Frau Rietz, in den letzten Jahren haben wir im Fernsehen eine ganze Flut von Casting-Shows erleben müssen – schauen Sie sich so etwas regelmäßig an?
Rietz: Ich habe schon wahrgenommen, dass es diese Formate gibt und habe sicherlich auch die eine oder andere Folge einer Castingshow gesehen, aber so richtig verfolgen tue ich das nicht.
Und wie stehen Sie persönlich zu Castingshows wie "Popstars" oder "Deutschland sucht den Superstar"?
Rietz: Meiner Meinung nach sind derartige Shows nur zu Entertainmentzwecken da. Soll heißen, die Art und Weise wie das ganze Prozedere dem Publikum präsentiert wird, wie die Sendung geschnitten wird und welche Emotionen da aufgebaut werden, sind nur dazu da, die Zuschauer zu fesseln und mit den meist jungen Kandidaten mitfiebern zu lassen. Ob bei diesen Shows aber wirkliche Stars herauskommen beziehungsweise gemacht werden, ist höchst fraglich.
Wie definieren Sie denn den Begriff "Star"?
Rietz: Das ist schwer! Es gibt nur ganz, ganz wenige Stars und man muss da ganz klar zwischen einer Modeerscheinung, die bisher unbekannte Leute für kurze Zeit nach oben spült und dann wieder fallen lässt, und wirklich etablierten Berühmtheiten unterscheiden. Ein Star ist jemand, der über seine Zeit hinaus den Menschen ein Begriff ist und auch stilprägend für seine Epoche ist. Künstler wie Elvis Presley oder James Dean sind zwar schon lange tot, aber in den Köpfen der Menschen sind sie noch immer präsent und somit in gewisser Weise auch unsterblich, eben wahre Stars!
Würden Sie sagen, das Starwesen in Deutschland ist heute vergleichbar mit dem in den USA?
Rietz: Ich glaube, ein Starwesen wie in Amerika, wo ja eine ganze Industrie dahintersteckt, gibt es in vergleichbarer Form in Deutschland nicht. In Deutschland ist es nicht so, dass ein bestimmter bekannter Schauspieler automatisch auch eine große Anzahl von Zuschauern mit sich zieht. Wenn dagegen in Amerika ein bestimmter Schauspieler auf der Besetzungsliste steht, investieren die großen Banken in diesen Film, weil sie wissen, dass mit diesem Namen eine bestimmte Zuschauerzahl garantiert ist.
Aber wie erklären Sie sich den Casting-Hype in Deutschland in den letzten Jahren?
Rietz: Casting ist definitiv eine Modeerscheinung! Vor fünf Jahren wusste noch niemand was "Casting" eigentlich bedeutet und ich musste den Leuten immer erst erklären, was ich berufliche mache. Heute ist dass, wie wir alle wissen, völlig anders und viele Jugendliche rennen zu Fernseh-Castings, um berühmt zu werden. Allerdings muss ich ganz klar sagen, dass diese Shows ein falsches Bild von dem vermitteln, was Casting wirklich bedeutet. Leute, die heutzutage mit Fernseherfahrung zu mir kommen, glauben oft genau zu wissen, was ein Caster macht, aber dieses Bild ist trügerisch. Wir setzen die Jugendlichen keinem künstlich hohen psychischen Druck aus und beleidigen sie auch nicht
Was treibt all die Jugendlichen zu Castings?
Rietz: Ich glaube, dass dieser Wunsch, berühmt und angehimmelt zu werden, in gewissen Maße zum Erwachsenwerden dazugehört. In dieser Phase des Lebens wird oft nach dem "Wer bin ich?" und "Welche Träume habe ich?" gefragt und gerade diese Fragen sind, meiner Meinung nach, auch sehr wichtig. Das Problem ist allerdings, dass durch diese Shows die Erreichbarkeit dieser Träume suggeriert wird und die Jugendlichen letztendlich denken, dass sie durch diese Shows zum Star werden und ihre Träume verwirklichen können. Wirklicher Erfolg und eine große Karriere sind aber auch immer mit harter Arbeit und viel Disziplin und Talent verbunden. Das wird oft vergessen!
Hat sich das Klientel Ihrer Agentur durch das Aufkommen der vielen Casting-Shows verändert?
Rietz: Viele Kinder und Jugendliche, die heute zu einem Agentur-Casting kommen, haben natürlich das Casting-Bild aus dem Fernsehen im Kopf und glauben, dass sie ab dem ersten Moment an perfekt sein müssen und sich keinerlei Fehler erlauben dürfen. Das führt dann natürlich zu Verkrampfungen und schließt ein freies und natürliches Spiel aus. Casting bei uns aber bedeutet, dass wir einfach eine Arbeitsprobe zu sehen bekommen und dann überlegen, ob überhaupt Talent vorhanden ist, wie wandelbar der Bewerber ist und wie er vor der Kamera mit Regieanweisungen umgeht beziehungsweise mit seinen Spielpartnern. Natürlich ist ein Casting in gewisser Weise auch eine Prüfungssituation, wir versuchen den Bewerben aber weitestgehend den Druck zu nehmen, denn nur so ist ein freies und unverkrampftes Spiel möglich.
