Michael Cretu

Mit Live-Musikern hätte ich Enigma nie machen können.

Michael Cretu von Enigma über seine Faszination für Mittelalterliches, außerirdisches Leben, Religion, seinen Tagesrhythmus, sein klassisches Studium und warum Enigma stets eine „One Man Factory“ geblieben ist

Michael Cretu

© Ben Wolf / EMI

Herr Cretu, in meiner Wahrnehmung hatte Ihr Projekt „Enigma“ immer einen Hang zum Mittelalterlichen, sowohl musikalisch durch die anfängliche Verwendung von Gregorianik-Samples als auch in Hinblick auf das Artwork – woher kommt Ihre Faszination für diese vergangene Zeit?
Cretu: Tja, das sind wahrscheinlich Reminiszenzen aus meiner Kindheit. Ich war früher nie Cowboy und Indianer, ich war immer Ivenhoe oder Richard Löwenherz. Wir haben mit Säbeln gespielt, nicht mit Pistolen. Und als kleines Kind haben mich schon immer das Universum, die Sterne und Galaxien interessiert, ich wollte sogar mal Astronom werden.
Die „Enigma“-Platten handeln auch von seriösen Themen, alles beruht auf wissenschaftlichen Ergebnissen, das sind keine Hirngespinste, die ich mir in den Kopf gesetzt habe, das ist kein Fantasy. Es basiert schon alles auf reellen Erkenntnissen, und schließlich kommt ja vieles aus dem Mittelalter. Denkt man nur mal an Da Vinci, das ist für mich das größte Genie der Menschheit. Viele Dinge bei Enigma basieren auf alten Weisheiten, wie der Numerologie usw. Und dadurch hast du dann automatisch im Artwork dieses Archaische, was sich irgendwie mit dem Futuristischen vermischt.

Das heißt, wenn Sie ein Album konzipieren ist das auch eine wissenschaftliche Auseinandersetzung?
Cretu: Ja, natürlich. Nicht, dass ich mir jetzt vornehme, ein Thema wissenschaftlich abzuhandeln. Aber zum Beispiel wenn ich Fernsehen gucke, dann schaue ich fast ausschließlich Discovery Channel. Gut, vielleicht auch mal Fußball, oder irgendwelche Nachrichten. Aber ansonsten schaue ich fast nur Dokus und wissenschaftliche Sachen.
Und es war lustig: als ich das Konzept „A posteriori“ machte, kam im Fernsehen irgendwann eine Serie, in der es ums Weltall ging. Im letzten Lied auf dem Album heißt es ja: „Shall I go, shall I stay, 107 light years away“ – weil 107 Lichtjahre ist genau der Durchschnitt der Entfernung zwischen Erde und der Andromeda-Galaxie. In etwa fünf Milliarden Jahren schluckt uns ja die Andromeda-Galaxie. Die bewegt sich auf uns zu und ist drei Mal so groß wie unsere Milchstraße. Da wir dann ein schönes kosmisches Takeover stattfinden und eine der größten Galaxien im Universum entstehen – so haben das die Astrophysiker ausgerechnet.

Beeinflussen solche Zahlen auch Ihre Kompositionen?
Cretu: Nicht die Kompositionen, aber zum Beispiel die Texte. Und die sind bei „A Posteriori“ effektiv auf diesen wissenschaftlichen Erkenntnissen aufgebaut. Aber die Musik: Ob es nun 107 oder 17 Lichtjahre sind – wie soll das meine Musik beeinflussen? Ich mache mein Stück dann nicht extra 3 Minuten und 17 Sekunden lang, falls Sie das meinen.

