Ulrich Tukur

Soderbergh hat mich zuerst für einen Filmregisseur gehalten.

Schauspieler Ulrich Tukur über ein skurriles Bebwerbungsvideo, seine Arbeit in Hollywood, Steven Soderberghs Verfilmung von "Solaris" und seinen neuen Nachbarn in Venedig

Ulrich Tukur

© 20th Century Fox

Herr Tukur, wie kam es dazu, dass Sie in Steven Soderberghs Verfilmung von "Solaris" mitspielen?
Tukur: Das ist eine richtige Anekdote, die passierte, als ich damals den "Stellvertreter" gedreht habe. Zu der Zeit suchte Soderbergh für die Rolle des Gibarian einen europäischen Schauspieler. Ich wurde unter vielen anderen kontaktiert und man bat mich ein paar Szenenausschnitte zu drehen und einzuschicken. Drei Wochen später sagte man, sollten die Dreharbeiten gewinnen. Das ging schon mal gar nicht, weil ich völlig ausgebucht war und überall abgeschlossene Verträge hatte. Da hab ich zu meiner Freundin gesagt, dass ist so ein toller Regisseur, da müssen wir was machen. Wir drehen jetzt dieses Video, aber so, dass er es unter Garantie ablehnt, aber dass es er es sich anguckt. Ich habe dann die erste Science-Fiction-Szene in völlig unverständlichem Englisch am Klavier gesungen. Die zweite Szene habe ich dann mit meinem Hund gedreht, der guckte immer ganz fasziniert. Und am Ende habe ich – noch bevor Rumsfeld vom ‚alten Europa‘ sprach – das alte Europa dargestellt. Ich habe mich vor einem Bücherregal auf einen alten venezianischen Stuhl gesetzt, daneben eine Hitler-Biographie, eine Biographie von Sigmund Freud und einen Totenkopf. Also, ich habe nur Blödsinn gemacht, nichts war ernst. Das war so derartig gaga, was wir gemacht hatten, da dachte ich mir, wenn Soderbergh eine riesige Portion Humor hätte, dann würde er das toll finden, aber ansonsten sofort wegschmeißen. Wir habe das trotzdem eingetütet und abgeschickt und eine Woche später ein Fax wo erst mal drinstand: "Sie haben einen sehr talentierten Hund." Ein paar Zeilen später: "Herr Soderbergh möchte Sie unbedingt haben." Später habe ich dann gemerkt, dass mich Soderbergh aufgrund meines Videos erst für einen Filmregisseur gehalten hat, weil er das absolut als Kunst empfunden hatte.

Hatten Sie damals schon den alten Tarkowskij-Film gesehen?
Tukur: Ja, ich hatte den schon vor langer Zeit gesehen und war damals schon sehr beeindruckt. Dann habe ich ihn mir noch mal an geschaut und dachte, mein Gott, unglaublich. Immer noch beeindruckend ist diese Assoziativität, die der Film hat. Zum Beispiel, als Tarkowskij eine Zeit lang dieses Gemälde von Pieter Breughel "Jäger im Schnee" mit der Kamera abfährt. Tarkowskijs Film ist sehr geheimnisvoll. Sicher ist der Soderbergh anders, aber der hat auch Geheimnisse.

Wie hat Ihnen Hollywood dann gefallen?
Tukur: Für mich waren die Dreharbeiten ein Heidenspaß. Das war ja auch Urlaub in Hollywood. Ich war zwei Monate dort, hatte aber nur sieben Drehtage. Ich durfte da nicht weg, weil man sich nicht sicher war, ob dem Regisseur nicht noch eine Änderung einfiele. Es war schon unheimlich aufregend. Wir haben zum Beispiel in einem Studio gedreht, wo schon "Casablanca" gedreht wurde. Ich wollte schon immer wissen, wie sieht das aus in Hollywood, wie machen die dort die Filme. Das habe ich gesehen. Die haben eine wahnsinnige Logistik, irre viel Geld und an den entscheidenden Stelen höchstbegabte Leute. Der Messina zum Beispiel, der das Bühnenbild gebaut hat oder die Milena Canonero, die die Kostüme gemacht hat – einfach tolle Leute.

