August Zirner

Ich bin seit 30 Jahren Anfänger.

Schauspieler August Zirner über Filme, Regisseure, Redakteure, „Selbstgespräche“ und die zu überwindende Eitelkeit

August Zirner

© Thomas Kost / Filmlichter 2008

Herr Zirner, wie oft wurden Sie schon von Call-Centern angerufen?
August Zirner: Vier mal.

Und wie oft haben Sie nicht sofort aufgelegt?
Zirner: Ein mal, aber mehr aus Mitleid. Man wollte mir etwas verkaufen, Lotterielose oder so. Der Typ tat mir einfach leid und so bin ich da reingerasselt. Ein mal und nie wieder.

Nun geht es in Ihrem aktuellen Film „Selbstgespräche“ vor allem um Call-Center. Ich habe daher eine kleine Umfrage für Sie vorbereitet: zum deutschen Film allgemein, zu Ihrer schauspielerischen Tätigkeit und am Ende benötige ich dann noch ein paar demografische Daten von Ihnen.
Zirner: Geht in Ordnung.

Herr Zirner, wie oft schauen Sie freiwillig deutsche Fernsehfilme? Sehr oft (1), oft (2), 1mal pro Monat (3), 1mal pro Jahr (4) oder nie (5)?
Zirner: 2.

Wie oft gehen Sie freiwillig in deutsche Kinofilme?
Zirner: Auch 2.

Weil man sich als aktiver Branchenteilnehmer einen Überblick verschaffen muss?
Zirner: Ja. Aber auch wenn ich über einen Film gelesen habe und es interessant klingt, dann gehe ich leidenschaftlich gerne einfach so ins Kino.

Der Film, den Sie zuletzt gesehen haben?
Zirner: „Schmetterling und Taucherglocke“.

Wie bewerten Sie die Qualität deutscher Fernsehfilme im Durchschnitt? Sehr gut (1), gut (2), mittelmäßig (3), schlecht (4) oder grausam (5)?
Zirner: 1. Deutsche Fernsehfilme haben im europäischen Vergleich einen sehr hohen Stellenwert. Ich persönlich sehe das genauso.

Wie bewerten Sie den Einfluss der Einschaltquote auf die Qualität im deutschen Fernsehen, sehr hoch (1), hoch (2)…
Zirner: Ich misstraue gänzlich der Quote und ich misstraue den Leuten, die meinen, dass sie Quoten kapieren. Die Quote führt meistens dazu, dass ein Bild vom Publikum entworfen wird, das mit dem Publikum gar nichts zu tun hat.

Wie bewerten Sie bei ARD und ZDF den Einfluss der Redakteure auf die Gestaltung einer TV-Produktion? Kein Einfluss (1) wenig Einfluss (2), normal (3), sehr hoch (4), zu hoch (5)?
Zirner: 4.

Wie äußert sich das?
Zirner: Da stechen Sie jetzt in ein Wespennest, weil ich dieser Hinsicht gerade eine sehr unangenehme Erfahrung gemacht habe. Ich müsste Ihre Frage jetzt diplomatisch beantworten – aber das wäre langweilig.

Sie müssen keine Namen nennen.
Zirner: Ich kann nur sagen, dass die Eitelkeit von vielen anderen in der Branche – da spreche ich nicht nur von Redakteuren – bei weitem die Eitelkeit eines Schauspielers übersteigt. Uns Schauspielern wirft man ja vor, dass wir besonders eitel sind. Natürlich sind Schauspieler eitel, ich bin auch eitel. Aber ich arbeite damit, ich gehe damit um. Ein guter Schauspieler arbeitet nicht nur mit der Eitelkeit, sondern auch gegen die Eitelkeit.

Gegen die Eitelkeit der anderen?
Zirner: Nein, gegen die eigene. Der Kampf, den man als Schauspieler mit seiner eigenen Eitelkeit aufnimmt, das Bemühen die Eitelkeit zu überwinden, ergibt meistens einen schauspielerischen Höhepunkt. Es gibt diesen Satz von Ingmar Bergman: Kill your Darlings. – Meistens, wenn man sich in etwas verliebt und denkt „das ist jetzt besonders gut, was ich da mache“, man es dann aber weglässt, entsteht etwas Neues, was noch viel besser ist. Und das geht nur, in dem man die Eitelkeit und Selbstverliebtheit überwindet.

Ist Eitelkeit für einen Schauspieler lebensnotwendig?
Zirner: Ja, aber sie ist auch dazu da, um sich mit ihr auseinander zu setzen. Wie bei Faust, wo der Teufel nötig ist, um das Licht zu erkennen, ist die Eitelkeit des Schauspielers nötig, um sich schauspielerisch weiterzuentwickeln, in dem man sie überwindet. Viele andere Branchenteilnehmer bleiben aber in ihrer Eitelkeit stecken, weil sie handwerklich nicht die Aufgabe haben, mit ihr umzugehen.