Glauben Sie an Ufos?
Cretu: Also, vielleicht kennen Sie ja das erste Buch von Erich von Däniken „Erinnerungen an die Zukunft“. Das ist aus dem Jahr 1968 und da geht es am Anfang darum, wie viele Sterne wir mit dem bloßen Auge sehen können, etwa 4500, was aber nur ein Milliardstel von den Planeten überhaupt ist. Und er schätzt, dass es auf ungefähr 1,8 Millionen Planeten Leben geben könnte.
Nur, wir Menschen erwarten immer, dass Leben so ausschaut, wie wir Leben kennen. Vielleicht gibt es aber irgendeine Form von Leben, nach der wir heute noch gar nicht suchen, von der wir gar keine Ahnung haben, weil sich das unserer Vorstellungskraft entzieht. Und vielleicht bringt uns eines Tages nur ein Forschungszufall dazu, dass wir vielleicht auch andere Lebensformen entdecken. Ich bin jedenfalls felsenfest davon überzeugt, dass es so etwas gibt – wir können doch nicht so arrogant sein und glauben, wir wären die Einzigen.

Haben Sie in Ihrem Haus auf Ibiza ein Teleskop?
Cretu: Ja. Aber nicht, dass die Leute jetzt denken, ich hätte eine Sternwarte. Das ist ein ganz normales, analoges Teleskop und ab und zu gucke ich mit meinen Kindern nachts die Sterne an. Vor einem halben Jahr, das war ein tolles Erlebnis: wir haben uns den Mond angeschaut und dann war neben dran auf einmal der Saturn zu sehen – das war natürlich der Hammer. Weil ich wüsste so spontan gar nicht, wie man den findet. Da müsste ich erst mal eine Koordinaten-Tabelle anhand von Jahreszeit, Uhrzeit usw. studieren, bevor ich weiß, wo ich überhaupt hingucken soll. Das war also ein schöner Zufall und mit so einem kleinen Teleskop von zu Hause aus den Saturn zu sehen, ist schon ein lustiges Erlebnis.

Ist Ihre Musik eine Auseinandersetzung mit dem Kosmos?
Cretu: Nein. Das ist mehr eine gedankliche Auseinandersetzung. Ich stelle mir selber Fragen und versuche, die zu beantworten. Bei einigen weiß ich nicht, wohin der Weg führt – das wird uns dann die Zukunft zeigen.

Spielt da auch Religion eine Rolle?
Cretu: Bei meinem neuen Album überhaupt nicht. Aber was heißt Religion? Für mich bedeutet Religion Glaube im Allgemeinen und nicht, dass ich mich jetzt an die katholische GmbH halte, oder an was auch immer – weil von diesem Zauber der Institutionen halte ich überhaupt nichts.
Ich glaube aber schon, dass es da oben irgendwie etwas gibt. Ich nenne das ‚Schicksal’ oder ‚Augen der Wahrheit’. Aber wie es ausschaut und was es letztendlich bewirkt, weiß ich nicht. Schön wär’s, wenn ich es wüsste. Aber ich befürchte, ich werde sterben, bevor ich es erfahre.

Wenn man die Geschichte von Enigma betrachtet, insbesondere die Anfänge, dann wirkte das Projekt auch immer etwas religiös angehaucht.
Cretu: Auch Enigma 2 hat sehr viel mit Glaube zu tun, aber mehr basierend auf Numerologie (Michael Cretu teilt die Geschichte von Enigma in zwei Phasen, bis 2001: Enigma 1, von 2002 bis heute: Enigma 2; Anm. d. Red). Und auf Hinduismus. Ich bin zwar kein wirklich Studierter in Religion, aber von den vier großen Weltreligionen finde ich, dass Hinduismus noch am ehesten die seelische und moralische Hilfsfunktion den Menschen gegenüber erfüllt. Weil, Tag für Tag diese Doktrin des schlechten Gewissens initiiert zu bekommen, wie bei der katholischen Kirche – da stehen mir die Haare zu Berge, damit kann ich überhaupt nichts anfangen. Das hat auch überhaupt nichts mit dem zu tun, was in der Bibel steht. Wenn Jesus heute auf die Erde kommen würde, der würde allen ein paar Ohrfeigen verpassen. Die sollten sich schämen, was sie daraus gemacht haben.

Woher kam damals eigentlich die Idee, gregorianische Gesänge in Ihre Musik einzubauen?
Cretu: Die Thematik war ganz einfach: der ewige Streit zwischen Sexualität und Kirche. Das ist doch naheliegend.

