Annette Humpe

Ein Lied zu schreiben ist besser als jede Stunde beim Psychoanalytiker.

Annette Humpe über die eigene Wandlung, Songtherapie, den Erfolg mit Ich+Ich und ihren Wunsch nach unverschämten Bands

Annette Humpe

© Kasskara

Frau Humpe, haben Sie mitbekommen, dass Sie in dem Buch „1950 – Wir sind ein starker Jahrgang (nur für Frauen)“ porträtiert sind?
Nein. Ist das peinlich oder gut, was darin über mich steht?

Alles nur positiv. Können Sie sich denn mit so einem Generationengedanken anfreunden?
Ich möchte jedenfalls kein Vorreiter sein, das engt ja ein. Ich mache mir über so etwas keine Gedanken. Ich bin ja Buddhistin und im Hier und Jetzt. Man soll sich weder in der Vergangenheit noch in der Zukunft aufhalten. Ich versuche, jetzt im Leben zu sein.

Deshalb toben Sie sich künstlerisch wohl auch so gerne am Puls der Zeit aus, das war ja schon in NDW-Zeiten so.
Ja, wenn man offen ist, erreichen einen diese Strömungen der Zeit. Und dann spielt man damit.

War das mit Ich+Ich in den 00er Jahren genauso leicht wie in den 80ern mit unter anderen Ideal?
Für mich schon. Aber ich sitze dann auch nicht da und denke: Wo ist denn nun der Puls der Zeit? Das passiert automatisch und nicht am Reißbrett. Man wird inspiriert von den Sachen, die man hört, und dann fließen diese beim eigenen Schreiben mit ein.

Haben Sie beim Schreiben manchmal das Gefühl, gerade etwas Großes zu schaffen? Von „Blaue Augen“ mit Ideal bis „Vom selben Stern“ mit Ich+Ich ist Ihnen das ja zigmal gelungen.
Nein, ich denke beim Schreiben nicht, dass es etwas Großes werden könnte. Mir geht es in der Musik um Kommunikation. Ich möchte die Leute erreichen – und nicht, dass meine Tante Käte eine CD zu Hause hat, wo „Annette Humpe“ drauf steht. Ich schreibe etwas von mir darein, etwas von dem, wie es mir geht. Und in „Vom selben Stern“ sind mir die Strophen sehr wichtig. Ein Freund von mir hatte eine Wahnsinnsdepression, ist überhaupt nicht mehr aufgestanden. Und ich wollte ihm sagen: „Steh auf, zieh dich an, jetzt sind andere Geister dran – ich nehm’ den Schmerz von dir!“ Ich wollte, dass er wieder am Leben teilnimmt.

Das Trösten und Aufhelfen-Wollen ist ja generell ein Hauptthema im Ich+Ich-Werk …
Ja, aber das liegt natürlich auch an meinem Alter. Mit 18 hatte ich ganz andere Themen. Das Punkige, das Abgrenzen, das habe ich ja alles schon gemacht. Ich bleibe immer bei mir und dem, was ich über das Leben weiß.

Ist das auch eine Art Selbsttherapie?
Wenn man einen fetten Downer hat, gibt es doch nichts Schöneres, als sich hinzusetzen und ein Lied zu schreiben. Das ist besser als jede Stunde beim Psychoanalytiker.

Können Sie ein Beispiel nennen, wann Ihnen das Schreiben zuletzt geholfen hat?
Es geht um den Prozess, der so schön ist, nicht das fertige Lied und das spätere Bewusstsein, dass man seine Gefühle ausdrücken konnte. Das erlebe ich ständig. Dieses Jahr habe ich ja mit Max Raabe schon wieder ein neues Album gemacht, auch dabei ist mir das passiert.
Es geht mir eher schlecht, wenn ich von meiner Quelle getrennt bin, wenn ich rumhänge und faule Phasen habe.

„Ich steh’ auf Berlin“, sangen Sie 1980 ganz euphorisch. Wie beschreiben Sie heute Ihr Berlin, wo Sie weiterhin wohnen? Eher als Ruhepol?
Ich gehe ja jetzt nicht mehr so aus wie noch vor 30 Jahren. Damals habe ich es krachen lassen, war jede Nacht unterwegs und bin früh um vier nach Hause gekommen. Da hatte ich kein Kind, und meine Kondition, was das Feiern anging, war um einiges besser. Mein Sohn macht das heute genauso. Wenn ich morgens sehe, dass er die Zeitung mit rein gebracht hat, weiß ich, dass er nach sieben Uhr wiedergekommen sein muss. So habe ich das auch gemacht.
Berlin ist für mich immer noch die tollste Stadt von allen, ich möchte nirgendwo anders wohnen. Ich dachte immer, New York wäre so schön. Und als ich vor einem Jahr dort war, wollte ich ganz schnell zurück nach Berlin. Dafür will jetzt mein Sohn nach New York.

