Tic Tac Toe

Die Ruhrpottniggaz

Tic Tac Toe über ihre Texte und das HipHopper-Dasein

Als ich mit eurer PR-Frau in Hamburg über diesen Interview-Termin sprach, fragte sie mich etwas verwundert: „Ihr seid doch eine Zeitschrift für Musiker, oder? Du weißt, daß die Drei keine Musikerinnen sind?“ Offengestanden, das fand ich verblüffend, denn nach meinem Verständnis sind auch Sängerinnen oder Rapperinnen Musikerinnen. Wie seht ihr euch selber?
Jazzy: Doch, irgendwie sehe ich mich schon auch als Musiker – vielleicht ist das aber auch der falsche Ausdruck. Also, „Alle meine Entchen“ mit einem Finger auf dem Keyboard kriege ich wohl hin…
Lee: Wir sind Sprechsänger – Rapper!

Die Texte der letzten CD stammen überwiegend von euch…
Jazzy: Was heißt überwiegend, die sind alle von uns…

Auf dem CD-Cover stehen noch zwei weitere Namen: T. Börger, Euer Produzent und Komponist und C.A. Wohlfahrt, welchen Einfluß nehmen die beiden auf die Texte? Sorgen die z.B. dafür, daß die Texte sendefähig bleiben…
Ricky: Claudia ist unsere Managerin… [und die Frau von T. Börger, die Red.]
Jazzy: Nein, wir schreiben die Texte gemeinsam, sammeln Ideen, schmeißen Unbrauchbares wieder raus, bearbeiten zusammen…

Gibt es bei „Tic Tac Toe“ eine feste Vorgehensweise, etwa in der Form, daß Börger sagt: „He, Mädels, ich hab‘ hier einen prima Groove, macht doch mal einen flotten Text drauf“, oder kommen die Lyrics immer zuerst?
Lee: Beim ersten Album war’s so, daß bereits eine Reihe von Stücken existierten, auf die wir dann die Texte geschrieben haben. Allerdings hatten wir auch einige Texte, für die die Musik erst noch geschrieben werden musste.
Jazzy: Man kann aber sagen, daß die Musik bei dieser CD zum größten Teil stand. Wir haben aber schon geguckt, paßt dieser Beat zu jenem Text, nehmen wir lieber diesen Groove etc.

Es ist also durchaus so, daß ihr – zumindest inzwischen – auch Einfluß auf das komplette Produkt, inklusive der Musik, nehmen könnt?
Jazzy: Konnten wir die ganze Zeit. Wir singen doch nicht auf irgendeine Musik, die uns nicht gefällt! Das Projekt „Tic Tac Toe“ ist für uns nicht bloß mit einem Job verbunden. Wir sind, einschließlich unseres Produzenten und unserer Managerin, sehr gute Freunde.

Interessant. Gerade beim „normalen“ Musiker stellt sich bei einer auch kommerziell höchst erfolgreichen jungen Gruppe doch schnell der Eindruck ein, die Ausführenden hätten nur sehr am Rande mit der Musik zu tun – vor allem wenn die Band, wie ihr, erst durch die Plattenfirma zusammengebracht wird. Ihr drei habt euch auf einem Rapper-Contest im Ruhrpott kennengelernt, soweit ich weiß…
Lee: Nee, ganz so war’s nicht. Das mit dem Ruhrpott-Jam stimmt schon. Es gibt halt auch im Ruhrgebiet viele Jams am Wochenende, auf denen man so Freestyle-rappen und ’nen paar hundert Mark gewinnen kann, falls das Publikum einen zum Sieger wählt. Ich hab‘ mir bei so einem Event die Teilnehmerliste angesehen und gedacht: „Wie, nur Jungs, das kann doch nicht wahr sein!“ Ich bin dann auf die Bühne gegangen und habe was auf Englisch gerappt. Ricky fand das dann so geil, daß sie zu mir auf die Bühne gekommen ist und wir was zusammen gemacht haben. Jazzy braucht bei sowas eh immer etwas länger… Mädchen können ja ohnehin nicht rappen…
Jazzy: Zumindestens hört man sowas manchmal in gewissen Underground-Kreisen… Na, jedenfalls habe ich mich dann dazugestellt…
Lee: Gewonnen haben wir dann doch nicht, glaube ich. Aber im Publikum stand Claudia, unsere Managerin. Die wollte eigentlich nur feiern, fand uns aber so gut, daß sie uns anschließend fragte, ob wir nicht Bock hätten, was zusammen aufzunehmen. Was uns völlig verblüfft hat. Wir haben uns dann erstmal an die Theke gesetzt, uns einen getrunken und uns etwas besser kennengelernt [Gelächter] – und in den folgenden 14 Tagen ein paar Songs aufgenommen…
Jazzy: Oh ja, wir haben uns gehaßt am Anfang [lacht]…
Ricky: Neeeiiin…
Lee: Tja, und seitdem steht „Tic Tac Toe“. Auf unserer April-Tour sind wir seit zwei Jahren zusammen.

