Tim Robbins

Die Leute wollen keinen Film über Terrorismus und Folter sehen.

Tim Robbins über seinen Film „Catch a Fire“, wie er weißen Apartheid-Polizisten begegnet ist, wie Kultur gesellschaftliche Veränderungen anstoßen kann und was für Filme er sich selbst am liebsten anschaut

Tim Robbins

© UIP / Norbert Kesten

Mr. Robbins, in Ihrem Film „Catch a Fire“ geht es um den südafrikanischen ANC-Aktivisten Patrick Chamisso zur Zeit der Apartheid. Was hat Sie dazu bewegt, einen Film über diese Zeit zu drehen?
Robbins: Ich habe das wegen des Drehbuchs gemacht und wegen meinem Filmpartner Derek Luke. Ich mochte die Geschichte, vor allem das Ende. Wissen Sie, ich habe schon so viele Drehbücher gelesen, wo ich am Anfang dachte: „Gute Rolle, gute Geschichte, hoffentlich versauen sie es nicht.“ Und dann kommst du zum Ende und sie versauen es doch.
Hier war ich vom Ende wirklich überrascht, es hat diesen Sinn von Menschlichkeit und Vergebung. Normalerweise bekommen wir am Ende solcher Filme ja immer einen Racheakt zu sehen.
Ich erinnere mich, als ich groß geworden bin, standen sich in den Action-Filmen am Ende der Bösewicht und der Polizist gegenüber, der Polizist nahm die Waffe hoch und sagte: „Ich werde dich nicht töten, ich lasse dich am Leben.“ In den 80ern und 90ern hat uns dann diese Rationalität und Verrücktheit eingeholt, wo am Ende unsere Helden die Bösewichte immer umbringen – und wir sollten applaudieren. Das fand ich beängstigend, weil das bedeutet ja auch: die Polizei ist gleichzeitig Judikative, Legislative und Exekutive. Das ist Selbstjustiz und das ist gefährlich.
„Catch a Fire“ zeigt da einen anderen Weg, was auch der Weg ist, den Nelson Mandela gezeigt hat, als er aus dem Gefängnis kam: Keine Rache, sondern Vergebung, Mitgefühl, Zukunft.

Sie spielen einen weißen Polizisten, der schwarze Widerstandskämpfer verhaftet, verhört und foltern lässt. Wie sind Sie an die Rolle herangegangen?
Robbins: Mich hätte es nicht interessiert, so einen Klischee-Bösewicht zu spielen. Ich habe hier viel mehr die Möglichkeit gesehen, bei dieser Rolle die ganze Komplexität aufzudecken, um die es hier geht. Es ging für mich weniger darum, einen Südafrikaner zu spielen als viel mehr um die Rolle eines Polizisten. Was bedeutet es, Polizist zu sein? Das ist ein harter Job, du bist immer der erste am Tatort, siehst das ganze Blut an den Wänden, die Verdorbenheit, menschliches Verhalten von seiner übelsten Seite.. Das strapaziert dich ganz schön.
Und was passiert, wenn du Polizist bist in einem Staat, der das Gesetz zum Fenster rausgeworfen hat, der dir sagt, du sollst die Rechte der Gefangenen missachten und der dich zur Folter animiert? Wir alle wissen, wie schlimm Folteropfer für den Rest ihres Lebens gezeichnet sind. Aber die Folterer selbst sind es auch. Da stirbt etwas in dir, wenn du einen anderen Menschen folterst. Du kommst aus dem Raum nicht mehr als die Person als die du hineingekommen ist. Das war für mich auch die allegorische Verbindung zwischen dem der damaligen und der heutigen Situation, wo Agenten unserer Regierung Soldaten zu solchem Verhalten drängen.

Sie sind zur Vorbereitung auch in Südafrika gewesen…
Robbins: Ja, als ich in Südafrika war, habe ich diese Leute gefragt: „Warum habt ihr das getan?“ – Die Antwort war: „Weil das unser Job war“. Ich habe sie dann gefragt, warum sie ihren Job nicht gekündigt haben – aber das hätte bedeutet, dass man sie als Verräter angesehen hätte, sie hätten Schande über die ganze Familie gebracht, ihre Eltern, sie hätten dazu bereit sein müssen, mit ihrer Familie das Land zu verlassen. Aber keiner von denen hatte das Geld dazu. Also haben sie weiter gedient, sie haben alles in Kauf genommen im Sinne von Pflicht und Patriotismus, sie haben all ihre moralischen Bedenken und ihr besseres Urteil unterdrückt – und sich dadurch selbst zerstört. Das fand ich an dieser Rolle sehr interessant. Wobei ihre Taten in keiner Weise gerechtfertigt werden. Aber wenn du so eine Figur spielst, ist wichtig: Was geht in so einem Menschen vor? Diese Rolle hatte so viele verschiedene Ebenen, auch tragische, meine ich.

