MMA-Veranstalter Marcus Wortmeier

Strikt ab 18

Mixed Martial Arts-Kämpfe werden häufig als brutal kritisiert, denn auch auf einen am Boden liegenden Kämpfer darf weiter eingeschlagen werden. Einlass zu den Veranstaltungen ist ab 18 Jahren – diese Altersgrenze sollte auch für Internet-Streams gelten, sagt MMA-Veranstalter Marcus Wortmeier im Interview.

MMA-Veranstalter Marcus Wortmeier

© Stefan Kirste

Marcus Wortmeier ist Veranstalter von Mixed Martial Arts-Kämpfen in Deutschland, die demnächst in Hamburg, Stuttgart, Berlin und Oberhausen ausgetragen werden (Eintritt ab 18 Jahren). Er bemüht sich um ein positives Image der Disziplin, die in Deutschland vor einigen Jahren noch auf heftigen Widerstand stieß. Kritisiert wird u.a. dass bei MMA auch dann auf den Gegner eingeschlagen werden darf, wenn dieser bereits am Boden liegt.
Wortmeier nennt seine Veranstaltungsreihe „We Love MMA“, er lädt Journalisten zum Probetraining ein, er weist stets auf das MMA-Regelwerk hin (Link) – und er autorisiert seine Interviews. Auch aus dem folgenden sehr ausführlichen Interview hat er Passagen gestrichen, was wir bedauern. Dies betraf insbesondere Äußerungen zum Sterberisiko bei MMA und zur allgemeinen Kampfsport-Akzeptanz in Deutschland. Den Fall des im März 2014 gestorbenen MMA-Kämpfers Booto Guylain wollte Wortmeier beim Gespräch nicht zur Kenntnis nehmen.
Wortmeier befürwortet, MMA-Kämpfe im Internet erst ab 18 Jahren zugänglich zu machen. Über seine eigene Internetpräsenz sind MMA-Videos allerdings nach wie vor ohne Altersabfrage abrufbar. Das Interview entstand im März 2014.

Herr Wortmeier, was haben Sie gemacht, bevor Sie Veranstalter der Reihe „We love MMA“ wurden?
Wortmeier: Ich bin seit Jahren im Konzertgeschäft tätig, als Independent-Agent. Ich vermittle Künstler auf exklusiver oder non-exklusiver Basis, das mache ich schon seit fast 20 Jahren.

Was waren in der Branche die Highlights für Sie?
Wortmeier: Eingestiegen bin ich 1996 mit den Backstreet Boys, danach war ich sehr viel im Teen-Pop-Bereich unterwegs, auch drei Jahre als stellvertretender Geschäftsführer einer Münchener Agentur, die für Deutschland Künstler wie Caught in the Act, DJ Bobo oder N’Sync unter Vertrag hatte. Ich hatte immer schon mein eigenes Geschäft, als örtlicher Veranstalter habe ich in meiner Heimatstadt Gütersloh angefangen. Und dann habe ich 2009 ein MMA-Event in Köln gesehen, organisiert von der UFC, der größten MMA-Gesellschaft, die weltweit operiert.

Das Event war damals schon umstritten, oder?
Wortmeier: Nicht mehr oder weniger umstritten als heute auch. Aber das basiert auf Unwissenheit. Bei diesem Sport sind tatsächlich viele Erklärungen notwendig.

Zu den Erklärungen kommen wir gleich. Zuvor: Was konkret gab bei diesem Kampf in Köln den Ausschlag dafür, dass Sie selbst MMA-Veranstalter wurden?
Wortmeier: (überlegt) Es war zum einen die Masse, die Begeisterungsfähigkeit der Zuschauer. Und für mich war interessant, etwas außerhalb der Musikbranche zu machen. Letztendlich sind wir ja auch Logistiker und so ein Sport braucht eine gute, vernünftige Logistik, gute PR und ein gutes Marketing. Für mich war es die Herausforderung, einen Sport zu veranstalten, der in Deutschland eigentlich noch keine festen Strukturen hatte. Ich habe damals nicht damit gerechnet, dass es so viel Gegenwehr gibt. Dass diese Unwissenheit da ist, spornt aber natürlich auch an, Aufklärungsarbeit zu machen.

Und je größer der Konflikt um die Sportart wurde, desto mehr waren Sie angespornt?
Wortmeier: Angespornt, das aufzuklären, dann aber auch das Ergebnis zu sehen. Damals hat die Presse ja noch katastrophal darüber berichtet. Inzwischen sieht man, wie sich das wandelt. Auch die Kritiker setzen sich mit dem Thema jetzt richtig auseinander, das ist interessant und spannend.