Wie bewerten Sie die Qualität deutscher Kinofilme gegenüber amerikanischer Produktionen?
Zirner: Das, was dem deutschen Kino noch immer fehlt, ist ein Schuss Pragmatik und ein Schuss Storytelling. Ganz einfach: Wenn ein Detail X am Anfang eines Films vorkommt will man gegen Ende auch noch mal etwas über X erfahren.

Kommen wir zu Ihrer schauspielerischen Tätigkeit. Wie viele Filme haben Sie bisher insgesamt gedreht?
Zirner: Um die 100.

Wie viel Tage im Jahr stehen Sie auf der Bühne?
Zirner: Das ist verschieden, 2008 werden es 52 Tage gewesen sein.

Wie viel Tage im Jahr stehen Sie vor der Kamera?
Zirner: Etwa 70.

Was machen Sie die restlichen Tage?
Zirner: Text lernen. Musizieren. Und meine Kinder besuchen.

Wie viel Drehbücher haben Sie ungelesen weggeschmissen?
Zirner: Noch keins. Aber gelesen und dann weggeschmissen habe ich in meinem Leben schon etliche.

Welche Merkmale muss ein Film- oder Theaterprojekt aufweisen, damit Sie dabei sind?
Zirner: Ein Inhalt, der mich interessiert, Dialoge, die spielbar sind, ein Regisseur, der was vom Geschichtenerzählen versteht und gute Kollegen. Wobei die Entscheidung für oder gegen ein Projekt immer ein Abwägen und Austarieren dieser verschiedenen Faktoren ist. Es ist eine Frage der Konstellation.

Welche besonderen Merkmale hat der Film „Selbstgespräche“?
Zirner: Einen neugierigen Regisseur, der Ahnung von Schauspielern hat, einen Kameramann, der auch auf der Suche war und ein tolles Ensemble.

Regisseur André Erkau hat mit „Selbstgespräche“ seinen ersten Spielfilm vorgelegt. Ist das für einen Schauspieler eine besondere Situation?
Zirner: Nicht unbedingt. Ich kenne andere Regisseure, die noch genauso suchen. Und hätte ich bei André Erkau nicht gewusst, dass es sein Debüt ist, hätte ich es nicht gemerkt.

Ist jeder Film eine Art Neuanfang?
Zirner: Ich würde von mir selber sagen: Ich bin seit 30 Jahren Anfänger.

Sind Sie froh darüber?
Zirner: Ja. Ich weiß natürlich, dass ich nach 30 Jahren schon auch das ein oder andere kann. Aber mich interessiert viel mehr, was ich nicht kann.

Und wenn Sie bei Dreharbeiten oder Theaterproben merken, dass Sie etwas nicht können?
Zirner: Dann sind das sicher schmerzhafte Momente, aber sie sind auch reizvoll, die ziehen einen an. Da wird man neugierig.

Welche besonderen Merkmale hat der Schauspieler August Zirner?
Zirner: Das müssen Sie die anderen fragen.

Zitiert

Wenn man für eine Zeit lang zu wählerisch war, geht einem irgendwann die Puste aus. Und das Geld.

August Zirner

Wenn Sie sich für eine neue Produktion ins Spiel bringen wollen…
Zirner: …würde ich meine Mitarbeit anbieten.

Welcher Film wäre Ihr Bewerbungsvideo?
Zirner: Ganz schwierig… Nächste Frage.

Eine Fernsehproduktion mit weniger Drehtagen bei gleichbleibender Gage, wäre das interessant für Sie?
Zirner: Das kommt auf den Film an. Eigentlich bin ich jemand, der gerne mehr Zeit hat, mir geht es weniger ums Geld als um Qualität. Klar geht es auch mir um Geld und es gibt auch Produktionen, wo ich sage: Wenn das zur gleichen Gage weniger lang dauern würde, wäre mir das recht. Aber das ist eigentlich nicht das, wonach ich strebe. Wenn ich Theater spiele kriege ich ja viel weniger als beim Film, arbeite dort aber ungefähr drei Mal so lang. Damit wäre die Frage dann auch beantwortet.

Findet man in Ihrer Filmografie trotzdem Filme, die Sie ausschließlich oder vordergründig aus finanziellen Gründen gemacht haben?
Zirner: Klar, notgedrungener Weise. Weil wenn man für eine Zeit lang zu wählerisch war, geht einem irgendwann die Puste aus. Und das Geld.

Wie oft haben Sie Dreharbeiten oder Theaterproben abgebrochen?
Zirner: Nie. Ich habe nur einmal bei einer Theaterproduktion Probleme gehabt, dann aber aus Gründen der Professionalität die Arbeit zu Ende gemacht. Wer A sagt muss auch B sagen.

