Gloria

Da würde ein Hauen und Stechen losgehen.

Mark Tavassol und Klaas Heufer-Umlauf alias Gloria sprechen im Interview über schweigende Schlagerstars, abwaschbaren Pop, missverstandene Texte, fremdgeschriebene Songs, politisch ungebildete Bürger – und was passieren würde, wenn man den "Echo"-Preis von Verkaufszahlen entkoppelt.

Gloria

© Peter Kaaden

Am Anfang würde ich gerne mit euch über eine Äußerung von Klaas im „Spiegel“ sprechen. Es geht um die Forderung an prominente Musiker wie Helene Fischer, in einer politischen Situation wie der Flüchtlingskrise öffentlich Stellung zu beziehen. Mark, wie siehst du das, schließt du dich dieser Forderung an?

Mark Tavassol: Ich habe mal eine Dokumentation über Helene Fischer gesehen, wo sie in einem vollen Stadion auftrat, wo ich mir auch die Frage stellte: Warum sagt sie in krisenhaften Zeiten nicht einen Satz zur Flüchtlingsproblematik, Richtung Menschlichkeit? Selbst wenn dann die Hälfte der Leute rausgeht, sie hätte etwas bewirkt und sie ist immer noch reich. Ihr Verhalten lässt für mich nur zwei Schlüsse zu: Entweder sie stimmt der Anti-Flüchtlings-Politik zu, oder sie wurde von jemand beraten, im Sinne von ‚wir müssen kommerziell denken‘. Das finde ich mindestens genauso verwerflich, wenn man ein Sprachrohr nicht nutzt, weil man wirtschaftliche Einbußen befürchtet.

Der Songwriter Philipp Poisel zum Beispiel sagt: „Ich finde meine Meinung nicht wichtiger als die von jemand anderem.“

Klaas Heufer-Umlauf: Das kann man sagen – finde ich aber Quatsch. Klar, es gibt da verschiedene Ansätze, Neo Rauch zum Beispiel sagte mal in einem Spiegel-Interview, dass es für ihn eine Art „künstlerischer Anstand“ ist, sich nicht politisch zu positionieren. Ich sehe das anders.

Poisel argumentiert, er wolle mit seiner Musik einen Raum schaffen, in dem das Politische keine Rolle spielt.

Heufer-Umlauf: Das kann er ja auch machen. Es geht mir nicht darum, dass Musiker in ihren Songs Stellung beziehen, ich fordere keinen Schlager-Sänger auf, eine politische Single zu veröffentlichen. Aber  man hat als öffentliche Person bestimmte Möglichkeiten, sich zu positionieren. Mit der Aufmerksamkeit und Wirkungskraft geht eine Verantwortung einher. Ich rede nicht davon, dass man beim Konzert eine halbe Stunde über Politik sprechen soll, sondern das können kleine Äußerungen, kleine Aufmerksamkeiten sein. Wenn man weiß, dass einem zugehört wird, in einem voll besetzten Stadion, mit 80.000 Leuten – in dem Moment das Maul zu halten, finde ich falsch.

Warum machen es dann so viele?

Heufer-Umlauf: Das ist eine einfache Rechnung: Weil sie sonst weniger Quote haben würden. Wenn ich weiß, dass 13 Prozent die AfD wählen, plus die Dunkelziffer der Leute, denen meine Meinung auch nicht gefällt – wenn ich die alle ausschließe von der persönlichen Sympathie, ist das geschäftsschädigend.
Bei mir persönlich sind die Auswirkungen vielleicht nicht so stark, da die Leute bei mir schon länger wissen, wie ich ticke. Aber bei Helene Fischer, Andrea Berg oder den Amigos sieht es schon etwas anders aus.

Tavassol: Man kann nicht von jedem ein politisches Statement verlangen. Beim Schlager allerdings finde ich skandalös, dass es so flächendeckend passiert, als gäbe es eine bestimmte Art Menschenschlag, der Schlager macht bzw. managt. Dieses grundsätzliche Schweigen des Schlagers irritiert und empört mich.

Wie erklärt ihr euch dieses Schweigen?

Tavassol: Ich bin jetzt wieder an einem Punkt, an dem ich vor 20 Jahren schon mal war. Damals habe ich alles sehr schwarz-weiß gesehen: Indie-Musik ist toll, Schlager ist doof. Dann habe ich aber  irgendwann festgestellt, dass es auch im Indie-Bereich Bands gibt, die nur von Universal gesagt bekommen, was sie machen sollen und dass andererseits Heino die Grünen wählt.

