“ verbindet, ist nur eine scheinbare Oberflächlichkeit.

Würden die Menschen eigentlich jeden Tag tanzen gehen, wenn es nicht den Fernseher und das Bier zuhause gäbe?
Spilker: Wenn man dazu dann überhaupt noch die Zeit hätte… Darum geht es ja auch beim Titelsong auf „24/7“ (gemeint ist der Song "Convenience Shop", Anm. d. Red.). Auf dem Arbeitsmarkt wird eine immer größere Flexibilität gefordert, man sollte am besten 24 Stunden, sieben Tage die Woche zur Verfügung stehen. Wenn so eine Verfügbarkeit erstmal möglich ist, wird sie schnell zum Zwang und dann sieht es schlecht aus für das Feierabendbier.

Anderseits sind zum Beispiel unbegrenzte Öffnungszeiten ja das Zeugnis einer größeren Freiheit, einer Liberalisierung, die ja auch Vorteile mit sich bringt.
Spilker: Ja klar, diese Dienstleistungsgesellschaft wäre auch zu begrüßen, wenn sie sich nicht um den Preis unglaublich schlecht bezahlter Jobs entwickeln würde. Das Problem ist der Verlust von Würde, dass man gezwungen wird, durch Hartz 4 und anderen Maßnahmen für immer weniger zu arbeiten und Sachen anzunehmen, die einfach nicht zu einem passen. Die Dienstleistung ist nicht das Problem, sondern wie die Gesellschaft drumherum organisiert ist, wie Druck ausgeübt wird, damit Menschen sich in diese Sklavenjobs begeben und wie geschmeidig die Menschen da mitgehen.

Zitiert

Die Oberflächlichkeit, die man mit „Disco“ verbindet, ist nur eine scheinbare Oberflächlichkeit.

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Wie kann man sich dagegen sträuben?
Spilker: All diese Jobber in den Zeitarbeitsfirmen sind nicht gewerkschaftlich organisiert, das ist ein großes Problem. Das es keine Interessenvertretung dieser Menschen gibt, ist eine echte Klassengesellschaft entstanden. Ich will mich da aber auch gar nicht zu weit aus dem Fenster lehnen mit Lösungsvorschlägen, sondern mit meinen Texten eher darauf hinweisen, dass es ungelöste Probleme gibt, die angegangen werden müssen.

Zum Beispiel mit einer Bürgerbewegung, wie „Recht auf Stadt!“, die sich in Hamburg gegen die fehlgeleitete Stadtentwicklung wehrt?
Spilker: In Hamburg ist ja gerade die Frage, ob die Stadt nicht dabei ist, sich selbst zu zerstören.  Auf der einen Seite hat sie erkannt, dass die Szene, Künstler, Homosexuelle, andere Kreative der Motor des Gemeinwesens sind. Mit diesem Wachstumspotential macht die Stadt für sich Werbung und vertreibt diese Leute gleichzeitig durch die Entwicklung der Preise und durch ungehinderte Investments. Das ist kultureller Selbstmord. Im Grunde sind die Leute, die das „Recht auf Stadt“ für sich beanspruchen diejenigen, die den Karren für die Stadt aus dem Dreck ziehen, weil ihre inkompetente Regierung das nicht schnallt.

„Aus dem Weg, ich möchte investieren!“ heißt es in eurem neuen Song, mit dem Refrain „Es liegen tausend Leichen in der Stadt der Reichen“. Wie kann man sich dem in den Weg stellen? Funktioniert das über Aufruhr, der Investoren abschreckt, oder indem andere politische Entscheidungen erzwungen werden?
Spilker: Ich weiß nicht, ob das überhaupt funktioniert. Das Grundstück im Hamburger Schanzenviertel, wo das autonome Zentrum Rote Flora steht, ist in den letzten Jahren um das x-fache im Wert gestiegen, wegen der Aufwertung des Viertels darum herum. Da ist es dann egal, dass die Rote Flora das Zentrum und das Herz dieser Entwicklung ist, sie wird irgendwann geräumt und verkauft. Davon kann man ausgehen. Die Investoren lassen sich nicht abschrecken. Da geht es um soviel Geld, da spielt ein bisschen Protest keine Rolle. Wenn, dann müssen politische Entscheidungen erzwungen werden.