Wie schizophren muss man denn sein, um für eine Rolle mit diesen Leuten verständnisvoll zu sprechen? Weil auf der anderen Seite sind Sie Tim Robbins und haben Ihre eigenen Ansichten zur Politik.
Robbins: Das ist nicht schizophren, das ist einfach unser Job. Das ist wie Ausspionieren, du gehst da rein und versucht, so nah wie möglich an diese Menschen heranzukommen.
Ich glaube, einige von Ihnen wussten auch, wer ich war. Und ich konnte nicht zu ihnen gehen mit erhobenem moralischen Zeigefinger und sagen: Ihr seid Verbrecher – das wäre so dumm gewesen. Dann hätte ich nichts von ihnen bekommen. Stattdessen bin ich hingegangen und habe ihnen zugehört, ich habe meine Meinung zurückgehalten, ich war auf Grillpartys, bei Rugby-Spielen, habe mit ihnen getrunken und ich habe versucht, ihr Vertrauen zu bekommen. Und ich bin froh, dass ich das so gemacht habe, weil die Sache viel komplizierter ist, als man denkt. Diese Leute fühlen sich betrogen, sie sagen, dass sie damals nur Befehle ausgeführt haben, aber heute in der Geschichte als die Bösen dastehen. Wobei sie tatsächlich die Befehle der Regierung ausgeführt haben. Und wer in der Geschichte als der Gute dasteht, dem man sogar den Friedensnobelpreis gegeben hat, das ist Botha (hier meinte Tim Robbins offensichtlich nicht den südafrikanischen Premier P.W. Botha sondern den Staatspräsidenten Frederik Willem de Klerk, der 1993 zusammen mit Nelson Mandela den Friedensnobelpreis erhielt; Anm. d. Red.). Sie hassen diesen Typ, sie denken, er hat sie betrogen.
Also, man erfährt solche Dinge nicht, wenn man heute in Südafrika lebt. In Südafrika können zudem viele behaupten, sie hätten nichts gewusst. Die meisten Menschen, die damals in Südafrika lebten, haben auch nichts über die Folter gewusst. Sie haben nicht gewusst, was da vor sich geht, die Medien waren vollständig von der Regierung kontrolliert. Wenn du damals eine weißer Teenager in Südafrika warst wusstest du gar nichts über all diese Sachen.

Erinnern Sie sich, wie Sie in jungen Jahren das Apartheid-System in Südafrika wahrgenommen haben?
Robbins: Das war sehr abstrakt, das war etwas, wovon man gelegentlich in linken Kreisen etwas mitbekam. Aber das stand nicht in der New York Times, das kam in den Medien nicht vor. Ich würde sagen, der Großteil meiner Generation wurde auf Südafrika aufmerksam durch die Musik. Es gab diesen Song „Free Nelson Mandela“ von den „Specials“ oder auch „I’m not gonna play in Sun City” von Little Steven Van Zandt. Ich war mir da schon bewusst, wer Mandela war, aber andere Leute nicht unbedingt. Aber dann hörten sie diesen Ohrwurm von den Specials in der Disko und dachten: „Oh, das ist cool. Wer ist eigentlich Nelson Mandela?“ So beginnt ein Dialog, so fängt das alles an. Auf diese Weise kann Kultur Dinge verändern. Das hat einfach die Tür geöffnet. Du fängst also an, herauszufinden, wer Nelson Mandela ist, du stellst mehr Fragen… Dann kommt der „Sun City“-Song raus und du fragst: Worum geht es in dem Lied? – In dem Song sagt jemand, dass er nicht in Sun City spielen will, weil das in Südafrika ist und es dort die Apartheid gibt. „Was ist Apartheid?“ – Und wieder beginnt der Dialog. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie Musik und Kultur Veränderungen hervorrufen können. Und dann, fünf, sechs Jahre nach diesem Song gab es viele Protestveranstaltungen, um Mandela zu befreien, in Stadien in den ganzen USA. Und später wurde er freigelassen. Das wäre ohne die Musiker nicht passiert.

