Fabrice Schmidt

Renaissance der Musikindustrie?

Fabrice Schmidt BMG über die Zukunft von Plattenfirmen, Tauschbörsen und die Zukunft des physischen Tonträgers

Wie kamen Sie das erste Mal in Berührung mit Napster?
Das erste Mal waren es Kollegen, die mich auf Napster aufmerksam gemacht haben und ich mich dann in das Programm begeben habe, etwa vor einem dreiviertel Jahr.

Was waren in dem Moment Ihre ersten Gedanken?
Ich muss zugeben, dass ich das sehr aufregend fand und ich fragte mich: was bedeutet dies für die Plattenfirma und generell für den Musikkonsum in der Zukunft, wie werden sich Plattenfirmen im Bereich der Tauschbörsen zukünftig platzieren. Ich war einerseits erstaunt und beeindruckt, andererseits natürlich auch sehr erschrocken.

Warum haben sämtliche Plattenfirmen die Entwicklung des Mediums Internet halbwegs verschlafen und suchen jetzt das richtige Trittbrett?
Dieses ‚verschlafen‘ wurde über die Medien zu sehr rausposaunt, ich würde generell einen vorsichtigeren Ansatz erwägen, da man hier die ganze Komplexität berücksichtigen muss. Hier geht es ja nicht einfach nur um das Aufkommen von Tauschbörsen als eine Möglichkeit, welche die Industrie verschlafen hat, sondern hier geht es viel mehr darum, wie man in Zukunft die Übertragungshäufigkeit sichern kann und wie Rechtesicherung generell stattfindet. Sicherung und Bestimmung der Wertigkeit von Content, den gesamten Back-Office-Bereich eingeschlossen, ist eine hochkomplexe Angelegenheit. Eine Tauschbörse wie Napster ins Netz zu stellen ist sicherlich einfach, aber das ganze so zu gestalten, dass man ein Businessmodell aufbaut, welches auch die Urheberrechte in Betracht zieht und schützt, ist hochkompliziert. Und da arbeiten die Plattenfirmen schon lange dran. Verschlafen haben die Plattenfirmen eigentlich gar nicht.

Als Napster ans Netz ging, fühlten sich die Plattenfirmen im ersten Augenblick in ihrer Existenz bedroht. Hat sich daran etwas geändert?
Bedroht fühlen sich hier vor allem diejenigen, die alles neue als Bedrohung ansehen, ähnlich wie sich bestimmte Gruppierungen in der Plattenindustrie zur Zeit des Umbruchs von Vinyl zur CD bedroht gefühlt haben. Man steht jetzt vor der Frage, ob die Entwicklung des Internets eine Chance oder ein Risiko darstellt. In erster Linie stellt sie beides dar. Die Überlegung muss also dahingehen, wie wir diese neuen Möglichkeiten nutzen. Und die jüngste Entwicklung bei Bertelsmann zeigt, dass dies jetzt in Angriff genommen wird, dass neue Medien und neue Technologien erforscht werden, um sie später stark forcieren, stets mit dem Hintergrund, dass man ein System wie Napster auf eine legale Ebene transferieren muss. Viele fragen sich natürlich, was will dieser riesige Dampfer Bertelsmann, wohin wird er gelenkt und ist er flexibel genug. Momentan ist das Wichtigste, ein Modell für die Zukunft zu finden. Dann müssen wir sehen, wie wir am besten dort hingelangen und wie wir es langfristig schützen können.

Angenommen in Zukunft würden also Riesen wie Bertelsmann mittels der Major Labels die Tauschbörsen regieren, haben dann Independent-Labels und deren Künstler noch eine Chance im Internet?
Ich denke mir, dass hier eine ähnliche Entwicklung stattfinden, wie sie auch in der Vergangenheit stattgefunden hat. Die generelle Entwicklung wird dabei primär durch die größeren Companies bestimmt werden, wobei die Independent-Labels wie früher die Möglichkeit haben werden, Nischen zu finden und flexibler auf neue Gegebenheiten einzugehen. Generell wird es also darum gehen, guten Content bereit zu stellen und für den Endverbraucher zugänglich zu machen, was die Kernaufgabe eines Major-Labels sein wird. Die Möglichkeiten des Independent-Label liegen weiterhin vor allem in der Produktbestimmung und darin, sich stärker in Nischen hineinzubewegen. Und angesichts der Möglichkeiten, die das Netz bietet, könnte es sogar zu einer Renaissance der Musikindustrie kommen, wenn wir die Rechtesicherung in Griff bekommen.