Es gab dann ja auch Kirchenproteste…
Cretu: Nein, das war nur irgendeine Kapelle, die damals schon all ihre Rechte an eine Plattenfirma verkauft hatte. Die meinten, sie hätten das aufgenommen für einen bestimmten Zweck und ich hätte diesen Zweck verfremdet, weil sie es nicht so gewollt hätten, und damit hätte ich ihre persönlichen Leistungsrechte verletzt – so ein Schwachsinn.

Und an dem Gestöhne in Ihrem Gregorianik-Hit „Sadeness (Part I)“ hat sich niemand gestört?
Cretu: Komischerweise nicht. Ich habe damals ein paar Interviews in Amerika gegeben, einer hat mich sogar in einer Kirche in Hollywood interviewt – und nach dem Interview kam der Kirchenvorsteher zu mir und sagte: „Ach, Sie sind das, ich danke Ihnen.“ „Wofür?“ habe ich ihn gefragt. Und da erzählte er, dass seit diese Platte rausgekommen war, drei Mal mehr junge Leute in seine Kirche kommen würden. Ich habe praktisch der Jugend die Kirche ein bisschen schmackhafter verpackt, damit sie auch einen Zugang dazu finden.

Ist Ihr Studio Ihre Kirche?
Cretu: Nein. Mein Studio kann keine Kirche sein, aus Geräten kann keine Kirche entstehen. Aber es ist mein Wohnzimmer und mein Cockpit zugleich, so kann man das durchaus bezeichnen.

Sie fliegen dann, wenn Sie produzieren?
Cretu: Ja. Speziell im Fall von „Enigma“. Ich bin viele Male im letzten Sommer, nachts, wenn klarer Himmel war, durch den Garten gegangen, habe mich hingesetzt, geguckt, ein bisschen kosmischen Staub eingeatmet und dann bin ich an die Arbeit gegangen. Ich muss schon in einer bestimmten Stimmung sein, um diese Musik auch glaubwürdig mir gegenüber umsetzen zu können.

Sehen Sie sich als Komponist?
Cretu: Ich übe im Grunde genommen sieben, acht Berufe aus, die mit Musik oder mit der Herstellung einer CD zu tun haben. Und die fließen ineinander über. Das war schon immer so, das wird auch immer so bleiben. Deswegen kann man das schwer definieren, wo genau die Grenzen liegen. Mal ist es mehr die eine Funktion, bei einem anderen Lied mehr die andere…
Ich sehe mich eher als „Alchemist in Music“, als musikalischer Alchemist. Ich habe die gleichen Zutaten zur Verfügung wie jeder andere auch, ich habe keine speziellen Geräte – ich mische die Zutaten halt nur ein bisschen anders.
Ich bin jetzt aber nicht speziell Produzent, oder mehr Textdichter, oder mehr Komponist – auch wenn ich klassische Komposition und Dirigieren studiert habe. Eine „One Man Factory“ eben.

In manch einer Biografie ist zu lesen, dass Sie am Ende Ihres klassischen Studiums einfach das Klavier gegen den Synthesizer ausgetauscht hätten.
Cretu: Ja, das war genau so. Na ja, nicht ausgetauscht, weil das Klavier habe ich immer noch. Aber ich habe mich über die Jahre am Klavier erwischt, dass ich immer wieder auf das gleiche Lied kam. Wenn man bestimmte Präferenzen beim Spielen hat, rutscht man immer in eine Richtung. Und Vielseitigkeit konnte dadurch bei mir nicht entstehen.
Ab dem Tag, wo ich es mit dem Synthesizer ausgetauscht habe, wurde mein Spektrum viel größer. Das heißt, ich kann immer noch genau so gut eine reine Piano-Ballade schreiben, aber ich kann auch in vollkommen andere Richtungen gehen. Deswegen habe ich mich damals entschieden, ich werde am Keyboard und nicht mehr am Klavier Lieder schreiben.

