Slime

Auch bei den Cops gibt es Slime-Fans.

Slime ist die Legende unter den deutschen Punk-Bands. Gegründet 1979, für ihre Kritik an Polizei gefeiert und gehasst und nach wie vor eine starke Stimme im Kampf gegen Rassismus. Ein ausführliches Gespräch mit Dicken, Elf, Nici und Christian über einen Pullover im ZDF, Gefahren von rechts, ihr Verhältnis zum Staat, Errungenschaften des Punk und ob sie wählen gehen.

Slime

© Ron Gerlach

Das folgende Interview wurde an zwei verschiedenen Tagen geführt, am 04. Februar 2020 mit Christian Mevs, Michael „Elf“ Mayer und Nici, sowie am 14. Mai 2020 mit Dirk „Dicken“ Jora. Was Dirk Jora zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie sagte, ist nachzulesen im Interview bei der Tageszeitung „Neues Deutschland“.

Ich möchte einsteigen mit einem Bericht eines ZDF-Gremiums. Darin heißt es, dass Ende 2018 die „Sichtbarkeit eines Kameramanns mit einem Pullover-Aufdruck der Punk-Band Slime“ zu 278 Zuschauer-Beschwerden führte…

Nici: 278 AfD-Wähler.

Christian: Plus vermutlich eine hohe Dunkelziffer.

War das für euch ein Erfolg?

Dirk: Also, ein bisschen gebauchpinselt fühlt man sich natürlich. Viel Feind, viel Ehr! Und es war eine Bestätigung, dass wir auch heute noch eine Relevanz haben.

Elf: Wir haben das T-Shirt danach nochmal an den Merch-Stand gehängt und es hat sich gut verkauft. Insofern war es ein Erfolg.

Christian: Die Sache war aber leider auch ein Indikator für die Zustände, wie sie hier im Land herrschen.

Das ZDF hat sich kurz darauf für den Pullover öffentlich entschuldigt. Habt ihr das bedauert?

Nici: Ja, das war peinlich vom ZDF.

Elf: Auf dem Shirt stand „Brüllen, Zertrümmern und Weg“ – und nicht etwa „Deutschland muss sterben“. Die Beschwerden kamen nur, weil es ein Pullover von der so genannten „linksradikalen“ Band Slime war. Darauf sind die angesprungen, das waren rechte Trolle, die da Beschwerden geschickt haben.

Dirk: Dass das ZDF vor denen eingeknickt ist, ja, das fand ich schlimm.

Hattet ihr mal in den öffentlich-rechtlichen Sendern einen Band-Auftritt?

Elf: In den 90er Jahren sind wir mal beim „Rockpalast“ aufgetreten, neben zwei, drei anderen Bands. Ich glaube, das war damals in der Bonner Biskuithalle.

Christian: 2013, als Daniel Ryser sein Buch über Slime veröffentlicht hat, sind wir mit ihm auf Tour gegangen, darüber hat zum Beispiel 3sat berichtet.
Aber es stimmt schon: Wir standen bei den öffentlich-rechtlichen Sendern auf dem Index, in den 80ern sowieso aber auch in den 90ern, wir haben da nicht stattgefunden. Der Erfolg der Band beruhte ja ein Stückweit auf diesem Phänomen: Totschweigen, Verbot oder Indexierung bewirkt oft das Gegenteil von dem, was eigentlich beabsichtigt war.

Euer Debütalbum wurde ja tatsächlich indexiert, ganze drei Jahrzehnte nach seinem Erscheinen.

Christian: Ja, das haben wir dann achselzuckend hingenommen.

Nici: Da war der Drops natürlich schon lange gelutscht.

Zitiert

Wir sind keine Agit-Prop-Band auf irgendeiner Partei-Linie!