Zitiert

Es verirren sich auch Leute zu uns, die annehmen, bei MMA handele es sich um eine wilde Prügelei.

MMA-Veranstalter Marcus Wortmeier

Wie viele MMA-Profis gibt es in Deutschland?
Wortmeier: Es gibt vier bis fünf deutsche Spitzensportler, die davon leben können, die sind alle exklusiv an die UFC gebunden. Die üblichen Sportler sind Amateursportler und kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen. Es sind viele Studenten dabei, Sportwissenschaftler, es gibt auch viele, die einen Beruf im Security-Bereich oder als Bodyguard haben, andere arbeiten als Trainer in den Gyms, oder sie haben halt einen anderen ganz normalen Beruf, Rechtsanwälte, Arbeiter.
In Berlin gibt es rund 250 Kampfsportschulen, die diese Sportart oder Einzelsportarten daraus unterrichten.

Und die Amateure kämpfen nach den gleichen Regeln wie die Profis?
Wortmeier: Nein.

Wie sieht es im Moment mit der Fanbase für MMA in Deutschland aus?
Wortmeier: In Berlin gehen wir jetzt in eine Halle mit 3.000 Plätzen, bisher haben wir eine 1.000er-Halle sechs mal ausverkauft. Und in Oberhausen haben wir dieses Jahr aus dem Stand, als neue Organisation, 2.000 Tickets verkauft.

Welche Rolle spielt die Rückkehr der UFC nach Deutschland, die im Mai 2014 in der Berliner O2-Arena Kämpfe ausrichtete?
Wortmeier: Das ist das Beste, was uns passieren konnte, weil die in den Medien noch eine viel breitere Präsenz schaffen. Die können mit ganz anderen Budgets arbeiten.

Es wird unter den verschiedenen Veranstaltern also noch nicht um den Markt gekämpft?
Wortmeier: Nein. Das könnte man da vielleicht reininterpretieren, aber die fangen bei einem Ticketpreis von 50 Euro an und hören bei 550 auf (Vip-Ticket), und es gibt internationale Kämpfer. Wir fangen bei 20 Euro an und unser Ticket in der ersten Reihe kostet 65 Euro, wir haben nationale Kämpfer, wo der Kämpfer auch mal seine Familie und Co. mitbringt. Es ist also ein ganz anderer Anspruch als bei der UFC.

Was würden Sie selbst ausgeben, für einen internationalen UFC-Kampf?
Wortmeier: 80 bis 100 Euro.

Wie viele Kämpfe sieht man denn an einem Ihrer Veranstaltungsabende?
Wortmeier: Zwischen zehn und 14, das variiert immer ein bisschen. Insgesamt dauert es vier Stunden, 19 Uhr ist Einlass, 23 Uhr ist Ende.

Einlass ist ab 18 Jahren, wie strikt wird das gehandhabt? Dürfen Minderjährige in Begleitung der Eltern zu Ihren Veranstaltungen?
Wortmeier: Nein, es gibt keine Ausnahmen. Wobei das in der Regel ein Entgegenkommen gegenüber der Stadt ist, denn eigentlich ist unser Event nicht genehmigungspflichtig. Um aber nicht mit dem Jugendschutz etc. zu kollidieren, haben einige Städte den Wunsch, dass der Eintritt erst ab 18 ist und dem kommen wir nach. Da sind wir eher harmoniesüchtig.

In den USA trainieren auch viele Kinder MMA und treten in Kämpfen gegeneinander an. Würden Sie Kämpfe veranstalten, an denen Teenager teilnehmen?
Wortmeier: Nein.

Warum nicht?
Wortmeier: Weil ich nicht beurteilen kann, ob die in der Reife sind, ob sie den Entwicklungsstand haben. Unter 18 ist derjenige nicht geschäftsfähig, in dem Fall würden wir das auch nicht machen. Wir bekommen viele Anfragen von Eltern, deren Sohn erst 17 ist und dem Sport nachgeht – aber das verneinen wir rigoros.

Sie wollten bereits 2009 ein Event (damals „XFC“) in Berlin veranstalten, woraufhin sich die Stadt entschloss: Stadteigene Hallen werden für MMA nicht zur Verfügung gestellt. Ist das noch der Status Quo?
Wortmeier: Das weiß ich nicht, weil wir jetzt in privaten Hallen sind. Damals habe ich mit einem örtlichen Veranstalter gearbeitet, der einen bestehenden Vertrag mit der Halle hatte. Die Halle wurde dann aber vom damaligen Innensenator unter Druck gesetzt, den Vertrag aufzulösen.
Ob sich die Situation beim neuen Innensenator geändert hat, weiß ich nicht. Wir haben mit Berlin in der Sache keinen weiteren Kontakt. Uns wurde aber schon damals bestätigt: es ist kein genehmigungspflichtiger Event.

