Thievery Corporation

Viele Musiker versuchen so zu wirken, als wären sie Rebellen.

Rob Garza und Eric Hilton alias Thievery Corporation über politisch engagierte Musiker, das Album "The Cosmic Game", Melancholie in der Musik und einen enttäuschenden Gig in Jamaika

Thievery Corporation

© Andrzej Liguz / Moreimages.net

Rob und Eric, in den USA geht der Wahlkampf gerade in die heiße Phase und ihr tourt mit DJ-Gigs durch Deutschland – seid ihr vor der Wahl sozusagen geflohen?
Garza: Ja, es ist im Moment ganz gut, nicht dort zu sein. Man muss sich nicht CNN antun und alles, was dich sonst so vereinnahmt. Es ist angenehm, Musik zu spielen, Leute zu treffen, andere Städte zu sehen…
Hilton: … und einfach an dieser ganzen Sache nicht teilnehmen zu müssen.

Es gab viele Musiker, die im Wahlkampf gegen Bush aktiv waren. Waren da eigentlich auch welche aus der elektronischen Musikszene dabei, von Moby einmal abgesehen?
Hilton: Ich glaube, da gibt es nicht so viele politisch engagierte, wobei ich mir sicher bin, dass die meisten Bush nicht ausstehen können. Und Moby, der mischt sich immer ein, er hat das schon im Wahlkampf 2000 gemacht. Und je mehr er sich engagiert hat, desto weniger hat mir das gefallen. Er hat zum Beispiel Ralph Nader kritisiert, der für mich damals der beste Kandidat gewesen wäre, weil er eine aufrichtige Person ist, etwas zu sagen hat und das ganze politische System verändern will. Da habe ich mir nur gedacht: Moby ist schon so sehr Mainstream, nicht nur musikalisch sondern inzwischen auch politisch.
Garza: Viele Musiker versuchen so zu wirken, als wären sie Rebellen, Michael Stipe von REM oder eben Moby. Aber John Kerry war auch nur Teil dieses ganzen politischen Systems, genauso wie es Bush ist und in vielen Dingen stehen beide für die gleiche Politik. Und solange die Leute diese Mainstream-Ideologie unterschreiben, sind die Chancen für Veränderungen in den USA nicht sehr groß.
Hilton: Moby ist mit John Kerry zusammen auf die Bühne gegangen… Also, wenn ich fünf Minuten mit John Kerry hätte, dann würde ich ihm erst mal meine Meinung sagen und nicht dasitzen und Musik für ihn spielen.

Wie weit geht ihr mit politischen Statements in eurer Musik?
Garza: Auf unserem Album "The Cosmic Game" reden wir schon sehr viel über politische Dinge, im Song "Warning Shots" zum Beispiel oder auch in "Wires and Watchtowers".
Hilton: Aber die Texte gehen eigentlich darüber hinaus, weil es uns wirklich darum geht, zu versuchen, das Bewusstsein der Leute zu erweitern. Ich glaube nämlich, dass in der Politik heute ein viel zu großer Mangel an spirituellem Bewusstsein herrscht. Da geht es so oft nur um den Wettkampf zwischen verschiedenen Politikern, aber nicht wirklich um Ideen und auch nicht um die wichtigsten, elementarsten Bedürfnisse einer Gesellschaft, wie Liebe, Mitgefühl, Menschlichkeit und Toleranz für verschiedene Völker und Kulturen. Sich verbunden fühlen mit Menschlichkeit. Die Leute denken immer nur: Welcher Politiker wird deine Steuern senken, wer ist gegen die Homo-Ehe…
Garza: …wer nimmt dir was weg, wie kannst du besser das beschützen, was du hast, bevor es dir irgendjemand wegnimmt? Politik wird heute oft nur sehr eigennützig betrieben.

Inwiefern seid ihr denn von eurem Wohnsitz, Washington D.C. geprägt?
Hilton: In Washington wirst du wirklich überschwemmt mit der politischen Szene des Landes, jeder redet über Politik, das ist den Leuten gewissermaßen auf’s Gesicht geschrieben. Eigentlich ist Washington eine wunderschöne Stadt, nur wurde sie nicht unbedingt auf einem ehrenwerten Fundament gebaut. Wir waren vor kurzem in Kashmir, in Vietnam, wir haben in letzter Zeit viel von der Dritten Welt gesehen und dort ist sehr offensichtlich, was auf unserem Planeten geschieht: die Erste Welt, Europa und die USA beuten die Dritte Welt einfach aus. Früher hieß das Kolonialismus, heute heißt es Globalisierung. Auf der einen Seite die Sklaventreiber und auf der anderen die Habenichtse.
Garza: Und letzten Endes sind wir sind alle teil davon, auch wenn wir denken, wir wären es nicht. Besonders die Europäer denken ja oft, dass wäre allein ein Problem der USA, aber dabei ist das ein Problem der ganzen westlichen Gesellschaft. Solange wir Gesellschaften haben, die auf dem Ölhandel basieren, auf Diamanten- und Goldhandel, auf Handel mit Rohstoffen – solange sind wir alle Teil davon.