Slime

Nochmal zurück zur AfD. Wir sitzen hier gerade in Lichtenberg, dem Berliner Bezirk mit dem höchsten Anteil an AfD-Wählern…

Christian: …das war auch mal in Friedrichshain so, oder in Weißensee. Da ist man im Sommer auf der Straße bestimmten T-Shirts begegnet, es gab Läden, wo Klamotten mit rechten Inhalten verkauft wurden und in bestimmte Kneipen konnte man nicht gehen, weil man wusste, dass da Faschos sitzen.
Heute leben in Friedrichshain viele Studenten, so was verändert sich. Auch aus Lichtenberg werden Nazis rausgedrängt. Und trotzdem leben hier noch viele Rassisten, alte Menschen mit verkrusteten Denkformen… – aber die gibt es ja überall.

Wie erklärt ihr die Wahl-Erfolge der AfD in den letzten Jahren?

Christian: Unsere aktuelle Platte heißt „Wem gehört die Angst“ – und das hat stark damit zu tun. Die Leute haben Angst vor den Aufgaben, die anstehen: Klimawandel und Globalisierung, die schon seit langer Zeit dafür sorgt, dass viele Menschen nicht mehr wissen, wie sie in Ruhe ihr Leben leben können. Und dann sind manche Leute froh, wenn sie einen Führer haben, der ihnen sagt: Wir machen die Grenzen dicht und alles wird wie vorher.
Und hinzu kommt, dass die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinander geht. Es gibt viele Gründe, die dazu führen, dass die AfD erstarkt.

Dirk: Die AfD betreibt Bauernfängerei, in dem sie Angst verbreitet, zum Beispiel vor Einwanderern. Abstrus wird es dann in Bundesländern wie Mecklenburg-Vorpommern, wo der Ausländer-Anteil oder die Zahl von Geflüchteten so marginal ist, dass man ihn kaum erfassen kann. Trotzdem marschieren sie durch die Dörfer und plakatieren Parolen wie „die nehmen uns die Arbeitsplätze weg“. Sie benutzen Homophobie, Xenophobie, überhaupt die Angst vor allem, was anders ist: Kulturen, Hautfarben, Sprachen, Musik.

Die AfD wird auch von Leuten gewählt, die an der Armutsgrenze leben…

Nici: …aber auch vom Bildungsbürgertum.

Elf: Das ist das Erstaunliche, dass die Leute vollkommen die falsche Partei wählen, anstatt eher die Linkspartei oder Grüne. Die AfD ist eine reaktionäre Arschloch-Partei, die wird nichts für die armen Leute tun. Genauso wie Trump das nicht macht. Aber selbst die Leute, die in den USA drei oder vier Jobs brauchen, um über die Runden zu kommen, feiern Trump weiterhin ab. – Vielleicht liegt es an schlechter Bildung? Ich weiß es nicht.
Im Osten Deutschlands liegt es glaube ich auch daran, dass es früher in der DDR kaum Ausländer gab, mit Ausnahme vielleicht von Kubanern und Vietnamesen.

Christian: Und die antifaschistische Aufklärung, die im Westen halbwegs stattgefunden hat, gab es so in der DDR nicht. Dort hieß es einfach: ‚Es gibt hier keine Faschisten‘. Manja Präkels hat es in ihrem Buch „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ beschrieben, wie es in der DDR in der Provinz abging: Da gab es überall Nazis und Glatzen, die alle Andersdenkenden platt gemacht haben. Der Faschismus existierte in der DDR weiter…

Elf: …und einige West-Nazis sind Anfang der 90er Jahre in den Osten gegangen, wo sie versucht haben, Leute für ihre Ideen zu gewinnen.

Welche Partei wäre für euch heute die richtige? Seid ihr überhaupt immer wählen gegangen?

Nici: Ich bin immer wählen gegangen. Ich finde, dass man diese Möglichkeit wahrnehmen sollte. Denn wenn ich meine Stimme niemandem gebe, kann sie ins Gewicht fallen für eine Partei, der ich überhaupt nicht zustimme. Deshalb wähle ich im Zweifelsfall die Partei, die ich für das geringste Übel halte.
Natürlich gibt es keine Partei, wo ich zu 100 Prozent hinter deren Programm stehe. Aber es gibt die ein oder andere Partei, wo ich sage: Diese Themen, die sie einbringen, finde ich wichtig, auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Deshalb wähle ich die.