In Bezug auf die gesellschaftlichen Veränderungen, wie sieht es in den USA aus, speziell in Hollywood: Haben Weiße und Schwarze in Hollywood die gleichen Rechte?
Robbins: Ja, ich denke schon.

Aber es gibt zum Beispiel nur wenige Filme über Südafrika von schwarzen Regisseuren.
Robbins: Wenn die Frage ist, ob sie die gleichen Rechte haben – ja, das haben Sie, wenn man sich nach dem Gesetz richtet. Wenn es aber darum geht, wer die Rechnung bezahlt – das ist eine andere Geschichte.

Gut, diese Leute sind es aber, die in Hollywood das Sagen haben.
Robbins: Ja, aber so ist das in jedem Geschäft.

Gut, dann anders gefragt: haben Schwarze in Hollywood die gleichen Chancen wie Weiße?
Robbins: Also, ich denke weniger, viel weniger. Auch was die Rollen angeht, die vorhanden sind, die es zu spielen gibt.

Und es ist doch schockierend, wenn jemand wie Morgan Freeman bemerkt, dass er noch nie eine Liebesszene gespielt hat…
Robbins: Oh, er hat eine Liebeszene mit mir gespielt (lacht). Also, … ja, ich denke, das ist großer Mist.

Glauben Sie, es wäre möglich gewesen, vor 15 Jahren einen Film wie „Catch a Fire“ zu drehen?
Robbins: Ich bin mir nicht sicher, ob es damals möglich gewesen wäre. Hier spielte auch eine Rolle, dass die Drehbuchautorin erst mal eine Perspektive für die ganze Sache bekommen musste. Sie war ja in die Geschichte involviert, ihr Vater war einer der Köpfe des militanten Flügels des ANC. Aber es gab vor 15 Jahren schon Filme über Südafrika, sie wurden nur nicht in Südafrika gedreht. „Dry white season“ zum Beispiel oder „A world apart“ (dt. Titel „Zwei Welten“).
Am Ende geht es doch darum: Wenn „Catch a Fire“ in Deutschland Millionen einspielt, dann wird es auch weitere Südafrika-Filme aus dieser Perspektive geben. Der Film hat in den USA nicht so viel eingespielt, die Amerikaner werden das Thema Südafrika in den nächsten Jahren auch nicht anfassen. Wir befinden uns im Moment in einer merkwürdigen, introspektiven Zeit. Was wir in den USA momentan brauchen, sind gute Komödien. Das ist auch der Grund, warum „Borat“ so erfolgreich war.

Aber könnte es auch sein, dass “Catch a Fire” in den USA nicht den Erfolg hatte, weil ein Thema des Films die Folter ist? Auch “Flags of our fathers” war zum Beispiel nicht so erfolgreich.
Robbins: Ja, ich denke, da haben Sie vollkommen Recht. Die Leute wollen keinen Film sehen über Terrorismus und Folter oder wie unsere Armee damals Iwo Jima bombardiert hat.
Ich denke, „Catch a Fire“ ist ein großartiger Film, ich habe mehrere Vorführungen gesehen und war bei Diskussionen mit Leuten, die involviert waren. Es ist nur der kleine Schritt, den die Leute machen müssen um ins Kino zu gehen und ihn sich anzuschauen.

Auch wenn Sie sagen, solch ein Film macht momentan nicht viel Geld in den USA, so gibt es doch heute trotzdem einen Trend zu mehr politischen Filmen, oder?
Robbins: Da müssen Sie sich aber auch die 70er angucken, und das mit heute vergleichen. Damals gab es auch großartige politische, soziale Filme, die sich mit der Welt um uns herum befasst haben. Ich denke, es existiert immer ein Umfeld für politische Filme. Aber es wird nie die riesengroße Budgets dafür geben. Und das Problem ist: wenn du kein großes Budget hast, kannst du auch kaum Werbung für den Film machen. Das werden dann so Mini-Kinohits, oder Filme, die für Kritiker große Bedeutung haben, aber von nicht so vielen Zuschauern gesehen werden.
Wenn wir in einer Situation wären, wo ein Film wie „Syriana“ 150 Millionen Dollar einspielt, dann würde jeder „Syriana“ machen wollen.

