Marc Elsberg

Man kann sein ganzes Leben durchsensorisieren.

Bekannt wurde Marc Elsberg, als er in "Blackout" das Szenario eines großflächigen Stromausfalls in Europa durchspielte. In seinem aktuellen Roman "Zero" beschäftigt er sich mit Big Data und dem gläsernen Bürger. Susanne Gietl sprach mit Elsberg über digitale Entmündigung, Technisierung unseres Lebens, SCHUFA-Bewertungen und Sensoren im Bett.

Marc Elsberg

© Clemens Lechner

Herr Elsberg, in Ihrem Roman „Zero“ machen Sie das Konstrukt gläserner Mensch erlebbar. Wie realistisch ist dieses Szenario?
Marc Elsberg: Wir leben bereits mittendrin, das ist den Leuten nur nicht ganz so bewusst. Diverse Unternehmen wissen über uns eine ganze Menge. Im Buch bringe ich einige Beispiele, angefangen bei der inzwischen berühmten „Target-Schwangeren“ bis hin zu den „Pre-crime“-Programmen, die bereits in einigen amerikanischen Städten eingesetzt werden. In US-Gefängnissen verwenden sie Algorithmen, um zu beurteilen, ob jemand überhaupt zu einer Bewährungsverhandlung zugelassen wird oder nicht. Es gibt eine Studie des MIT, die besagt, dass unser Handy bereits vor uns weiß, wann wir die Grippe bekommen.

So ähnlich verhält es sich bei der „Target-Schwangeren“…
Elsberg: Richtig. Die amerikanische Kaufhausgruppe Target sammelte Daten über die Kundenkarten und analysierte sie. Dadurch haben sie herausgefunden, dass ihre Kundinnen ein sehr ähnliches Einkaufsverhalten haben. Und in dem Augenblick, in dem Frauen schwanger werden, ändern sie es. Sie kaufen zum Beispiel statt parfümierter Seife die Seife ohne Zusatzstoffe. Das machen sie in einer relativ vorhersehbaren Art und Weise. Ab dem Augenblick, in dem die Frau weiß, dass sie schwanger ist, kennt die Supermarktkette den Geburtstermin des Kindes. In Wirklichkeit weiß die Datenbank wahrscheinlich schon vor der Frau von der Schwangerschaft, bevor sie es überhaupt selbst weiß.

Wie gläsern sind Sie?
Elsberg: So wie wir alle. Man darf nicht vergessen, das hat nicht nur etwas damit zu tun, dass ich auf Twitter, Google+ und Facebook aktiv bin. Jeder, selbst, wenn er sich dem Handy verweigert, nutzt trotzdem irgendwelche Kundenkarten, besitzt eine Bank- und Kreditkarte und wird von Versicherungen genau durchgecheckt. Heute ist jeder gläsern und inzwischen haben wir eine so gut durchleuchtete Gesellschaft, dass man womöglich als kompletter Aussteiger besser sichtbar ist.

Inwiefern?
Elsberg: Für mich ist das Bild einer Mineralwasserflasche immer ganz gut. Die Gläsernen sind sozusagen das Wasser. Wer versucht, auszusteigen ist die Mineralblase. Wen sehe ich in der Mineralwasserflasche eigentlich besser? Das Wasser oder die einzelne Blase? Ich kann auch den, der versucht auszusteigen, beobachten. Eben, weil er’s versucht zu tun. Er ist derjenige, der auffällt. Für verschlüsselte Mails brauche ich ein passendes Gegenüber und da kenne ich genau zwei Leute. Auch Kundenkarten vermeide ich, aber das ist momentan symbolisch und nicht wirklich wirkungsvoll.

Im Buch sprechen Sie von „Datenkraken“. Wie sieht verantwortungsvoller Umgang mit unseren Daten aus?
Elsberg: Nur wenige Leute können Daten sammeln, analysieren und verwerten beziehungsweise zu potentiellen manipulativen Programmen gestalten. Durch dieses massive Machtungleichgewicht sieht verantwortungsvoller Umgang natürlich möglichst zurückhaltend oder restriktiv aus.

