Ulrich Matthes

Reduktion macht mich rammdösig.

Schauspieler Ulrich Matthes über Divengehabe, Psychotherapie, Architektur am Potsdamer Platz und die architektonische Philosophie im Kinofilm „Vineta“

Ulrich Matthes

© Farbfilm Verleih

Herr Matthes, Ihr neuer Film „Vineta“ basiert auf dem brisanten Bühnenstück „Republik Vineta“ von Moritz Rinke. Wie unterscheiden sich die Fassungen?
Matthes: Der Film hat einen klaren Hauptdarsteller, mit dem sich das Publikum auf irgendeine Weise identifizieren muss. Ein Film braucht das auch, Theater nicht. In dem Theaterstück spielt ein Ensemble verschiedene Themen durch. Zu denen gehört ganz wesentlich die Utopie einer Stadt, die Antworten auf entscheidende Fragen der Gegenwart geben soll. Diese Fragen werden auch im Film angeschnitten, aber er ist eher fixiert auf die Hauptfigur.

Die brisantesten Fragen zeichnen sich ja leider dadurch aus, dass sie kaum beantwortet werden können. Auch in „Vineta“ heißt es: Vorhang fällt und alle Fragen offen.
Matthes: Obwohl es im Kino heutzutage leider selten Vorhänge gibt. (lacht) Aber so soll es auch sein, das mit den offenen Fragen. Das spiegelt ja auch der ganze Film ästhetisch wieder, in dem er sich nicht wirklich auf ein klares Genre festlegt. Er spielt mit einer Liebesgeschichte, hat Thrillerelemente und etwas Krimihaftes. Ich kann mir vorstellen, dass das auch einige Leute verstört, aber ich finde diese Offenheit sehr schön.

Sie haben in „Republik Vineta“ auf der Bühne die Rolle des Architekten Färber gespielt, die im Film nun Peter Lohmeyer übernommen hat. Sie spielen seinen Gegenpart, den undurchsichtigen Dr. Leonard. War dieser Rollenwechsel für Sie hilfreich?
Matthes: Wahrscheinlich. Allerdings habe ich nur in der Vorbereitung noch an unser Theaterstück gedacht. Sobald ich mit den neuen Kollegen zusammenkam, und erst recht während der Dreharbeiten, habe ich die alte Inszenierung vergessen.

Als Sie 2005 zum Theaterschauspieler des Jahres gekürt wurden, hat Moritz Rinke Sie in der Laudatio der Ungeduld und des Divenhaften bezichtigt. Sein Stück „Republik Vineta“ hatte er Ihnen hingegen gewidmet. Das verwirrt.
Matthes: Ich war über diese Worte in der Laudatio geradezu empört. Als sie erschien habe ich Moritz gleich angerufen und mich über das Wort „Diva“ sehr beklagt, weil ich wirklich das Gegenteil davon bin. Ich bin auf Proben sehr anspruchsvoll, mit mir und auch mit den Kollegen, auch mal ungeduldig. Ich sage immer heftig und deutlich meine Meinung und scheue wirklich keine Konflikte. Ich finde das bei vielen Kollegen ein wenig rätselhaft, wenn sie sich erst in der Kantine über irgendwelchen Scheiß aufregen, anstatt die Klappe aufzumachen, wenn die Scheiße passiert.

Wie in jedem guten Betrieb…
Matthes: Ja, traurig genug. Das „gut“ vor dem Betrieb kann man da ruhig weglassen. Aber Diven machen eine Caprice, irgendwelche wichtigtuerischen Sinnlosigkeiten um ihrer selbst Willen, um einen Status zu bekommen. Das verabscheue ich zutiefst. Und das weiß Moritz auch. Ich bin mit ihm befreundet, er kennt mich wirklich gut und deswegen hatte er mir auch das Stück gewidmet. Dass ich keine Diva bin, hat er mir gegenüber auch sofort zugegeben, aber er hat gemeint, das klänge einfach lustiger und er hätte keine reine Lobhudelei schreiben wollen. Ich sagte: Moritz, diese Formulierung wird mir noch in Jahren in Interviews vorgehalten werden!

Was hiermit bewiesen wäre.
Matthes: Und alles nur wegen einer „lustigen“ Formulierung. Das ist eigentlich die viele Spucke und das Adrenalin, das jetzt wieder in mir aufsteigt, gar nicht wert. Aber ungerechte Kritik macht mich einfach fuchsig.

Zurück zu „Vineta“. Was steckt hinter der Utopie, die unter größter Geheimhaltung vom Architekten Färber entworfen werden soll?
Matthes: Die Fragen sind: Wie kann man Arbeit neu definieren? Wie kann man in einer Zeit, in der immer mehr Menschen von Arbeit losgelöst sind, kreatives Potential nutzbar machen? Rem Koolhaas, der berühmte holländische Architekt, hat sich in dem Zusammenhang Gedanken darüber gemacht, wie eine Stadt der Zukunft aussehen könnte, in der es sehr viel mehr Möglichkeiten der zielgerichteten Freizeitaktivitäten gibt. Als Moritz sich mit dem Stück beschäftigte, hat er viel von Koolhaas gelesen. Es geht darum, Lebensbedingungen zu schaffen, die Menschen ohne Arbeit nicht automatisch zu sozialen Außenseitern degradieren.

