Sophie Rois

Ideal ist ein Zustand, wo man so auf Adrenalin dahinsegelt und gleichzeitig ein Gefühl hat a la: die können mich alle mal!

Schauspielerin Sophie Rois über Sport(ler), Doping am Theater, Hysterie als kreative Antriebskraft und ihre TV-Rolle als Frau von Dieter Baumann

Sophie Rois

© ARD

Frau Rois, in dem Film "Ich will laufen!" sind Sie als die Frau und Trainerin von Dieter Baumann zu sehen. Ein Sportfilm, das ist schon eine Neuheit in Ihrer Filmografie, oder?
Rois: Ja, ich habe auch sehr gelacht, als ich das Angebot bekam, weil Sport und ich – das sind zwei verschiedene Welten, um es mal vorsichtig auszudrücken. Ich habe mit Sport überhaupt nichts am Hut, jeden Ball, der in meinem Leben auf mich zukam, habe ich ins Gesicht bekommen – ich hasse Sport. Und ich verstehe eigentlich auch überhaupt nicht, wie man sich dafür begeistern kann. Dabei drehe ich momentan einen Film, wo ich auch fechten musste und wo ich zumindest die Pose ganz gut beherrsche. Das ist eine Schauspielerkrankheit: man gibt mir dieses Ding in die Hand und es sieht sofort so aus, als könnte ich das, obwohl das überhaupt nicht der Fall ist.

Doch der Baumann-Film hat Sie offensichtlich gereizt.
Rois: Ja, wobei ich dem Regisseur Diethard Klante gleich gesagt habe, dass ich absolut unsportlich bin. Er meinte aber, das wäre nicht so wichtig, er wäre schließlich auch unsportlich und ihn würde bei diesem Film der sportliche Aspekt am wenigsten interessieren. Ich habe mich auch nicht so weit vorbereitet, dass ich jetzt wie eine Wahnsinnige angefangen hätte, zu laufen – das wäre bei mir sowieso nix geworden. Ich habe mir diese beiden Sportler, die mir auch so suspekt sind wie alle anderen Sportler, von außen angeguckt. Ich habe nicht versucht, die von innen heraus zu ergründen, sondern das nur so wiederzugeben versucht, wie ich sie wahrnehme, in ihrer ganzen Fremdheit.

Offenbar können Sie mit dem Lebensentwurf Sportler nicht wirklich etwas anfangen.
Rois: Nein. Weil ich das gar nicht verstehe, was da passiert. Ich gucke mir gerne – wenn sie schön sind – diese Sportler an und denke: toll, diese Tiere, wie sie sich da bewegen, fantastisch! Ich kann durchaus auch Freude an etwas haben, was ich nicht selbst beherrsche, sonst hätte ich sowieso wenig Freude im Leben. Aber ich bin nicht in der Lage, da tiefer in die Materie einzudringen oder differenziert zu beurteilen, was die da machen und wie gut das ist. Aber beeindruckend, dieser Gewaltakt, jeden Tag so und so viel Kilometer wie ein Irrer zu laufen, dann vier Wochen ins Höhenlager zu gehen, sich da oben ein Zimmer einzurichten, wo die Luft dünner ist – völlig sinnfrei, das gefällt mir.

Sie sind Schauspielerin geworden – ist Theater mit Sport vergleichbar?
Rois: In der Sinnfreiheit, ja. Man macht etwas völlig überflüssiges, was aber mehr oder weniger viele Leute gerne sehen wollen. Zum Sport gehört aber dieses nicht-nach-links- und nicht-nach-rechts zu schauen sondern immer geradeaus zu stürmen, dieses "Go for it". Und das mache ich nicht. Es gehört zu meinem Beruf, mich immer wieder zu überfordern, aber mich auch ablenken und irritieren zu lassen. Auch zu sagen: leckt mich, das mache ich nicht. Anders würde ich den Beruf nicht machen wollen.

Aber gibt es dieses "Go for it" nicht manchmal auch auf der Bühne, Ziele, Fixpunkte am Theaterhorizont, die Sie vor Augen haben?
Rois: Nein, so etwas gibt es für mich nicht. Man stürzt sich leichtfertig und ernsthaft in die Proben, auf den Stoff. Das Ziel, wenn Sie so wollen, ist nur irgendwann die Premiere, die aber gelegentlich auch verschoben wird, oder man schmeißt eine Rolle hin, weil man festestellen muss, das sollte besser ein anderer oder gar niemand machen. Das ist nicht schön. Aber Schauspieler, die etwas machen, was sie nicht machen wollen, sind auch nicht schön anzusehen, das möchte ich niemandem zumuten.

