Shahak Shapira

Die Amerikaner feiern ihre Diversität – und hier wollen alle deutsch sein.

Shahak Shapira hat auf Facebook AfD-Gruppen unterwandert, ungelöschte Hass-Tweets vor die deutsche Twitter-Zentrale gesprüht und Selfie-Touristen am Holocaust-Mahnmal in echte Auschwitz-Bilder montiert. Interview 1 von 2: Shapira spricht über Galgenhumor, Comedy-Vorbilder, seinen Pass und warum er Holocaust-Vergleiche ablehnt.

Shahak Shapira

© Moritz Künster / ZDF

Shahak, deine letzte Tour nanntest du „German Humor“. Gibt es typisch deutschen Humor überhaupt?
Shahak Shapira: Nicht wirklich. Mit dem Humor verhält es sich wie mit so vielen Identitätsmerkmalen der Deutschen: Es ist alles sehr verwirrend. Der Aufhänger des Programms ist, dass ich Anfang 2018 Deutscher geworden bin.

Aus praktischen Gründen?
Shapira: Emotionale Gründe waren es nicht. Ich bin ja Deutscher geworden, da ist kein Platz für Emotionen.

Was war deine Motivation?
Shapira: Ich wollte endlich wählen dürfen.

Welche Auswirkungen hat der neue Pass auf dein Leben?
Shapira: Ich bekomme ab jetzt jeden Frühling Pollenallergie. Außerdem werde nicht mehr diskriminiert, seit ich einen deutschen Pass habe. Das ist super. Ich komme zwar noch mit Rassismus in Berührung, aber eher auf der gebenden Seite.

Verarbeitest du in deinem Programm Geschichten, die dir in den Behörden passiert sind?
Shapira: Unter anderem, ja. Ich verarbeite fast alles auf der Bühne, egal, wo es passiert ist. Momentan rede ich über Einbürgerung, Religion, Terrorismus, TripAdvisor, Poetry Slam, Penisse und meine willkürlichen Beefs mit willkürlichen Rappern.

Und jetzt kannst du endlich deutsche Witze machen?
Shapira: Ja. Wenn mir Deutschland etwas gegeben hat, dann einen Sinn für Humor. Es ist kein guter Sinn für Humor, aber er ist alles, was ich habe.

Zitiert

Mein Humor hat nichts mit meiner Ethnie zu tun.

Shahak Shapira

Du kamst mit 14 aus Israel nach Deutschland und bist in einer Kleinstadt voller Neonazis gelandet. Ist dein Humor deshalb ein Galgenhumor?
Shapira: Galgenhumor trifft es perfekt, das ist eines meiner Lieblingswörter. Es ist ein Humor, der einen etwas aushalten lässt – und das ist auch das Einzige, was Humor leisten kann, außer lustig zu sein. Ich bin kein Freund von Slogans wie „Humor ist eine Waffe“ oder „Humor gegen rechts“.

Weshalb?
Shapira: Hilft nichts, habe ich selbst ausprobiert. Noch nie hat Humor die Faust von einem Neonazi abgewehrt. Aber ich habe gemerkt, dass Humor manchmal dabei hilft, Dinge auszuhalten, die schwerer wären, wenn man sie ernst nehmen würde. Meine Mutter stand wochenlang unter Polizeischutz, weil ihr Neonazis gedroht haben und ich wusste keinen anderen Weg damit umzugehen, als auf der Bühne darüber zu sprechen.

Würdest du sagen, dass du auch etwas vom vielbeschworenen jüdischen Humor mitbekommen hast?
Shapira: Mein Humor hat nichts mit meiner Ethnie zu tun. Also, behaupte ich einfach mal. Ich bin einfach so lustig oder unlustig – und so möchte ich auch verurteilt werden. Kein jüdischer Comedian ist lustig, weil er Jude ist.