Bertelsmann wird Napster den gesamten BMG-Katalog zur Verfügung stellen. Um aber das Musikangebot zu erweitern, müsste Bertelsmann noch weitere Plattenfirmen ins Boot holen. Was geschieht aber, wenn keine andere Firma mit einsteigt?
Natürlich ist es schwer sich eine Tauschbörse wie Napster vorzustellen, die allein BMG-Content anbietet, weil ich als User natürlich Zugang zu jeglichem Content haben will. Wenn man versucht eine Musik-Plattform zu schaffen, muss man sich fragen: was will der Endverbraucher. Und sicherlich wird man schnell zu dem Schluss kommen, dass eine solche Plattform primär nur dann bestehen kann, wenn alles zugänglich ist, sprich es wird zum Problem, wenn die anderen Companies nicht mitmachen wollen. In diesem Fall wird erst mal eine Phase eintreten, in der jede Company, sei es Sony, sei es BMG, seine eigene Tauschbörse gründet. Dieser Zustand wird sich aber nicht lange halten können, so dass eine Konsolidierung stattfinden wird. Denn, dass Major-Labels miteinander Produkte tauschen und kooperieren ist nichts neues, dass haben wir heute schon im Bereich der Compilations und so wird es auch über das Internet eine Zusammenarbeit geben.

Wird es denn schon bald zum Ende des physikalischen Tonträgers kommen?
Das ist eine Frage der Hardware und wie bequem ich diese in Zukunft nutzen kann, angesichts der Entwicklung im Netz. Wenn ich irgendwann die Möglichkeit habe, immer und überall per Fernbedienung Zugriff auf meine Datenbank, meine Tauschbörse zu haben, dann brauche ich den physischen Tonträger nicht mehr. Im Moment herrscht aber noch eine Art technischer Overload, dass man sozusagen zig Fernbedienungen zur Verfügung hat, aber niemand die Funktionalitäten begreift. Erst wenn es eine Vernetzung von TV, Computer und Telefon gibt und alles so leicht zu bedienen ist, dass es vom Endverbraucher angenommen wird, dann wird das letzte Stündchen des physischen Tonträgers geschlagen haben.

Wenn Sie mich als User davon überzeugen müssten, für ein ‚Abonnement‘ bei Napster im Monat 20DM zu zahlen, wie würden Sie argumentieren?
Zum einen sind Sie Bestandteil einer großen Community. Zum anderen können Sie jederzeit die Tauschbörse besuchen, können fragen, was es neues gibt, sich Informationen über Künstler einholen, und reinschnuppern in neue Musik. Sie können die Back-Kataloge durchsuchen und Ihnen wird eine riesige Bandbreite angeboten. Wenn man heute mal in den Archiven nachschaut, wie viel Musik es eigentlich gibt, was in den BMG-Katalogen an tollen Produkten schlummert, das ist einfach unvorstellbar. Produkte, die aber nie wieder rauskommen, weil es sich nicht lohnt, dafür Tonträger zu produzieren und in die Läden zu stellen. Eine solche Börse sehe ich also zum einen als Benefit für den Endverbraucher an und zum anderen natürlich auch für die Plattenfirma, weil die – zumindest in den nächsten Jahren – genauso viel oder sogar mehr physische Tonträger verkaufen wird als heute. Zusätzlich kann sie im Netz Interesse wecken und die ganze Bandbreite seiner Musik zur Verfügung stellen.