Elf: Wir haben ja schon mal für eine Partei gespielt, für „Die Partei“ von Martin Sonneborn, auf einer Demo in Frankfurt. Ich finde es gut, was die machen. Im Europaparlament hat Sonneborn zum Teil als einziger Parlamentarier überhaupt die richtigen Fragen gestellt und bestimmte Abstimmungen durch seine Stimme beeinflusst, weil er das Zünglein an der Waage war. Da ist sein Engagement ja durchaus ernsthaft und nicht nur Satire. Das kann man als Alternative sehen.
Nicht-Wählen ist logischerweise Quatsch – dann wenigstens das kleinere Übel.

Christian: Meine Haltung zum bestehenden System ist eine ablehnende, es funktioniert für mich überhaupt nicht. Aber zu sagen, ‚ich wähle nicht‘, ist kein probates Mittel, das funktioniert nicht. Dann lieber ungültig wählen, aber dafür muss man zumindest hingehen.

Dirk: Also für mich hat bis heute die „kleineres Übel“-Argumentation nicht funktioniert. Offensichtlich korrumpiert Macht fast immer, siehe die unrühmliche Entwicklung der grünen Partei. Ungültig wählen erscheint mir immer mehr als einzige Alternative, auch wenn ich natürlich sehe, das in anderen Ländern – u.a. den USA – das Recht auf Wahl ein hart erkämpftes war und ist. Aber ich bin in vielen Dingen old-school, und der alte Sponti/Anarcho-Spruch „wenn Wahlen etwas verändern würden, wären sie verboten“ hat für mich immer noch eine gewisse Gültigkeit. Dazu gibt es innerhalb der Band unterschiedliche Ansichten, aber das ist ja auch gut so,wir sind eben keine Agit-Prop-Band auf irgendeiner Partei-Linie!

Was würdet ihr sagen, sind die Errungenschaften des Punk?

Dirk: Zunächst mal: Wenn du fünf Punks befragt, bekommst du vermutlich fünf verschiedene Definitionen über Punkrock. Es gab diejenigen, die sich nur die Rübe zugeknallt haben, die gerne an den Bahnhöfen gesessen und nichts gemacht haben – zu denen gehörten wir nicht. Wir haben uns zwar auch die Rübe zugeknallt und diverse Arten von Drogen ausgetestet, waren aber immer produktiv. Sei es, dass wir Fanzines gemacht oder Bands gegründet haben, auf Demos gegangen sind oder Häuser besetzt haben.

Elf: Unabhängig von textlichen Inhalten hat Punk hat eine Revolution in der Musik an sich losgetreten.

Nici: Leute, die überhaupt kein Instrument spielen konnten, haben sich eine Gitarre geschnappt, drei Akkorde gelernt und los ging’s.

Dirk: Davor gab es klassische Hardrock-Bands wie Deep Purple, Led Zeppelin, Golden Earring oder Uriah Heep, woraus dann wiederum der Progressive Rock entstanden ist, mit überlangen Songs und endlosen Soli auf der Orgel oder Gitarre. Dieses Gefriemel, das haben die Sex Pistols dann mit „Never Mind the Bollocks“ einfach zertrümmert, wie mit einem Baseball-Schläger. Und das musste auch genauso sein.

Elf: Vorher haben alle Jimmy Page und Ritchie Blackmore angehimmelt und gedacht: „So werde ich nie spielen können, da brauche ich gar nicht erst anfangen.“

Das heißt, durch den Punkrock wurde die Schwelle zum Musikmachen gesenkt?

Dirk: Ja. Ich hatte mich sehr lange Zeit nicht als Sänger gesehen sondern als Agitator, habe aber dann 1979 den Mut gehabt, auf eine Bühne zu gehen. Das war eine Errungenschaft des Punkrock, Heavy Metal hätte mich nicht dazu gekriegt, auch nicht klassische Musik oder Blues.