Man könnte nun vermuten, daß die Idee zu einer reinen Mädchengruppe schon seit einiger Zeit in den Köpfen der Plattenfirmen-Obersten geschlummert hat und mit euch einfach in die Tat umgesetzt wurde, zumal es ja rappende Girlgroups in dieser Form – wenigstens in Deutschland – bis dato nicht gab.
Lee: Nein, nein, wir wurden nicht von der Plattenfirma gecasted…
Jazzy: Der Kontakt zur BMG kam erst später, als wir schon ein paar Songs aufgenommen hatten. Da hat Claudia dann das Tape den verschiedenen Companies angeboten. Und eigentlich haben auch fast alle zugestimmt, so daß wir uns unser Label frei aussuchen konnten.

Welche Companies haben abgelehnt?
Lee: Sagen wir nicht. Also, die BMG haben wir gewählt. Eine klasse Gruppe. Wir passen alle zusammen wie Arsch auf Eimer. Einige Leute haben gesagt, so’n Wind wie wir ihn aufwirbeln, hätte hier schon seit langem gefehlt.
Jazzy: Und mittlerweile gibt’s ja ganz viele Girlgroups, angefangen bei den „Spice Girls“, „She“ und so – die sind alle nach uns gekommen. Trotzdem behaupten einige zum Beispiel, die „Spice Girls“ wären eher dagewesen. Das ist aber wieder typisch deutsch, daß das, was aus dem Ausland in die Charts vordringt, automatisch höher gehandelt wird!

Nun ist eure Medienpräsenz auch so schon ganz beachtlich, wenn ich da nur an die regelmäßigen Besuche bei „Bravo TV“ denke…
Jazzy: Ja klar sind wir da auch. Aber im Vergleich z.B. zu diesen ganzen Boygroups …
Lee: … die sind jede Woche drin – jede, jede, jede Woche. Und wir waren nicht jede, jede, jede Woche drin…
Jazzy: Oder nehmen wir die „Spice Girls“, die sind jetzt fast auf jedem Cover. Das finde ich auch nicht schlimm, ich bin da nicht neidisch oder so. Wir erreichen schließlich auch ein älteres Publikum – nicht nur die Bravo-Leser.

Eure Texte zielen aber schon in erster Linie auf die jüngeren Hörer […fragt die Fotografin… es folgt ein kleinerer Tumult]
Jazzy: Wieso, kannst du dich nicht mit Sachen wie „Verpiß dich!“ identifizieren?

Naja, ich bin ja auch nicht unbedingt zu einem „so viel älteren Publikum“ zu zählen…
Jazzy: [wieder mir zugewandt] O.k. – und du, kannst du dich damit identifizieren?

[um Glättung der Wogen bemüht] Doch, schon – interessant ist diese Frage aber auch deshalb, weil…
Jazzy: Unser Zielpublikum geht von 0 – 100!

… weil „Fettes Brot“ ebenfalls meinten, daß sie ihre Texte nicht gezielt für eine sehr junge Hörerschaft schreiben und eigentlich eher über diese Zielgruppe überrascht waren.
Jazzy: Im Grunde genommen bin ich ganz froh, daß wir so viele junge Leute ansprechen. Denn in unseren Texten wird, glaube ich, z.B. auch deutlich, daß es auf materielle Sachen nicht so sehr ankommt. Daß man’s auch auf die Reihe bekommen kann, wenn man keinen „Lacoste“-Pulli trägt – ach nee, „Lacoste“ gibt’s ja nicht mehr…
Lee: Marco Polo!
Jazzy: …sondern daß es durchaus auch ein Aldi-Pullover tut.