Und Ihre Ausbildungszeit am Wiener Max-Reinhardt-Seminar, war das nicht in gewisser Weise ein "Training"?
Rois: Nein, es ist ja auch sehr fraglich, was ich da gelernt habe. Was mich geprägt hat als Schauspieler, wo ich sage, da liegt meine schauspielerische Identität, das hat alles lange nach der Schauspielschule stattgefunden, durch die Zusammenarbeit mit den Persönlichkeiten, auf die ich getroffen bin. Ich war im Trockenschwimmen nie gut, Rollenstudium an der Schauspielschule kam mir immer total absurd vor. Ich brauche ein Publikum, das ich überraschen kann und mit dem ich sozusagen während einer Aufführung intelligenter werde – wobei man mit dem Publikum zusammen auch verblöden kann. Es ist aber in jedem Fall eine Art von Auseinandersetzung. Ich kann nicht solche Scheinkämpfe führen und für einen Schauspiellehrer fünf mal hintereinander denselben Satz sagen. Das kommt mir schwachsinnig vor. Lieber arbeite ich mich öffentlich an meinem Text ab.

Sie haben am Theater mit mutigen und auch provokanten Regisseuren wie Christoph Schlingensief, Frank Castorf oder René Pollesch zusammengearbeitet. Wird Ihnen da bei der Arbeit an einem deutschen Fernsehfilm nicht schnell langweilig?
Rois: Also, wenn mein Beruf von heute auf morgen darin bestehen würde, nur fürs Fernsehen zu arbeiten, dann würde ich tatsächlich in arge Schwierigkeiten kommen. Ich denke, dass das, was ich zu bieten habe, was mir selber auch Spaß macht, nicht unbedingt mehrheitsfähig ist – aber das müsste es fürs Fernsehen ja schon sein. Im Theater kann ich viel spezieller werden, ich kann am Theater viel autonomer arbeiten. Das ist viel mehr mein Raum und ich bestimme, was da passiert. Bei einem Dreh ist das natürlich anders, weil ein Film ein Produkt ist und das Produkt muss so und so aussehen. Da ist der Raum, in dem ich mich bewegen kann, schon relativ klein.

Aber gab es auch Theaterstücke, wo Sie diese Bewegungsfreiheit vermisst haben?
Rois: Ja, es gab Theaterstücke, wo ich einfach nicht vom Fleck gekommen bin, wo ich – für meine Kriterien jedenfalls – versagt habe und nicht wirklich den Raum gefunden habe, wo ich agieren konnte. Man macht halt gewisse Erfahrungen, wo man merkt, das sollte man besser bleiben lassen. Inzwischen habe ich da auch eine ganz guten Intuition, solche Situationen zu vermeiden.

Kommen wir noch einmal zu "Ich will laufen" – bringt der Film nun neues Licht in den Fall Dieter Baumann?
Rois: Nein, der Film erzählt eher diese Geschichte nach, von dem Ehepaar, das durch diesen merkwürdigen Vorfall in eine Krise kommt, wo man auch merkt, dass deren Stärke nicht unbedingt darin liegt, sich zu formulieren. Der Baumann, wie er versucht im Fernsehen oder vor Gericht seine Unschuld zu beweisen, der ist ja nicht sehr eloquent. Seine Stärke liegt eben ganz woanders, nur ist die zu diesem Zeitpunkt der Krise einfach nicht mehr gefragt. Und das muss für beide damals ziemlich schlimm gewesen sein.

Haben Sie das Ehepaar kennen gelernt?
Rois: Ja, ich habe die Isabelle Baumann zwei, drei Mal getroffen, aber jetzt auch nicht zu intimen Gesprächen, ich habe sie mir nur von außen angesehen. Ich habe ihn auch erlebt, und wie das ist, wenn er ins Stadion kommt, beim Dreh – da kennen ihn alle, da ist er wieder der Dieter Baumann. Das ist schon diese Popstargeschichte und darin lag für ihn sicher auch eine besondere Härte, als er auf einmal so der Lächerlichkeit preis gegeben wurde, die Leute gebuht haben und irgendwelche komischen Transparente entrollt wurden.

Sind Sie denn überzeugt von Baumanns Unschuld?
Rois: Nach den Recherchen, zu denen ich Zugang hatte, bin ich den Film in der Überzeugung angegangen, dass die nicht selber schuld sind, weil das auch überhaupt keinen Sinn machen würde. Da gab es eine Doping-Kontrolle, die war vorher angekündigt, es stand kein Rennen an – warum sollte er sich vor so einer Kontrolle dopen? Und dann war die Dosis auch gar nicht hoch genug, um im Körper wirklich eine Leistungssteigerung zu bewirken. Die beiden wurden also in meinen Augen wirklich von jemandem reingelegt. Und das muss merkwürdig sein, denn keiner glaubt dir diese Verschwörungstheorie. Es ist denen auch nie gelungen, das in der Öffentlichkeit so darzulegen, von dem Vorwurf konnten die sich nie wirklich befreien.