Woher kamen deine Comedy-Einflüsse? Aus Deutschland oder Israel?
Shapira: Es war das Israel der 1990er-Jahre. Da herrschte Krieg, wir hatten keine Zeit für Stand-up-Comedy. Ich kam nach Deutschland und konnte kein Wort Deutsch, deswegen habe ich im Fernsehen immer MTV geguckt, wo Sendungen auf Englisch liefen. Nachts kam Chappelle’s Show. Das war das erste Mal überhaupt, dass ich Comedy gesehen habe. Dave Chappelle ist heute mein Idol.

Würdest du sagen, er unterscheidet sich von dem, was man hierzulande unter Comedy versteht?
Shapira: Um Welten. Vor allem, weil Chappelle schwarz ist und sich sehr viel von dem, was er macht, um die Unterdrückung von Schwarzen dreht. In Deutschland hast du kaum schwarze Comedians oder schwarze Kultur im Vergleich. Das ist schade.

Deine Vorbilder wie Dave Chappelle, Bill Burr oder Louis C.K. stammen alle aus den USA. Hinkt Deutschland in Sachen Comedy so weit hinterher?
Shapira: Klar. Es gibt hier niemanden, der wie Bill Burr ist. Wer soll das sein? Mario Barth? Sicher nicht.

Woran liegt es, dass US-Comedy so viel besser ist?
Shapira: Warum ist Hollywood besser als Babelsberg? Wahrscheinlich aus denselben Gründen: mehr Geld und Liebe zu dieser Kultur. Die machen das auch schon länger. In Berlin fängt die Stand-up-Szene ja gerade erst an, sich zu entwickeln. Dass man Open-Mics hat und Leute, die sich Comedy live anschauen. Manchmal bessere Comedy als die, die im Fernsehen läuft.

Was machen die Comedians in den USA besser?
Shapira: Es gibt dort brillante Leute, die schlimme Dinge sagen. Bill Burr ist ein gutes Beispiel: ein Comedian, der eine Meinung über Frauen und Feminismus hat, die ich niemals teilen würde. Trotzdem ist er einer der besten Comedians überhaupt. Er schafft es, unpopuläre Meinungen erfolgreich und lustig auf der Bühne zu vertreten. Er steht vor einem Publikum und erzählt, wie er alle Menschen im Raum ermorden würde – und bekommt trotzdem mehr Lacher als wir alle. Dave Chappelle macht das gleiche. Die haben ein Feingespür dafür, was sie sagen können und was nicht. Und wie sie Dinge, die niemand sonst sagen sollte, vor tausenden von Menschen trotzdem äußern können und das Publikum noch auf ihre Seite ziehen. Ich muss nicht damit übereinstimmen, was ein Comedian sagt, weder moralisch noch politisch. Es ist kein Kabarett. Es reicht mir, wenn es lustig ist.

Wir importieren also Stand-up-Comedy. Wird das irgendwann nicht mehr nötig sein?
Shapira: Ich hoffe es, weiß aber nicht, wie bereit die deutsche Öffentlichkeit ist, sich auf so was einzulassen. Die Comedians hier müssen ein bisschen mehr investieren. Ich versuche zu helfen und meinen Teil dazu beizutragen, dass die Szene größer und erfolgreicher wird.

Um auf einer Bühne zu stehen und witzig zu sein, braucht es doch eigentlich recht wenig.
Shapira: Das stimmt nicht. Du brauchst viel Arbeit und Zeit. Und das ist etwas, was viele, die hier Arenen füllen, nicht bereit sind zu investieren. Die suchen sich eine Nische aus, die für sie funktioniert, irgendeine Figur, die sie spielen. Wenn sie damit explodieren, machen sie das zehn Jahre lang. Vielleicht bin ich ein bisschen unfair, aber ich sehe selten jemanden, der ehrlich ist auf der Bühne. Der nicht etwas vorspielt, was er nicht ist. Und ich finde, das ist kriegsentscheidend, wenn man sich die Comedians anschaut, die in den USA erfolgreich sind.