Gab es eigentlich Neid von Kollegen – viele reißen sich ja darum, mal mit Steven Soderbergh zu drehen?
Tukur: Nicht das ich wüsste. Aber ich verkehre ja auch nicht so sehr in Filmschauspielerkreisen. Ich bin vorwiegend Bühnenschauspieler und auch ein bisschen Musiker. Es ist auch ganz gut sich von solchen Sachen fernzuhalten, von der Film- oder Schallplattenindustrie, wo es eben um so viel Geld geht. Man darf sich nicht von denen abhängig machen, weil man sofort wieder rausfliegt, in dem Moment, wo man nicht mehr angesagt ist. Das ist nicht meine Welt. Das Theater hat immerhin noch so eine Konsequenz, hält länger durch, hat nicht so eine geringe Halbwertszeit.

Wie schätzen Sie die Chancen für "Solaris" in Europa ein, nachdem der Film in den USA fast gefloppt ist?
Tukur: In Europa hat der Film erheblich bessere Chancen. Nehmen wir zum Beispiel intellektuell unterhaltsame Filme wie die von Woody Allen – die laufen in den USA immer schlecht, dafür hat er seinen Markt hier. Ich finde, "Solaris" ist ein guter Film, für den es in Europa einfach ganz anders aussieht als in den USA. Frankreich zum Beispiel, wo ich in letzter Zeit oft gewesen bin. Die haben dort ein so hohes cineastisches Niveau, die sind so klug was Film angeht und schauen so genau, besprechen die Filme so intelligent und rezipieren die. Da könnte es sein, dass "Solaris" in Frankreich ein echter Knaller wird. Es ist ein Film, auf den man sich einlassen muss, er ist kompliziert, er ist seltsam, er entwickelt einen Sog, dem man sich nicht entziehen kann.

Zitiert

Die Aufgabe eines Filmregisseurs ist es auch, den Schauspieler vor der Kamera so zu entspannen, ihm so ein gutes Gefühl zu vermitteln, dass er sich alles traut.

Ulrich Tukur

War es Ihr erster Science-Fiction-Film?
Tukur: Ja, obwohl, ich habe vor langer Zeit eine Science-Fiction-Serie im Süddeutschen Fernsehen gemacht, in den 80ern glaube ich. Für mich war es aber bei "Solaris" nicht die Frage, Science-Fiction oder nicht. Ich wollte mit Soderbergh arbeiten, ich wollte sehen, wie der das schafft, seine Schauspieler so zu führen, dass die so gut sind, was sein Geheimnis ist und warum die bei ihm so spielen. Das habe ich mir dann sehr genau angeschaut.

Und das Geheimnis ist?
Tukur: Das Geheimnis ist, dass er unglaublich locker, substantiell und optimistisch arbeitet. Er mag seine Schauspieler so sehr, dass man einfach losläuft, man ist hochmotiviert, Dinge auszuprobieren. Dinge, die man vielleicht in einer deutschen Produktion nicht ausprobieren würde, weil man gedrängt wird, einem die Zeit wegläuft, weil man das Gefühl hat, die anderen denken von dir, dass du überbezahlt bist uns so weiter. Bei Soderbergh ist das eine wunderbare Atmosphäre zum Arbeiten. Die Aufgabe eines Filmregisseurs ist es ja auch, den Schauspieler vor der Kamera so zu entspannen, ihm ein so gutes Gefühl zu vermitteln, dass der sich alles traut. Der muss die Schauspieler psychologisch führen, bis zum richtigen Moment. Das ist schon eine Wahnsinnsarbeit, manchmal kommt dieser Moment erst nach dem vierzigsten Take – so was würde in Europa wahrscheinlich auch niemand bezahlen. Wenn dich aber ein Regisseur verunsichert, dann hast du überhaupt keine Chance.

Wo sind Sie im Moment zu Hause?
Tukur: In Venedig. Ich fühle mich da sehr wohl, was ich früher vielleicht gar nicht gedacht hätte – aber das ist eben das alte Europa. Es ist ein Traum, weniger real sondern museal, surreal. Ich fühle mich in Venedig seltsamer Weise richtig zuhause. Ich habe einen Blick auf die ganze Stadt. Ich lebe ja nicht direkt im Zentrum sondern auf der Isla La Giudecca, der einzige Teil Venedigs, wo die Industrialisierung stattfand. Das ist so ein richtiges Proletenviertel. Mein neuer Nachbar ist übrigens Elton John. Ich höre mittlerweile sogar, welche Musik bei dem zu Hause läuft. Neulich lief Sting und Madonna.

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