Elf: Daraus sind ja viele tolle Sachen entstanden: Von The Damned über The Stranglers, XTC bis zu den Ramones galt alles mehr oder weniger als Punk oder New Wave. Auch bekannte Pop-Bands wie Blondie haben als Punk-Band angefangen, die Musiker von Depeche Mode haben vorher in kleinen Punk-Bands gespielt. Und die ersten Sachen von Joy Division, das war Punkrock.

Christian: Auch The Police wurden am Anfang eine Punkband wahrgenommen.

Seht ihr die Errungenschaften also vor allem im musikalischen Bereich?

Elf: Nein, natürlich gab es auch den inhaltlichen Aspekt. Da gab es die antifaschistischen Konzerte „Rock against Racism“, wo The Clash oder die Tom Robinson Band gespielt haben, weil in England in den Wahlen die Nazis hochgekommen sind und auf der Straße Schwarze vermöbelt wurden. So was haben wir als Punkfans natürlich mitgekriegt, das hat uns beeindruckt und motiviert, auch so eine Musik zu spielen. In Deutschland gab es schon die Protestsongs von Ton Steine Scherben, aber das war eine andere, Hippie-Musik. Punk dagegen war aggressiver, damit konnte man politische Texte noch viel besser raushauen.

Christian: Ich denke, es wurde durch Punk auch ein Selbstbewusstsein geschaffen, dass man nicht erst bestimmte Regeln zu befolgen hat, wenn man politisch auf der Bühne Stellung beziehen will. Das wurde auf eine Art leichter gemacht, demokratisiert.

Elf: Es entstand in der Zeit auch die Fanzine-Kultur und Independent-Plattenfirmen.

Nici: Und in der Frauenbewegegung war Punk auch total wichtig. Riot Girrrl, Joan Jet… Das scheint mir auch für junge Künstlerinnern heute noch wichtig.

Wobei der Frauenanteil unter Punk-Musikern sehr niedrig ist, oder?

Nici: Das ist in der ganzen Musikindustrie so. Und woran das liegt? – Keine Ahnung.

Christian: Ich wünsche mir als Tonschaffender auch nichts sehnlicher als Kolleginnen, mit denen man sich austauschen kann. Und wenn mal eine da ist, ist spätestens meine zweite Frage: Warum gibt es so wenig von euch in dieser Branche?

Elf: Es gibt Frauen, die aufgrund von Punkrock angefangen haben, Musik zu machen, Nina Hagen zum Beispiel. Aber insgesamt war es, gerade am Anfang, eine ziemliche Männerveranstaltung. Viv Albertine von The Slits beschreibt das in ihrem Buch („A Typical Girl“), wie sie sich als Frauenband durchsetzen mussten, in der Männerwelt des Punkrock – die wurden überhaupt nicht ernst genommen. Manager wie damals Malcolm McLaren oder Bernard Rhodes, das waren so typische Business-Machos. Wie überhaupt die ganze Plattenindustrie eine riesige Macho-Veranstaltung war. Das habe ich gemerkt, als ich bei Abwärts gespielt habe, da waren wir bei Virgin, Sony und EMI – und bei den A&R-Managern, da gab es nur Mackertum.

Punk an sich war aber keine Macho-Veranstaltung?

Elf: Doch, zum Teil schon. Wenn man sich New York Hardcore anguckt, Bands wie Agnostic Front – das sind Mega-Machos.

Christian: Wenn man sich Ende der 70er als junger Mensch entschließt, ‚ich werde jetzt Punk‘, dann streift man ja nicht plötzlich sämtliche Dinge ab, mit denen man aufgewachsen ist.

Ihr habt die Aggression in der Musik angesprochen. Habt ihr euch als Band auch mal wie eine Art Blitzableiter gesehen, an dem eure Fans aufgestaute Wut rauslassen können?

