Gojko Mitic

Die Zuschauer haben mich festgehalten.

Er war einer der Stars der DEFA und bekam den Spitznamen "Winnetou des Ostens". Nun gab Gojko Mitic sein Indianer-Comeback im Sat.1-Western "In einem wilden Land". Ein Gespräch über Kunstblut, Indianer-Weisheiten, Probleme mit der Friedenspfeife und warum er nie in den Westen abhauen wollte.

Gojko Mitic

© SAT.1/ Boris Guderjahn

Herr Mitic, können Sie eigentlich die Sprache der Komantschen?
Mitic: Nein, ich kannte früher ein paar Wörter, aber das habe ich alles vergessen. Es ist auch sehr schwer, weil man in den europäischen Sprachen keine ähnlichen Wörter hat, an denen man sich orientieren kann, man muss sich alles einzeln einprägen.

In dem Sat.1-Western „In einem wilden Land“ klingt die Indianersprache jedenfalls ziemlich echt.
Mitic: Wir hatten einen guten Dolmetscher, der uns vorgesprochen hat, daran konnte man sich orientieren.

Ist es tatsächlich der erste Indianer-Film, in dem man Sie auch hören kann?
Mitic: Ja, das stimmt. Bei der DEFA wurde ich immer synchronisiert. Ich sprach ja Deutsch, aber mit Akzent. Eigentlich hatte ich auch den großen Ehrgeiz, mich nicht synchronisieren zu lassen, aber der damalige Produktionsleiter Hans Mahlich sagte: „Unsere Indianer sprechen einwandfreies Deutsch.“

Was denken Sie, wenn Sie ein DEFA-Filmset mit einem Set eines solchen Sat.1-Films vergleichen?
Mitic: Es ist heute natürlich viel luxuriöser und man hat technisch mehr Möglichkeiten. Wir konnten damals nur auf Orwo Color drehen. Der Film war nicht so lichtempfindlich und wenn die Sonne weg war, mussten wir erst warten bis sie wieder rauskam, um weiterdrehen zu können.
Und man bekommt heute an einem Filmset immer etwas zu essen.

Und das Catering bei der DEFA?
Mitic: Ich erinnere mich, wie wir einen Film in der Mongolei gedreht haben, „Der Scout“. Wir waren an einem See und wohnten alle in Jurten, die uns die Mongolen zur Verfügung gestellt haben. Wir haben damals viel Selbstverpflegung mitgenommen, Schwarzbrot und solche Dinge. Einmal bin ich mit unserem Koch zum See und habe mit ihm die Fische für das Essen geangelt. Natürlich war das anders als heute – aber auch schön, romantisch.

Geändert hat sich auch die Bildästhetik, eine Sat.1-Produktion scheint mit einem DEFA-Western kaum mehr vergleichbar.
Mitic: Weil die die Sehgewohnheiten heute anders sind. Man hat jetzt viele schnelle Schnitte, während man früher zum Beispiel eine Totale erstmal laufen ließ. Man hatte Zeit, man konnte lange die Landschaft betrachten oder in die Gesichter gucken.

Aber lebt nicht insbesondere der Western von genau solchen Einstellungen?
Mitic: Sicher. Auf der anderen Seite leben wir heute in einer sehr schnelllebigen Zeit und die Filme sind wahrscheinlich ein Spiegelbild davon.

Zitiert

Eigentlich hatte ich den großen Ehrgeiz, mich nicht synchronisieren zu lassen, aber der damalige DEFA-Produktionsleiter Hans Mahlich sagte: Unsere Indianer sprechen einwandfreies Deutsch.

Gojko Mitic

Damals wie heute wurde in Western viel gekämpft und gestorben. Doch man sah früher nie Blut.
Mitic: Ich denke, das hat sich erst in letzter Zeit so sehr etabliert, auch in den Krimis. Als ich vor ein paar Jahren einen Krimi auf Sardinien gedreht habe, gab es auch eine Szene, wo der Regisseur sagte „Ich brauche noch mehr Blut“. Ich persönlich könnte darauf verzichten, aber so sind eben die Sehgewohnheiten heute, die Leute erschreckt das nicht mehr, weil sie es ständig sehen.

Wie ist das mit dem Skalpieren, was in der Sat.1-Produktion ja kurz zu sehen ist?
Mitic: Auch das muss man nicht unbedingt zeigen. Wir haben damals den Film „Apachen“ gedreht, darin geht es um einen Skalpjäger. Das Skalpieren kam in der Handlung vor, aber es ist immer außerhalb des Bildes passiert. Andererseits gab es auch Szenen wie in „Die Söhne der großen Bärin“, wo der Hanjo Hasse in eine Höhle kommt und ihn ein Bär mit der Tatze im Gesicht erwischt. Er schreit dann laut, aber man sieht nichts in seinem Gesicht. Da hätte ich ihm zumindest ein paar Tropfen Blut aufgeschminkt, das wäre glaubhafter gewesen.