Der „Deutsche Olympische Sportbund“ verweigerte MMA die Anerkennung als Sportart. Hat sich daran irgendwas geändert?
Wortmeier: Ich weiß nicht, ob die es nicht anerkennen. In Mixed Martial Arts werden allerdings fünf Sportarten angewandt, die olympisch sind. Da ist Verbandsarbeit gefragt, da muss noch Aufklärungsarbeit geleistet werden. Ich denke, man hat sich damals 2009, einfach sehr weit aus dem Fenster gelehnt, als man das verteufelt hat. Als die UFC 2011 in Oberhausen war, da hat sich die Politik schon kaum mehr gerührt zu dem Thema.

Wenn man die Anfänge der Mixed Martial Arts in Amerika mit den Kämpfen, die heute in Deutschland ausgetragen werden, vergleicht – was hat sich geändert?
Wortmeier: Es hat sich sehr viel verändert. Am Anfang gab es glaube ich noch gar keine Regeln, das wurde dann erst von der UFC initiiert, um MMA gesellschaftsfähig zu machen. Die UFC hat mit der US-Regierung ein Regelwerk erarbeitet und eingeführt, was der deutsche Verband dann auch übernommen hat, Ende der 90er, Anfang der 2000er Jahre, weil es ansonsten in Deutschland kein Reglement von einer offiziellen Stelle gibt.

Ist es für Ihre Arbeit, Ihre Veranstaltungen von Relevanz, dass MMA-Kämpfe in Deutschland nicht im Fernsehen übertragen werden dürfen?
Wortmeier: Ja, natürlich. Doch auch da steckt viel Unwissenheit drin. Es gibt ja kein generelles Fernsehverbot. Nur die bayerische Landesmedienanstalt hat eine UFC-Serie untersagt.

Und das Verfahren beim Bundesverfassungsgericht?
Wortmeier: Dort wurde nur verhandelt, ob die UFC direkt gegen das Verbot klagen darf oder ob der Sender klagen muss. Meines Wissens kann die UFC selbst gegen die Landesmedienanstalt klagen und muss nicht den Umweg über den Sender gehen.
Die Landesmedienanstalt Niedersachsen beispielsweise hat damals gesagt, dass sie die UFC-Sendung ausstrahlen würde. Es ist eher das bayerische Problem, viele Fernsehsender, die ganze Prosieben-/Sat1-Gruppe, sind ja in Bayern ansässig. Die halten sich bei dem Thema zurück, weil sie den öffentlichen Konflikt scheuen. Ich weiß aber, dass die UFC in Deutschland sehr nah an einem Fernsehvertrag dran ist. Darüber hinaus überträgt die UFC ihre Kämpfe weltweit via Live-Stream ins Internet. In Deutschland waren die Streams bis vor kurzem kostenlos, ohne Altersbeschränkung. Weil sich die UFC gesagt hat: Wenn ihr uns hier ärgern wollt, dann streuen wir das in Deutschland halt kostenlos auf den Markt.

Das Hauptargument der Gegner einer Ausstrahlung ist der Jugendschutz. Wie wichtig ist Ihnen der Jugendschutz?
Wortmeier: Die meisten Einzelsportarten, die im MMA vorkommen, Judo, Karate, Boxen etc. werden von Jugendlichen und Kindern trainiert und ausgeführt. Dennoch wollten wir uns aus der Diskussion raushalten und auch keine Wertung vornehmen. Deshalb haben wir gesagt: Unsere Veranstaltungen sind strikt ab 18. Das ist auch der Wunsch der Städte und dem kommen wir nach.

Die Realität sieht nun so aus, dass im Prinzip jeder Jugendliche sich im Netz MMA-Kämpfe anschauen kann, auf Youtube oder in den von Ihnen erwähnten Streams der UFC, ohne dass das Alter kontrolliert wird. Finden Sie das bedenklich?
Wortmeier: Das müssen eigentlich die Eltern für den Jugendlichen entscheiden: Kann er Realität, Computerspiel und unseren Sport auseinanderhalten?
Jetzt, wo wir mit unseren Events die breite Masse ansprechen, verirren sich allerdings auch Leute zu uns, die annehmen, bei MMA handele es sich um eine wilde Prügelei. Die wundern sich dann dass es einen Ringrichter gibt, dass eine Runde abgebrochen werden kann. Es ist eben keine Straßenschlägerei. Jeder, der bei uns in dem Event ist, sieht, nach welchem strengen Reglement das abgehalten wird.