Sagen Sie, wie sieht das eigentlich im Theaterbereich mit Doping aus, gibt es das?
Rois: (Lacht…)

Also natürlich kein Nandrolon ….
Rois: Ja, ich überlege natürlich auch immer: soll ich jetzt noch einen Kaffee trinken, oder nicht. Aber zu viel Kaffee ist auch wieder schlecht. Nein, das Beste ist, gut ausgeschlafen und nüchtern zu sein. Da bin ich irgendwann drauf gekommen.

Wo Sie gerade ’nüchtern‘ sagten – der Hang zum Alkohol ist ja unter Schauspielern leider sehr weit verbreitet.
Rois: Also, ich kann nicht spielen, wenn ich betrunken bin. Mir ist das einmal passiert, weil mir die Requisite zur Premiere in ein Glas, das ich gleich am Anfang des Stückes in einem Zug austrinke, statt Apfelsaft Pernot eingegossen hat – unverdünnt. Ich habe das getrunken und war zwei Stunden lang besoffen. Das war entsetzlich, das war der Horror, so etwas möchte ich auch nie wieder erleben.
Es gibt natürlich viele Schauspieler die trinken, aber das sind dann mehr so Spiegel-Trinker, die gehen nicht besoffen auf die Bühne.

Greifen denn viele Schauspieler zum Alkohol aufgrund der oft aufreibenden, intensiven Arbeit an einem Stück, die halt auch im Privatleben ihre Spuren hinterlässt?
Rois: Also, ich glaube, ich würde eher saufen, wenn ich an irgendeinem langweiligen Stadttheater wäre, da müsste ich dann meinen Frust irgendwie wegtrinken.

Aber stehen Sie nicht auch gelegentlich unter Druck?
Rois: Ich bin natürlich ein Adrenalin-Junkie, deswegen mache mir selber auch viel Stress – davon möchte ich aber nicht beherrscht werden. Ideal ist ein Zustand, wo man so auf Adrenalin dahinsegelt und gleichzeitig ein Gefühl hat a la: die können mich alle mal.

Und der Druck kommt nicht von Seiten der Regisseure?
Rois: Nein, Gott sei Dank gar nicht. Und das möchte ich bitte auch nicht mehr, dass ich irgendwie klapprig werde, nur weil da irgend ein Regisseur schaut. Mit Angst kann ich überhaupt nicht arbeiten, das schaufelt bei mir keine kreativen Kanäle frei.

Aber nehmen wir als Beispiel einmal den "Idiot" von Dostojewski in der Inszenierung von Frank Castorf, die Sie an der Berliner Voksbühne spielen – da steckt so eine allgemeine Hysterie drin …
Rois: Ja, natürlich! Hysterie ist eine ganz große Antriebskraft in meinem künstlerischen Leben. Ja, ich bin hysterisch und wenn man mir früher immer gesagt hat: "Das wirkt jetzt aber hysterisch" dachte ich immer: "Ja, und? Ist das kein erlaubtes Ausdrucksmittel?" Bis ich irgendwann Leute getroffen habe, wie zum Beispiel Schlingensief, die gesagt haben: "Ja, Hysterie auf der Bühne, das ist gut!" Das ist bei mir eine Form von Energie, die einfach da ist. Natürlich kann man mit mir nicht jede Ausdrucksweise, nicht jede Rolle machen, ich kann einem Regisseur nicht alles spielen. Ich bin kein Verwandlungskünstler, sondern es gibt nur mich in der Auseinandersetzung: was passiert, wenn ich mit einem bestimmten Text aufeinanderpralle. Aber ich kann jetzt nicht so tun, als wäre ich jemand komplett anderes. Ich kann mich nicht in eine erdgebundene, in ihrem Uterus fest ruhende Frau verwandeln.

Und wie sind Sie mit der Rolle der Isabelle Baumann umgegangen?
Rois: Ich klebe mir eine Zeit lang diese Trainerin auf die Brust und schmeiße sie dann irgendwann wieder weg. Mir haben zum Beispiel die Stadien-Szene sehr viel Spaß gemacht, da in den Nationalfarben im Münchener Olympiastadion rumzustehen und zu schreien: "Dieter, nimm die Beine in die Hand" – das ist super, weil das auch einfach so eine Anmaßung ist, da habe ich einen ganz kindischen Spaß dran.

