Ruth Maria Kubitschek

Ich bin froh, dass ich nicht mehr sexy sein muss.

Ruth Maria Kubitschek ist "Frau Ella", mit 82 Jahren ist die große Schauspielerin an der Seite von Matthias Schweighöfer im Kino zu sehen. Im Interview spricht sie offen über würdevolles Älterwerden, jüngere Männer, einen Besuch beim Arbeitsamt, Spiritualität und das Thema Selbstmord.

Ruth Maria Kubitschek

© Agnes Forsthuber

Frau Kubitschek, Sie schreiben in Ihrem Buch „Anmutig älter werden“: „Erfolg zu haben ist manchmal schwerer, als keinen Erfolg zu haben.“ Haben Sie unter Ihrem Erfolg gelitten?
Ruth Maria Kubitschek: Nein, Erfolg ist schön, tut gut, aber er hält nicht. Man denkt, es geht immer so weiter, aber morgen musst du wieder beweisen, wer du bist, was du kannst. Nach meinem Erfolg im „Monaco Franze“ habe ich München absichtlich verlassen. Ich habe den Sinn des Lebens gesucht. Warum bin ich auf der Erde, was mache ich hier? Ist der Beruf das Einzige, was mein Sein ausmacht?

Die Schauspielerei war Ihnen zu oberflächlich?
Kubitschek: Nicht direkt der Beruf, aber das Äußere, was man so machen muss um weiterzukommen. Als ich jung war bin ich im schönen Kleid auf Partys um Leute zu treffen. Aber das bringt dich nicht weiter, eine Rolle kriegste deshalb keine. Jedenfalls ich nicht, vielleicht klappt das bei anderen. Deshalb war dieser Entschluss, das alles hinter mir zu lassen, für mein Leben sehr wichtig. Ich bin kreativ geworden, habe Bücher geschrieben und Bilder geschaffen. Das war eine andere Art von Erfolg, einer, den ich in mir selbst hergestellt habe.

Vielleicht war es auch eine Flucht? In München hat man sie überall erkannt und angesprochen. Hat Ihnen das Angst gemacht?
Kubitschek: Nein, nein, das hat mir keine Angst gemacht. Die Menschen waren entzückend zu mir. Aber ich habe gewusst, wenn ich mich darauf einlasse, werde ich ganz äußerlich, genügsam, ruhe mich aus, bemühe mich nicht weiter.

Das klingt sehr ehrgeizig…
Kubitschek: Nee, das war ich nie, ich habe Angst vor dem Wort „geizig“. Ich habe immer gewartet und habe gewusst, ich kriege das, was ich verdiene, mehr wird es nicht. Ich habe alles gut gemacht. Aber ich habe mich nicht bemüht, mehr zu kriegen.

Sind Sie eine starke Frau?
Kubitschek: Ja. Stark, indem ich alle Ängste, die ich habe, durchlebe, abhake und ablege. Wenn du nur mutig bist, bist du ein bisschen doof. Keine Ängste zu haben ist etwas dumm.
Ich habe drei Mal neu angefangen, innerlich vielleicht sogar noch öfter. Als Kind, nach Ende des 2. Weltkrieges sind wir geflohen, als junge Frau bin ich nur mit einer Handtasche und meinem Kind aus der DDR in den Westen und München habe ich dann freiwillig verlassen. Ich bin immer innerlich bereit, wieder etwas Neues zu machen, weil ich sehr wichtig finde, dass man biegsam bleibt und loslassen kann. Wenn meine Freundin und ich unseren großen Garten, in den ich mein ganzes Geld gesteckt habe, aus Altersgründen nicht mehr halten können, dann wissen wir, wir können loslassen.

A propos Geld: 2012 zählte die Bundesagentur für Arbeit mehr als 812.000 Minijobber, die älter als 65 Jahre waren. Welche Rolle spielt Geld beim „Anmutig älter werden“?
Kubitschek: Eine große Rolle. Es ist schon wichtig, dass du nicht verhungern musst, oder deine Wohnung nicht zahlen kannst, das ist unwürdig. Wenn man sein ganzes Leben gearbeitet hat und kriegt eine winzig kleine Rente und der Staat nimmt das Geld um irgendwelche Länder was weiß ich wo zu unterstützen und im eigenen Land ist die Armut groß, ist das verantwortungslos.