Vermissen Sie bei heutigen jungen deutschen Bands manchmal die wilden und unverschämten Elemente, mit denen Sie in den 70er und 80er Jahren bekannt und erfolgreichen wurden?
Es ist doch das Recht von 20-Jährigen, frech und unverschämt zu sein – und auch das Mindeste, was ich von ihnen erwarte. Aber das ist natürlich mein Geschmack. Und es gibt ja nach wie vor unverschämte Bands. Ich bin zum Beispiel Fan von Bonaparte. Allerdings haben es die Unverschämten gerade schwer, wenn es zu diesen ganzen bekloppten Castingshows kommt.

Ein junger Künstler, der von der Begegnung mit Ihnen schwärmt, ist Robert Meyer de Voltaire, Frontmann der Band Voltaire. Der sagte in einem Interview, Sie hätten ihm zu einer direkten Sprache ohne viele Metaphern geraten und damit die Augen in Sachen Songwriting geöffnet. Drückt sich die deutsche Indie-Pop-Szene zu kompliziert aus?
Ich mag eine klare und eindeutige Sprache. Ich verstehe auch Ironie ganz schlecht, das war schon in der NDW-Zeit so. Was mir heute fehlt, ist so etwas wie "Ton, Steine, Scherben", also junge Bands, die ihre politische Haltung stärker in ihre Songs einbringen. Vielleicht machen das viele aus vorauseilendem Gehorsam nicht und weil sie denken, dass sie damit nicht ins Radio und in die Charts kommen. Das wäre ja aber gar nicht so. Wenn jetzt eine wilde Polit-Band zu mir käme – ich wäre aus dem Häuschen und würde sie produzieren! Aber solche Leute kommen nicht zu mir.

Zitiert

Was mir heute fehlt, ist so etwas wie "Ton, Steine, Scherben", also junge Bands, die ihre politische Haltung stärker in ihre Songs einbringen.

Annette Humpe

Zu ihrem 60. Geburtstag erscheint nun eine Doppel-CD mit Highlights aus den letzten 30 Jahren. Darauf sind natürlich auch Ich+Ich-Hits wie „Du erinnerst mich an Liebe“ und „So soll es bleiben“. Sie selbst nennen diese Titel „zeitlose Liebeslieder“, manche Kritiker nennen sie einfach nur kitschig.
Das ist ihr gutes Recht.

Haben zeitlose Liebeslieder in der deutschsprachigen Popmusik vor Ich+Ich gefehlt?
Nein, es gab doch schöne Liebeslieder!

Nennen Sie doch mal eines.
Das allerschönste Liebeslied ist das traurige „Junimond“ von Rio. Dabei könnte ich in Tränen ausbrechen. Ich habe es mit ihm zusammen produziert, aber nicht mit daran geschrieben. Das hat Rio immer selber gemacht.

Wenn Sie zeitlich so weit zurückgehen, finden Sie dann heute keine deutschen Liebeslider mehr schön?
Zu sagen, dass es heute keinen schönen Liebeslieder mehr gibt, wäre arrogant. „Das Beste“ von Silbermond zum Beispiel ist doch goldig.

Sie stehen auf Silbermond?
Ich finde die Band sehr ehrgeizig, sie macht viel richtig. Und Steffi ist eine gute Sängerin. Man muss aber dazu sagen, dass sich die wenigsten deutschen Musiker auch deutsche Sachen anhören. Ich nehme meine Inspiration, die ich für ein Album brauche, aus England, Amerika und Frankreich.

Mit Ich+Ich spielen Sie ganz geschickt mit Rollen- und Geschlechterklischees. Wie clever von Ihnen, sich selbst im Hintergrund zu halten und den süßen Adel Tawil diese Lieder singen zu lassen.
Ja, das ist ein guter Gedanke. Aber das ergab sich einfach so. Ich habe nicht zu Hause gesessen und gedacht: Ich muss einen jungen, schnuckeligen Sänger finden. Ich habe Adel kennen gelernt, er hatte eine schöne Stimme und war offen. Alles andere hat sich dann entwickelt.

Angesprochen werden mit der Ich+Ich-Musik vor allem Frauen …
Weil eine Frau einem jungen Mann diese erlösenden Worte in den Mund legt. Das kann ich aber nur, weil ich schon so viel Lebenserfahrung habe.