Dass Menschen sich selbst vorrangig über ihre Arbeit definieren, ist zu einem zentralen Problem der Gesellschaft geworden.
Matthes: Ja, wir werden immer älter, bleiben immer länger gesund und sollen gleichzeitig mit 50 in die Rente gehen. Eine Bekannte von mir ist mit 51 arbeitslos geworden. Im Jobcenter hat man ihr gesagt, dass sie davon ausgehen muss, nicht mehr vermittelbar zu sein. Andererseits soll man sich freuen wenn man mit 73 und neuen Gelenken noch den Parallelschwung auf der Skipiste hinkriegt.

Wozu lebt der Mensch?
Matthes: Ja, das ist auch so eine Frage, wenn man die jetzt kurz und knackig beantworten wollte, taucht das noch Jahre später bei Google sofort wieder auf. Man muss so was heute selbst auf die Goldwaage legen. Früher hätte man das nur auf eine Zeitung gedruckt und der Satz wäre am nächsten Tag beim Fischeinwickeln versickert… Sagen wir mal so, der Mensch lebt, um sich selbst und ein paar Menschen in seinem näheren Umfeld ganz zufrieden zu machen.

Dann wäre man nirgends so sehr Mensch, wie in Ihrem Metier, sagen wir allgemeiner, im Schaugeschäft.
Mathes: (Lacht). Zunächst, ich bin ja humanistisch gebildet. Was daher ab und zu noch hochkommt, ist der Gedanke des Verantwortungsbewusstseins, für sich selbst und ein paar andere Menschen, die den Erdkreis bevölkern. Und in der Tat, jegliche Kunst ist dazu da, die Menschen ein bisschen anzuregen, ein bisschen glücklicher zu machen, ihnen die Zeit zu vertreiben, auf einem Niveau, das sie möglicherweise um einen Zentimeter gedanklich weiter bringen könnte. Das wäre schön.

Es geht darum, Zeit zu vertreiben, ohne sie zu verschwenden?
Matthes: Genau.

Zitiert

Ich sage immer heftig und deutlich meine Meinung und scheue wirklich keine Konflikte.

Ulrich Matthes

Mit einer gewissen Rührung bemerkt man in „Vineta“ den Willen, Städtebau nach den Bedürfnissen der Bürger auszurichten, während man im Alltag eher den Eindruck hat, dass die Stadt einem übergestülpt wird und man sich als Mensch gefälligst anzupassen habe.
Matthes: Da stimme ich Ihnen voll zu. Ein Grundgedanke des Gemeinwesens sollte doch sein: Wie kriegen wir die Städte wieder lebenswert? Warum halten wir uns in bestimmten wesentlichen Gegenden unserer Städte so ungern auf? Der Potsdamer Platz zum Beispiel, wäre ja eine riesige Chance gewesen. Da hätte man in einem Niemandsland architektonische Utopien entwerfen können, mitten in einer Weltstadt.

Auf den Potsdamer Platz wird gerne geschimpft, aber was stört Sie konkret?
Matthes: Na, dass sich wie überall einfach die große Wirtschaft und deren Interessen durchgesetzt haben und eben nicht die Kunst der Architektur. Die ist beim Potsdamer Platz völlig verschütt gegangen. Da haben Sony und Daimler Chrysler gesagt: Wir wollen das so und so; die Deutsche Bahn wollte es möglichst groß und hoch. Es wurde im Einzelnen darüber nachgedacht, wie die Häuser aussehen sollen, aber nicht, wie man mit Raum umgeht, ihn gestaltet.

Das Sony Center scheint sich als urbaner Raum doch auch bewährt zu haben, zumindest als Location für Sportübertragungen.
Matthes: Sie sind offenbar ein Cousin von Johannes B. Kerner. Der würde fragen „Wie fühlen sie sich, da im Sony Center?“ (lacht) Aber der Potsdamer Platz wird von Berlinern nicht besucht. Das muss man wissen. Da geht kein Berliner hin, außer zu Events wie der Berlinale oder der Fußball-WM.

Im Bezug auf das in „Vineta“ angedachte „bürgerbezogene Bauen“ ist der Platz also gescheitert. Welches Gebäude würden Sie am liebsten ändern?
Matthes: Ein Gebäude reicht da nicht, es geht um das ganze Areal, ähnlich wie jetzt beim Schlossplatz. Aber da etwas konkret zu benennen, fällt mir gerade schwer.