Zitiert

Irgendwann weiß mein Schlafzimmer, ob ich Sex hatte, oder nicht.

Marc Elsberg

Sollten die großen Unternehmen ihre Daten offenlegen?
Elsberg: Ja. Was ich sehr erstaunlich fand, war ein Urteil des deutschen Bundesgerichtshofs: Die SCHUFA muss nicht bekannt geben, wie sie zu ihren Kreditbewertungen kommt oder wie die verwendeten Daten gewichtet sind. Das System eines Onlinehändlers unterhält sich während des Kaufvorgangs parallel mit dem des Kreditbewerters und stellt fest, ob der Bestellende nur gegen Bar- oder Vorkasse seine Ware bekommt. Da solche Bewertungen in unserem gesamten Umfeld immer wichtiger werden, finde ich das bedenklich. Wir brauchen Kontrollinstanzen in einer demokratischen Gesellschaft. Zum Beispiel hat Viktor Mayer-Schönberger vorgeschlagen, eine Art Algorithmus-TÜV einzuführen.

Aufgrund von Algorithmen können wir beim Bedienen einer Suchmaschine nicht mehr frei entscheiden, was uns angezeigt wird. Leben wir in einem Zeitalter von digitaler Entmündigung?
Elsberg: Sicherlich bis zu einem gewissen Grad. Erstens wissen wir häufig nicht, dass diese Dinge passieren, deswegen findet diese Entmündigung quasi ohne unser Wissen statt. Zweitens habe ich durch die momentanen gesetzlichen Regelungen und Strukturen keine Chance, dieser Entmündigung zu entgehen, selbst wenn ich Bescheid weiß ­es sei denn, ich steige komplett aus dem System aus. Will man den Komfort des heutigen Lebens genießen, dann kann man das natürlich nicht.

Die Technik kann uns auch individuell beraten, wie wir unsere Lebensweise optimieren, in „Zero“ sprechen Sie von „ActApps“. Sind Computer die neuen Lebensratgeber?
Elsberg: Sie werden es nach und nach, beziehungsweise sind sie es schon. Wir erleben heute, dass Apps in gewissen Lebensbereichen wie Fitness, Sport, Gesundheit, Ernährung immer populärer werden. Immer mehr Menschen nutzen Fitnesstracker oder Smartwatches.

Bis jetzt also kein Grund zur Beunruhigung…
Elsberg: Man kann sein ganzes Leben durchsensorisieren. Anfang dieses Jahres wurde auf der Consumer Electronics Messe ein Produkt namens „Mother“ vorgestellt: eine Festplatte, die aussieht wie eine Art Barbapapa gepaart mit einer russischen Puppe plus vieler Sensoren. Die Sensoren bringe ich an der Kaffeemaschine an, lege einen ins Bett, einen an meinen Gürtel, der meine Bewegungen misst, befestige einen an meiner Zahnbürste. „Mother“ macht dann Empfehlungen wie „putz ein bisschen besser die Zähne!“ und baut Mechanismen ein, damit ich das auch wirklich tue.

Und wann wird’s richtig gruselig?
Elsberg: Beim nächsten Schritt, der wohl bald ansteht, werden die ganzen Daten gesammelt. Irgendwann sagt mir diese kleine elektronische Mutter mit leuchtenden Augen und grinsendem Mund: „Der Sensor im Bett hat gemessen, dass du schlecht geschlafen hast. Kein Wunder, du warst gestern Nachmittag auch fünf Mal an der Espressomaschine!“ Noch ist es nicht so weit, aber wenn, dann stellt sich wieder die Frage: Wer legt fest, was mir diese Maschine empfiehlt?