Oder eben „Homeboy“-Klamotten. Ich sah euch gerade gestern noch vom Titel des „Homeboy ’97“-Kalenders herunterlächeln…
Jazzy: Jaja, das ist halt unser Sponsor. Wir tragen aber nicht nur Homeboy, sondern auch viele andere Sachen, die nirgends mit ihrem Logo auftauchen. Aber zurück zu den jungen Leuten…. Natürlich sprechen wir die an, wir sprechen ihre Sprache, sind selber noch relativ jung, so 18, 19. Wenn nur ein einziges Mädchen zu ihrem Typen sagt „Leck mich am A…“, weil der kein Gummi benutzt, bin ich verdammt stolz. Dann habe ich alles erreicht, was ich erreichen konnte. Und wenn Leute meinen, das ginge sie nichts mehr an, weil sie aus einer älteren Generation stammen, dann haben die einfach den Arsch offen. Wir schreiben allgemein aus dem Leben, da sollte sich eigentlich jeder etwas herausziehen können. Wir wollen nicht nur die Jugendlichen ansprechen.
Ricky: Und seitdem „Verpiß dich“ als Single ausgekoppelt ist, hören uns auch vermehrt Ältere, die bei „Ich find dich scheiße“ noch gedacht haben: „Ach du je“ und dann die Texte gar nicht weiter beachtet haben.

Ich habe den Eindruck, daß die „härtesten“ oder „schärfsten“ Texte bislang noch gar nicht ausgekoppelt wurden – zum Beispiel „Ruhrpottniggers“. Das ist ja sowohl vom Text als auch der Musik her mit am ätzendsten. Eigentlich mein Lieblingssong von eurer CD…
Jazzy: Ja, meiner auch. Aber der soll nicht ausgekoppelt werden…
Lee: Der Song ist sehr hiphoppig…
Ricky: …ist halt ’ne Verarschung der ganzen Hiphop-Szene.

Fühlt ihr euch nicht als Hiphopper?
Lee: Also ich persönlich, ich, Lee, nicht „Tic Tac Toe“ als Ganzes – ja, ich fühle mich als Hiphopperin. Wir, „Tic Tac Toe“, machen eigentlich keinen Hiphop. Aber ich lebe diese Kultur, ich akzeptiere andere Kulturen und Religionen, kann mit den feiern und abdancen – das ist für mich Hiphop. Eine Kultur, zusammengesetzt aus allen Weltkulturen.

Das deckt sich eigentlich ganz genau mit dem, was „Schiffmeister“ von „Fettes Brot“ kürzlich über Hiphop sagte…
Jazzy: Was DIE gesagt haben [zeigt auf den letzten SOLO-Titel]?
Lee: Schiff… was?!

Der mit der Mütze heißt „Schiffmeister“…
Jazzy: Ehrlich gesagt, ich habe große Schwierigkeiten mit der Frage: „Was heißt überhaupt Hiphop?“ Ich kann mich mit dem Rap identifizieren oder auch mit Jim Morrison…
Lee: Das, finde ich, ist Hiphop!
Jazzy: Aber dies ganze Getue beim Hiphop, ob das nun ein Eastcoast- oder Westcoast-Groove ist usw., das geht mir tierisch auf den Sack. Auch diese Leute, die ständig über Gewalt singen, aber letztlich leider gar nichts dagegen tun und sie eher noch verherrlichen, finde ich wirklich schlimm. Außerdem: Wir leben in Deutschland, da gibt’s keine Slums und so. Da soll man doch deutschen Hiphop mit deutschen Texen machen…

Nun existiert in Deutschland doch aber eine sehr rege, deutschsprachige, Hiphop-Szene…
Jazzy: Wer denn?

Ich denke an Fanta 4, Rödelheim…

[kleinerer Tumult]
TicTacToe: Naja – ach Gott – die sagen, sie machen Hiphop…

Jazzy: ‚Tschuldigung, aber z.B. bei „Rödelheim“ gibt’s Texte, die sind total in Ordnung, und Beats, die sind auch klasse. Aber so Sachen wie z.B. „Türke“ [ein Song von der aktuellen RHP CD, die Red.], die kann ich überhaupt nicht verstehen. Ich kann auch nicht verstehen, wie man während eines auf „VIVA“ ausgestrahlten Konzerts Sony total niedermachen kann, nur weil die einen nicht angenommen haben. Nun gut, das bezieht sich jetzt eher auf Moses…

Der ist ja eh immer recht forsch in seinen Meinungsäußerungen…
Jazzy: Aber wenn ich so ein Image habe, muß ich auch dazu stehen – sonst habe ich kein Image. Also – für mich ist Hiphop eine Musikrichtung, o.k. Und „Fanta Vier“, „Rödelheim“ machen, ja, von mir aus, „kommerziellen deutschen Hiphop“. Aber echter Hiphop kommt für mich eher aus dem Underground; Hiphop hat auch viel mit Politik zu tun, hatte es früher jedenfalls mal.