Und heute siehst du es wieder wie früher?

Tavasol: Jetzt, in einer Zeit, wo man Geflüchtete hat, aufgrund einer Krise, die wir im Prinzip mit unseren Globalisierungsentscheidungen selber verursacht haben… Wir haben der Welt eine Wirtschaftsordnung aufoktroyiert, das führt zu Krisen und dazu, dass die Leute aus ihren Ländern wegwollen. Jetzt stehen die vor unserer Tür – und der Schlager schweigt dazu. Das erfüllt genau mein Klischee, das ich vor 20 Jahren hatte. Dann ist es vielleicht tatsächlich so, dass Schlager-Musiker im Herzen oberflächlicher, rechtskonservativer, egozentrischer sind – was auch immer dazu gehört, um so etwas einfach auszuschweigen. Obwohl diese Musiker massenhaft vor Menschen stehen, von denen vermutlich einige einen Denkanstoß positiv aufnehmen würden.

Zitiert

Wir haben in Deutschland einen hohen Prozentsatz von Leuten, die nicht wissen, wie Politik und Wirtschaft funktioniert, wie die Demokratie funktioniert. Nur will das keiner sagen.

Gloria

Jan Böhmermann hat Mitte des Jahres einen Rant auf deutsche Chart-Musik abgelassen. Diese sei, Zitat „unpolitisch und abwaschbar“. Stimmt ihr dem zu?

Heufer-Umlauf: Da hat er Recht. Ich finde aber, dass man das der Musik nicht so anlasten muss. Mir gefällt auch Unterhaltung, die komplett für sich steht. Auch bei mir, auch bei Jan ist nicht alles durchzogen von einer politischen Aussage, Unterhaltung ist Unterhaltung, Zirkus ist Zirkus – so kann es auch bleiben. Man kann aber als Pop-Künstler in einer anderen Form relevant sein. Wenn Sarah Connor, die nicht gerade für politische Songs bekannt ist, Flüchtlinge bei sich beherbergt und darüber spricht, bekommt man einen anderen Eindruck von ihr.

Ihr sprecht politische Themen jetzt klar an, in eurer Musik allerdings verschlüsselt ihr viele Aussagen. In der Single „Immer noch da“ fällt nicht das Wort „Hakenkreuze“ sondern es heißt „Was sollen die ganzen Kreuze vor deinem Tor, Was haben diese Haken zu allem Unglück darauf verloren“ – Das wird vermutlich nicht jeder Zuhörer sofort verstehen.

Heufer-Umlauf: Ach, doch. Das traue ich den Leuten schon zu, insbesondere wenn sie das Video dazu sehen. Mir ist bewusst, dass wir manchmal ein bisschen unzugänglicher sind. Ich finde es aber nicht schlimm, wenn mal etwas schwieriger zu entschlüsseln ist – wir schreiben ja keine wissenschaftlichen Arbeiten sondern Songs.

Tavassol: Wenn ich das Wort „Hakenkreuze“ benutze ist ja sofort alles klar. Dagegen suggeriert das Wort „Kreuze“ erstmal, dass wir über existenzielle Dinge sprechen, es geht um Gräber, um Morde.
Ich habe kürzlich ein Foto gesehen, von der Hinrichtung einer jüdischen Familie, 1942/43. Auf dem Bild hält die Mutter noch ihr vierjähriges Kind im Arm, während man im Hintergrund zwei SS-Soldaten sieht, die das Gewehr anlegen. Das ist so krass… Wenn wir über „Wehret den Anfängen“ reden, dann reden wir auch darüber, dass es so weit schon mal gekommen ist. Und die Anfänge waren damals nicht Taten wie auf diesem Foto, sondern die Anfänge waren „Recht und Ordnung“.
Wenn ich nun die Wörter „Kreuze“ und „Haken“ so in die Nähe zu setze, dass man akustisch, phonetisch auf „Hakenkreuze“ kommt – so etwas treibt mich beim Texten mehr als eine konkrete Formulierung, die vom Hörer schnell nachvollzogen werden kann. So entstehen diese Um-die-Ecke-Bilder.

Der Hörer muss also ‚um die Ecke denken‘ können?