Würden Sie „Mother“ verwenden oder verwenden Sie sie schon?
Elsberg: Bis jetzt noch nicht. Ich bin weitestgehend durch die üblichen Technologien wie meinen Tabletcomputer, mein Laptop, mein Smartphone und meine Bank- und Kreditkartendaten durchleuchtbar. Ich will gar nicht ausschließen, dass ich so etwas wie „Mother“ irgendwann verwende, aber vorerst sicher nicht. In einigen Städten gibt es bereits Bauprojekte, bei denen die Sensoren automatisch mit in die Wohnung verbaut werden. Dann misst der Boden oder die Wand meinen Zustand, meinen Ort, meine Schweißabsonderung. Irgendwann weiß dann mein Schlafzimmer, ob ich Sex hatte oder nicht.

Das klingt nicht sehr verlockend…
Elsberg: Ich bin nicht zwingend Gegner dieser Technologien. Das ist weder ausgemachte Teufelssache, noch ausgemachter Heilsbringer. Wie alle Technologien haben auch diese nicht nur ein Gefahrenpotential, sondern helfen uns in vielen Bereichen. Wir müssen uns darüber massiv Gedanken machen, ob wir die Auswirkungen, so wie sie sich momentan anbahnen, wollen. Wir haben in den letzten Jahrzehnten erreicht, dass der einzelne mehr Einfluss in der Gesellschaft hat – das drohen wir jetzt zu verlieren. Aber wie gesagt, ich möchte die Diskussion gefördert sehen, nicht die Verdammung.

Sehen Sie sich als Aufklärer?
Elsberg: Sicher versuche ich bis zu einem gewissen Grad aufzuklären, aber das auf eine so unterhaltsame Weise, dass es mehr Leute als nur Feuilletonleser zur Kenntnis nehmen.

© Clemens Lechner

© Clemens Lechner

Haben Sie damit gerechnet, dass Sie durch Ihren Roman „Blackout“ nicht nur als Autor, sondern plötzlich auch als Experte gefragt waren?
Elsberg: Überhaupt nicht. „Blackout“ ist in erster Linie ein Unterhaltungs- und Spannungsroman. Wenn dann zum Beispiel der Schweizer Armeechef, der Notvorräte bunkert, in verschiedenen Medien äußert, dass er das Szenario aus „Blackout“ für sehr realistisch hält, dann kommt das für einen Thrillerautor wie mich unerwartet.

Zählen Sie sich noch zu den klassischen Schriftstellern?
Elsberg: Den Roman, der auf unterhaltsame Weise Wissen vermitteln will, gibt es im deutschsprachigen Raum wenig. Die Angloamerikaner haben eine große Tradition, allen voran Michel Crichton. Bei uns gab und gibt es weniger Autoren in der Richtung: ein paar Arbeiten von Andreas Eschbach vor einigen Jahren, Frank Schätzings „Der Schwarm“ und „Breaking News“. Aber ich bleibe trotzdem Romanautor.

Wie fühlt es sich an, mit Frank Schätzing verglichen zu werden?
Elsberg: Ich bin sicher nicht beleidigt. „Der Schwarm“ habe ich mit großer Begeisterung gelesen. Zwischen Frank Schätzing und mir gibt es viele Parallelen. Unsere ersten Bücher sind im selben Kölner Verlag erschienen und wir kommen beide ursprünglich aus der Werbung.

Werden Sie Ihr Wissen aus der Werbung in Ihrem nächsten Roman unterbringen?
Elsberg: Wenn ich weiß, was der nächste Roman ist, vielleicht. In 20 Jahren Werbung habe ich verschiedene Dinge gelernt: komplexe Sachverhalte so zu erklären, dass die Leute sie verstehen und annehmen wollen. Aber auch mein Wissen über Manipulation rührt von der Werbung her. Das fließt natürlich ab und zu in meine Romane ein, mal explizit, wie jetzt in „Zero“, mal weniger explizit. Ich glaube, ich kann mich davon gar nicht lösen.

 

Der 1967 in Wien geborene Marcus Rafelsberger war Kolumnist für die österreichische Tageszeitung „Der Standard“, war Strategieberater und Kreativdirektor in der Werbebranche und Autor von Wiener Kriminalromanen. Unter dem Pseudonym Marc Elsberg mehr

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