Dirk: Klar. Punkrock ist wahrscheinlich auch mehr Blitzableiter als Heavy Metal, weil es dort musikalisch oft ausufert in viele Solis und Klang-Bombast. Punkrock dagegen ist sehr reduziert. Und auch das Pogo-Tanzen ist eine sehr physische Angelegenheit.

Elf: Man kann auch als Musiker Aggressionen abbauen, in dem man bestimmte Texte schreibt und diese Musik spielt. Das macht ja auch Spaß. Nach einem Konzert kannst du sagen: Jetzt bin ich erstmal ein bisschen runtergekommen von meinem Hass auf das System…

Nici: …oder auf Nazis, auf Unmenschlichkeit.

Elf: Für das Publikum stellen die Konzerte eine gewisse Form von Solidarität her. Das ist ja auch geil, wenn alle zusammen singen „Deutschland muss sterben“ oder „Nazis raus“…

Nici: … und danach „Let’s get united“.

Elf: Man merkt schon, dass das den Leuten etwas gibt, sonst würden sie ja nicht kommen und das abfeiern. Und es ist nicht ein Abfeiern wie bei Schlagermusik, sondern es werden Politparolen gesungen und geschrien. Wenn wir einen Song wie „Gewalt“ vom Album „Schweineherbst“ als leise Akustik Nummer spielen, und danach fängt das Publikum an, zu rufen „Alerta, Alerta Antifascista“ – da spielt auf jeden Fall ein Gemeinschaftsgefühl eine Rolle.

Wer sind heute die ‚Gegner‘ von Slime?

Dirk: Es ist immer der Haufen von rassistischen, xenophoben, homophoben und faschistischen Arschlöchern. Das ist sicher immer noch unser Feind. Dazu gehört auch eine Partei wie die AfD mit ihren Verbindungen nach ganz rechts außen oder auch Politiker in Ungarn oder Polen, wo wir im Moment Regierungen haben, die man durchaus als rechtsradikal bezeichnen kann – ich tue das zumindest. Die Personen, die hinter solchen Entwicklungen stehen, die sind sicherlich unser Feind.

Elf: Die ganze rechte Scheiße ist ja eigentlich immer mehr geworden. Deswegen kann man auch nicht aufhören, darüber Texte zu schreiben. Das kommt als Thema ganz automatisch immer wieder.

Nici: Wir schreiben unsere Texte über das, was draußen passiert. Das ist keine Retrospektive auf etwas, was man 1980 geschrieben hat. Sondern es geht um die Dinge, die aktuell draußen stattfinden, die uns auffallen und die uns nerven.

Christian: Was sich verändert hat, sind bestimmte Blickwinkel. Auch dadurch dass seit 2010 Nici dabei ist und unser Schlagzeuger Alex. Alex kommt aus dem Pott und nicht aus Norddeutschland, und er ist auf eine andere Weise politisch. Auf eine Art, die Politik viel persönlicher auffasst und an persönlichen Schicksalen festmacht. Und das beeinflusst die Texte. Der Song „Hölle“ auf dem aktuellen Album zum Beispiel setzt sich damit auseinander, dass man einerseits von der Welt frustriert ist, aber andererseits auch von sich selbst und von Menschen, mit denen man eigentlich zusammen kämpft.

Elf: Da geht es um die Konflikte in der eigenen Szene, wie sich alle untereinander behaken, wie Anti-Deutsche gegen Anti-Imps kämpfen, Anti-Dies gegen Anti-Das.

Nici: Wer da warum gegen wen kämpft, das checkt man ja auch nicht mehr.

Ist Slime heute noch Anti-Staat?