Wie bringen Sie beispielsweise einem zehnjährigen Kind bei, dass seine Leistung für die Agentur nicht ausreicht?
Rietz: Wenn eine sichtbare Spielfreude vorhanden ist, hat das Talent zunächst gar nicht die oberste Priorität. Wenn dieses Kind, unserer Meinung nach, noch nicht weit genug für eine Film- und Fernsehrolle ist kann es sich Spiel- und Theatergruppen suchen und unter professioneller Leitung schlicht und einfach schauspielern und spielerisch üben. Wenn dann nach einer gewissen Zeit eine Entwicklung stattgefunden hat, kann sich das Kind auch gerne wieder, sofern es nicht völlig unbegabt war, in unserer Agentur vorstellen.
Wir setzen die Jugendlichen keinem künstlich hohen psychischen Druck aus und beleidigen sie auch nicht.
In einem Interview mit der "Berliner Morgenpost" sagten Sie einmal über Castings: "Wichtig beim Casting ist es herauszufiltern, ob es Kindeswunsch ist oder die Eltern sich einen Traum erfüllen wollen". Wie gehen Sie da vor?
Rietz: Das merkt man im persönlichen Gespräch. Jüngere Bewerber werden von ihren Eltern zum Casting begleitet und oft sieht man schon an der Art und Weise wie sich Eltern und Kind verhalten, welches die wahren Beweggründe für den Besuch dieses Castings sind. Während des Castings sprechen wir dann auch in Abwesenheit der Eltern mit den Kindern und auch hier geben die Kinder oft sehr deutliche Signale, ob sie sich wohlfühlen und ob sie überhaupt für die Schauspielerei brennen oder nicht.
Wie gehen Sie mit Eltern und Kind um, nachdem Sie die Eltern und deren Absichten enttarnt haben?
Rietz: Man muss ja immer vom Guten im Menschen ausgehen und jeder will natürlich das Beste für seine Kinder. Oft laufen diese Eltern einfach mit einer rosaroten Brille durch das Leben und bemerken vor lauter Fürsorge und Zukunftsdenken gar nicht, dass die Kinder vielleicht einen ganz anderen Weg einschlagen möchten. Ich will diese Eltern dann in einem solchen Moment nicht vorverurteilen, sondern versuche zu sagen, dass es vielleicht besser wäre, wenn sich das Kind auf seine anderen Hobbys statt auf die Schauspielerei konzentrieren würde.
Nicht alle Klienten Ihrer Agentur können gleich Erfolge verbuchen, wie zum Beispiel Max Riemelt. Gibt es ein Konkurrenzdenken unter Ihren Klienten?
Rietz: Ich denke nicht, weil sich viele unserer Schauspieler untereinander kennen und mitunter sogar schon gemeinsam an einem Projekt gearbeitet haben. Die absolute Erfolgsgarantie können wir sowieso keinem geben, weil Erfolg immer auch von dem momentanen Geschmack des Publikums abhängt. Als das Drehbuch zu NAPOLA kam war schon abzusehen, dass dieser Film eine große Herausforderung und einmalige Chance für Max Riemelt sein würde, aber dass er dafür sogar einen Preis bei einem Festival gewinnen würde, haben wir im Vorfeld natürlich nicht geahnt. Genausogut kann es aber auch passieren, dass die folgenden Rolllen-Angebote für Max Riemelt nicht so spannend sind und dafür andere Klienten schöne Projekte bekommen.
Und wie steht es mit der Konkurrenz auf der Agentur-Ebene? Neben Ihrer Agentur "Heyroth & Rietz" zählen die Casting-Agentinnen Maria Schwarz und Nessie Neslauer zu den führenden Castern Deutschlands. Konkurrieren Sie untereinander?
Rietz: Wir sind natürlich alles Mitbewerber, aber es ist schon so, dass wir auch sehr gut miteinander arbeiten können. Wenn ich jetzt zum Beispiel ein großes deutschlandweites Casting durchführen muss, berücksichtige ich natürlich die Begabungen einer Maria Schwarz, denn ich will für den Film ja die bestmöglichste Besetzung zusammenstellen und da wäre es für alle Beteiligten nicht vorteilhaft, wenn ich nur meine eigenen Klienten casten würde.
Es ist auffällig, dass die erfolgreichen Caster größtenteils weiblich sind. Sind Frauen die besseren Casting-Agenten?