Aber Nationalfarben – Sie sind doch Österreicherin, oder?
Rois: Ja, eben, um so besser. Deutsche, oder österreichische Nationalfarben ist ja sowiseo blöd, dass man da in so einem bescheuerten Trikot rumläuft – wobei die Isabelle Baumann übrigens auch Österreicherin ist.
Aber diese Trainingsklamotten, nein, so etwas habe ich noch nie in meinem Leben angezogen, seit der Schule nicht, und ich würde so etwas auch ums Verrecken nicht anziehen. Das war auch das, wovor ich beim Dreh am meisten Angst hatte, weil ich dachte, das macht mein Körper einfach nicht mit. Aber es hat mir dann doch totalen Spaß gemacht.

Sie haben gesagt, die Rolle der Trainerin kleben Sie sich auf, werfen Sie dann wieder ab – gibt es aber Rollen, die Sie nicht so schnell wieder wegschmeißen, die Sie noch länger beschäftigen?
Rois: Weniger. Meine schauspielerische Identität rührt ja hauptsächlich vom Theater her. Und wenn Sie beispielsweise den "Idiot" gesehen haben, da spielt man ja nicht eine durchgehende Rolle, da ist das Handeln auf der Bühne voller Brüche. Bei Castorf oder Pollesch werde ich Gott sei Dank nicht aufgefordert eine Rolle zu erfüllen, im konventionellen Sinn. Sondern da entstehen ganz andere Momente, die gar nichts mit einer Rollenpsychologie zu tun haben.

Ihre schauspielerische Identität ist in gewisser Weise auch mit ihrer Stimme verbunden, die ja meist ungewöhnlich rau und heiser klingt. Wann hat sich das so herausgebildet?
Rois: Das hatte ich schon als Kind und an der Schauspielschule wollten die mich immer zum Arzt schicken. Das Erste, was der Stimmlehrer am Max-Reinhardt-Seminar zu mir gesagt hat, war: "Übrigens, ich habe dagegen gestimmt, dass du hier aufgenommen wirst, weil mit deiner Stimme gehörst du nicht auf die Bühne, sondern ins Krankenhaus." Das war natürlich eine ganz tolle Voraussetzung für einen fruchtbaren Stimmunterricht bei Herrn Professor Koblenzer. Ich habe aber eine total kräftige Stimme bekommen.

Unsere Schlussfrage: Das Leben ist ein Comic – welche Figur sind Sie?
Rois: Oh, das ist eine gute Frage. Hmm, da gibt es immer wieder welche, mit denen ich mich identifiziere. Aber wer? Also, ich hab’s: ich bin Duffy Duck!

Weil der…
Rois: … ein Angeber ist und sich immer sofort allen Erfolg anzieht, auch wenn er damit gar nichts zu tun hat, und auf der anderen Seite ganz faul ist. Duffy Duck ist mir wirklich ganz nah, da gibt es auch ein Schlüsselerlebnis, das ich mit Duffy Duck hatte. Das war ein Comic mit einer Gans, die auf einmal ein goldenes Ei legt. Große Aufregung im Hühnerstall, aber die Gans sagt: "Ich möchte nicht verantwortlich sein für dieses Ei, weil ich weiß was jetzt passiert: es kommt die Presse usw. und ich habe damit nur Ärger." Da meldet sich sofort Duffy Duck und sagt: "Kein Problem, dann sage ich, ich hätte das goldene Ei gelegt." Kurz darauf kommt tatsächlich die Presse, Duffy kommt in die Zeitung und ist ganz stolz. Er wird aber sofort von der Mafia entführt und die möchten, dass er ganz viele goldene Eier legt. Jetzt kann er das natürlich nicht und versucht, das ein bisschen rauszuzögern. Er sagt, was er so alles dafür brauchen würde, sitzt schließlich am Swimming-Pool mit Sonnenbrille und Drink und Zigarre in der Hand, um ihn herum so nette Miezen – aber irgendwann werden die Mafiosi ungeduldig und drohen ihm: "In 24 Stunden legst du jetzt ein goldenes Ei, oder wir drehen dir den Hals um." Er schwitzt, rennt auf und ab und er weiß nicht, wie er das lösen soll. Und dann sperren die Mafiosi seine Kammer nach 24 Stunden auf und Duffy Duck liegt schwitzend in einem Strohhaufen, die Schweißperlen tropfen ihm nur so von der Stirn – und er hat tatsächlich ein goldenes Ei gelegt.

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