Dirk: Nicht gegen den Staat per se. Das haben wir in jungen Jahren vielleicht propagiert, aber da fehlt mir dann am Ende doch die Alternative. Man hat sich früher mit anarchistischen oder anarchosyndikalistischen Theorien beschäftigt, dann hat man eine Zeit lang gedacht, dass beim Kommunismus zumindest die Theoretiker interessant wären… Aber zum Beispiel der RAF sind wir nicht hinterhergelaufen, weil wir sehr wohl gesehen haben, was das für stalinistische Züge hatte.
Heute sind Demokratie und Kapitalismus die Grundpfeiler unserer Gesellschaft. Eine Alternative dazu sehe ich im Moment nicht.
Aber: Wir sind gegen einen Staatsapparat, der – wie man beim NSU gesehen hat – rechte Mörder nicht nur toleriert, sondern aktiv unterstützt. Und das ist ja kein Einzelfall, wenn man sich anguckt, wie in Hessen, in Sachsen-Anhalt oder Thüringen der Polizeiapparat unterwandert ist von rechten Akteuren. Ich sehe auch immer noch die sehr unmenschliche Abschiebepraxis des deutschen Staates. An diesen Punkten üben wir als Band immer noch massive Kritik.

Gab es in der Bandgeschichte von Slime auch blinde Wut?

Dirk: Ja, in dem Moment wo Nazis Menschen in ihren Betten verbrannt haben, da gab es blinde Wut. Wobei wir die schon zur Zeit von „Schweineherbst“ 1994 in eine Form kanalisiert haben, die sich deutlich von den platten Parolen unserer Anfangszeit unterschied. Von den Parolen haben wir uns ja sehr schnell entfernt, stattdessen haben wir uns zum Beispiel mit Paul Celan beschäftigt („Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“), oder später auf dem Album „Sich fügen heißt lügen“ (2012) mehrere Gedichte von Erich Mühsam vertont, der 1934 im KZ Oranienburg ermordet wurde.

Nici: „Blinde Wut“ würde für mich heißen, wütend auf alles und gegen jeden zu sein – für mich war es das nicht, sondern für mich ist es immer gezielte Wut gewesen, gegen einen Missstand.

Christian: Vielleicht nicht direkt blinde Wut, aber etwas irrationale Momente gab es schon auch bei Slime. Ich erinnere mich an ein Konzert im SO36 in den 80ern, wo draußen eine Hundertschaft Bullen stand und Dirk drinnen auf der Bühne sagte: „Wir gehen jetzt alle raus und hauen den Bullen auf die Fresse“. Und dann sind alle raus, viele stark alkoholisiert, und haben…

Elf: … eins auf die Fresse gekriegt.

Christian: Ich bin nicht mitgegangen, der Saal im SO36 war dann leer. Das war schon seltsam, und auch nicht wirklich sinnvoll.

In den ersten Bandjahren waren es vor allem eure Texte über die Polizei, die für Schlagzeilen sorgten. Wirken diese Songs heute immer noch nach?

Dirk: Also, ich habe nicht das Gefühl, dass es noch irgendjemanden gibt, der uns auf „Wir wollen keine Bullenschweine“ oder „Polizei SA SS“ reduziert – außer irgendwelche beknackten AfDler, die dann auch allen Ernstes versuchen, einen Auftritt von uns auf dem Hamburger Hafengeburtstag zu verhindern, mit einer Abstimmung im Hamburger Senat. Womit sie natürlich krachend gescheitert sind.
Die beiden Songs spielen wir auch schon lange nicht mehr. Allerdings spielen wir noch „A.C.A.B.“.

Warum?

Dirk: Weil es auch heute bei den Bullen noch die uniformierten Schläger gibt, die zum Beispiel im St. Pauli-Umfeld Kneipen stürmen und Leute verprügeln. Für mich ist das kein Protest gegen die Polizei per se, es gibt ja auch diejenigen, die zum Beispiel Ermittlungsarbeit leisten und Vergewaltiger ihrer Strafe zuführen. Aber wir gucken nicht weg bei den ganzen Schweinereien, die es nach wie vor innerhalb des Bullenapparats gibt.