Glauben Sie, dass wenn Sie in den letzten Jahren neben Adel Tawil auf der Bühne gestanden hätten, Ich+Ich weniger erfolgreich gewesen wären?
Das kann ich nicht sagen. Am Anfang kamen ja noch ganz viele wegen mir, das waren Ex-Ideal-Fans. Die waren auch nicht mehr taufrisch und schon mit einem Bein in den Themen von Ich+Ich. Diese Frage hat sich für mich aber gar nicht gestellt, weil das Thema Auf-der-Bühne-stehen sich in meinem Leben erledigt hat. Selbst wenn es mit mir auf der Bühne noch erfolgreicher hätte sein können, ich hätte es nicht gemacht.

In jedem Interview mit Ihnen wird Ihr starkes Lampenfieber angesprochen. Hilft das ständige Gerede darüber nicht vielleicht dabei, das Lampenfieber zu bekämpfen?
Nein, ich bin ja mit meinem Lampenfieber zufrieden. Ich habe ein Lampenfieber, weil ich unsicher bin und mich als Sängerin nicht gut genug fühle. Ich bin nicht Tina Turner oder Beth Ditto. Ich möchte das machen, was ich richtig gut kann, nämlich Songs schreiben und arrangieren. Ich versuche auch allen Leuten, mit denen ich arbeite, zu vermitteln, dass man sich kennen muss und als Pop-Person nie an seiner Leistungsgrenze sein sollte. Es muss eine Leichtigkeit behalten. 

Ihr Glaube beinhaltet ja auch das Vertreiben von Leiden.
Ja, aber das kann ich doch in meinen Songtexten viel besser. Und solange Leute auf mich zu kommen und diese Texte singen wollen – schöner geht es gar nicht! Besser geht es gar nicht, als ich es habe.

Wie groß ist momentan der Einfluss des Buddhismus auf Ihr Kunst? Fließt viel davon in Ihre Songs?
Natürlich, der Buddhismus ist ja ein Teil von mir. Das hat nichts mit heilig sein zu tun, ich strebe ja keine Erleuchtung an, das werde ich nicht schaffen. Aber ich versuche, kleine Erkenntnisse und Wahrheiten, die ich fühle, in mein Leben zu integrieren.

Sie legen Wert auf regelmäßige künstlerische Veränderungen. Wie sehr planen sie diese, wie sehr improvisieren sie?
Die Veränderungen kommen automatisch, die sind nicht improvisiert. Wenn ich drei Alben gemacht habe, ist ein Überfluss von einem ganz bestimmten Stil entstanden. Und gleichzeitig ist ein Mangel entstanden, dem ich sofort nachgehe. Ich möchte dann das Gegenteil machen. Wenn ich Schönheit in einem Projekt hatte, dann möchte ich es danach rau und herbe haben. Nach zwei schönen Stimmen von Adel und Max warte ich jetzt darauf, dass mir ein Sänger wie Tom Waits begegnet, mit einer kaputten Stimme, auch gerne etwas älter, mit dem man dann wieder etwas ganz anderes erzählen kann. Ich war gerade lange Zeit kuschelig – kann aber auch anders.

Haben Sie für die verschiedenen Künstlertypen, die Sie produzieren, schon früh einen Plan im Kopf?
Ja. Wenn ich mit jemandem anfange zu arbeiten, öffne ich mich total. Im Herzen, in der Seele, in meinem Intellekt. Und dann fallen mir Textzeilen ein und ich überlege, welcher Stil zu dem Künstler passen könnte. Das ist Intuition. Ich verlasse mich auf meine innere Quelle. Ich habe in den letzten 30 Jahren gelernt, dass wenn ich mich zu sehr auf Strömungen verlasse und dahin schiele, was gerade hip ist, es das zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Albums schon nicht mehr ist. Das ist der falsche Weg. Was aus dem Rahmen fällt, kann dagegen viel mehr Aufmerksamkeit kriegen. Ich könnte morgen ein Stück machen mit sieben Zitherspielern und einen Text darüber machen, der nicht zur Zither passt. Das ist auffällig, die Leute wollen nicht immer das Gleiche hören. Wenn ich einen normalen Radiosender einschalte, muss ich kotzen. Weil ein Stück klingt wie das andere. Ich finde, die Leute haben doch nur eine Chance, wenn sie etwas anderes machen.

Woran glauben liegt es, dass alles so gleich klingt?
Das liegt an den Plattenfirmen. Wenn etwas erfolgreich ist, dann signen sie drei Bands, die genauso klingen, weil sie glauben, da geht noch was nebenbei. Das sind dann Künstler, die mutlos sind und nicht auf ihre Inspirationen gucken. Das war in den 80ern schon so.

Annette Humpe (*1950) wuchs in Herdecke bei Hagen auf. Sie verließ die Kleinstadt zum Studieren von Komposition und Klavier in Köln und kam 1974 nach Berlin, wo sie bis heute lebt und als Songschreiberin, Sängerin und Produzentin arbeitet. Anfang mehr

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