Und wenn es eine konkrete Regelung bräuchte, welche Altersgrenze würden Sie persönlich setzen?
Wortmeier: Ich halte mich daran: ab 18. Da ist man volljährig, da soll man selbst entscheiden, ob man sich das anschauen kann oder nicht.

Was meinen Sie damit „aufgrund der deutschen Gesellschaft“?
Wortmeier: Es gibt Länder, wo der Kampfsport viel stärker in der Gesellschaft verankert ist, in Asien oder Amerika, wo in den Schulen schon früh Kampfsport und Vollkontaktsport unterrichtet wird….

…weshalb man dort auch ein anderes Verständnis und anderes Verhältnis zu MMA hat?
Wortmeier: Ja.

Besteht darin dann die Gefahr in Deutschland? Dass ein Zuschauer MMA falsch auffassen könnte, weil er kein Verständnis von Kampfsport hat?
Wortmeier: Ja, in anderen Ländern werden die Kinder ganz anders an den Kampfsport herangeführt als in Deutschland. Hier werden ja in der Regel keine Kampfsportarten an der Schule unterrichtet.

Wenn man versuchen würde, auch im Internet bei MMA-Videos bzw. -Streams eine Altersbeschränkung ab 18 Jahren herbeizuführen, wäre das in Ihrem Sinn?
Wortmeier: Ja, das würde Sinn machen. Ich weiß allerdings nicht, ob die UFC das genauso sieht.

Kritiker führen an, dass das Anschauen von Kampf-Szenen, wo auch noch weiter auf den Gegner eingeschlagen werden darf, wenn dieser bereits wehrlos am Boden liegt, jugendgefährdend ist. Teilen Sie die Einschätzung?
Wortmeier: Das hängt davon ab, wie es dargeboten wird. Wenn es nur eine reine Kampfszene ist, in der jemand auf dem Boden liegt und auf ihn eingeschlagen wird, dann macht das keinen Sinn, das zu übertragen. Wenn aber dabei erklärt wird: der befindet sich jetzt in dieser oder jener Position, wenn ein Ringrichter dabei ist etc. dann wird dem Zuschauer klar: das ist keine wilde Straßenschlägerei, der Sportler kann sich in dieser Position auch noch verteidigen oder durch abklopfen, den Kampf beenden.

Ein Journalist der Frankfurter Rundschau stellte in einem Artikel über MMA die Frage: „Sendet eine körperliche Auseinandersetzung, bei der auch dann weitergekämpft werden darf, wenn ein Gegner angeschlagen zu Boden taumelt, das richtige gesellschaftliche Signal?“
Wortmeier: (überlegt) Das ist keine MMA-spezifische Frage. Das ist beim Boxen genauso.

Wir möchten mit Ihnen über MMA reden. Und da gibt es häufig Szenen, in denen Kämpfer am Boden liegen und weiterhin Schläge an den Kopf bekommen.
Wortmeier: Im MMA-Regelwerk steht: Wenn der Gegner sich nicht mehr intelligent verteidigen kann, dann wird der Kampf sofort abgebrochen.

Was bedeutet das genau?
Wortmeier: Es bedeutet zum Beispiel, dass der Kampf abgebrochen wird, wenn jemand aus einer Würge- oder Griffsituation nicht mehr herauskommt. Allerdings: Nur weil jemand rückwärts fällt, muss er ja nicht unbedingt wehrlos sein. Wenn ich auf dem Boden bin, bin ich nicht automatisch in der schlechteren Position. Jemand, der auf einem drauf sitzt und von oben die Griffe anwendet, ist eigentlich sogar in der schlechteren Position, weil derjenige, der unten liegt, eine viel größere Auflagefläche hat.

Laut Reglement sind Tritte gegen jemand, der am Boden liegt, verboten. Doch Schläge sind erlaubt – wo liegt da der Unterschied?
Wortmeier: Die Schläge sind nicht so hart. Wenn einer auf einem Gegner sitzt hat er gar nicht die Schlagkraft, als wenn er das wie beim Boxen aus dem Stand tut.

Wie lange dauert maximal so eine Situation, in der jemand auf dem Rücken liegt und ein anderer von oben draufschlägt.
Wortmeier: Das sind Sekunden. Das ist auch unterschiedlich. Derjenige kann aufgeben oder er befreit sich aus der Situation und dreht den Gegner, wendet seine Bodenwürgetechniken an. So wurden schon ganz häufig Kämpfe umgedreht. Das war ja das, was ich spannend fand, als ich den ersten Kampf der UFC in Köln gesehen habe. Einer lag am Boden und wurde geschlagen, aber am Ende des Tages hat er den Kampf gewonnen. Es ist keine ausweglose Situation, wenn ich am Boden liege.