Das klingt nun so, als wäre ein Klavier ein geradezu einfältiges Instrument.
Cretu: Nein, das ist das komplexeste Instrument, das es gibt, zumindest in der Welt der Klassik. Du hast Perkussion, du hast Klänge, du hast alles. Wobei, wenn wir über klassische Instrumente reden, da ist ohne wenn und aber das majestätischste und mein Lieblingsinstrument die Kirchenorgel.

Wieder die Kirche.
Cretu: Das Instrument ist einfach wunderschön. Ich wollte sogar Kirchenmusik in Freiburg studieren, einfach nur aus meiner Liebe zur Kirchenorgel, nicht zur Kirche selbst. Wenn du einmal an einer guten Kirchenorgel gesessen hast und wenn du dann noch Bachs Toccata in d-Moll … – herrlich. Dann friert dir das Blut in den Adern, das ist ein Gefühl, unvorstellbar schön!

Zitiert

Für mich bedeutet Religion Glaube im Allgemeinen und nicht, dass ich mich jetzt an die katholische GmbH halte.

Michael Cretu

Was ist denn vom einstigen klassischen Studium noch wichtig für Ihre Arbeit heute?
Cretu: Sagen wir es so: vielleicht kam mein klassisches Studium erst so richtig bei „Enigma“ zur Geltung. Als solches ist das klassische Studium zwar nicht vorhanden in der Popmusik. Aber es hat mir praktisch die Kenntnis eines sehr breiten Musikspektrums gegeben. Zum Beispiel, wenn ich jetzt eine Kirchentonart höre, weiß ich ganz genau, was das ist und was ich da unterlegen muss. Andere sitzen da und probieren erst mal drei Tage lang.
Auch wenn ich irgendwelche klassischen Arrangements machen will, die ich dann mit digitalisierten Sounds spiele: ich weiß, wie man ein Streichquartett spielt und wie man etwas für ein Streichquartett komponiert. Dementsprechend muss ich es auch spielen. Und auch auf der neuen Platte, da gibt es Passagen, die klingen wie E-Gitarre und Akustik-Gitarre. Und Gitarristen, die früher für mich gespielt haben, wollen mir nicht glauben, dass ich das am Synthesizer eingespielt habe. Das kommt daher, dass ich dann auf den Tasten wie ein Gitarrist spiele. Ich wähle die Noten, die ein Gitarrist wählen würde, die Griffe, die er haben würde – und so was muss man natürlich auch wissen. Insofern war das klassische Studium schon sehr, sehr hilfreich.

Aber Sie scheinen schon auch stolz zu sein, heute mit der Elektronik richtige Instrumente imitieren zu können.
Cretu: Ich bin nicht stolz darauf. Ich bin nicht stolz, dass ich jetzt einen Gitarristen ersetzt habe. Aber ich arbeite am besten, wenn ich ganz alleine bin. Das ist schon immer so gewesen, ich bin am besten, wenn man mich ganz alleine lässt. Und ich kann ja alles bedienen.
Das ist auch eine Veranlagungssache. Ich kann mich alleine am besten konzentrieren. Und wenn ich jemand anderem vermitteln müsste, was ich eigentlich will… Dafür wäre erstens die Sprache an Wortschatz viel zu unterdimensioniert, um filigran bestimmte Details vermitteln zu können. Und zweitens würde eine andere Person auch alles durch ihren persönlichen Filter aufnehmen und dann was anderes draus machen.

Ihre Handschrift würde verloren gehen?
Cretu: Also, am authentischsten ist es, wenn ich es alleine mache. Und Enigma bin zu 95 Prozent ich. Auf sechs Alben waren vielleicht bei insgesamt fünf Liedern Gast-Sänger und bei vier Stücken ein Gitarrist dabei. Letztendlich habe ich doch immer alles selbst eingespielt. Und bei „A posteriori“ sind es sogar 99,8 Prozent. Alles kommt von mir, bis auf ein paar Textpassagen, die von der Luisa Stanley gesprochen werden.