Gab es jemals Gründe aus Hamburg wegzuziehen?
Spilker: Wenn meine Lebenssituation sich jetzt so ändern würde, dass ich meine Wohnung verlassen müsste, wüsste ich nicht, ob ich was neues in Hamburg finde. Das geht in der Tat vielen schon so und viele entscheiden sich, dann eben gleich nach Berlin zu gehen. Und die Preise in Berlin steigen, weil die ganzen Hamburger jetzt anrücken (lacht)

 „Nach langer harter Arbeit endlich den gerechten Lohn“ heißt es im Bonustrack der neuen Platte „Ein Glück“. Der ist auch deshalb ein Ausnahmefall, weil sein Text schon in der Süddeutschen Zeitung stand.
Spilker: Das war ein Beitrag zu der Reihe „Glücksvorstellungen“. Da habe ich das Gedicht eingereicht, es wurde dann auch abgedruckt und ich habe damals 80 Euro dafür bekommen. Das war schon 2003.

Hast Du in der Richtung weitere literarische Ambitionen?
Spilker: Nicht wirklich. Man könnte ja auch sagen, dass das Gedicht literarisch gescheitert ist, weil doch wieder ein Song daraus wurde und zwar schon etwa eine Woche später. Wenn der Text schonmal da ist, warum nicht? (Lacht) Musikalisch passiert da ja auch nicht viel, das sind ja eher Standardakkorde von der Wandergitarre.

Vielleicht ist vom Glück zu reden einfach kein so spannendes Sujet?
Spilker: Das fand ich auch. Es ist schwer, da was Originelles zu schreiben.

Der Song verströmt eine gewisse Biederkeit, wirkt konservativ.
Spilker: Ja, weil es um diese Nahziele geht: Mal wieder Geld auf dem Konto und nicht immer den Umbau der Gesellschaft im Blick zu haben – das ist auf der anderen Seite aber auch sehr ehrlich.

Ist „Ein Glück“ ironisch gemeint oder nicht? Ich denke nicht.
Spilker: Ich finde es schön, wenn Fragen auftauchen. Das muss man auch nicht wissen. Es ist ja interessanter, sich selber zu fragen, wie man dazu steht, als zu wissen, wie ich das nun gemeint habe.

Wir kommen zum Schluss. Es gibt auf jeder Sterne-Platte Songtitel, die man auch in gehobenen Aphorismen-Kalendern finden könnte. Ich habe drei ausgewählt und würde gerne wissen, was hinter ihnen steckte und wie du heute dazu stehst. Der erste heißt „Verstehen ist nicht dasselbe wie überstehen (aber auch schön)“.
Spilker: Finde ich immer noch toll. Größte Ehre: dass ich in einem Soziologiebuch mit diesem Zitat vorne an stehe. Wie ich darauf gekommen bin, weiß ich nicht mehr. Vielleicht ist es ein Zitat? Ich habe neulich mal so ein ähnliches von jemandem gelesen, wahrscheinlich auf der i-google-Aphorismen-Seite. „Überstehen ist alles“ hieß das, glaube ich.

Dein Satz klingt wie eine Ablehnung des klassischen Bildungsauftrages.
Spilker: Nee. Im Gegenteil. Man könnte das jetzt von Brecht herleiten: „Nicht die, die Sprachen lernen reisen, sondern die, die das Geld zum Reisen haben.“ Wenn Du die Möglichkeit des Überstehens nicht hast, dann ist das Verstehen immerhin ein Trost. So würde ich das sehen.

Nächster Titel: „Bis neun bist du o.k., bei zehn erst k.o.“
Spilker: Das lehnt sich an Serge Gainsbourgs „Qui Est In Qui Est Out“ an.

Gab es jemals einen Moment in der Karriere der Sterne, wo das Aus kurz bevor stand?
Spilker: Den gab es vor etwa zwei Platten. Das ist auch  nicht aus der Welt und eine offene Frage. Aufgrund der ganzen ökonomischen Situation im Kulturbereich haben wir da ein ganz hartes Klima, weil sich alle um Theaterjobs kloppen, solche Subventionen, die es noch gibt, mit denen man sich und seine Familie durchbringen kann, wenn man nicht ins total Kommerzielle verfallen will. Für viele ist es eine Glaubensfrage, eben keine Werbung zu machen. Ich weiß nicht, wie sich Die Sterne da langfristig halten können. Unser K.O. ist nicht ausgeschlossen, aber wenn, dann wäre das auch kein dauerhaftes K.O., sondern eher eine Auszeit, in der es darum gehen müsste, ökonomisch den Hals aus der Schlinge zu bekommen. Danach gäbe es auch sicher wieder ein neues Sterne-Album.