Es bleibt die Forderung, unseren Lebensraum bürgernah und künstlerisch visionär zu gestalten, anstatt Daimler-Chrysler und Herrn Mehdorn zu erlauben, ihre phallischen Fantasien in Architektur umzusetzen.
Matthes: Wobei ich nicht weiß, ob das mit Frauen besser werden würde. Die haben durchaus auch phallische Fantasien, vielleicht. (lacht)

Nach Lösungsmöglichkeiten sucht auch der Psychiater Dr. Leonhard, ihre Rolle in „Vineta“. Wie haben Sie sich darauf vorbereitet?
Matthes: Normalerweis sagen Schauspieler, sie hätten sich vorher dreimal mit einem Therapeuten getroffen, um zu wissen, wie der arbeitet. Da fange ich immer an zu kichern. Wenn ich Goebbels spiele, klar, dann lese ich seine Tagebücher, oder wenn ich Don Juan spiele, informiere ich mich über die historischen Hintergründe seiner Entstehung. Aber darum geht es eigentlich gar nicht. Es geht um eine Art Intuition. Wenn ich Dr. Leonard spiele, muss ich mir einfach eine bestimmte Art der Wachheit, Konzentration und in dem Fall einen versteckten Zynismus zulegen. Er hat eben alle Fäden in diesem komischen Laden in der Hand, aber niemand darf genau wissen, wer er wirklich ist.

Er ist eine Art Chimäre aus Big Brother und Beichtvater mit einer eigenen Religion.
Matthes: Es liegt nahe, hier zu sagen: der Durchgeknallteste von allen ist eigentlich der Psychiater. Ein bisschen crazy ist er ja auch, sonst würde er den Job nicht machen… Andere Schauspieler sind immer so großzügig mit Adjektiven, die ihnen für ihre Rolle einfallen, ich kann das nicht. Mir ist das unangenehm. Diese Reduktion auf Adjektive ist der Job der Journalisten. Für mich wirkt das so, als würde ich selbst auf ein paar Adjektive reduziert werden. Und dann würde deren Gegenteil aber immer genauso zutreffen, wie bei jedem Menschen.

Haben Sie selbst schon mal einen Psychiater konsultiert?
Matthes: Nee. Ich habe noch nie das Bedürfnis gehabt, mich auf der Suche nach Antworten in die Hand irgendeiner Professionalität zu begeben. Ich würde mich mit Problemen immer an Freunde oder Verwandte wenden, statt an jemanden, der dafür Geld bekommt. Aber ich kenne viele Leute, für die das so selbstverständlich ist, wie einmal in der Woche Schwimmen zu gehen.

Befürchten Sie, wie angeblich David Lynch es tut, mit einer Therapie die eigene Kreativität zu gefährden?
Matthes: Das klingt so knackig, aber Woody Allen hat es wohl nicht geschadet, im Gegenteil. Letztlich gibt es auch da keine allgemein gültige Antwort. Jeder hat eben seine Art. Und wenn ich irgendwann doch eines Tages denken sollte, eine Therapie muss jetzt sein, dann komme ich hoffentlich nicht zu jemandem wie Dr. Leonard. (lacht)

Die zentrale Metapher in „Vineta“ ist ein Flamingo. Wenn einer dieser Vögel krank wird, lässt er sich gegenüber seinen Artgenossen nichts anmerken. Er markiert so lange, gesund zu sein, bis er entkräftet stirbt. Die meisten Männer neigen zum Gegenteil, schon ein Schnupfen haut sie um. Sind Sie eher Mann oder Flamingo?
Matthes: Ich bin ziemlich zäh, kann eine Menge aushalten, seelisch und körperlich.

Sie machen alles mit sich selbst aus?
Matthes: Natürlich gibt es Situationen, da muss man sein Leiden loswerden, aber ich neige eher nicht dazu, meine Mitmenschen damit zu belästigen. Das ist aber jetzt auch keine sehr interessante Erkenntnis. (lacht) Es ist interessant, solche Rollen zu spielen. Als ich in „Der neunte Tag“ von Volker Schlöndorff die Rolle des KZ-Insassen Henri Kremer übernahm, haben wir viel darüber geredet, wie weit man da gehen kann. Das extreme Leid, das ihm widerfährt, darf nicht zur Larmoyanz in der Darstellung führen. Wo zeigt man die Stärken, wie kann man das überhaupt beglaubigen als Schauspieler? Das hat mich irre interessiert. Auf der anderen Seite macht es mich wahnsinnig, dass ich in der Filmbranche fast nur noch als komplizierter Schmerzensmann besetzt werde, obwohl ich in 25 Jahren Theater die unterschiedlichsten Rollen gespielt habe. „Ach, sie können ja auch ganz anders aussehen!“ haben mir Leute auf Partys lange nach „Der neunte Tag“ gesagt. Natürlich, da hatte ich acht Kilo abgenommen und war geschminkt! Diese Reduktion auf eine Kategorie macht mich rammdösig.

Filmregisseure sollten also öfter ins Theater gehen?!
Matthes: Jeder Theaterschauspieler geht natürlich gerne ins Kino, aber umgekehrt ist das anscheinend nicht so der Knüller.

Sie könnten zur Abwechslung sich auch selbst inszenieren. Warum führten Sie bisher so selten Regie?
Matthes: Schauspieler muss ich sein, Regisseur mache ich gerne. Regie ist eine sehr schöne, sehr verantwortungsreiche, wahnsinnig ausfüllende Nebenbeschäftigung. Schauspielerei ist für mich existentiell.

Das Interview entstand im Juli 2006 auf dem Filmfest München.

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