Im neuen Film erwischt es Benno Fürmann, der nach einer Attacke blutüberströmt zu sehen ist.
Mitic: Gut, wenn man davon ausgeht, dass die Schlagader getroffen wurde, dann schießt das Blut heraus. Dann ist das wahrscheinlich realistisch.

Wie realistisch ist denn Quentin Tarantino, bei dem fast jeder Schuss eine große Blutfontäne auslöst?
Mitic: Ich denke, dass Blut kommt nicht immer mit so einer Fontäne. Im Augenblick des Schusses sieht man es nicht sofort. Wenn eine Kugel durchgeht ist vorne kaum etwas zu sehen, hinten ein bisschen mehr. – Aber es sind natürlich legitime filmische Mittel. Es ist nur die Frage, ob man sie benutzt.

Finden Sie es bedenklich, dass wir heute zu Gewaltbildern anders eingestellt sind?
Mitic: Ja. Wir sehen täglich, was in der Welt passiert, man zeigt uns nicht alles aber fast alles. Und trotzdem habe ich das das Gefühl, dass wir keinen Bezug mehr dazu haben, wenn es heißt, in einem Land ist Krieg, oder bei einem Anschlag gab es 20 Tote. Man ist abgestumpft, man entwickelt kein Gefühl dafür, darin sehe ich eine Gefahr. So kann es dann auch passieren, dass ein Jugendlicher rausgeht und die Wirklichkeit mit einem Computerspiel verwechselt, mit der virtuellen Welt. Ich weiß nicht, was in deren Köpfen vorgeht, wenn sie dann plötzlich einen Lehrer erschießen. Und ich verstehe nicht, warum die Computerspiele so brutal sein müssen. Erzieht man die Leute schon absichtlich in diese Richtung? Sicher, wir leben in einer Demokratie, jeder kann so etwas spielen. Auf der anderen Seite frage ich mich: Warum gibt es keine Grenze, wo man sagt: Moment mal, das ist doch unpädagogisch!

Nocheinmal zurück zu den Western: Spiegelten diese in der DDR auch in gewisser Weise die Sehnsucht der eingesperrten Bürger wider?
Mitic: Ja, ich glaube, das war so. Die Filme waren auch sehr beliebt, ich treffe noch oft Menschen, die diese Filme als Kind gesehen haben, auch im Ausland. Der Indianer war für viele eine Vorbildfigur. In Russland sagte mal jemand zu mir: „In unserem Ort haben viele gesoffen, aber als dein Film lief, haben sie damit aufgehört.“ Sie wollten genauso sein wie der Indianer, haben Sport gemacht usw.

Wollte man mit den Filmen damals vielleicht auch eine Art Identifikation schaffen, zwischen den bedrohten Indianern einerseits und der DDR als bedrohtes Sozialisten-Volk andererseits?
Mitic: Ob es so einen Hintergedanken gab, weiß ich nicht. Man ahnte am Anfang ja noch gar nicht, dass diese Filme so erfolgreich werden würden. Das hat sich damals nur ein Produzent ausgedacht, der einfach mal einen Indianer-Film drehen wollte. Zuerst waren alle dagegen und haben ihn gefragt, was das soll. Aber er hat sich durchgesetzt und so entstand „Die Söhne der großen Bärin“. Ich selbst dachte auch, dass das nur eine Eintagsfliege ist.

Sie wollten Ihre Karriere als Indianer-Darsteller sogar vorzeitig beenden.
Mitic: Stimmt, einmal habe ich den Drehbuchautoren überredet, dass er den Helden sterben lässt. Das war für mich der vierte Film, und ich dachte in dem Moment: „Es reicht, ich habe jetzt schon drei Indianer-Filme gemacht, jetzt kommt der vierte und danach ist Schluss.“ Das haben wir auch so gemacht, meine Figur wurde in dem Film („Weiße Wölfe“) getötet – aber dann war die Reaktion der Zuschauer darauf so eine Lawine, da musste ich schnell wiederauferstehen.

