Sportfreunde Stiller

Es gibt Ohrwürmer, die einfach nur weh tun.

Mit „Sturm und Stille“ haben die Sportfreunde Stiller im Oktober ein neues Studioalbum veröffentlicht, aktuell touren sie durch Deutschland. Im Interview sprechen Peter Brugger und Florian Weber über Songs mit Happy End, Beatles-Melodien und schmerzhafte Ohrwürmer.

Sportfreunde Stiller

© Nina Stiller

Peter und Florian, laut Promotext wollt ihr mit eurem Album „Sturm und Stille“ ein Zeichen u.a. für „Optimismus, Wagemut und Verbundenheit“ setzen. Glaubt ihr, dass die Menschen das im Moment am nötigsten haben?
Peter: Ja, das glaube ich schon. Wir machen das aber nicht wirklich bewusst. Es ist eher so, dass wir immer wieder feststellen, dass es uns in unseren Liedern, auch wenn es um negative Dinge geht, immer nach einer Wendung dürstet. Wir haben das Verlangen, dass jeder unserer Songs ein Happy End hat. Es ist trotz der vielen krassen Sachen, die gerade passieren, die einem Angst machen, wichtig, positiv zu bleiben. Durch die Nachrichten bekommt man schließlich gerade auch das Gefühl, dass es nur noch negative Neuigkeiten gibt. Wir müssen als Menschen gut miteinander auskommen, kommunizieren und vor allem die Menschen bei uns aufzunehmen, denen es anderswo scheiße geht. Wenn man die Wahl hat, Dinge positiv oder negativ zu betrachten, würde ich immer die positive Variante wählen.

Eine der negativen Nachrichten kam in diesem Jahr auch aus eurer Heimatstadt München, der Amoklauf im Juli 2016. Wie nah geht euch so ein Ereignis?
Peter: So etwas tut mir wahnsinnig leid. Ich frage mich immer, wie schlecht es einem Menschen gehen muss, wie depressiv oder wie kaputt man sein muss, dass man auf die Idee kommt, andere Menschen mit in den Tod zu reißen. Das geht mir immer nicht in den Kopf, wann dieser Switch passiert. Unvorstellbar ist auch bei einer solchen Tat, einen geliebten Menschen zu verlieren. An dem Abend, an dem diese schreckliche Tat in München passiert ist, haben wir in Leipzig ein Konzert gespielt und hatten eine tolle Zeit. Dieses Phänomen haben wir auch in dem Song „Zwischen den Welten“ behandelt. Es können gleichzeitig die unterschiedlichsten Gefühle stattfinden. Einerseits ein totales persönliches Glück, andererseits eine große Trauer um diese Situation, den Amoklauf und die Menschen, die dabei gestorben sind. Ich möchte dann an so einem Abend kein schlechtes Gewissen habe, wenn ich irgendwo feiere, schließlich ist ein anderer Teil in mir trotzdem traurig. Mit dem Lied wollen wir klarmachen, dass man eben auch beides annehmen kann. Das Glück und Traurigkeit parallel existieren können. Das soll jetzt nicht heißen, dass man die Spitzen rausnimmt und auf einer Nulllinie lebt, sondern man akzeptiert, dass es eigentlich ständig beides gibt.

Zitiert

Glück und Traurigkeit können parallel existieren.

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Zwischen euren letzten beiden Alben lagen drei Jahre. Was habt ihr in der Zeit gemacht?
Peter: Nachdem unsere Platte vor drei Jahren rausgekommen ist, ging es erst richtig los bei uns. Wir haben mit Promo angefangen und Konzerte gespielt. Der Zyklus einer Platte geht ja meistens ein bis zwei Jahre. Mitte 2014 haben wir dann entschieden, erstmal eine Pause voneinander zu machen. Das ist auch immer sehr wichtig, die Band mal eine Weile hinter sich zu lassen und wieder ein einigermaßen normales Leben zu führen. Verabredet haben wir uns dann für Anfang 2015, um zu besprechen, ob Bock da ist neue Lieder zu machen und ob wir eine neue Platte angehen wollen. Und dann ging’s eigentlich schon wieder los mit Lieder schreiben. So was dauert dann auch immer seine Zeit, die Lieder zu schreiben und aufzunehmen. Davon kriegt man draußen natürlich nichts mit, wenn wir in unserem Kämmerchen nach Melodien forschen.