Rietz: Es gibt auch einige gute männliche Caster in Deutschland, aber ihre Beobachtung ist schon richtig. Ich kann gar nicht genau sagen, warum das so ist, aber Casting hat schon sehr viel mit zwischenmenschlicher Kommunikation, Menschenkenntnis und Diplomatie zu tun. Da kommen einem weibliche Eigenschaften sicherlich entgegen. Ich kann und will das aber nicht verallgemeinern!
Wie sind Sie eigentlich auf die Idee gekommen eine Casting-Agentur zu gründen, wie hat das für Sie begonnen?
Rietz: Anfang der 90er Jahre sprach ich mit einer befreundeten Regisseurin und sie sagte, es gäbe zwar Caster, aber nur wenige Caster seien in der Lage, speziell bei Kindern und Jugendlichen ein Talent zu entdecken und zu fördern. Daraus ergab sich dann die Idee, den Castingbereich hinsichtlich dieser Rubrik zu spezialisieren. Wir haben dann diese Agentur gegründet und letztendlich bin ich froh, dass wir diesen Schritt gewagt haben.
Haben Sie für den Job eine bestimmte Ausbildung benötigt?
Rietz: Es gibt keine wirkliche Ausbildung um in diesem Bereich zu arbeiten. Viele kommen aus dem Regie-Assistentenbereich, denn eine der Aufgaben des Regie-Assistenten ist es ja auch, dem Regisseur bei der Rollenbesetzung- und Auswahl beratend zur Seite zu stehen. Ich habe allerdings die ganz klassische kulturwissenschaftliche Ausbildung genossen, was den Vorteil hatte, dass ich mich über Jahre mit verschiedenen Kulturbereichen und Kulturgeschichte auseinandersetzen konnte. So ein Studium ersetzt allerdings in keinem Fall die nötige Praxiserfahrung, die man durch Praktikas und freie Mitarbeit erwerben kann und muss. Weitere wichtige Eigenschaften, wie zum Beispiel ein großes Organisationstalent, kann man, meiner Meinung nach, aber nicht erlernen, sondern muss man ganz einfach mitbringen.
Im Jahre 2003 haben Sie für die RTL-Serie "Die Cleveren" geistig behinderte Kinder für Episodenhaupt- und Nebenrollen gecastet. Wie sind Sie in diesem Fall vorgegangen?
Rietz: Ich habe mich an verschiedene Förderschulen gewandt, die mit Down-Syndrom-Kindern arbeiten und hab denen erklärt, was wir suchen und gefragt, ob sie geeignete Kinder vorschlagen könnten. Die Eltern der Kinder haben sich dann bei uns gemeldet und nach einem Casting haben wir uns für 2 Kinder entscheiden können. Das verlief ziemlich unkompliziert, da Down-Syndrom-Kinder einen sehr starken Willen haben und sehr genau deutlich machen, ob sie etwas wollen oder nicht. Man kann sie zu nichts zwingen, sondern nur spielerisch mit ihnen umgehen und Situationen schaffen, so dass sie aus ihrem eigenen Spieltrieb heraus agieren. Das war eine tolle und spannende Erfahrung und ich bewundere sehr, wie die Eltern ihren Alltag mit diesen Kindern meistern und auch, wie entspannt sie mit heiklen Situationen umgehen.
Ich finde es toll, dass man sich in diesem Beruf immer wieder neuen Herausforderungen stellen muss und sie dann schließlich auch versucht zu bewältigen und dabei vieles, oft auch unvorhergesehenes, erlebt. Ich muss mir oft Strategien überlegen, an welchen Orten ich welche Menschentypen finde und dann prüfen, ob diese in die jeweilige Rolle passen. Solche außergewöhnlichen Projekten wie die Suche nach Down-Syndrom-Kindern sind natürlich nicht alltäglich, aber sie schaffen immer eine gelungene und interessante Abwechslung.
Unsere Schlussfrage: Das Leben ist ein Comic – welche Figur sind Sie?
Rietz: Ich kenne mich mit Comics überhaupt nicht aus! Außerdem bin ich Jacqueline Rietz und weder ein Film- noch ein Comicheld! (lacht)
???WAS SOLL DAS SEIN???
aha was soll ich jetz damit machen?
Casting – Ein sehr interessantes Gebiet
Sehr sympatische Frau (J. R.), interessantes Interview!
Viele Grüße,
Patrick Dohmeyer
(http://www.max-riemelt.de)
Casting und kein Ende!!
Hallo PLANET-INTERVIEW!!
Ich finde dieses Interview sehr ergiebig und hoffentlich macht es einigen Jugendlichen klar, dass Star sein nicht alles ist und wenn der Weg dorthin länger ist als zum nächsten Supermarkt
Gruß,
Hildegard John (Köln)