Tavassol: Ich würde nicht ausschließen, dass wir in Zukunft auch mal plakativer formulieren. Das ist aber immer ein Grenzgang, ein plakativer Text kann schnell kippen und ein Geschmäckle bekommen.
Tatsächlich werden wir auch oft von unseren Zuhörern gefragt, was bestimmte Songzeilen bedeuten. Das gab es übrigens auch bei Wir sind Helden, dass die Leute Songs missverstanden haben, „Denkmal“ haben manche abgefeiert, weil sie Beziehungskritik darin nicht verstanden haben. Oder „Müssen nur wollen“ wurde als Motivationshymne interpretiert, wobei es das Gegenteil war. Bei Gloria habe ich schon mal mit dem Gedanken gespielt, dass wir die Texte auflösen, in dem wir eine Art Sekundärtext veröffentlichen. Ich hadere aber noch mit dieser Idee.

Die AfD ist mit über 12 Prozent in den Bundestag eingezogen. Wie erklärt ihr euch das starke Anwachsen der rechten Strömung? Und wie geht man am besten damit um?

Tavassol: Wir haben in Deutschland einen hohen Prozentsatz von Leuten, die nicht wissen, wie Politik und Wirtschaft funktioniert, wie die Demokratie funktioniert. Nur will das keiner sagen. Die Politiker formulieren ja immer „die Bürgerinnen und Bürger wissen sehr wohl…“ – aber ich glaube, das stimmt nicht. Wir haben sehr viele einfache Leute und auch viele tendenzielle Nazis in der Bevölkerung. Und dann gibt es manchmal Parteien, die es schaffen, das auf eine demagogische Art und Weise zu bündeln. Wenn dann noch eine Flüchtlingssituation hinzukommt, wodurch die Leute emotionalisiert sind und manche überhaupt zum ersten Mal wählen gehen, dann kommt es zu so einem Wahlergebnis.

Heufer-Umlauf: Heiner Geißler hat mal gesagt, dass wir konstant 10-15 Prozent Nazis im Land haben…

Tavassol: … wir vergessen das nur manchmal.

Heufer-Umlauf: Wir müssen aufpassen, dass deren Rassismus nicht zur Normalität wird, dass man sich nicht daran gewöhnt. Man kann nicht sagen: So ein Rechtsruck ist halt ein Zeichen unserer Zeit, weil es ja in Ländern wie Holland oder Norwegen auch stattfindet – so ein Quatsch! Wir haben schlicht und einfach bei dieser Bundestagswahl gezeigt, dass wir rein gar nichts aus der Geschichte gelernt haben.

Es gibt ja diesen Ausspruch „Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient“.

Tavassol: Ich bin total dafür dass alle wählen gehen. Wenn man allerdings vorher keine politische Aufklärung betreibt, führt das dazu, dass die Leute die AfD wählen. Politische Bildung ist bei uns leider nicht in allen Ecken angekommen, weder in den sozialen noch in den geographischen Randbereichen. Das ist unser größtes Problem.
Warum stehen denn die Leute hier und beantragen Asyl? Weil wir hier sagen: „Geiz ist geil, ich kaufe bei Kik“, weil wir unser Wirtschaftssystem so aufgebaut haben, dass viele Waren woanders produziert und andere Länder im Prinzip klein gehalten werden müssen Solange es kein Konsensverstehen der Globalisierungsproblematik gibt, werden manche Leute in ihren einfachen Denkstrukturen sagen: „Was machen die Flüchtlinge hier? Das ist mein Land!“ Die checken nicht, dass sie mit ihrem Kik-Pullover dazu beitragen, dass andere Menschen aus ihrem krisengeschüttelten Land rausgetrieben werden. Da braucht es noch viel politische Aufklärungsarbeit, auch von Seiten der Parteien. Und das bedeutet auch, die Rolle des Westens kritisch zu hinterfragen.

Klaas, du hast im eingangs erwähnten „Spiegel“-Interview auch gesagt, dass 2006 zur Fußball-WM ein „von Agenturen designtes Deutschlandgefühl“ aufkam. Warum hast du das so empfunden?

Heufer-Umlauf: Damals wurde schwarz-rot-gold plötzlich wieder cool, nach dem Motto „jetzt haben wir es endlich mal hinter uns, jetzt können wir das doch mal wieder machen“. Die Tatsache, dass wir hier nach wie vor einen hohen Anteil Nazis haben, ist damals in der allgemeinen Begeisterung untergegangen. Das war mir unangenehm, dass man da einfach den Fokus verliert. Und dieses Grundgefühl war damals von Agenturen mitdesignt. Es gab die „Du bist Deutschland“-Spots im Fernsehen, auch die ganze Produktwerbung, die um die WM herum stattfand.
Oder dieser „Germany – Land of Ideas“-Mist. Ich bin jetzt keiner, der Deutschland hasst, ich weiß auch, in welchen Dingen wir weiter sind als andere Länder. Aber ich finde, dass man sich besser um die Probleme kümmert, als sich den ganzen Tag zu überlegen, wie schön es hier ist und wie toll wir alle sind.