Wie groß war eure Lust auf neue Musik beim Wiedersehen?
Peter: Das war bei uns allen unterschiedlich. Florian hat sowieso immer Hummeln im Arsch und tausend Ideen, weil er permanent irgendwas macht, was ihn wieder zu neuen Stücken inspiriert. Rüdiger hatte auch Bock. Bei mir war es eher so, dass ich kurz überlegen musste. Ich dachte, dass ich doch noch mit den Hunden raus muss und dass ich bald noch zu einem Eishockeyspiel will. Eigentlich war ich noch nicht wirklich soweit, aber irgendwie haben wir uns dann doch wieder zusammengerauft. Dieses Zusammenraufen wird allerdings mit den Jahren auch nicht leichter. Früher waren unsere Leben gleichgeschaltet, wir haben alle studiert oder gejobbt und die Band war das Abenteuer. Mittlerweile haben wir alle Familien und unsere Leben außerhalb der Band sind größer geworden.

Die Single „Das Geschenk“ landete wieder weit oben in den Charts. Habt ihr mittlerweile ein inneres Barometer welche Songs gut ankommen und was die Fans hören wollen?
Florian: Ich finde, wir haben es in all den Jahren geschafft, ein gutes Spektrum abzuliefern. Wir haben früh die Weichen gestellt, dass man uns als Band sowohl Balladen als auch punkige Nummern abkauft. Wir setzen uns jetzt aber nicht hin und konstruieren etwas mit dem Ziel, dass es toll ankommt. Vielleicht flattert das ein oder andere Mal das Wort Radiotauglichkeit durch den Raum, aber es ist ja auch schwer sowas zu schreiben. Das können nur wenige Produzenten.
Peter: Dieter Bohlen kann das.
Florian: Und Pharrell Williams.

Doch auch bei euren Songs gibt es eine gewisse Ohrwurmtauglichkeit. Ist das für eine Band ein Kompliment oder ist das wie in der Kunst: viel zu profan?
Florian: Bei Ohrwürmern muss man total unterscheiden. Es gibt die Ohrwürmer, die einfach nur wehtun, die will man dann so schnell wie möglich aus dem Kopf haben. Die gehen dann allerdings meistens nicht raus.(lacht)

Wie zum Beispiel?
Florian: Bei mir ist das aktuell „Hulapalu“ von Andreas Gabalier, ich bekomm es einfach nicht aus dem Kopf. Oder „Viva Colonia“ von den Höhnern, sowas hämmert sich dann in den Kopf und man denkt nur: Bitte verlass mich!
Auf der anderen Seite gibt es Ohrwürmer, die in einen fahren und zuerst eine leichte Wärme in der Bauchgegend entfachen und sich dann langsam hocharbeiten und im Kopf bleiben. Solche Ohrwürmer möchte ich gerne schreiben. Und wenn wir sowas hinbekommen, ist das für mich ein totales Lob. Das sind Lieder, die lange bleiben, bei denen man auch immer wieder etwas Neues entdecken kann. Solche Lieder zu machen ist mein Wunsch. Dazu muss man natürlich eine tolle Melodie erfinden… Also, was heißt erfinden, ich frag mich ja sowieso jedes Mal woher die ganzen Melodien kommen.
Florian: Von den Beatles. Die kommen alle von den Beatles.
Peter: Das glaube ich auch. Die haben die Beatles damals erfunden und jetzt schwirren sie alle in der Atmosphäre umher und ab und zu darf man sich eine fangen und zu einem Lied verarbeiten. Ich liebe Melodien, am liebsten würde ich 18 Stück in ein Lied reinpacken.

© Nina Stiller

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In „Brett vorm Herz“ singt ihr „ich schalte mich aus, bin innen hohl, ich lasse nichts raus außer Selfcontrol“. Wie kommt so eine Zeile zustande?