Verfolgen Sie die Diskussionen um die demografische Entwicklung?
Kubitschek: Ich verfolge das sehr. Ich bekomme ca. 500,- Euro Rente. Wenn ich allein darauf angewiesen wäre, würde ich aber blöd aus der Wäsche gucken. Ich habe viel gearbeitet, aber ich hatte auch oft lange Pausen dazwischen. Doch ich habe mich nie arbeitslos gemeldet.

Warum nicht? Arbeitslosengeld hätte Ihnen zugestanden…
Kubitschek: Das ging nicht mit meiner Würde zusammen. Ich war einmal beim Arbeitsamt, weil meine Steuerberaterin sagte, ich sei schön blöd, wenn ich es nicht machen würde. Ich stand dann in der Schlange – und bin wieder weg. Das was in der schwierigen Zeit zwischen vierzig und fünfzig, wo ich nicht viel zu tun hatte, kaum verdient habe, das Kind im Internat war. Das war nicht ganz einfach.

Zitiert

Ehrgeizig war ich nie, ich habe Angst vor dem Wort „geizig“. Ich habe immer gewartet und habe gewusst, ich kriege das, was ich verdiene, mehr wird es nicht.

Ruth Maria Kubitschek

Sie beschreiben in Ihrem Buch eine Freundschaft zu zwei Männern, einem Multimillionär, der Ihnen viel Geld vererbt hat und seinem schwulen Freund Hardy, der sich das Leben genommen hat. Sie schreiben über seinen Tod „So viel Mut hätte ich ihm nicht zugetraut“. Wir sprachen eben über das Loslassen. Könnten Sie sich vorstellen, sich das Leben zu nehmen?
Kubitschek: Das war kein Loslassen, dieser Freund ist mit dem Leben nicht fertig geworden. Er war ja nicht krank. Er hat ein bisschen viel getrunken und war nicht glücklich. Abzuhauen mit 54…ich glaube, der ist völlig betrunken in den See. Aber ich bin ja glücklich, warum soll ich gehen?

Wenn sich herausstellt, dass man an einer unheilbaren Krankheit leidet, z.B. an Alzheimer, wie Gunther Sachs…
Kubitschek: Nein, ich würde das nicht machen. Wenn ich mir das Leben nehmen würde und vor Schwierigkeiten fliehen würde, muss ich das im nächsten Leben wieder ausbügeln. Das fände ich blöd. Ich glaube fest an eine Wiedergeburt.

Das klingt, als wäre Selbstmord für Sie eine Sünde?
Kubitschek: Sünde ist es nicht, Sünde ist überhaupt ein blödes Wort. Typisch katholische Kirche. Ich schreibe ja auch, wir sind nicht in Sünde geboren, das ist vollkommener Quatsch, das ist ein Dogma, was Jesus nie hatte. Ich habe die Einstellung: Mädel du musst wieder kommen und alles, was du tust, ist allein deine Verantwortung und wenn du jetzt gehst und Selbstmord machst, ist es einfach blöd!

Sie sind sehr diszipliniert?
Kubitschek: (lacht) Ich bin Löwe, und habe eine gewisse Langsamkeit, Faulheit und Großzügigkeit in allem. Aber ich bin sehr diszipliniert, ja.

Was könnte die junge Generation von Ihnen lernen?
Kubitschek: Junge Frauen sollen nicht denken, dass das Leben mit vierzig vorbei ist. Und nicht nach einem Mann suchen, der sie erhält. Jede junge Frau muss versuchen, auf eigenen Füßen zu stehen.

Jetzt sprechen Sie sehr emanzipiert…
Kubitschek: Ja, das war ich immer. Ich bin schon mit 16 auf die Schauspielschule gegangen, und habe mich seitdem immer selbst durchgebracht. Ich war einmal verheiratet (Anm. mit Götz Friedrich), aber da waren wir beide noch sehr jung.

Seit über dreißig Jahren sind Sie mit dem Fernsehproduzenten Wolfgang Rademann („Das Traumschiff“, Anm.) liiert. Madonna, Simone Thomalla, Nina Hagen – viele Frauen suchen sich mittlerweile einen wesentlich jüngeren Mann. Hätten Sie sich das vorstellen können?
Kubitschek: Nein, nie. Dann hätte ich unter dem Älter werden wirklich gelitten. Ich bin froh, dass ich alt bin, dass ich nicht mehr sexy sein muss, da ist eine große Last abgefallen. Ich freue mich auch immer auf meinen Geburtstag. Nur alt aussehen, das möchte ich nicht. Im Oktober startet mein neuer Film, „Frau Ella“, da spiele ich eine 87-jährige Frau, habe per Make-up tausend Falten bekommen, und eine weiße Perücke, da habe ich mich dann doch erschrocken, als ich in den Spiegel geschaut habe. Zu Hause habe ich alle weißen Haaransätze gleich wieder blond gefärbt.