JB: Ein Beispiel: Bei einem UFC-Profikampf von Fedor Emelianenko gegen Antonio Bigfoot Silva aus dem Jahr 2011 dauerte die Auseinandersetzung am Boden etwa drei Minuten, bei 30 Schlägen gegen den Kopf des Unterlegenen habe ich aufgehört zu zählen. Wenn ein Jugendlicher das sieht, vermuten Sie, dass sich dadurch sein Verhältnis zu Gewalt verändern könnte?
Wortmeier: Das kann ich nicht beurteilen, weil ich den Kampf und die Situation nicht kenne.

Es gibt solche Situationen sehr häufig in MMA-Kämpfen: einer geht zu Boden und reflexartig springt sein Gegner auf ihn und schlägt auf ihn ein. Wir glauben, dass das tatsächlich eine falsche Botschaft sendet.
Wortmeier: (überlegt) Dann müsste man den ganzen Sport anzweifeln. Es gehört dazu, dass am Boden weiter gekämpft wird, das ist bei Kampfsportarten wie Judo oder Ringen auch so. Es gibt diverse Studien, die nachweisen, dass es für den Körper nicht so gefährlich ist, im Liegen einen Schlag zu bekommen, als wenn man im Stand getroffen wird. Die Trefferfläche ist ja größer.
Wenn wir das mit Boxen vergleichen: Dort gibt es eine sehr kleine Trefferfläche, die der Sportler die ganze Zeit bearbeitet.

Welche Rolle spielt beim Erfolg von MMA die Faszination der Zuschauer für Gewalt und Brutalität?
Wortmeier: Es ist keine Gewalt und es ist keine Brutalität. Das behaupten nur Kritiker, und die noch nie auf einem MMA-Event waren. Es gibt ein festes Regelwerk. Die Sportler respektieren und schätzen sich. Nach dem Kampf liegen sie sich in den Armen und beglückwünschen sich, egal wie der Kampf ausgegangen ist. Und genau das schätzen auch die Zuschauer.

Der Deutsche Ärztetag formulierte 2010, primäres Ziel bei einem MMA-Kampf sei „die Verletzung des Gegners an Körper, Gesundheit und Leben“.
Wortmeier: Das kann deren Sicht sein, ist aber nicht belegbar.

Sie sagen, MMA hat mit der Faszination an Gewalt und Brutalität nichts zu tun. Warum gibt es dann auf MMA-Websites Hitlisten der „most violent fighters“ oder der „most brutal fighters“?
Wortmeier: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Es gibt Listen über die besten Fighter und die Titelträger – was daraus gemacht wird, von anderen Leuten, kann ich nicht sagen. Bei uns gibt es das nicht.

Im US-Staat New York sind MMA-Kämpfe verboten. Dagegen hat die UFC Klage eingereicht und brachte 2012 vor Gericht das folgende Argument: „Während es sicher Zuschauer gibt, die sich Hoffnung machen auf Brutalität, schauen zahllose Fans die MMA wegen der vielen positiven Botschaften.“ (Quelle: New York Times) – Die UFC selbst hat also bestätigt, dass es Leute gibt, die den Sport um der Brutalität willen gucken.
Wortmeier: Als wir in Oberhausen in eine neue Halle gegangen sind, haben wir an Facebook-Kommentaren gesehen, dass dort manche Leute etwas anderes erwartet hätten. Die wissen nicht, dass es ein Regelwerk gibt und schreiben dann einen Kommentar wie „Das sieht ja aus wie FSK 6, jedes Straßenschlacht-Video ist härter.“ Uns geht es um den Sport, das messen von Sportlern mit unterschiedlichen Hintergrund und den Respekt der Kämpfer untereinander. Wir liefern keine Plattform für Straßenkämpfe.

Wie groß ist der Anteil derer, die sich Hoffnung auf Gewalt machen, unter Ihren Zuschauern?
Wortmeier: Ich schätze unter ein Prozent.

Und das Motiv der anderen 99 Prozent?
Wortmeier: Das ist ganz klar der Sport. Es gibt Standing Ovations für faire Kämpfe, die Leute jubeln, wenn die richtigen Griffe gemacht werden. Das beruht auch darauf, dass wir ganz viele Karten bei den Sportschulen verkaufen. Das heißt, wir haben viele Zuschauer, die selbst hobbymäßig MMA oder andere Kampfsportarten in Sportschulen betreiben.