Habt ihr Kontakt zur Hiphop-Szene?
Jazzy: Zur kommerziellen deutschen Hiphop-Szene…
Lee: Doch. Ich war früher öfter auf Jams und habe mir das angehört. Und bei vielen Leuten habe ich gedacht: Mann, die machen gute Musik und Texte, warum sind die nicht bekannter? Doch die haben meistens gesagt: „Nee, will ich nicht, brauch ich nicht. Reicht mir völlig, wenn ich das hier sagen kann…“
Jazzy: Ich habe die „Fanta 4“ mal auf einer Hiphop-Jam gesehen. Die haben da gar keinen interessiert. Um das nochmal klarzustellen: Ich finde die Musik o.k., ich finde die Texte o.k.. Ich hab einfach was dagegen, wenn die sich hinstellen und sagen: „Ich bin Hiphopper!“ Denn was ist das eigentlich? Außerdem sind deutscher und amerikanischer Hiphop grundverschieden, und trotzdem werden immer noch die amerikanischen Beats geklaut. Das ärgert mich vor allem deshalb, weil viele aus dieser Szene verbreiten, wir wären Arschgeigen, weil wir behaupteten, wir machten Hiphop. So etwas haben wir noch nie behauptet!
Lee: Außerdem haben wir Schlampen uns ja sowieso nur hochgevögelt [Im Original war’s noch etwas derber…, die Red.]
Jazzy: Genau… [kommt langsam in Rage]. Das haben Kommissar Rödelheim und co. wirklich mal richtig gut geschnallt: Wir machen keinen Hiphop!

Themenwechsel: Ihr geht im April auf große Deutschlandtour. Wie ich hörte, spielt ihr mit Live-Band?
Lee: Stimmt, mit einem Bassisten, Keyboarder, Gitarristen, Schlagzeuger und einem Multiinstrumentalisten. Und Live-Gesang!

Habt ihr schon geprobt? Bekommt ihr spezielles Stimmtraining?
Lee: Wir sind fleißig dabei. Laufen, Konditionstraining und so. Wir bekommen auch Unterricht in Atemtechnik. Mal gucken, ob wir’s durchstehen [lacht]…
Jazzy: Wir freuen uns in jedem Fall, als deutsche Nicht-Hiphop-Gruppe mit einer Live-Band aufzutreten!

Ich hätte nämlich boshafterweise fast getippt, daß ihr, wie auch DJ Bobo oder viele Boygroups, mit Playback-Tape auf Tour geht…
Jazzy: Die Musik läßt sich eigentlich ganz prima mit einer Live-Band umsetzen, warum dann Playback?
Lee: Wobei ich das mit Live-DJ, Beatbox und so eigentlich auch sehr gut finde: zwei Leute tanzen, eine singt, eine rappt, zwei liefern die Voice-Beatbox, einer steuert die Instrumental-Scratches bei. Das wäre für mich auch wie eine Live-Band.

„Fettes Brot“ z.B. sagten, das sei für sie auch eine Frage der Ästhetik, daß es beim Konzert es genauso digital-kühl aus den Boxen kommt wie im Studio. Außerdem fürchten sie um springende Turntables auf wackligen Bühnen…
Lee: Das kann gar nicht angehen! Jeder DJ, der in dieser Szene großgeworden ist, steht bombensicher auf der Bühne, auch wenn die Jungs noch so viele Saltos hinlegen! Da muß halt solange geschraubt und Styropor untergepackt werden, bis die Turntables sicher sind! Außerdem: Unsere Platte haben die Kids doch zu Hause. Das wäre dann so, als ob wir vom Cover einmal kurz herunterkommen, „Hallo“ sagen und dann wieder gehen würden. So können die Leute draußen sehen, was wie gespielt wird. Es wird ähnlich klingen wie auf der Platte, aber nicht genauso…
Jazzy: Bei einer E-Gitarre live krieg ich sowieso eher einen Orgasmus [Gelächter]…

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