Alois Streich

Arbeit für alle ab 2008

Alois Streich (Landesarbeitsamt Sachsen) über Arbeit, Arbeitslosigkeit und Vollbeschäftigung

Herr Streich, in unserer Gesellschaft definieren sich Persönlichkeit und Wert eines Menschen ja fast ausschließlich über die Arbeit …
Dr. Streich: Hier ist das Problem, daß Arbeit heute meistens auf Erwerbstätigkeit beschränkt wird. Das heißt, das Wichtige ist das Geld, das man verdient. In dem Moment, wo man den Begriff Arbeit auf das Geldverdienen verengt, fängt man auch an, den Wert eines Menschen danach zu bemessen. Man sollte die Arbeit aber wirklich mehr als eine Selbstverwirklichung sehen. Es gibt diskussionswerte Vorschläge, zum Beispiel: Der Staat zahlt jedem Menschen eine Grundversorgung, von der man leben kann. Wenn jemand dann damit zufrieden ist, zu Hause zu sitzen und zu lesen, dann wäre das zu akzeptieren; aber ich denke, früher oder später kommt ja auch in jedem der Drang, irgendwie produktiv zu werden.

Geht das überhaupt: Null Prozent Arbeitslosigkeit? Was steht dem im Weg?
Dr. Streich: Bei einem Prozentsatz von 2 bis 2,5 sprechen wir von Vollbeschäftigung. Null Prozent wird es wohl nie geben können, da immer irgend jemand den Job wechselt und dadurch zwischenzeitlich arbeitslos ist. Arbeit gibt es ja eigentlich unbeschränkt. Das Problem ist nur, daß sie oft einfach zu teuer ist. Aber es ist schon so, daß so manche Beschäftigung, die früher unbezahlt geleistet wurde, heute reguläre Arbeit ist (z. B. Dienstleistung an alten Menschen). Ich denke, daß Vollbeschäftigung in Zukunft möglich sein wird. Es wird immer weniger Leute im aktiven Arbeitsalter geben. Das liegt an der niedrigen Geburtenrate. Wenn also die Menge der Arbeit nur gleich bleibt, wird es immer weniger geben, die sie leisten können, und dadurch die Arbeitslosigkeit automatisch abnehmen. Das wird schon 2008 anfangen, da kommen dann langsam die geburtenschwachen Jahrgänge ins arbeitsaktive Alter.

Wie sieht der Arbeitsmarkt von morgen aus, und was muß sich in den Köpfen verändern?
Dr. Streich: Es ist sicher, daß das alte Arbeitsmodell, sein Leben in einem Beruf und bei einem Arbeitgeber zu verbringen, nicht überleben wird. Es wird kürzere Arbeitsstrecken bei unterschiedlichen Arbeitgebern geben. Das ist natürlich positiv für jene, die die Voraussetzungen mitbringen: flexibel, geistig und örtlich mobil, fähig zur Eigeninitiative. Eine gute Grundausbildung wird hier die Basis bleiben. Auch für ältere Menschen wird es leichter im Berufsleben werden, da die Arbeitgeber umdenken müssen. Aber es wird natürlich auch hier Verlierer geben; es sind nun mal nicht alle Menschen in der Lage, mit einer solchen Unsicherheit umzugehen.

Sollte man sein Studienfach nach eigenen Interessen wählen oder versuchen, sich am Arbeitsmarkt zu orientieren?
Dr. Streich: Möglichst nach persönlichen Interessen! Der Arbeitsmarkt ändert sich ständig, das kann man im Detail nicht voraussehen. Auch hier gilt: Machen, was man wirklich, wirklich will, das ist immer das Beste! Man kann natürlich schon sagen, daß man mit technischen Fächern immer eine gute Chance auf einen Job hat. Aber gerade mit geisteswissenschaftlichen Studien bringt man viele sogenannte Schlüsselqualifikationen mit, wie Flexibilität und die Fähigkeit, Probleme zu lösen.

Was sagen Sie zu der Reaktion der Medien auf die Krise der Bundesanstalt für Arbeit?
Dr. Streich: Das war ein Kesseltreiben. Eine Meldung wurde aufgegriffen, nicht hinterfragt, und dann hat sich das verselbständigt. Diese Statistik, von der die Rede war, hat internen Nachweischarakter. Es ging dabei gar nicht um Fälschungen, sondern um Buchungsanweisungen. Falsch gebucht ist nicht gleich gefälscht. Daraus die Forderung abzuleiten, den ganzen Apparat zu ändern, ist Hysterie. Unsere Leute haben unter der öffentlichen Reaktion sehr zu leiden gehabt und empfanden das als ungerecht. Auf Seiten der Arbeitslosen wurden viele Aggressionen geschürt, das macht das Arbeiten nicht leichter. Nicht zuletzt hat das auch politische Gründe gehabt: Man hat wunderbar vom eigentlichen Problem abgelenkt, nämlich der hohen Arbeitslosigkeit.

Was sagen Sie zu den geplanten Arbeitsamtreformen?
Dr. Streich: Im Moment ist das alles noch sehr unscharf. Wenn wir von bürokratischem Ballast befreit werden, ist das gut. Unsere Leute haben so viel mit bürokratischem Drumherum zu tun, daß sie oft ihr Pensum gar nicht schaffen können. Die Kooperation mit privaten Vermittlern kann ruhig gesteigert werden, ohne daß das in einem Wettbewerb endet. Auch die neueste Reform, den Arbeitslosen nach drei Monaten einen Gutschein für Privatvermittler zu geben, ist an sich sinnvoll. Da besteht aber natürlich auch wieder die Gefahr des Mißbrauches.

Was der Präsident des Landesarbeitsamtes Sachsen, Dr. Alois Streich, zum Thema Arbeit und Arbeitslosigkeit meint - das folgende Interview erschien 2002 in der Zeitschrift "Letswork" mehr

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