© Planet Interview

© Planet Interview

Welche Werte der Indianer sind für Sie persönlich wichtig geworden?
Mitic: Zum Beispiel dass sie sagen: Die Erde ist unsere Mutter, wir müssen sie erhalten, wie wir sie vorgefunden haben. Ein Indianer lebt im Einklang mit der Natur. Er macht sie sich nicht „zum Untertan“, wie es in der Bibel steht. Im Namen des Profits sind wir ja wirklich schon so weit, dass wir unseren eigenen Lebensraum zerstören. Natürlich hat es Konsequenzen, wenn wir die Natur so behandeln. Wir produzieren so viel Müll, Dinge, die wir gar nicht brauchen, was auch viel Energie kostet. Wozu?
Der Indianer Tatanga Mani hat einmal ganz treffend gesagt: „Ihr Weißen rennt dem Geld hinterher, bis ihr so viel habt, dass ihr gar nicht lang genug lebt, um es auszugeben. Ihr plündert die Natur und verschwendet natürliche Brennstoffe als käme nach euch keine Generation mehr. Und ihr redet von einer immer besseren Welt, während ihr immer größere Bomben baut um jene Welt, die ihr noch habt, zu zerstören.“ Es ist Wahnsinn, wie diese Menschen denken und wie sie die Natur lieben. Das haben wir verlernt, das kennen wir nicht.

Leben Sie denn heute naturverbunden?
Mitic: Ich versuche, möglichst viel in der Natur zu sein. Aber ich lebe nun mal in dieser Gesellschaft, ich muss auch mal einkaufen gehen. Allerdings fahre ich meistens mit dem Fahrrad.

Was ist mit Pferden?
Mitic: Ich liebe Tiere, deshalb besitze ich keines. Ich könnte mich nicht genug darum kümmern. Und ein Pferd zu besitzen, es irgendwo in einem Gestüt abzugeben und dann einmal im Monat zu reiten – das wäre nichts für mich. Ich muss mich täglich um das Tier kümmern, denn so entsteht eine soziale Bindung.
In Bad Segeberg, wo ich 15 Jahre lang Winnetou spielte, habe ich mein Pferd auch selbst geputzt, dieser Kontakt ist sehr wichtig. Wenn ich dann in die Arena einreite, merke ich, wie mein Pferd atmet und denkt.

Sie sind nach der Wende auch in die USA gereist und haben Indianern Ihre Filme gezeigt. Gab es da viel Kopfschütteln?
Mitic: Nein. Am Anfang waren die sehr skeptisch, „warum kommt einer aus Europa und zeigt uns einen Indianerfilm? Was verstehen sie von uns?“ Doch am Schluss kam sogar einer zu mir und sagte: „Egal wie dieser Film gemacht wurde – das ist meine Geschichte.“ Das war ein sehr schönes Erlebnis.

Der DDR sind Sie bis zum Mauerfall bekanntlich treu geblieben.
Mitic: Ja, weil ich dort etwas bekommen habe, was ich mit keinem Geld kaufen konnte: ein Publikum. Die Zuschauer haben mich festgehalten. Und ich hatte das Gefühl, dass ich diesen Menschen etwas geben kann.

Es hat Sie also nie gereizt, abzuhauen?
Mitic: Nein, das brauchte ich doch gar nicht. Ich hatte ja einen jugoslawischen Pass, also damals den besten Pass der Welt. Ich konnte überall nach Osten und Westen fahren, ohne Visum.

Waren Sie dann häufig in West-Berlin?
Mitic: Ich bin damals nach West-Berlin gefahren, wenn mich Kollegen baten, Verwandten etwas zu überbringen oder im Westen das ein oder andere zu besorgen. Da habe ich dann gesagt: „OK, sammelt bitte eure Bestellungen und dann fahre ich rüber.“ Ich habe das gerne gemacht, allerdings auch immer mit einem schlechten Gewissen, weil ich dachte: Warum darf ich das, aber meine Kollegen nicht?
Im Westen fühlte es sich für mich oft an wie in einem Bienenstock, so viele Menschen! Deshalb habe ich immer versucht, dort alles rasch zu erledigen und dann schnell wieder in den Osten zu fahren. Erst wenn ich zurück hinter der Grenze war, habe ich wieder aufgeatmet.

Sie hießen auf der Leinwand u.a. Tokei-ihto („Stein mit Hörnern“), Chingachgook („Die große Schlange“), „Weitspähender Falke“, „Der sich duckende Berglöwe“ – welcher Indianername passt am besten zu Ihnen?
Mitic: Vielleicht „Weitspähender Falke“. Ich beobachte sehr gerne und versuche immer, alles zu erspähen und mitzukriegen.

In dem neuen Sat.1-Film rauchen Sie Friedenspfeife. Mit echtem Tabak?
Mitic: Ja, das ist echter Tabak.

War das für Sie als Nichtraucher mal ein Problem?
Mitic: Ja, als wir damals die „Bärin“ drehten, da musste ich auch die Friedenspfeife rauchen, aber ich konnte das nicht. Ich hatte zwischendurch einen Satz zu sagen, dann ging das Feuer wieder aus, ich zog und zog – aber es kam nichts raus. Ich glaube, wir haben die Szene etwa 20 mal drehen müssen, bis es geklappt hat.

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