Sie sprachen eben von der Enttäuschung mancher Zuschauer im Bezug auf „zu wenig“ Brutalität bei MMA-Kämpfen. Ist unsere Gesellschaft vielleicht auch einfach schon zu sehr an Gewaltdarstellungen gewöhnt?
Wortmeier: Vermutlich, ja.

Ist MMA eine Art Spiegelbild der Gesellschaft?
Wortmeier: MMA ist insofern ein Spiegelbild der Gesellschaft, als dass wir aus jeder Gesellschaftsschicht Besucher bzw. Sportler haben.

Wie wäre es denn, wenn man das Regelwerk ändert und das Einschlagen auf einen am Boden liegenden Gegner verbietet?
Wortmeier: Das wäre für mich kein Hinderungsgrund, weiterhin MMA-Kämpfe zu veranstalten. Wenn sich verschiedene Kommissionen aus Medizinern, Sportlern und Verbänden für so eine Änderung entscheiden würden, dann würden wir das übernehmen. Und wenn man auf diese Weise den Deutschen Olympischen Sportbund überzeugen kann – dann muss man darüber reden.

Die Attraktivität der MMA für den Zuschauer würde nicht darunter leiden?
Wortmeier: Ich denke nicht.

Wie empfinden Sie Blut im Ring, stört Sie das?
Wortmeier: Nein. Es gehört dazu, genau wie im Boxsport. Es gibt Stellen am Körper, die bluten schneller als andere. Ich hab letztens ein Fußballspiel gesehen, bei dem ein Spieler ein Platzwunde am Kopf hatte und ein sein Gesicht und Trikot voll Blut waren. MMA ist ein Vollkontaktsport und da gehört das dazu. Wenn man das nicht mag, wird man generell keinen Kampfsport mögen. Aber es kann natürlich genauso ein guter Kampf sein, wenn kein Blut fließt.

Ab wie viel Blut wird denn ein Kampf beendet?
Wortmeier: Der Kampf wird beendet, wenn der Sportler sich nicht mehr intelligent verteidigen kann. Wenn ein Kämpfer blutverschmiert ist und er dadurch nicht weiterkämpfen kann, dann wird der Kampf sofort abgebrochen.

JB: Ich habe mir zur Vorbereitung unseres Gesprächs zwar sehr viele Kämpfe angeschaut, aber an sich halt ich einen Kampf nicht länger als zwei bis drei Minuten aus als Betrachter. Was würden Sie sagen, unterscheidet uns?
Wortmeier: Man muss Vollkontaktsport mögen. Vermutlich werden Sie sich auch keinen Boxkampf über zwölf Runden angucken können.

Könnte es auch damit zusammenhängen, dass Sie vielleicht einfach mehr an Gewaltdarstellungen gewöhnt sind?
Wortmeier: Nochmal: MMA ist für mich keine Gewalt. Ich habe noch nie in meinem Leben am Computer ein Ballerspiel gespielt, ich weiß noch nicht mal, wie man das bedient. Ich gucke auch keine Gewaltfilme.
Natürlich sehe ich auch das, was in der Tagesschau gezeigt wird, was es an Prügeleien am Alexanderplatz gibt.

Aber den Kampf im Oktagon sehen Sie zu so etwas in keinerlei Verhältnis.
Wortmeier: Zu einer Straßenprügelei? Absolut nicht. Da werden wir ja immer mit ins Verhältnis gesetzt. Aber das ist nicht so. Mit der Serie „We love MMA“ bieten wir Sportlern eine saubere Plattform an. In vernünftigen Hallen, mit vernünftiger medizinischer Versorgung, mit einem sauberen, vernünftigen Publikum, zu normalen Preisen. Das ist meine Intention, den Sport aus seiner Nische rauszuholen.

Angenommen, Sie sehen auf der Straße zwei , der eine liegt am Boden, der andere sitzt auf ihm und schlägt auf ihn ein. Was tun Sie?
Wortmeier: Ich habe so etwas noch nie gesehen. Der normale Reflex ist: Man geht dazwischen. Das ist eine Straßenprügelei und keine sportliche Auseinandersetzung mit Regeln und einem Ringrichter.

Sie würden dazwischen gehen, aber bei einem MMA-Kampf geht der Ringrichter in so einem Fall nicht dazwischen. Vor allem darin sehen die Politiker ja das Problem. Finden Sie nicht auch, dass solche Szenen die falsche Botschaft an den Zuschauer senden?
Wortmeier: Wenn man so eine Szene einzeln, isoliert und unkommentiert sieht, sicher. Aber wenn man es im Zusammenhang mit einem Kampf sieht, glaube ich, dass es sich komplett relativiert.