Tavassol: Mich hat 2006 allerdings beeindruckt, dass es funktioniert hat, einerseits Spieler und Fans aus allen Herren Ländern, also eine große Vielfalt hier zu haben und andererseits zu sagen, „du bist Deutschland“. Das war für kurze Zeit miteinander vereinbar, für mich hat sich das OK angefühlt. Es war nur nicht nachhaltig genug.

Einer der Wahlkampf-Slogans der AfD lautete „Mut zu Deutschland“.

Heufer-Umlauf: Das ist Quatsch, genauso wie das Plakat mit einer LKW-Blutspur durch Europa, ausgehend von unserer Bundeskanzlerin. Auch im digitalen Wahlkampf – der ja ebenso abgesegnet wird von diesen Bürgerlichkeitsdarstellern wie Jörg Meuthen und Alexander Gauland – gab es rassistische, ekelhafte Aussagen. Die AfD lässt keinen Zweifel daran, wo sie steht.

Klaas, von dir ist ja bekannt, dass du die SPD unterstützt. Hat das Ergebnis der Bundestagswahl nicht auch damit zu tun, dass die SPD in der Vergangenheit ziemlich viel hat schleifen lassen?

Heufer-Umlauf: Klar, da gibt es definitiv große Fehler. Andererseits weiß ich, dass die SPD in ihren Grundlagen und ihrer Grundausrichtung eine extrem menschliche, extrem soziale und sehr gesellschaftsbefördernde Partei ist.

die aber auch viele unsoziale Gesetze mitgestaltet bzw. mitgetragen hat, Stichwort Hartz IV, Stichwort Leiharbeit.

Heufer-Umlauf: Ich will da nichts schönreden. Ich finde es auch nicht schlecht, dass man sich jetzt in der Opposition wieder etwas besinnt, auf das, was man so macht. Ich glaube, die CDU wird jetzt rechter, die SPD wird wieder linker. Das war mal an der Zeit. **

Du hast einige Politiker persönlich kennengelernt – bist du bei denen noch überzeugt, dass sie Idealisten bleiben und sich nicht verbiegen lassen?

Heufer-Umlauf: Bei der SPD ja. Bei der CDU weiß ich es nicht. Ich glaube, dass so eine moralische Gewissensentscheidung, wie sie Angela Merkel 2015 gefällt hat, nicht mehr möglich sein wird. Das finde ich schade, denn da war mir Angela Merkel sehr sympathisch. So etwas werden wir jetzt nicht mehr erleben, da sind wir zu dumm gewesen, das haben wir nicht ausreichend unterstützt. Inzwischen haben in der CDU diejenigen Oberhand gewonnen, die immer schon gesagt haben, es ist scheiße, Flüchtlinge reinzulassen.

Ich möchte noch auf ein anderes Thema zu sprechen kommen, beginnend mit folgender Frage: Kennt ihr eine Gemeinsamkeit von Mark Forster, Helene Fischer und Bushido?

Heufer-Umlauf: Kontostand vielleicht?

Alle drei haben schon mit den gleichen Produzenten bzw. Songwritern gearbeitet.

Heufer-Umlauf: Ach, das finde ich nicht schlimm. Man sollte sich dann nur nicht hinstellen und sagen „ich habe den Song geschrieben“, wenn er von jemand anderem stammt. Dieses Thema könnte man insgesamt transparenter besprechen. Wenn man Sänger ist, ist man eben Sänger, das ist doch ok, man muss ja nicht immer auch der Komponist sein. Ich habe auch Songwriter in meinem Freundeskreis, die Songs für allemöglichen Leute schreiben.

Tavassol: Es ist schon so, dass dieses Modell im Moment etwas pervertiert wird, nicht ohne Grund gab es ja viel Häme darüber. Andererseits hat es etwas sehr klassisches, wenn man zum Beispiel an Elvis denkt. Damals hat auch niemand behauptet, Elvis hätte keine Songwriter im Hintergrund. In der Zeit entstand ja auch die Bezeichnung „A&R“ (Artist & Repertoire), für die Leute in der Plattenfirma, die den Artist mit dem Repertoire zusammengeführt haben. Der Künstler konnte singen und die Songs haben andere besorgt.