Sind es diese wenig optimistischen politischen Ansichten, die eure Musik auch etwas traurig, melancholisch klingen lassen?
Hilton: Das könnte schon sein. Es gibt im Bossa Nova und in brasilianischer Musik ja dieses Konzept "Saudade", womit so eine Art melancholische Zufriedenheit gemeint ist. Und ich denke, dass es im Leben sehr oft Momente gibt, in denen man melancholisch, aber gleichzeitig auch zufrieden ist. Es ist nicht so schlimm, wenn man mal ein bisschen traurig ist, denn dann wird man auch nachdenklich – und wir wollen, ja, dass unsere Musik auch nachdenklich macht, dass die Leute ein wenig über die Texte nachdenken.
Garza: Die Realität kann einem traurig erscheinen, aber auch faszinierend – ich denke, unsere Musik spiegelt beide Seiten wider. Einerseits Faszination und so ein Vorausdenken, andererseits im Blick haben, wie die Realität wirklich aussieht.
Hilton: Und auch wenn es auf "Cosmic Game" vor allem um ernste Dinge geht, gibt es diesen letzten Funken Hoffnung. Eine Hoffnung muss ja da sein, an der man sich festhalten kann, sonst wäre das Leben nicht lebenswert.

Ihr verarbeitet musikalisch viele Einflüsse aus verschiedenen Regionen, ob südamerikanische oder orientalische Klänge und heraus kommt meist ein sehr typischer Thievery Corporation Sound. Was ist das Rezept?
Garza: So etwas lässt sich nicht wirklich beschreiben, wir lassen uns einfach immer wieder von unserer eigenen Plattensammlung inspirieren, wir experimentieren sehr viel. Ob es nun brasilianische, indische oder jamaikanische Einflüsse sind – irgendwie sind sie alle Teil des Einflusses auf unsere Musik.

Habt ihr eigentlich die Regionen und Länder, aus denen diese Einflüsse stammen, schon selbst besucht?
Hilton: Das ist schon komisch, aber wir haben in diesen Ländern, wo die Genres herkommen, bislang kaum gespielt. Wir hatten einmal die Möglichkeit einen DJ-Gig in Jamaika zu absolvieren. Wir sind auch hingefahren, aber es war ganz anders, als wir uns das vorgestellt haben. Wir dachten, wir spielen dort in einem urigen Underground-Club, mit Jamaikanern… Stattdessen haben wir in so einem piekfeinen Haus gespielt…
Garza: …auf einer Art Hochzeitsfeier. Da saßen Großeltern mit ihren Enkeln…
Hilton: …das war ein echter Höllentrip, fürchterlich. Wir haben dort keinen Draht zu Elementen der jamaikanischen Gesellschaft bekommen, die uns musikalisch ja so inspiriert hat. Und was die anderen Einflüsse betrifft, wir haben nie in Indien gespielt, wir sind auch nur ganz wenig nach Lateinamerika gegangen… Wir sind vielmehr durch unsere eigenen Plattensammlungen inspiriert, und von unsere eigenen Vorstellungen von diesen Kulturen und Genres.

Was waren so die ersten Platten, die ihr in eurer Jugend gehört habt?
Hilton: Da waren die Beatles dabei… und meine Eltern hatten sehr viele Punk-Platten. Wir haben als Teenager auch selbst viele Punkplatten gekauft. Ich wohnte am Stadtrand von Washington und in meiner Jugend war das ganz normal, auf Punkrock zu stehen, das war sehr populär damals.