Sie nennen es „We love MMA“ – Was konkret lieben Sie am MMA?
Wortmeier: Die Vielseitigkeit. Wir wollten für unsere Serie auch keinen Titel wie „Blood and honor“ oder „Young blood“, womit sofort Gewaltverherrlichung und Gewaltgeschichten assoziiert werden. Es geht nicht um Blut oder Schläge oder Schmerzen sondern um eine sportliche Auseinandersetzung zwischen zwei Kampfsportlern, die sich messen.

Im März starb in Südafrika der MMA-Kämpfer Booto Guylain nachdem er im Kampf mit Keron Davies durch dessen Ellbogen schwere Kopfverletzungen und eine Gehirnblutung erlitt. Wäre es denkbar, dass bei MMA ein Kopfschutz eingeführt wird?
Wortmeier: Auch darüber kann man sich unterhalten. Wenn die Sportler das möchten – ja. Die Entscheidung liegt aber nicht bei mir. Und wenn es nötig ist, zur Sicherheit der Sportler irgendetwas zu ändern, dann werden wir die letzten sein, die das nicht ändern würden.

Muss sich jeder MMA-Kämpfer dem Risiko bewusst sein, dass er durch einen Kampf sterben kann?
Wortmeier: Es ist die Frage, ob derjenige wirklich durch MMA gestorben ist, oder ob er vielleicht vorher schon eine Verletzung hatte. Ich habe von einem tragischen Fall gehört, wo ein junger Sportler beim Fußballspiel tot zusammen gebrochen ist. (Quelle: berlin.de) Wir verlangen von allen Sportlern, die bei uns kämpfen, sich regelmäßig untersuchen zu lassen.

In dem Fall von Booto Guylain gab es laut den Berichten auf MMA-Websites keine vorherigen Verletzungen.
Wortmeier: Das steht in der Presse. Ich kenne den Fall nicht.

Dann zurück zur Frage: Sollte der Kämpfer sich bewusst sein, dass es das Risiko gibt, dabei zu sterben?
Wortmeier: Das Risiko muss doch jedem bewusst sein, egal ob er Eishockey spielt, Fußball spielt, boxt oder MMA macht, oder Auto- bzw. Motorradrennen fährt. Da kann es überall zu tödlichen Unfällen kommen. Die Frage ist eine andere: Ist das Risiko zu sterben bei MMA höher oder nicht? Und da haben Studien bewiesen, dass es nicht höher ist.

Würden Sie sagen, es ist ein positiver Nebeneffekt bei MMA, dass Räume geschaffen werden für eine Art kontrollierte körperliche Auseinandersetzung? Wo Menschen in kontrollierter Umgebung „Druck ablassen“ können?
Wortmeier: Viele MMA-Trainer in Deutschland sind auch in der Jugendarbeit tätig. Sie arbeiten mit Jugendlichen, die es im Leben nicht ganz so einfach hatten, die von der Straße kommen und dann zum Beispiel durch Box,- oder Karate-Training einen geregelten Tagesablauf bekommen. Der Kampfsport ist da glaube ich schon ein guter Filter für einige Leute. Leute mit Aggressionen können sich da kontrolliert austoben.

Gibt es bei MMA Doping-Kontrollen?
Wortmeier: Im Profibereich ja, im Amateurbereich sehr wenig bis gar nicht.

Sind die Kämpfe für Sie ein lukratives Geschäft?
Wortmeier: Im Moment noch nicht. Es könnte lukrativer werden, aber im Moment – das muss man klar sagen – sind es in Deutschland Amateursportler, die noch einem anderen Beruf nachgehen müssen.

Wie hoch sind die Preisgelder, was verdienen die Kämpfer bei Ihnen?
Wortmeier: Sie bekommen alle Geld, abhängig von ihrer Leistungsstufe. Genaue Summen nennen wir aber nicht. Es ist jedenfalls nicht so, dass einer im Cage steht und winkt: „Du kriegst 10.000 Euro, wenn du drei Kämpfe gewinnst.“

Es gibt keine Siegprämie?
Wortmeier: Das Honorar teilt sich auf zwischen einem Antrittsgeld und einer Prämie, die der Sieger oben drauf bekommt, die Höhe wird vorher vereinbart. Das ist aber im Grunde nur eine Aufwandsentschädigung. Wie gesagt: Wir sind im Amateursportbereich. Davon zahlen die ihr Training, ihre Anreise, ihr Essen. Das sind schon Idealisten, die sich zum Teil drei Monate auf so einen Kampf vorbereiten, sechs bis sieben mal die Woche. Aber es kann in Deutschland halt keiner davon leben.