Warum macht ihr das nicht so? Ihr könntet doch einfach eure Plattenfirma fragen und die besorgen euch dann Songs mit Hit-Potential von Deutschlands Top-Songwritern.

Heufer-Umlauf: Das ist doch Quatsch.

Warum genau ist das Quatsch?

Heufer-Umlauf: Weil wir nicht die wirtschaftliche Notwendigkeit haben, irgendwelche Hits produzieren zu müssen. Ich finde es total in Ordnung, wenn sich X- und Y-Achse treffen, wenn die Leute unsere Musik gut finden. Ich freue mich auch, wenn wir Tickets verkaufen, daran sehe ich, dass die Band funktioniert. Aber Gloria gibt es in erster Linie, weil wir Bock hatten, Musik zu machen. Die ersten sechs Jahre haben wir Musik gemacht ohne etwas zu veröffentlichen, ohne überhaupt eine Band sein zu wollen. Den Gedanken, wir brauchen jetzt ganz viele Hits, gab es nicht.

Wäre doch toll, so ein Hit…

Heufer-Umlauf: Nein, das Schlimmste, was uns passieren kann, ist ein Riesen-Hit, denn dann explodiert die Band. Das ist nicht das Ziel, sondern es geht uns um das Musikmachen. Wenn wir den kreativen Teil auslagern würden, warum sollen wir dann noch eine Band haben? Es ist ja niemand Maler, weil er nur die Ausstellung mag, sondern der findet ja Malen gut. Ich freue mich, wenn Leute unsere Songs gut finden. Aber diese Freude wäre ungleich kleiner, wenn ich wüsste, wir selbst haben damit nichts zu tun.

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Wie war das bei „Wir sind Helden“, Mark? Habt ihr da mal überlegt, euch Songs einfach von außen liefern zu lassen?

Tavassol: Nein, das Thema hat nie eine Rolle gespielt, weil uns genug eingefallen ist. Wir waren auch froh darüber, denn nur möglichst tolle Hechte auf der Bühne zu sein – das wäre zu wenig gewesen. Insbesondere wenn man sich gerne zu politischen Dingen äußert, wenn man bestimmte Themen vertiefen will, philosophische Gedanken, Kritik – und wenn man darüber auch gerne mit Zuhörern spricht, oder mit Journalisten. Es wäre ja absurd, wenn ich hier im Interview sagen müsste, dass ein Thema in unserem Song nur deshalb vorkommt, weil ein Songwriter aus Stuttgart oder Malmö findet, dass das gut zu uns passt.

Klaas, wenn wir auf deine TV-Arbeit schauen, dort arbeitest du mit Gagschreibern.

Heufer-Umlauf: Natürlich, da haben wir ein ganzes Team, da würde ich nie ein Geheimnis draus machen. Wer denkt, ich sitze da alleine wie eine One-Man-Band mit Trommel auf dem Rücken, Schelle in der Hand und Mundharmonika davor und mache alles gleichzeitig – das ist eine absurde Kindervorstellung. Bei uns in der Firma sind wir fast 60 Leute und die arbeiten von morgens bis abends daran, dass die Sendungen fertig werden. Mein Part darin ist hier und da kreativ, hier und da schreibe ich was auf…

Du bist der Ideengeber.

Heufer-Umlauf: Also, ich denke mir die Shows nicht alleine aus, ich habe auch nicht alle Gags geschrieben, die bei „Circus Halligalli“ liefen. Allerdings, wenn du selbst nicht humorvoll bist, dann brauchst du dir auch keinen Gagschreiber suchen, das funktioniert dann nicht. Genauso brauchst du auch keinen Songwriter wenn du nicht singen kannst, du musst auf jeden Fall ein Gefühl für Musik haben.

Wenn sich ein Pop-Künstler nun Songs aus allen Himmelsrichtungen liefern lässt – wird er sich mit denen dann eigentlich identifizieren können?

Tavassol: Das ist schon möglich, ich glaube aber, dass es selten der Fall ist. Dafür muss man schon ein guter, bekannter Künstler sein, der sich das Material so aussuchen kann, dass er nur geile Songs bekommt. Jemand wie Robbie Williams vielleicht: Auf der einen Seite ist er so ein bisschen der moderne Elvis, den Leuten ist es egal, ob er die Songs selber schreibt oder nicht. Auf der anderen Seite singt er über Themen, bei denen man denkt: die passen zu ihm. Das gleiche gilt für Madonna. Bei ihr heißt es ja, dass sie an allen Songs mitschreibt. Wobei wir mittlerweile auch wissen, dass keiner weiß, was das eigentlich bedeutet.