Und der Schritt von der handgemachten zur elektronischen Musik – wie kam der?
Garza: Ich bin von Punkrock zu Industrial übergegangen, was schon sehr techno-ähnlich war, die Leute haben angefangen mit Samplern zu experimentieren…

Wie sah denn bei euch die erste Begegnung mit Samplern aus?
Garza: Ich war glaube ich 15 Jahre alt, da bin ich in so eine Klasse für elektronische Musik gegangen, wo wir den Umgang mit Modular-Synthesizern, Tonbandgeräten, Sequenzern und Drumcomputern gelernt haben, das hat mich von Anfang an begeistert. Ich war damals noch kein Musiker, aber die Möglichkeit, zu experimentieren, Sound zu kreieren, war wunderbar. Das hat mich angeregt, mehr über Musik zu lernen, weil ich wusste, dass ich zumindest ein bisschen musikalisches Grundwissen brauchte, wenn ich weiter an elektronischer Musik arbeiten wollte. Und 1984, als HipHop bei uns ganz groß rauskam sind wir nach dem Unterricht oft noch im Studio geblieben sind, um Beats zu programmieren.

Wie alt warst du Eric, als du mit elektronischer Musik angefangen hast?
Hilton: Ich war vielleicht 20, 21, als ich anfing, mich für Dance-Musik zu interessieren, HipHop und sogar House. Ich war nicht unbedingt ein großer House-Fan, aber ich bekam durch Zufall einen großen DJ-Gig: ein DJ aus Washington rief mich an und fragte mich, ob ich das nicht mal ausprobieren wollte. Ich habe denen dann ein paar Platten vorgespielt und daraufhin haben die mich engagiert. So kam ich in diese Szene – und mir hat das Spaß gemacht. Mir gefiel das, die Beats einander anzupassen, vor vielen Menschen zu spielen… Nach drei, vier Jahren kam ich dann mehr in Berührung mit der Acid-Jazz-Szene, die so vielseitig war. Da war brasilianische Musik drin, Afro-Beats… – das wurde musikalisch mein Zuhause. Und als ein paar Leute anfingen, Acid-Jazz elektronisch zu produzieren kam ich auch wieder zur elektronischen Musik.

Zitiert

In Washington wirst du überschwemmt mit der politischen Szene des Landes, jeder redet über Politik, das ist den Leuten auf's Gesicht geschrieben.

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Aber bevor ihr richtig unabhängige Musiker geworden seid, hattet ihr auch ’normale‘ Jobs, wie ich gelesen habe.
Garza: Ja, ich war in einer Flugsicherheitsfirma, wobei das jetzt aufregender klingt, als es eigentlich war.

Was hast du da gemacht?
Garza: Die Firma hat unterschiedliche Sachen gemacht, die aber alle mit Flugsicherheit zu tun hatten: es gab einen Flugwächter-Service, die haben Zugangskontrollsysteme entwickelt, auch private Ermittlungen gemacht. Ich bin rumgereist, habe Leute verfolgt, irgendwo Überwachungskameras aufgestellt – das war schon irgendwie Spaß, nur wollte ich Musik machen.

Ihr betreibt heute mit "18th Street Lounge Music" euer eigenes Label – gibt es da so etwas wie eine Labelphilosophie?
Garza: Du solltest bei einem Label einfach das machen, worauf du Lust hast, Musik rausbringen, die du magst. Ansonsten, wenn du das nur für Geld machst…
Hilton: … dann kannst du auch Kleiderbügel oder Schuhe verkaufen. Hier geht es aber um Musik, das ist für uns etwas ganz besonderes und wir versuchen, die Künstler auch dementsprechend besonders zu behandeln.

Und wie läuft das Geschäft, wie ist die derzeitige Marktsituation?
Hilton: Die Situation ist im Moment gar nicht so schlecht. Sicherlich gibt es hier und da Einbußen aufgrund des Internet. Aber inzwischen ist iTunes die populärste Musikbörse im Netz, die haben sehr viele Nutzer, welche für die Musik bezahlen…
Garza: …und unsere Künstler kommen ganz gut weg bei iTunes.

Da gibt es bereits kleine iTunes-Erfolge?
Hilton: Ja, wir bekommen jeden Monat einen Scheck von denen und der wird immer größer. Das ist definitiv besser als Napster, wo du gar nichts bekommen hast. Und ich glaube auch, die meisten in den USA über 20 sind mittlerweile davon überzeugt, dass es nicht wirklich angemessen ist, Musik zu klauen. Es passiert natürlich immer noch, aber das sind dann vor allem Teenager, von denen aber nur wenige unsere Musik hören – insofern trifft uns das nicht so hart.