Man muss differenzieren…

Dirk: Natürlich! Es wäre doch auch merkwürdig, wenn wir heute rumlaufen und „Bullenschweine zerstören“ skandieren würden – das wäre schwachsinnig. Slime hat sehr oft bewiesen, dass wir Dinge differenziert sehen. Was aber nicht automatisch heißt, dass man von seiner ursprünglichen Position abrückt.

Christian: Für mich hat sich die Sicht auf die Polizei insofern verändert als dass ich mich heute eher frage, wer denen die Instruktionen gibt. Was sind das dort für Strukturen? Wer lässt es zu, dass Rechte die Polizei oder auch die Bundeswehr unterwandern können?
Die Texte damals in den 80ern entstanden ja vor allem dadurch, dass wir Polizeigewalt auf Demos am eigenen Körper erlebt haben, mit Knüppeln und Verhaftung, aus nichtigen Gründen. Dorther kommt dieser Hass in den Songs.

slime-coverKennt ihr Polizisten persönlich?

Christian: Nein.

Nici: Nein.

Elf: Ich kenne nur Bundeswehrsoldaten. Mein Vater war einer. Aber als ich verweigert habe, hat er mir dabei geholfen.

Wo habt ihr die Polizei mal positiv erlebt?

Nici: Ich wurde mal durch den Verfassungsschutz vor einem Nazi-Überfall auf meine Kneipe gewarnt. Mit der Polizei habe ich persönlich heute keine Probleme, aber ich bin immer mit einem wachsamen Auge dabei. Eine Skepsis ist auf jeden Fall da und ich gucke mir schon immer genau an, wer mir da mit welcher Gesinnung gegenübersteht.

Elf: Man kann es nicht über einen Kamm scheren. Nicht alle Bullen sind Schweine.

Christian: Als wir 2015 in Frankfurt auf der Veranstaltung für „Die Partei“ gespielt haben, zusammen mit der Antilopen Gang, da gab es einen Moment, wo an uns ein Polizeiauto vorbeifuhr, und aus dem Auto schallte unser Song „A.C.A.B.“. Da haben wir uns gegenseitig gegrüßt.

Elf: Ich hatte mal um das Jahr 2000 eine Hausdurchsuchung wegen CDs, auf denen der Song „Bullenschweine“ noch drauf war, weil ich damals den Mailorder für die Band gemacht habe. Die kamen zu dritt und waren sehr moderat. Sie haben nur ein paar CD-Stapel durchsucht, 2-3 CDs mitgenommen und sich dann freundlich verabschiedet.

Dirk: Ich habe in Schleswig-Holstein über ein paar Ecken mal von einem Polizisten erfahren, der Slime-Fan ist. Den hab ich dann auch persönlich getroffen und er hat mir bestätigt: „Ja, mit einem Kumpel gehe ich seit Jahren zu jedem Slime-Konzert in der Großen Freiheit.“ Da hab ich ihn gefragt, was er macht, wenn wir „A.C.A.B.“ spielen – da meinte er: „Das gehört doch dazu!“
Ja, auch bei den Cops gibt es Slime-Fans. Aber das sind dann eben nicht die uniformierten Hooligans.

Wenn ihr hier im Gespräch das Wort „Bulle“ benutzt, ist das nicht ein Mangel an Differenzierung?

Dirk: Das weiß ich nicht. Wenn mir ein Bulle sagt, dass er beim Slime-Konzert „A.C.A.B.“ mitsingt, dann ist dem vermutlich egal, ob ich „Bulle“ oder „Polizist“ sage.

Ich frage das nur, weil es eben auch jene Polizisten trifft, die verantwortungsvoll ihre Arbeit machen und zum Beispiel bei Demonstrationen versuchen, besonnen zu handeln.

Dirk: Dem gegenüber stehen aber für mich immer noch Dinge wie der Geleitschutz für militante Rechte, das Einpreschen auf Antifa-Demos oder die Attacken auf Fan-Gruppierungen wie beim FC St. Pauli. Dass sich die Polizei da insgesamt verbessert hat, so eine Tendenz vermag ich nicht abzuleiten.