Wie wichtig ist das Publikum bei Stand-up-Comedy?
Shapira: Wenn du dir in Deutschland Wettbewerbe anschaust, sitzen da alte Leute im Publikum und lachen nicht. Wenn du für ein englischsprachiges Publikum spielst, merkst du den Unterschied: Die haben Bock zu lachen und tragen ihren Teil zum Gelingen bei. Comedy ist nämlich ein Zusammenspiel. Je schlechter das Publikum ist, desto schlechter bin letztlich auch ich. Es darf dir nie egal sein, wie dein Publikum reagiert. Je mehr Feedback du bekommst, desto besser wirst du als Comedian.

Siehst du dich in Zukunft auf Bühnen in den USA?
Shapira: Inschallah, auf jeden Fall. Ich will in Amerika Comedy machen, das ist der Traum. Wenn du dort auftrittst, erreichst du alle.

Was ist für dich in den USA anders als hier?
Shapira: In den USA ist jeder Amerikaner, das ist der Unterschied. Du siehst nicht wie hier Frauen mit Kopftuch im Fernsehen, die fragen: „Wann werde ich als Deutsche akzeptiert? Ich will auch deutsch sein.“ In Amerika haben die Leute einen sehr lockeren Umgang damit, weil jeder Amerikaner ist und trotzdem von woanders herkommen kann. Die sagen: „Ich bin eigentlich Ire, weil mein Opa aus Irland kam.“ Sie feiern ihre Diversität. Hier wollen alle deutsch sein. Was ist so geil daran?

Dahinter steckt vielleicht der Wunsch nach Akzeptanz.
Shapira: Scheiß drauf, was Alexander Gauland von dir denkt. Ob er dich als Nachbarn haben möchte. Willst du ihn als Nachbarn haben? So einen undankbaren Opa-Flüchtling aus der DDR? Nee.

Darfst du als Jude und gebürtiger Israeli andere Witze machen als die sogenannten ‚Biodeutschen‘?
Shapira: Es nervt mich ehrlich gesagt, wenn Leute das fragen. Weil ich weiß, dass ihr Deutschen bei mir nach Bestätigung sucht – aber die gebe ich euch nicht. Sorry. Macht, was ihr wollt. Ich will nicht entscheiden müssen: „Ja, das dürft ihr.“ Was ich wiederum aber gar nicht mag, ist wenn Almans mir vorschreiben wollen, worüber ich, quasi als Migrant, Witze machen darf. Ich bin da nicht wirklich auf der Suche nach Anregungen.

Und wenn man dich nicht als Juden fragt, sondern als Comedian Shahak Shapira?
Shapira: Dann finde ich nicht, dass nur Juden Judenwitze machen dürfen. So viele Comedians haben schon welche gemacht, auch sehr gute: etwa Doug Stanhope, Louis C.K. oder Dave Chappelle. Es hat sich niemand aufgeregt, weil es gute Gags waren. Ich finde es sogar besser, wenn Nichtjuden Judenwitze machen. Denn ich komme mit jeder billigen Pointe durch, niemand macht Stress. Aber wenn du als Nichtjude einen Judenwitz machst, muss er schon richtig gut sein, damit du damit durchkommst.

Hat Humor für dich eine moralische Grenze?
Shapira: Es ist ein Problem, dass wir in Deutschland immer darüber diskutieren, welche Grenzen Humor hat. Wir sollten erst mal gucken, dass unser Humor besser wird. Wir haben einen beschissenen Humor mit beschissener Moral. Versteh mich nicht falsch: Es gibt hier gute Comedians, aber die sind nicht da, wo sie sein sollten – und ein paar erfolgreiche, die ich mag: Carolin Kebekus, Torsten Sträter oder Felix Lobrecht. Vincent Pfäfflin, Till Reiners, Moritz Neumeier: Ich wünschte, sie hätten noch mehr Erfolg.