Wurdest du schon mal von anderen Künstlern als Songwriter angefragt, Mark?

Tavassol: Ja. Ich bekomme regelmäßig Mails und Anfragen von Verlagen, ob ich mit jemandem schreiben möchte. Oft sind es Anfragen für Künstler, die schon mit beiden Beinen auf der kommerziellen Seite der Popmusik stehen. die schon fest etabliert sind. Oder es geht um Schauspieler, die jetzt Musik machen wollen.

Was schreibst du zurück?

Tavassol: In der Regel gar nichts. Das sind meistens Rundmails, die gehen so an die 40-50 Songwriter, die gut auf Deutsch texten können. Es werden Songs gesucht für Künstler, die ein neues Album planen, manchmal werden sie benannt, manchmal ist das aber auch noch geheim. Sehr oft kommen diese Mails, wenn eine Castingshow-Staffel zu Ende geht. Da stehen dann Infos drin wie Alter und Geschlecht des Interpreten, es werden zur Orientierung irgendwelche amerikanischen oder deutschsprachigen Künstler aufgezählt, es soll „a bit edgy“ aber „still radio“ sein – da rasiert man sich schon mal beim Lesen dieser Mails.
Manchmal geht es soweit, dass Künstler XY ein Songwriting-Team oder schon fertige Songs sucht, der Künstler aber in jedem Fall 20 Prozent der Urheberrechte einbehalten will. Das meine ich damit, wenn ich sage, dass keiner weiß, was es heißt, wenn Madonna sagt, sie schreibt mit. So etwas gibt es in Deutschland natürlich auch.

Warum schreibst du nicht für andere?

Tavassol: Ich habe sehr viel zu tun. Und es reizt mich nicht so sehr. Ich habe einen Freund, der Songs für andere schreibt und damit richtig gutes Geld verdient. Allerdings ist der auch von morgens bis abends in Songwriting-Camps, wohin er von Verlagen oder von den großen Plattenfirmen eingeladen wird. Er schreibt und schreibt – und am Ende eines Jahres hat er dann vielleicht sieben Songs veröffentlicht. Er hat dann viel mehr geschrieben als ich, aber weniger veröffentlicht. Viele seiner Songs landen in der Schublade, weil sie ein Dritter für nicht gut befunden hat, oder für nicht radiotauglich. Ein wichtiges Kriterium ist ja die Radiokompatibilität – von sehr ängstlichen Sendern, die tatsächlich Hausfrauen-Tests machen (sogenannte Callout-Tests, Anm. d. Red). Die eigenen Songs regelmäßig so aus der Hand zu geben, wäre für mich eine absurde Vorstellung.

Jan Böhmermann hat es im Ansatz ja gezeigt: Wenn man in den Charts die Credits studiert, trifft man oft auf die gleichen Namen. Die gleichen Leute, die für Mark Forster schreiben, tun das auch für Helene Fischer…

Tavassol: Das sind die kommerziellen Spielregeln. Wenn es mir um Wirtschaftlichkeit geht, dann muss ich den besten Sänger haben, dann brauche ich kompatible Songs für ein bestimmtes Format – und ob der Mensch, der mir den perfekten Song liefert, gleichzeitig auch Schlager kann oder nicht, interessiert mich überhaupt nicht. Das führt dann dazu, dass manche Leute in der zweiten Reihe so eine Querverbindung herstellen.
Dass Produktionen dann ähnlich klingen hat auch mit dieser Angst zu tun, mit der Angst der Radiostationen, vor sinkenden Einschaltquoten, also dass jemand wegschaltet. Bei der Entscheidung, welche Songs gespielt werden, sind die Radios immer einen Schritt defensiver als offensiver. Deshalb machen die Sender auch so eine regressive Entwicklung.

Kommt daher auch die Häufung der Worte „Menschen“, „Leben“, „Tanzen“ „Welt“?

Tavassol: Daher kommt wahrscheinlich auch so etwas, ja. Das ewige Wiederholen von einfachen Worten, die nicht besonders peinlich aber auch nicht besonders schlau sind, die ein bisschen Interpretationsspielraum lassen. Analog gibt es dazu in der Musik die berühmten „4 Chords“, die vier Akkorde, auf denen sehr viele Songs geschrieben werden, das ist sozusagen das musikalische Pendant zu „Menschen, Leben, Tanzen, Welt“.