© Archiv Ruth Maria Kubitschek

© Archiv Ruth Maria Kubitschek

Glauben Sie, dass es Männern leichter fällt, zu altern?
Kubitschek: Nee. Deshalb verlassen doch viele Männer mit fünfzig ihre netten Frauen und suchen sich eine Jüngere, das ist nur Angst vorm Altern. Dadurch werden sie ja nicht jünger, sie werden nur ihr Älterwerden umso mehr spüren. Viele Dinge kann und will man im Alter nicht mehr, weil man das alles schon mal gemacht hat. Mit einer jungen Frau sind solche Männer gestraft.

Der Film „Wolke 9“ thematisiert Liebe und Sex im Alter, zeigt Erotik zwischen alten Menschen. Könnten Sie sich vorstellen, Sexszenen zu spielen?
Kubitschek: In meinen Romanen „Wunder der Liebe“ oder „Im Fluss des Lebens“ haben Frauen um die 70 Verhältnisse mit Männern und es gibt sehr erotische Szenen. Aber im Film gab es nur einen Kuss oder eine Umarmung, mehr nicht. Erotik im Film muss so ästhetisch gemacht sein, dass man nicht erschrickt. Ich würde es auf der Leinwand nicht machen. Im Leben finde ich es natürlich wunderbar.

Sophia Loren hat sich mit 2007 mit 72 Jahren für den Pirelli Kalender ausgezogen…
Kubitschek: Sie ist sehr schön. Und ein bisschen gerafft.

Erschrecken Sie manchmal, wenn Sie Ihre Kolleginnen sehen?
Kubitschek: Ich bin ja alleine. Wer ist schon achtzig? Die sind ja alle siebzig, aber auch schon gerafft.

Also kein Botox?
Kubitschek: Um Gottes Willen! Nichts. Nie. In unserem Beruf ist das Gesicht das wichtigste Ausdrucksmittel. Mit dem Geld sollte man lieber in den Urlaub fahren, statt es Ärzten zu geben.

Dabei liegt die Bodenseeklinik von Werner Mang, Deutschlands größte Schönheitsklinik bei Ihnen um die Ecke…
Kubitschek: Ach der da, stimmt. Ich kenne ihn nicht.

Was halten Sie von Kollegen, die sich operieren lassen?
Kubitschek: Na ja, wenn sie das für ihr Seelenheil brauchen? Dieser Schönheitstick ist ein bisschen bekloppt. Schönheit sind deine Augen, dein Ausdruck, dein Lachen, deine Weisheit, aber nicht ein glattes Gesicht. Man kann doch nicht Zeit, Erfahrungen, Schmerz, Trauer einfach wegschneiden.

Wer sieht denn Ihrer Meinung nach noch mit 80 gut aus?
Kubitschek: Der Siggi Rauch vom Traumschiff…der hat doch einen tollen Kopf. Wunderbar. Die Hörbiger sieht auch gut aus, aber die ist erst Mitte 70, glaube ich.

Sie meditieren täglich und schreiben, dass Ihre Meditationen im Garten häufig die Männer besonders berührt haben. Warum glauben Sie, ist das so?
Kubitschek: Weil die sich gar nicht die Mühe machen, ihre Füße mal auf den Boden zu stellen, und zu spüren, dass da ein lebendiges Wesen unter ihnen ist, das atmet, sonst würde ja nichts wachsen. Und das spüren sie dann, das erschüttert sie, weil sie sonst dran vorbei gehen und es nicht wahrnehmen. Oder es sich nicht eingestehen, weil es nicht männlich ist.

Meditiert Ihr Lebensgefährte Wolfgang Rademann auch?
Kubitschek: (lacht) Nee. Aber der merkt schon, wenn ich mal nicht meditiere. Der spürt die Energie an mir. Aber Männer werden irgendwann meditieren müssen, damit sie ihre Ruhe finden, damit sie nicht getrieben werden, gerade die Manager, die bräuchten diesen einen Moment Stille.

Jesus, Buddha, Gandhi…spirituelle Führer sind immer Männer gewesen, nie Frauen…
Kubitschek: Ja, auch Nelson Mandela ist ein ganz spiritueller Mann gewesen. Seine Antrittsrede 1994 war wundervoll: „Es ist unser Licht, nicht unsre Dunkelheit, die uns am meisten Angst macht…wir sind alle bestimmt, zu leuchten.“ Das heißt, wir haben nur Angst vor unserer Stärke, nicht vor unserer Schwäche. Stellen Sie sich vor, so ein Satz in einer Antrittsrede einer Regierung!