Wie viele von 10 Filmregisseuren wollen nur sich selbst verwirklichen?
Zirner: 2.

Wie viele von 10 Filmregisseuren verstehen etwas von Musik?
Zirner: (überlegt lange) 7. Es gibt viele Regisseure, die einen guten Musikgeschmack haben. Andere haben das nicht, werden dafür aber gut beraten. Und alle Regisseure, mit denen ich bisher zusammengearbeitet habe, hatten tendenziell einen guten Musikgeschmack.

Wie viele von 10 Filmregisseuren sind Frauen?
Zirner: 8. Zumindest bei mir. Generell stimmt das wahrscheinlich nicht ganz.

Wie viele von 10 Schauspielern verpassen den richtigen Zeitpunkt, ihre Karriere zu beenden?
Zirner: Null. Es gibt keinen Zeitpunkt, die Karriere zu beenden. Man kann spielen und sich entwickeln bis man tot ist. Alles andere widerspricht meinem Verständnis von Schauspielerei.

Apropos verpassen: Wie oft haben Sie im Theater einen Auftritt verpasst?
Zirner: Noch nie. Nur einmal, als ganz junger Schauspieler, in Hannover, in „Sladek oder Die schwarze Armee“ von Ödön von Horváth, da saß ich noch auf dem Klo, als ich meinen Einruf hörte. Da war ich dann aber ziemlich schnell auf der Bühne.

Wie oft haben Sie auf der Bühne den Text vergessen?
Zirner: Vielleicht zwei Mal. Sehr selten jedenfalls, weil ich den Text irgendwann lebe.

Wie viele von 10 Schauspielern leben den Text?
Zirner: 6. Nee, 4. Ach nein, ich sage lieber 6.

Kommen wir nun abschließend zu Ihren demografische Daten, Herr Zirner. Mit wie viel Jahren haben Sie Ihr Schauspiel-Debüt gegeben?
Zirner: Mit fünf. In einer Inszenierung meines Vaters. Er hat eine Opernschule gehabt und ich trat auf als Page in der Oper „Prinzessin auf der Erbse“.

Mit Text?
Zirner: Nein. Gesungen habe ich das erste Mal in der Oper „Albert Herring“ von Benjamin Britten“, auch eine Inszenierung meines Vaters. Da war ich 10.

Alt oder Sopran?
Zirner: Sopran. Und nach dem Stimmbruch wurde ich Bass-Bariton. Damit war die Tenor-Karriere zerstört.

Ein Traum Ihrer Jugend?
Zirner: Ja, ich wollte Tamino singen, in der „Zauberflöte“. Ich wollte von der Liebe singen, „Dies Bildnis ist bezaubernd schön“ und dafür Applaus einheimsen. – Da haben Sie’s wieder, die Eitelkeit.

Applaus bekommen Sie heute am Theater.
Zirner: Ja, gelegentlich.

Zu Ihrem Einkommen, Herr Zirner: Wie hoch war Ihre niedrigste Filmgage?
Zirner: Null.

Wie hoch war Ihre höchste Filmgage?
Zirner: Sehr hoch.

Über Geld redet man nicht im Filmgeschäft?
Zirner: Nein. Was ich falsch finde. Ich wäre der erste, der über Geld reden würde, aber dazu müssten dann alle bereit sein.

Haben Sie schon mal mit einem Film ein Verlustgeschäft gemacht?
Zirner: Ja. Ich habe einem Film zugesagt, der nie gedreht wurde. Das war eine englische Produktion, für die ich drei andere Filme abgesagt habe. Ich wollte die Rolle unbedingt spielen, man hat mich immer wieder hingehalten, mich immer wieder geködert mit großen Namen, erst sollte Patrick Swayze mitspielen, dann Matt Dillon – und ich habe mir gesagt: Gut, dann warte ich eben noch mal zwei Wochen. Irgendwann hieß es, der Film wird gar nicht gemacht und ich bekam nie eine müde Mark.

Kommen wir nun zum Familienstand: Wie oft haben Sie sich als junger Schauspieler in eine Kollegin verliebt?
Zirner: Ich verliebe mich ständig. Vor allem in Kolleginnen, weil der Vorgang des Spielens so etwas Schönes ist. Ich verliebe mich in ältere Kolleginnen, ich verliebe mich auch in Partner, ich bin aber nicht homosexuell. Wenn eine Arbeit schön ist verliebe ich mich meistens in die Leute, mit denen ich arbeite.