Ihr sprecht von ängstlichen Radio-Sendern – wie sieht es parallel dazu im TV aus?

Heufer-Umlauf: Wir haben gerade bei „Inas Nacht“ gespielt, das war gut. Da waren zum Beispiel auch „Portugal. The man“ zu Gast. Dann fällt mir spontan noch „aspekte“ ein, wo Musik vorkommt –  ansonsten muss man schon ziemlich suchen, bis einem da was einfällt. Bei den Öffentlich-Rechtlichen findet ja eigentlich viel Musik statt: Schlager. Wir haben das Problem, jüngere Musik, überhaupt Musik, die progressiver ist als Schlager, im Fernsehen stattfinden zu lassen. Das ist eine Schwachstelle.

Wenn progressive Musik Quote bringen würde, dann würden die Öffentlich-Rechtlichen es wahrscheinlich senden.

Heufer-Umlauf: Ich glaube schon, dass das Fernsehen – gerade auch in der Kombination von Privatem und öffentlich-rechtlichem Fernsehen – immer die zwei Komponenten haben muss: Einerseits ein Angebot und andererseits die Befriedigung der Nachfrage, das muss sich die Waage halten. Und natürlich liegt die Verantwortung, ein Angebot zu schaffen, mehr bei den Öffentlich-Rechtlichen. Die haben ein gewisses Budget, das ihnen nicht verloren gehen wird, wenn sie mal experimentieren. Deswegen rate ich auch den Öffentlich-Rechtlichen: Habt mehr Mut zu Experimenten.

Tourdaten Gloria:
13.12. Dortmund (FZW), 14.12. Münster (Skaters Palace), 15.12. Hamburg (Große Freiheit), 24.01. Köln (Gloria), 25.01. Erlangen (E-Werk Erlangen), 26.01. Wien (Chaya Fuera), 27.01. Dresden (Alter Schlachthof), 31.01. Hannover (Capitol), 01.02. Bremen (Kulturzentrum Schlachthof), 02.02. Rostock (M.A.U Club), 03.02. Kiel (Orange Club), 09.02. Erfurt (Kalif Storch), 10.02. Berlin (Astra Kulturhaus)

Klaas, mit „Circus HalliGalli“ habt ihr dieses Jahr einen falschen Ryan Gosling bei der Verleihung der „Goldenen Kamera“ eingeschmuggelt. Hat es dich erschreckt, dass sich das ZDF so leicht von euch foppen ließ?

Heufer-Umlauf: Nein, wieso? Ich fand es stark, dass es so funktioniert hat. Im Grunde weiß jeder, der das System so einer Veranstaltung kennt, dass es darin Lücken gibt. Das lag nicht an der Schusseligkeit des ZDF oder Produktionsfirma, sondern das hätte uns bei ProSieben genauso passieren können. Ich möchte auch ganz ausdrücklich die Aktion bei der Goldenen Kamera nicht als satirisches Gesellschaftsstück verstanden wissen, mit dem wir irgendwas aufzeigen wollten. Das Ganze war nichts weiter als ein Witz.

…der aber zumindest dafür gesorgt hat, dass der Veranstalter Funke Medien offiziell bestätigt hat, dass das Kriterium für die Preisvergabe nicht eine Jury-Entscheidung ist, sondern die Verfügbarkeit des Künstlers.

Heufer-Umlauf: Ja, aber worüber reden wir, den Nobelpreis oder die Goldene Kamera? Ist es nicht ziemlich egal, wer die kriegt? Es ist doch klar, dass die Hollywood-Schauspieler nicht nägelkauend in ihrer Villa sitzen und denken: Hoffentlich klappt es dieses Jahr mit der Goldenen Kamera. Das ist uns doch allen klar! Joko und ich haben die Probe aufs Exempel gemacht, es hat funktioniert – aber ich würde mich nicht als Freiheitskämpfer für die Wertigkeit deutscher Quatschpreise gerieren wollen.

Welche Auszeichnungen sind für dich keine ‚Quatschpreise‘?

Heufer-Umlauf: Zum Beispiel der Grimme-Preis, der sagt für mich schon etwas aus. Und generell natürlich Preise, die eine unabhängige Jury haben, die frei von Interessen ist.

Hat der Echo so eine Jury?