Apropos Werbung. Die Sterne sind ja auch vor ein paar Jahren in der „Rock-Liga“ des Sponsors Jägermeister aufgetreten.
Spilker: Es hat uns sehr überrascht, wie hoch dann die emotionalen Wellen geschlagen sind. Es gibt ja sehr viel dezentere Sponsoren. Ulrich Tukur lässt sich zum Beispiel seit Jahren von NIL die Platten sponsern, das fällt kaum auf, weil das Image der Zigarettenmarke zum gehobenen Kulturimage von Tukur passt. Dass es bei den Sternen und Jägermeister für so viel Aufruhr gesorgt hat, war sicher, weil das Image dieser – ich sage mal – Ballermann-Marke und den Sternen als intellektuelle Pop-Band nicht vereinbar war.

Hat euch das Zuschauer gebracht?
Spilker: Nein, das war uns aber auch klar. Wir haben uns das so vorgestellt, dass wir als Rocker-Meute in einer hedonistischen Ballermann-Meute auftreten und die dann feststellen: das ist ja doch ganz gut. Und wir wollten einen Überraschungseffekt bei Leuten bewirken, die so ein intellektuelles Vorurteil gegenüber Jägermeister haben. War aber nicht so. Da waren nur Sterne-Fans und die fanden das Sponsoring eher blöd. Wir haben nichts gewonnen, außer der Gage.

Und die Fans haben ihre Enttäuschung mit Jägermeister begossen?
Spilker: Auch nicht mehr als sonst, denn es gab das Zeug da ja nicht umsonst.

Kommen wir zum letzten Zitat: „Manchmal sagt man vertraute Sachen vor sich hin, weil man nicht sicher ist, ob sie noch stimmen“ – Mit dem Leitsatz kann man sich wahrscheinlich bis ans Karriereende über Interview-Tage hinwegtrösten.
Spilker: Wie meinst Du das?

Wer in der Öffentlichkeit steht, muss doch in Interviews meistens sehr ähnliche Fragen unterschiedlicher Leute beantworten. Unter der Prämisse dieses Zitats könnte man daraus so etwas wie eine meditative Übung machen.
Spilker: Ach so. Nein. Für mich ist das ein ganz trauriger Satz. Ein ganz tiefes Verunsichertsein im Leben, an der Grenze zum Nicht- mehr-aushalten-können.  Ich finde den Satz sehr stark, aber ich grusele mich selbst vor ihm. Das empfand ich schon so, als ich den Text geschrieben habe, diese Aufzählungen: „Ein Tisch ist ein Tisch, ein Stuhl ist ein Stuhl“… Ich hatte schon mal zwanzig Jahre früher einen Song geschrieben, da tauchte die Zeile auf: „Die Plastikbecher und die Tassen stehen im Licht und werfen Schatten, als gäbe es nichts, was sie nicht könnten, was sie nicht haben.“ Also Neid auf einen Gegenstand, bloß weil er einen Schatten wirft, drückt tiefste Verunsicherung aus. Das ist wahrscheinlich das gleiche Bild.

Drückte das deine eigene damalige Situation aus?
Spilker: Ich hoffe nicht, dass das damals so schlimm war. Aber irgendwas muss es schon mit mir zu tun gehabt haben. Ich erinnere mich nur nicht mehr daran.

Es gibt dieses Aufzählen bisher als selbstverständlich wahrgenommener Sachen auch bei alten Menschen, die langsam in die Demenz abrutschen, oder eben in anderen existentiell bedrohlichen Situationen, wie in Günter Eichs Gedicht „Die Inventur“ von 1947. Es beginnt mit „Dies ist meine Mütze, dies ist mein Mantel…“
Spilker: Ja, in der größten Verunsicherung hält man sich an so gegenständlichen Sachen fest. Wusste ich doch, dass ich das auch  nicht erfunden hab. (lacht)

Frank, vielen Dank.

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