Auf der Homepage von Napster ist zu lesen, ein Teil der Tauschbörse würde immer kostenlos bleiben. Was ist hiermit gemeint? Wird BMG den kostenlosen Download beispielsweise für Promotionszwecke nutzen?
Unser Chef Thomas M. Stein, President GSA/Eastern Europe, hat vor kurzem bekräftigt, wir würden Musik nicht verschenken, was auch durchaus wahr ist. Andererseits gibt es aber die Möglichkeit für Promotionzwecke Zielgruppen einfach anzuteasern. Diese Vorgehensweise findet man ja auch in anderen Branchen, wie zum Beispiel der Parfümerie-Industrie. Dort werden enorm viele Proben einfach verschenkt, die wahrscheinlich 40% des gesamten Volumens ausmachen, dass verkauft wird. Das Netz gibt also immer ein Stück weit die Möglichkeit zu sagen, ‚hier ist eine neue Band, hört sie euch an und sagt uns wie ihr sie findet‘, sprich man kann eine Tauschbörse auch sehr gut als Testmarkt nutzen. Ähnlich sieht es ja auch aus bei den BMG ‚New Talents‘, eine Ebene, wo man neue Talente beschaut und erfährt, welche Musik sie bringen und wie man sie promoten kann. So etwas sollte im Bereich Napster natürlich auch stattfinden, dass ich also Zielgruppen mit kostenlosen Angeboten einfach ansprechen kann, mir die Resonanz anschaue und die Resultate dann in die Vertriebs- und Marketingmaschinerie einklinke, wenn eben eine gewisse Resonanz vorhanden ist.

Sobald eine Musiktauschbörse verklagt oder aufgekauft wird, werden wieder neue Umschlagplätze aus dem Boden sprießen. Wird die Musikindustrie diesen Wettlauf jemals gewinnen können?
Ja, davon bin ich langfristig überzeugt. Schließlich gibt es keine Musik ohne Industrie, weil die Künstler früher oder später ihre Interessen gewahrt haben möchten und das, was sie produzieren irgendwo entgeltlich vergütet bekommen wollen. Insofern wird es eine legale Ebene geben, gesteuert von der Industrie. Die stellt die Musik auf einer legalen Plattform bereit, wo vor allem die Zielgruppen der Besserverdienenden und Menschen im Arbeitsleben anspricht, die auch nicht besonders viel Zeit haben. Die werden sich immer auf eine legale Ebene linken, weil ihnen der Content dort auf bequeme Weise zugänglich gemacht wird. Aber genauso wird es illegale Plattformen weiterhin geben, nur der Hype der mit Napster entstanden ist, wird sich in Zukunft nicht wiederholen. Denn der Konsument hat mittlerweile verstanden, dass es hier um etwas rein illegales geht, dass sich also jemand bereichert hat, in dem er Produkte von jemand anders weggenommen hat, sie vervielfältigt hat und sich selbst dabei ein goldene Nase verdient hat. Das ist nicht a la Robin Hood, sondern das ist Diebstahl und illegal. Klar, dass so etwas aufkommt ist ganz normal, jeder Endverbraucher kopiert sich schließlich gerne etwas herunter ohne dafür bezahlen zu müssen, dass liegt in der Natur der Dinge. Und begünstigt werden solche Plattformen natürlich durch den heutigen Technologiewandel, der auch Napster sehr schnell wachsen ließ. Auch die Presse half da mit und schrieb dumm und naiv, jeder habe ein uneingeschränktes Recht auf Musik. Schön und gut, aber irgendwo muss ein Businessmodell dahinter stehen um die Rechte der Künstler zu sichern.

Bahnt sich Ihrer Meinung nach zwischen MP3.com und der Universal Music Group eine ähnliche Zusammenarbeit an wie zwischen Bertelsmann und Napster?
Ich denke, da wird ein Format entstehen, mit dem sich auch Universal ein Stück des großen Kuchens sichert.

Wie viel Geld würden Sie als Privatperson für ein ‚Napster-Abo‘ monatlich ausgeben?
Ich denke der Preis darf nicht weh tun und er muss Interesse wecken: 25DM?

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