Und Ihnen fehlen die Live-Musiker nicht?
Cretu: Nein. Ich bin heilfroh, dass mir die Technik heute erlaubt, alles selbst herzustellen. Mit Live-Musikern hätte ich Enigma nie machen können, das wäre unmöglich gewesen. Absolut unmöglich. Deswegen sage ich auch immer: die Technik ist zwar nicht mein Master – sprich die Technik muss nach wie vor auf mich hören – aber sie ist mein Freund und Helfer. Ohne die technologische Entwicklung wäre Enigma nie möglich gewesen.

Und wenn Sie die Technik von heute mit der Anfangszeit von Enigma 1990 vergleichen?
Cretu: Die Technik hat sich natürlich verbessert. Wobei man im Grunde genommen schon 1990 da war, wo wir heute sind. Es gab schon Midi-Geräte und ich habe damals alle Bandmaschinen aus meinem Studio geworfen und nur auf Festplatte aufgenommen – damit war ich vor 16 Jahren glaube ich auch einer der ersten.
Und auf diesem Fundament von damals hat sich die Technik weiterentwickelt, die Programme sind benutzerfreundlicher geworden, die Bugs haben sich reduziert, die Prozessoren sind viel schneller… Deswegen habe ich meine neue Platte eigentlich nur mit dem Computer aufgenommen. Ich habe zwar aus melancholischen Gefühlen heraus noch zwei Synthesizer dazugenommen, aber der Rest ist ausschließlich mit Plug-Ins gemacht – da ist kein einziges Hardware-Gerät dabei.

Ist es für Sie einfacher geworden, Musik zu komponieren?
Cretu: Die Technik erlaubt es heute, dass du alles sehr klein hältst. Und auch die Fehlerquellen, von denen es bei so einer überkomplexen Maschine viele gibt, die haben sich auf ein Minimum reduziert. Und deswegen konnte ich mich heute so sehr der rein musikalischen Arbeit widmen, wie nie zuvor – das war eine wahre Freude.

Ich habe noch ein Zitat aus einem Interview, wo Sie einmal sagten: „Es war eine Reise vom Abschluss von „Enigma“ bis zur Wiedergeburt von „Enigma“, eine seelische Reise in mir.“ Da scheint es, als sei „Enigma“ nicht einfach nur ein Bandname…
Cretu: Das ist ein Dachbegriff, das bin ich und das ist mein liebstes musikalisches Baby.

Aber es scheint Ihnen nicht nur um Musik zu gehen, oder?
Cretu: Nein, das ist ein kultureller Komplex. Weil ich auch so ein Laien-, sagen wir ein empirischer Philosoph bin. Ich bin schon immer extrem neugierig und wissensdurstig gewesen, von Geburt an. Solche Fragen, ob es vielleicht irgendwelche Wesen gibt in anderen Galaxien – da brenne ich darauf, das zu erfahren. Und so kommt es dann auch zu dieser Mischung aus Pop-Musik und kulturellen Reminiszenzen der Vergangenheit. Praktisch im Joint-Venture-Format.

Sie haben Enigma damals als anonymes Projekt gestartet.
Cretu: Ja, es wäre mir auch liebsten gewesen, dass bis heute keiner weiß, wer dahinter steckt. Ich war damals schon sehr erfolgreich und ich wollte nicht, dass die Musik deswegen anders beurteilt wird. Ich bin leidenschaftlicher Musiker, ich wollte einfach nur die Musik, losgelöst von jeglicher Information. Auch weil das so verrückt war für die damalige Zeit, ich wollte einfach mal sehen, ob so etwas funktioniert.

Bereuen Sie es heute, dass Sie aus dieser Anonymität herausgetreten sind?
Cretu: Nein. Überhaupt nicht.

Kommen auf Ibiza manchmal Fans vorbei?
Cretu: Ja, ja.

Dürfen die das Studio sehen?
Cretu: Nein. Da kommt mir keiner durch das Tor rein.