Viele Songs von euch sind auch auf diversen Compilations erschienen – bringen die an Tantiemen vielleicht mehr ein als eure Alben?
Garza: Nein, wir verdienen auf jeden Fall mehr mit unseren Alben. Am Anfang war das mit den Compilations sowieso nur eine Art kostenlose Werbung für uns.
Hilton: Die zahlen auch heute nicht viel, vielleicht "Hotel Costes", weil sie dann auch eine Menge verkaufen. Aber die meisten anderen bezahlen dich nur einmal im Voraus und das war’s dann. Andererseits wäre das auch ein wenig kompliziert: von 40 verschiedenen Leuten Geld einzusammeln…

Die Compilations waren wohl auch mit ein Grund dafür, dass eure Musik anfangs sehr viel in Bars und Lounges gespielt wurde. Wie habt ihr das empfunden, an solchen Orten eure Musik zu hören?
Hilton: Es besteht natürlich immer die Gefahr, dass die Musik dadurch überstrapaziert wird…
Garza: Mir hat das nicht viel ausgemacht, unsere Musik in einer Bar zu hören. Was ich viel anstößiger finde, dass man dann ein ganzes Genre kreiert hat, das nur aus solchen "Cafe"-Compilations bestand. Wenn man in den CD-Laden geht und dort Hunderte von Lounge-Compilations sieht von "Chillout bis zum Verrecken" bis zu "Chillout bis zum Umkippen" – das finde ich merkwürdig.

Ein anderes Thema: Vinyl.
Hilton: Vinyl? Vinyl ist doch schon fast tot. Ich habe kürzlich mit Leuten vom deutschen Label Unique gesprochen und die meinten, sie würden immer weniger Vinyl verkaufen. DJs spielen immer mehr CDs ab – allerdings habe ich noch nie einen guten DJ erlebt, der nur mit CDs in einen Club kommt.
Garza: Aber zumindest für unser Genre ist Vinyl so gut wie tot. Früher hast du in Plattenläden noch extra Downtempo-Fächer gehabt, jetzt findest du meistens nur Schilder mit "House" und "Techno" …

Aber generell ist Vinyl für den Club doch unabdingbar, oder?
Hilton: Ja, ich würde Vinyl auch nie für tot erklären wollen. Irgendwie kommt auch noch sehr viel auf Vinyl raus, aber dann eben nur in sehr kleinen Auflagen von vielleicht 1000 Stück und nicht mehr. Wenn ich ein Musikstück wirklich mag, und das gibt es auf Vinyl, dann hole ich mir das auch auf Vinyl. Aber Vinyl ist sehr kostenintensiv – und auch überhaupt nicht umweltfreundlich.

Tatsächlich?
Garza: Ja, die Presswerke gibt es in den USA auch nur in bestimmten Staaten, weil durch die Herstellung die Umweltbelastung sehr hoch ist. Vinyl ist eine sehr giftige Substanz, da sind krebserregende PCB-Stoffe drin usw. Aber das wird uns natürlich nicht davon abhalten, weiterhin Vinyl zu kaufen.

Wie viele Platten habt ihr eigentlich dabei, wenn ihr als DJs auf Tour geht?
Hilton: Insgesamt vielleicht 150. Beim DJing geht es uns vor allem auch darum, die Aufmerksamkeit von uns abzulenken, hin zur Musik, dass die Leute die Musik genießen. Da gibt es nicht viel zu sehen, wir legen einfach nur Platten auf. Und wir spielen auf einer Tour meistens sehr ähnliche Sets. Denn, wenn du einmal ein Set hast, das irgendwie gut klingt, dann willst du das nicht mehr großartig verändern. Wir wissen also meistens schon, was wir spielen werden, wenn wir den Club betreten.

Unsere Schlussfrage lautet: Das Leben ist ein Comic – welche Figuren seid ihr?
Garza: Ich bin Ren von "Ren und Stimpy", das ist so ein verrückter, psychotischer Chiwawa.
Hilton: Dann bin ich Pepe das Stinktier. Der versucht immer, sich als Katze auszugeben, weil er halt immer auf der Suche nach Katzen ist. Aber wenn er dann eine gefunden hat, fängt sein Schwanz immer an zu stinken – und die Katzen suchen ganz schnell das Weite.

Das Duo Thievery Corporation kommt aus Washington D.C. und besteht aus den DJs und Produzenten Rob Garza und Eric Hilton, die auch Gründer des Labels "Eighteenth Street Lounge Music" sind. Ihr erstes Album "Sounds from the Thievery Hi-Fi" kam 1997 mehr

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