Wie oft haben Sie mit Ihrer Ehefrau auf der Bühne gestanden?
Zirner: Ich habe meine Ehefrau auf der Bühne kennen gelernt, in der „Jungfrau von Orléans“. Vier Jahre später haben wir dann zusammen in „Trilogie des Wiedersehens“ von Botho Strauß gespielt. Und vor drei Jahren haben wir in München „Die Ziege“ von Edward Albee gespielt, ein zynisches Stück über die Ehe, über einen Mann, der eine Liebschaft mit einer Ziege hat. Mit einer echten. Ein Ehe-Vernichtungs-Stück würde ich es nennen.

Aber Ihre Ehe hat es gefestigt.
Zirner: So ein Stück kann man nur spielen, wenn man weiß, wovon man spricht. Wir sind aber immer noch zusammen, wenn Sie das beruhigt. Eins meiner Kinder hat die Aufführung gesehen und uns danach das Versprechen abgerungen, dass keines der anderen Kinder sich das Stück anschauen darf.

Wie oft haben Sie mit Ihrem Sohn Johannes auf der Bühne oder vor der Kamera gestanden?
Zirner: Noch gar nicht, wobei wir schon mal im gleichen Film waren, „Die Kirschenkönigin“. Ich denke, wir sind inzwischen beide reif, er ist auch schon lange dabei, insofern: wir würden gerne.

Üben Sie oft gegenseitig Kritik?
Zirner: Oh ja. Innerhalb der Familie sind wir miteinander relativ streng. Das ist so eine Familien-Unart. Hat aber auch gute Seiten.

Kurz vor Schluss noch eine Frage zum Besitz von Medien: Über wie viele Videokassetten und DVDs verfügen Sie?
Zirner: Ich habe keine große Filmsammlung. Ich gucke mir die Sachen viel lieber im Kino an, wo ich auch die Reaktion der anderen Zuschauer spüre, wie im Theater.

Welchen Ihrer Fernsehfilme hätten Sie gerne im Kino gesehen?
Zirner: „Wut“. Das ist ein Film, der sehr polarisiert, der ästhetisch und schauspielerisch aufmischt. Und das, was passiert, wenn man mit 20 anderen Leuten im Kino sitzt, die Spannung zwischen Leinwand und Zuschauer, die Auseinandersetzung, die da stattfindet, die wirst du nie haben, wenn du alleine vor der Glotze sitzt.

Spielen Sie für eine Fernsehkamera anders als für eine Filmkamera?
Zirner: Ich habe früher gemeint, den Unterschied zu erkennen, zwischen einer 35mm- und einer 16mm-Kamera. Ich hatte immer das Gefühl, dass die 35mm-Kamera etwas mehr unter der Haut aufnimmt, mehr von der Haut aufsaugt. Vielleicht stimmt das auch. Aber es kommt natürlich auch auf das Auge des Kameramanns an. Mein Bestreben ist es jedenfalls, vor jeder Kamera so zu spielen als wenn es eine Kinokamera ist.

Über wie viele Jazz-Schallplatten verfügen Sie?
Zirner: 100. Ich habe meine Jazz-Sammlung in Amerika gelassen und mir in den letzten Jahren viele Aufnahmen auf CD nachgekauft.

Welche davon hören Sie am häufigsten?
Zirner: Momentan höre ich Les McCann und Eddie Harris, „Swiss Movement“.

Sie selbst spielen Querflöte, haben Sie ein Vorbild?
Zirner: Eric Dolphy. Und Jeremy Steig, der ist großartig.

Dann hätte ich noch eine Frage zur Nationalität: Wie oft haben Sie sich gewünscht, einen deutschen Pass zu haben?
Zirner: Oft. Immer wenn ich wählen wollte. Beziehungsweise abwählen wollte. Momentan wünsche ich mir das sogar richtig heftig, mein grünes Herz schlägt gerade wie wild, weil ich die Politik, die die CDU in puncto Atomenergie betreibt, menschenverachtend finde. Die CDU/CSU schimpft sich ja als große Volkspartei, aber in ihrer Argumentation für Atomenergie betreibt sie Volksverblödung.

Wählen Sie regelmäßig in den USA?
Zirner: Die letzten drei Male habe ich gewählt, per Briefwahl. Davor habe ich immer zu spät die Wahlunterlagen angefordert.

Wie oft haben Sie sich gewünscht, in den USA geblieben zu sein?
Zirner: Immer wenn ich drüben bin, sticht’s so ein bisschen. Ich bin heute Europäer, Europäer geworden, aber manchmal schlägt mein Herz doch sehr amerikanisch.

Was mögen Sie an den Amerikanern?
Zirner: Das unkategorische Denken.

Zum Schluss die obligatorische Sonntagsfrage: Wenn am kommenden Sonntag der Deutsche Filmpreis verliehen würde, welchen Film würden Sie wählen?
Zirner: „Am Ende kommen die Touristen“ von Robert Thalheim, das war letztes Jahr mein Lieblingsfilm.

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