Brauchen wir mehr Spiritualität in Zeiten der Wirtschaftskrise?
Kubitschek: Ja, aber wer könnte den Menschen sagen: Ihr müsst nach innen gehen?

Warum haben Sie sich nie politisch engagiert wie z.B. Ihre Kollegin Barbara Rütting, die 2003 und 2008 für Bündnis 90/Die Grünen in den Bayerischen Landtag gewählt wurde?
Kubitschek: Tja…zu spät. Wobei, ich habe in der DDR schon meinen Mund aufgerissen. Deswegen bin ich auch gegangen, weil ich gesagt habe, in so einem diktatorischen Staat gehe ich unter. Ich sage hier auch meine Meinung, aber hier nimmt man das ja nicht so wahr.

Man nimmt Ihre Meinung nicht wahr?
Kubitschek: Zum Beispiel, wenn ich sage, ich glaube an Inkarnation, oder dass ich den Christus am Kreuz für ein furchtbares Symbol halte. Wenn man ihm den Kopf abgeschlagen hätte, was hätten sie dann gemacht? Eine Schüssel mit Kopf? So was sage ich, aber da regt sich ja nicht mal einer auf. Ich finde, die Kinder sollten das nicht im Klassenzimmer haben.

Woran liegt es, dass sich keiner darüber aufregt?
Kubitschek: Es ist wurscht. Aufgeregt wird sich über dramatische Dinge, die man im Fernsehen sehen kann. Wir müssten schon längst umgedacht haben, andere Autos fahren, andere Heizungen haben. Deshalb habe ich so viele Bücher geschrieben, um immer wieder darauf hinzuweisen, aber natürlich in viel zu netter Form.

Als Sie damals die Spiritualität für sich entdeckt haben, haben Sie viele nicht ernst genommen und gesagt: „Jetzt spinnt Sie, das Spatzl“. Haben Sie Freunde verloren?
Kubitschek: Nein. Ich hatte nie viele Freunde. Und die anderen… es ist ihr gutes Recht mich spinnert zu finden.

Sie beschreiben in Ihrem Buch Reisen nach Indien oder in den Oman, wo Sie Spiritualität besonders empfunden haben. Wie spirituell ist Deutschland?
Kubitschek: Gute Frage. Heute haben in Deutschland viele umgedacht, und sind aufgewacht, glaube ich. Weil die katholische und evangelische Kirche keine Vorbilder mehr liefern und keine Philosophie haben, streben viele Leute zum Buddhismus. Die Inkarnationslehre zu streichen, war ein großer Fehler der christlichen Kirche.

Sie glauben, wir wären anständiger, wenn wir wüssten, wir werden wiedergeboren?
Kubitschek: Vielleicht. Andererseits liegt auch eine Gefahr im Ertragen und Hinnehmen. In Indien sitzen die Unberührbaren im Tempel, sind etwas lahmarschig, weil sie denken, ich habe verdient, dass mir das geschieht und das soll so sein. Anstatt zu sagen: OK, das ist Scheiße, aber jetzt packe ich es an und verbessere meine Situation.

Das Wort „anmutig“ klingt ganz schön altmodisch. Warum haben Sie Ihr Buch „Anmutig älter werden“ genannt?
Kubitschek: Ich habe eine Freundin, Gudrun. Wir kennen uns nicht, wir telefonieren nur. Wir reden über das Leben, wie man damit fertig wird, über Leute, die ins Altenheim gehen, alle diese Dinge. Sie kam auf die Idee „anmutig“. Der Rademann findet das auch altmodisch, er meint, es sollte viel frecher sein. Ich finde es schön. Da steckt Fröhlichkeit drin, Biegsamkeit, nicht knöchern werden im Alter.

Und deshalb sind Sie nicht knöchern, sondern anmutig älter geworden…
Kubitschek: Ich kenne so alte Weiber, wo die Lippen nicht mehr vorhanden sind und die richtig stur werden. Die denken, früher war alles besser, heute alles schlecht. Und das steckt in dem Wort anmutig eben nicht drin!

Bereuen Sie rückblickend etwas?
Kubitschek: Gar nichts. Es war alles richtig. Ich habe durch alles gelernt. Und wenn’s schwer war, hab‘ ich’s glatt vergessen. (lacht)

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