Peter: Also, ich schreibe jetzt kein Tagebuch oder denke ständig ‚oh, das könnte eine schöne Zeile für ein Lied sein‘. Manchmal schreibe ich mir ein paar Stichworte auf, wenn ich ein interessantes Gespräch hatte oder mich ein Film oder ein Lied inspiriert hat. Oder es entstehen Texte einfach aus einer Stimmung heraus. So war es zum Beispiel bei diesem Lied. Ich hatte in letzter Zeit öfter das Gefühl, dass es sehr viele Menschen gibt, die sehr verschlossen auf ihrem Weg sind und keine Emotionen zulassen, es scheint als hätten sie viele Dinge einfach runtergefahren – das ist meiner Ansicht nach nicht der Sinn des Lebens.
Florian: Der Prozess dieses Liedes bei uns als Band war sehr interessant. Als Peter damit ankam, war ich zum Beispiel sofort begeistert, dass wir auch mal die dunklen Seiten beschreiben. Rüdiger konnte damit weniger anfangen und nach langer Diskussion haben wir dann beschlossen, die Stimmung des Liedes im Refrain doch wieder zu kippen. Das Brett wird weggerissen und es kommt zu einem positiven Ende. Bei sowas diskutieren wir als Band dann doch eine Weile und müssen uns einigen, wie es schließlich ausgeht.

Und ein Lied darf bei euch nicht traurig enden?
Florian: Meinetwegen dürfte es das (grinst). Schließlich befindet es sich ja immer noch in einem Pool von vielen weiteren Liedern, die alle positiv enden. Aber bei uns, in dieser Dreierkombination durfte es das offenbar nicht und das ist für mich dann auch völlig in Ordnung. Irgendwie haben die Sportfreunde Stiller dann wohl doch den Drang zum positiven Ende.

Im Song „Zeit für Gutes“ fordert ihr die Gesellschaft auf, wieder mehr Gutes zu tun. Hand aufs Herz: Was war denn eure letzte gute Tat?
Florian: Ich habe vorgestern im Karstadt in Leipzig einer Frau mit Rollator die Tür aufgehalten. Und ich hab einer Band auf dem Festivalgelände unseren Biervorrat geschenkt, weil wir das Festival verlassen mussten und noch Bier übrig hatten.
Peter: Ich habe kürzlich einer Frau ohne Rollator die Tür aufgehalten. (lacht)

albumcoverIn „Auf Jubel gebaut“ besingt ihr eure Freiheit, die auf dem Jubel der Fans aufbaut. Was habt ihr für Freiheiten als „Stars“?
Florian: Wir fühlen uns glaube ich gar nicht als Stars. (grinst) Aber wir sind Musiker, die jeden Tag das machen dürfen, was sie am liebsten tun, auf Tour gehen und auch mal einen Tag abhängen, das ist eine große Freiheit. Abends auf die Bühne gehen, singen was man möchte und Spaß haben, was Besseres gibt es glaube ich nicht, das ist ein Privileg. Aber was ich viel wichtiger finde, ist endlich mal unseren Fans zu danken. Uns gibt es jetzt schon seit 20 Jahren und das nur, weil es Menschen gibt, die sich unsere Lieder immer wieder gerne anhören und uns als Band unterstützen. Wir sind sehr spät dran mit dieser Liebeserklärung aber ich hoffe, sie kommt trotzdem an.

Die obligatorische Fußball-Abschlussfrage: Deutschland konnte bei der diesjährigen EM leider nicht den Pokal mit nach Hause nehmen. Lag es an dem fehlenden Song von euch?
Peter: Das können wir seit 2014 leider nicht mehr behaupten. Da waren wir zum ersten Mal nicht mit einem Lied unterwegs und prompt hat’s geklappt. (lacht) Ich bin total zufrieden mit der Leistung unserer Mannschaft. Meines Erachtens hat Deutschland den besten Fußball gespielt. Sie haben ihre Chancen nicht ideal genutzt und deshalb keine Tore geschossen, aber das kommt vor im Fußball. Ich bin schon lange sehr zufrieden mit dem Bild was die deutsche Fußballmannschaft abgibt und dann muss man auch nicht immer gewinnen.

[Das Interview entstand im Juli 2016.]

Tourdaten:
15.12.16 Dortmund Westfalenhalle 3a
16.12.16 Mannheim Maimarktclub
18.12.16 München Kongresshalle
19.12.16 München Kesselhaus
20.12.16 München Muffathalle
06.01.17 Salzburg Republic
07.01.17 Linz Posthof
08.01.17 Wien Arena
09.01.17 Graz Orpheum
11.01.17 Dornbirn Conrad Sohm
12.01.17 Basel Volkshaus
13.01.17 Bern Bierhübeli
14.01.17 Zürich Kaufleuten

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