© Ron Gerlach

© Ron Gerlach

Noch eine Frage zu eurem aktuellen Song „Wenn wir wollen“. Ihr geht darin auf den Klimawandel ein…

Dirk: Das haben wir früher auch, schon auf dem zweiten Album haben wir über Umweltschutz bzw. Umweltzerstörung gesungen. Ich bin früher auch Mitglied der Hamburger Grünen gewesen.

Hat für euch „Fridays for Future“ etwas von Punk?

Dirk: Für mich nicht, weil die Bewegung keine eigene Musik hat, sie hat keine musikalische Ausdrucksform. Aber Greta versucht natürlich völlig zu Recht, etwas zu verändern.

Christian: Es ist auf jeden Fall ein Aufbegehren, in der Hinsicht kann man es vielleicht mit Punk vergleichen. Ich sehe allerdings auch den Unterschied, dass Punk sich vor allem über das definiert hat, was man nicht wollte. Es war immer eine Anti-Haltung, auch im Musikalischen, da war es sozusagen eine Anti-Stadionrock-Bewegung.
Was Fridays for Future machen ist keine Anti-Haltung, sondern die sagen: ‚Wir wollen die Lage zum Besseren wenden, das ist möglich, wir müssen es tun.‘ Das ist etwas Anderes, das ist positiv.

Weniger optimistisch ist euer Song „Fette Jahre“, der eher nach Dystopie klingt. Ist das euer persönlicher Pessimismus – oder nur Zweckpessimismus?

Elf: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Nici: Der Song ist natürlich auch an unsere Generation gerichtet, sprich Konsumgesellschaft, sprich ‚Amazon, Zalando, ich lasse mir alles nach Hause liefern und wenn mir was nicht passt schicke ich die Hälfte wieder zurück‘ – dieser ganze Quatsch muss aufhören! Ich bestelle mir nichts im Internet, ich unterstütze den lokalen Handel. Wenn in meinem Haus jeden Tag ein Paketbote nach dem anderen klingelt, obwohl die Innenstadt zehn Minuten zu Fuß entfernt ist – so etwas geht mir auf die Nerven. „Die fetten Jahre sind vorbei“ sehe ich auch in diesem Kontext.

Christian: Zweckpessimismus ist es glaube ich nicht. Ich habe schon das Gefühl, der aktuellen Entwicklung etwas machtlos gegenüberzustehen. Ich bin mir nicht so sicher, ob wir es wirklich noch verhindern können, dass durch den Klimawandel einer dieser sogenannten Kipp-Punkte erreicht wird, von wo an eine Umkehr in bestimmten Bereichen nicht mehr möglich ist.

Nici: Wenn die Bauern ständig berichten, dass die Äcker austrocknen, wenn die Ernte zurückgeht, wenn irgendwann vielleicht nicht mehr genügend Nahrungsmittel produziert werden können – dann haben wir echt ein Problem, auch in der ‚ersten‘ Welt.

Christian: Natürlich ist das dystopisch. Aber ich finde es auch schwierig, angesichts der aktuellen Situation vor sich selbst das Gesicht zu wahren. Und eben nicht zu sagen: ‚Ist doch sowieso alles scheiß egal!‘

Dirk: Ich würde mich wahrscheinlich als Zweckpessimisten bezeichnen. Für mich ist das Glas eher halbleer und nicht halbvoll. Was ich aber gar nicht als negativ empfinde, sondern als realistisch. Sagen wir es so: Die fetten Jahre sind vorbei – aber wenn wir wollen, können wir was verändern.

Ein Kommentar zu “Auch bei den Cops gibt es Slime-Fans.”

  1. M.S. |

    warum wird gleich im teaser auf neues deutschland verlinkt obwohl das interview hier auch steht – irgendwie unlogisch und dumm

    Antworten

Kommentar schreiben

* Erforderliche Angaben. Emailadresse wird nicht veröffentlicht.