Wahrscheinlich auch, weil potentielle Sponsoren Berührungsängste haben.
Wortmeier: Von den Markenherstellern sicherlich, die haben aber in der Regel mit Vollkontaktsport jeglicher Art ein Problem. Da wird es noch ein bisschen dauern, bis man mit einem Boxer oder Kampfsportler ein Auto verkaufen kann.
Im Kampfsportbereich gibt es dafür andere Sponsoren und Werbepartner, die MMA als Plattform nutzen.

Der Sportphilosoph Gunter Gebauer sagte in einem Interview zu MMA: „Es findet eine Art freiwillige Selbstauslieferung statt im Kampf, die man mit der Situation auf dem Arbeitsmarkt im Frühkapitalismus vergleichen kann.“
Wortmeier: Also, einen finanziellen Druck hat keiner, weder ich, noch die Sportler müssen das ganze machen. Aber da gibt es wahrscheinlich noch tausende andere blöde Kommentare, die irgendwelche Leute gemacht haben. Das Internet ist gut dafür und Deutschland ist eine Demokratie, da darf jeder sagen, was er will. Wir gehen aber nicht auf jeden Kritiker ein. Es gab damals ja auch diesen grauseligen Kabarettisten aus der Boxlobby, der gegen MMA gewettert hat. Ich bin da aber relativ entspannt mittlerweile. Sollen sie doch negativ darüber schreiben. Solange die nicht bei einem MMA-Event waren oder mal an einem Probetraining teilgenommen haben, nehme ich das nicht ernst.

Was ist Ihre Zukunftsprognose für MMA in Deutschland? In den USA ist es ja bereits populärer als Boxen….
Wortmeier: In Brasilien auch. Wir sind froh, dass die UFC wieder nach Deutschland kommt. Das bringt noch mal eine andere nationale Presse und erleichtert uns, neue Märkte zu erschließen.
Es wird viel davon abhängen, wie sich die Fernsehsituation löst. Es gibt Fernsehsender in Deutschland, die Interesse haben, das zu übertragen. Und je mehr Fernsehen, desto mehr Medienpräsenz haben wir.

Halten Sie es für möglich, dass man in Deutschland irgendwann so eine Situation hat wie im Bundesstaat New York?
Wortmeier: Ich glaube nicht, dass es noch eine große Diskussion geben wird. 2011 in Oberhausen gab es schon keine Diskussion mehr. Es gibt fast jedes Wochenende eine MMA-Veranstaltung in Deutschland. Und es haben verschiedenste Städte vor Jahren versucht, das zu unterbinden – die sind bei keinem Verwaltungsgericht damit durchgekommen.
Bei den Gesprächen, die wir mit den Städten führen habe ich auch den Eindruck, dass das Thema ganz klein gekocht wird, weil sie wissen, dass sie es nicht verbieten können. Und selbst wenn sie es verbieten: Wollen sie dann alle Kampfschulen, zumachen? In Berlin sind das 250. Sollen die Trainer das nicht mehr unterrichten? – Diese Base ist einfach vorhanden.

Die UFC spricht von „positiven Botschaften“, die MMA aussendet. Welche sind das?
Wortmeier: Die Disziplin dieser Sportler ist absolut eine positive Eigenschaft. Wer sechs bis sieben Mal die Woche mehrere Stunden trainiert, muss schon ordentliche Disziplin haben und ist dementsprechend in Form, um so einen Kampf überhaupt machen zu können.

Das ist jetzt der athletische Teil. Was ist die positive Botschaft der Kampfsituation?
Wortmeier: Die Botschaft ist, dass sich Sportler, die eigentlich in Einzelsportarten, die in MMA enthalten sind, zuhause waren, sich messen mit jemand, der in einer anderen Disziplin Favorit ist. Das Interessante am Ende ist ja – und das ist die Aufgabe des Matchmakers – jemand, der am Boden gut ist, gegen jemand anzusetzen, der eine Standsportart gut kann. Der eine versucht den Kampf im Stand zu lösen, der andere versucht es am Boden. Das macht diesen Kampf schnell und interessant.

Und dass es falsche Signale an die Gesellschaft sendet?
Wortmeier: Das sehe ich anders. Aber das muss einfach jeder für sich selbst entscheiden.

Kommentar schreiben

* Erforderliche Angaben. Emailadresse wird nicht veröffentlicht.