Sie haben auch schon bei mehreren Filmen Regie geführt, was hat Sie dazu bewogen?
Robbins: Ich habe insgesamt vier Filme gemacht, wobei „Cradle will rock“ in Deutschland nie in die Kinos gekommen ist.
Nachdem ich „Cradle will rock“ gedreht habe, meinte mein Sohn zu mir: „Ich mag es lieber, wenn du schauspielerst.“ Er war damals sieben Jahre alt. Ich habe dann realisiert, was er eigentlich damit meinte, nämlich dass ich mich, wenn ich Regie führe, für anderthalb oder zwei Jahre abmelde. Also habe ich mich gegen die Regie-Arbeit entschieden, zumindest beim Film. Ich habe aber noch Theater gemacht mit meiner Gruppe „The Actors’ Gang“ und in den letzten fünf Jahren drei Stücke inszeniert. Das war großartig für mich. Aber der Einsatz ist dabei viel geringer als beim Film und ich bin dann nur für ein oder zwei Monate damit beschäftigt. Trotzdem habe ich da die Möglichkeit, genau das zu tun, was ich will.

Fehlt Ihnen diese Freiheit beim Film?
Robbins: Ich bin glücklich, dass ich bei meinen bisherigen Filmen völlige Autonomie hatte. Und wenn ich wieder so eine Situation herbeiführen kann, wo ich unabhängig bin, Final Cut habe und beim Casting mitreden kann – dann würde ich es wieder machen. Es geht mir dabei aber weniger um das Regieführen an sich, sondern einfach darum, Geschichten zu erzählen, von denen ich weiß, dass sie sonst niemand erzählen würde. Ich habe auch schon ein paar solcher Geschichten, ich schreibe auch gerade eine – schauen wir mal, ob ich das Geld dafür zusammenkriege, ob sich jemand findet, der verrückt genug ist, mir dieses Geld zu geben. Mein Sohn jedenfalls ist jetzt 14, der freut sich inzwischen, wenn Papa mal nicht zu Hause ist (lacht).

Was für Filme schauen Sie sich selbst am liebsten im Kino an, unterhaltsame Filme, politische…
Robbins: Ich mag beides. „Borat“ war einer der lustigsten Filme, die ich je gesehen habe. Er hat Satire auf eine komplett andere Ebene gehoben, er hat die Satire quasi neu erfunden. Ich mag auch „Children of Men“ oder „Pan’s Labyrinth“, zwei wirklich wunderbare Film. Allerdings habe ich da keine Kriterien, die ein Film erfüllen muss. Ich mag auch einen guten James Bond-Film. Aber ich mag vor allem, wenn etwas komplex ist. Ich will nicht, dass mir jemand etwas predigt, dass eine Geschichte an mich oder meine politischen Überzeugungen appelliert, das brauche ich nicht. Ich will herausgefordert und verstört werden, ich will, dass am Ende eines Filmes noch mehr Fragen gestellt werden. Das sind Filme, nach denen ich mich sehne. Nicht aber Filme, wo ich am Ende rausgehe und sage „Ich habe Recht, alles ist fantastisch…“ – so was interessiert mich nicht. Ich glaube auch nicht, dass ich selbst solche Filme mache. Sondern ich will es bei meinen Filmen dem Zuschauer ermöglichen, sein eigenes Urteil zu fällen.

Der Polizist, den Sie in „Catch a Fire“ spielen, hat auch Angst um seine eigene Familie. Wie weit würden Sie selbst gehen um die eigene Familie zu schützen? Lehnen Sie Gewalt ab?
Robbins: Was mein Leben angeht – ich bin kein Pazifist. Ich würde mein Haus beschützen, mein Heimatland… Wobei ich finde, dass das, was wir im Irak machen, kriminell ist. Wir haben eine moralische Verantwortung, die dem entgegen steht.
Ich habe aber nach dem 11. September nicht gegen die Invasion in Afghanistan protestiert. Ich war in den 80ern und 90ern gegen die Kriege der USA in Nicaragua oder Grenada, ich war generell gegen Krieg. Aber ich habe mir immer die Frage gestellt: Was würdest du tun, wenn die USA angegriffen werden? Und meine Antwort war, dass das der Moment wäre, wo ich das unterstützen muss. Ich glaube an Souveränität und an das Recht eines Menschen auf die Sicherheit im eigenen Haus.

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