Doch ein heiliger Ort?
Cretu: Erst einmal das und außerdem bin ich kein Museum. Ich will auch ein bisschen mein Privatleben haben. Aber da klingeln permanent irgendwelche an der Tür. Ich frage mich, wie die überhaupt rauskriegen, wo ich wohne.
Die sind dann aber eigentlich sehr nett und höflich und meistens sind es Leute, die mir CDs mitbringen. Und das gar nicht, weil sie wollen, dass ich sie produzieren soll. Nein, ich habe es in den letzten zwei, drei Jahren sehr oft erlebt, dass die Leute mir CDs bringen oder schicken mit Musik, die sie einfach lieben, die sie selber machen und wo sie sagen: „Schau, wie du uns inspiriert hast, wie gut du uns getan hast über so viele Jahre.“ Die wollen mir eine Art Dankeschön geben, einfach so. Und das finde ich eine sehr schöne Geste.

Es stehen also keine Leute vor Ihrem Haus, die in mittelalterlichen Kutten…
Cretu: Nein, nein. Ich laufe doch zu Hause auch nicht rum wie in „Der Name der Rose“, und überall brennen Kerzen… Nein, ich lebe ganz normal und bin angezogen, wie jeder normale Mensch auch.

Wie sieht eigentlich Ihr Arbeitsalltag aus?
Cretu: Ich arbeite ausschließlich nachts. Also, wenn es dunkel wird, fange ich an, wenn es hell wird höre ich auf.

Und tagsüber…
Cretu: Schlafe ich ein paar Stunden.

Tagsüber funktioniert es mit der Musik nicht?
Cretu: Nein. Zumindest bin ich nicht fähig dazu. Was hat die Sonne, wenn sie scheint, mit „Dreaming of Andromeda“ zu tun? – Überhaupt nichts. Und ich liebe die Nacht. Ich war schon als Baby Nachtmensch. Schon als ich drei war hat sich meine Mutter immer gequält, mich vor Mitternacht zum Schlafen zu bringen, das war nicht möglich. Ich bin halt ein Nachtmensch. Nachts habe ich Ruhe, kein Telefon klingelt, alles schläft, keine Sekretärin, kein Gärtner, der nervt. Und am Tag kommen natürlich die Kinder, da kannst du nicht einfach anfangen zu arbeiten. Aber sobald alles schön schläft, alle ruhig sind, gehe ich an die Arbeit.

Aber die Freunde und die Familie, wann erleben die Sie?
Cretu: Die Familie erlebt mich schon, weil ich frühstücke mit meinen Kindern, bevor sie in die Schule gehen. Erst dann gehe ich ins Bett. Und wenn sie von der Schule kommen ist der Papa wieder wach, und steht bei Fuß.
Sicher, wenn ich in der Endphase einer Produktion bin, ist die Nummer mit „Komm, wir gehen heute aus und fein essen“ reduziert auf ein Minimum. Außer, wenn ich selber mal ein bisschen Abstand, eine Zäsur brauche. Dann muss ich mich wirklich mit Absicht von der Arbeit ablenken, um dann wieder ein bisschen objektiver zu sein, gegenüber dem, was ich vorher gemacht habe.

Also, sind Sie nicht unbedingt ein Freund gesellschaftlicher Events.
Cretu: Nein, war ich nie und werde es auch nie werden. Gott sei Dank kann ich mich sehr glücklich schätzen, ein paar sehr gute Freunde zu haben, die man auch „Freunde in der Not“ nennen kann. Und wenn ich mich mit denen treffe und mit denen Kontakt habe, reicht mir das voll und ganz. Ich brauche kein Schafe und Bewunderer, die ich hinter mir herschleppe oder was auch immer …

Und Enigma live?
Cretu: Wird es wahrscheinlich nicht geben.

Noch nie den Gedanken gehabt?
Cretu: Doch, schon. Aber so etwas auf die Beine zu stellen, dauert ungefähr so lange, wie eine neue Platte zu machen. Und da ist mir eine neue Platte lieber. Ich habe auch nichts davon, wenn jetzt 10… 20… oder 30.000 da unten stehen und mich bejubeln. Das ist zwar schön, aber ein neues Liedchen zu machen gibt mir zehn mal mehr. Jeder Mensch ist anders.

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