Heufer-Umlauf: Das weiß ich nicht genau. Soweit ich weiß, ging es immer nach Verkaufszahlen, deswegen haben die Kastelruther Spatzen ja auch 13 Echos zu hause. Ich finde das aber nicht so schlimm, man muss ja auch Events schaffen. Da gibt es einmal im Jahr eine Party, alle sind besoffen – und vorher gibt es halt ein paar Preise.

Und wenn es hier so etwas wie den Grammy geben würde?

Heufer-Umlauf: Den Grammy gibt es doch! Ein paar deutsche Künstler haben es auch da hingeschafft.
Ich finde den „Preis für Popkultur“ interessant. In der Akademie, die dahinter steht, sind Leute aus den verschiedensten Bereichen der Branche, den traue ich auch zu, die Sachen zu bewerten. Die Organisatoren machen das nicht, weil sie Geld verdienen wollen, das merkt man dem Preis an – und die Künstler nehmen diese Veranstaltung an. Insofern gibt es durchaus Bewegung in diese Richtung.

Tavassol: Wir haben mit Wir sind Helden insgesamt sechs Echos bekommen, das ist sehr schön und schmeichelhaft. Es ist aber einfach ein Branchenpreis: Die wirtschaftlich-organisatorische Branche der kommerziellen Musik verleiht Preise an die Leute, die am meisten verkauft haben. Wenn du Glück hast, sind das auch coole kreative Leute, die mit einer innovativen Idee um die Ecke gekommen sind – in dem Moment glänzt der Echo. Die Kehrseite sind allerdings die Jahre, in denen solche Überraschungs-Künstler fehlen, dann sieht man kristallklar das Langweilige an der Veranstaltung, auch das Ängstliche. Wobei der langweilige Echo eigentlich der ehrlichere ist.

Wie wäre es denn, wenn man den Echo von den Verkaufszahlen entkoppeln würde?

Tavassol: Also, wenn man den Echo-Machern sagt: Ihr müsst euch von den Verkaufszahlen lösen, ihr müsst jetzt gucken, was cool ist und was nicht – ich glaube, die wüssten gar nicht, was sie machen sollen. Denn dann würden die ganzen Vereinbarungen im Hintergrund, zwischen den verschiedenen Plattenfirmen, keinen Bestand mehr haben. Wer kommt dann in die Jury? Das wäre ein unreguliertes Hick-Hack, da würde ein Hauen und Stechen losgehen. Die Majors, die viel Geld in ihre Künstler stecken (und als Mitglieder der Phono-Akademie Ausrichter des Echos sind, Anm. d. Red) werden sagen: Wir wollen diese Plattform im Fernsehen für unsere Künstler – warum soll jetzt hier eine Jury entscheiden? Der Echo wäre total überfordert mit so einer neuen Ausrichtung.
Der Echo dient der kommerziellen Maschine, warum sollten die das aufgeben? Wenn sie das aufgeben, kann es sein, dass der Geldzustrom versiegt. Und der Echo könnte im schlimmsten Fall hinter den Preis für Popkultur zurückfallen.
Es ist sicher ein Problem so sehr branchenlastig strukturiert zu sein, weil  man sich dann von den Strukturen kaum mehr lösen kann. Das wird dem Echo in der Rezeption auch mehr und mehr zum Verhängnis.

Die letzte Frage geht an Mark: Auf Wikipedia heißt es nach wie vor „Wir sind Helden ist eine Band“. An dem Status hat sich also bislang nichts geändert?

Tavassol: Genau, das ist tatsächlich so. Ich habe guten Kontakt zu den anderen Bandmitgliedern, wir besuchen uns gegenseitig, Judith und ich machen viel Kram alleine, Jean-Michel macht mit Gisbert zu Knyphausen Musik. Die Bandpause hat ja begonnen als wir alle Kinder gekriegt haben. Ab da haben wir erstmal kleinere Projekte gemacht, die nicht so viel Zeit erfordern. 2015 haben wir auch schon mal drüber gesprochen, ob wir unseren Status ändern sollten. Da sind wir aber zu dem Schluss gekommen, dass es sich falsch anfühlt, zu sagen „wir haben uns aufgelöst“. Weil im Herzen noch so eine Ecke ist, die sagt: Warum nicht? Es hat für mich was Schönes, zu wissen: Wir haben uns nicht aufgelöst und es macht mir dann trotzdem viel Spaß, jetzt meinen eigenen Kram zu machen. Ich bin selber gespannt, was die Zukunft bringt.

** Das Interview entstand wenige Tage nach der Bundestagswahl 2017.

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