Was tust du, um besser zu werden?
Shapira: Ich gehe seit einem Jahr fast jeden Abend auf einen Open-Mic. Du musst das machen, um deine Witze zu testen, um besser zu werden. Ich hatte noch nie einen Job, bei dem es so lange dauert, bis du gut bist. Du musst sehr viel auf der Bühne stehen und sehr viel scheitern. Du kannst als Comedian auf ein Open-Mic gehen, auf dem Papier der erfahrenste und erfolgreichste sein, an dem Abend aber trotzdem der schlechteste, weil du was Neues probiert hast, was erst mal scheiße ist. Du musst in Kauf nehmen, dass es zehn Mal ein beschissener Abend wird, für dich und für alle anderen. Das ist die Arbeit, die da drinsteckt, in jedem Witz.

© Moritz Künster / ZDF

© Moritz Künster / ZDF

Du bist nicht nur Comedian, sondern mit Aktionen wie Yolocaust oder #HeyTwitter auch eine Art künstlerischer Aktivist.
Shapira: Nee, bitte nicht. Ich bin kein Aktivist, das wäre unfair Aktivisten gegenüber. Die sind jahrelang an einer Sache dran und opfern sehr viel dafür. Ich mache nur Kunstprojekte.

Empfindest du deine Arbeit als politisch?
Shapira: Hier zählt ja alles als politisch. Insofern mache ich auch politische Comedy, schätze ich mal. Wenn du über Terror, über Gleichstellung oder Neonazis sprichst, gilt das schon als politisch. Sachen, die für mich grundmenschlich sind. Aber „Politkabarett“ klingt schrecklich.

Siehst du ein Problem darin, dass man dich und deine Arbeit nicht so leicht einordnen kann?
Shapira: Wenn ich machen würde, was man von mir erwartet, wäre ich jedenfalls wesentlich erfolgreicher.

Was wäre das?
Shapira: Politsatire. Politische-moralische Sachen, mit denen ich mich auf der Bühne für Integration und gegen Antisemitismus ausspreche. Immer nach dem Motto: „Die AfD ist so schlimm.“

Was stört dich an AfD-Witzen?
Shapira: Ich habe auf Twitter und Facebook viele AfD-Witze gemacht, vermeide sie aber mittlerweile auf der Bühne. Das ist mir zu einfach.

Siehst du dir Comedy-Shows im Fernsehen an?
Shapira: Ich gucke kein Fernsehen, habe mir noch nie eine ganze Folge heute-show oder extra 3 angeschaut. Ich vermute, viele Comedy-Shows machen Gags, die nur von der Aktualität des Themas leben. Das ist aber kein Rennen, bei dem ich mitmachen will. Ich will das Lustigste zu einem Thema beitragen, nicht der Erste sein.

Laut der ARD/ZDF-Onlinestudie nutzt nur 1% der Deutschen ab 14 Jahren täglich Twitter – wöchentlich sind es gerade mal 3%.
Shapira: Ja, in Deutschland sind die Leute sind nicht so oft auf Twitter.

Ist Twittern dann nicht reine Zeitverschwendung?
Shapira: Ich tweete und facebooke auch nicht mehr so viel, weil ich einfach beschäftigt bin. Um ehrlich zu sein, habe ich auch das Gefühl, ziemlich irrelevant geworden zu sein.

Woran machst du das fest?
Shapira: Meine Posts haben nicht mehr die gleiche Reichweite wie früher. Womöglich war es das mit meiner Karriere, vielleicht ist das hier mein letztes Interview. Ich muss dann jetzt alles sagen, was ich immer sagen wollte: Ich hasse Bratwurst. Und Sprachnachrichten auf WhatsApp. Das ist wortwörtlich behindertes Telefonieren. Das sollte Deutschland wissen. So ist übrigens das Dschungelcamp entstanden: durch Menschen, die Angst vor der Irrelevanz haben – und Geld brauchen. Ich könnte zum Glück immer zurück in die Werbung gehen und da sehr viel mehr verdienen, als ich als Comedian jemals bekommen würde.

Einmal kommentierte ein User auf Instagram ein Urlaubsfoto von dir mit den Worten: „Klettern macht frei.“ Wie gehst du mit antisemitischen Äußerungen auf deinen sozialen Profilen um?
Shapira: Ich stecke da keine Arbeit mehr rein, schenke Trollen nicht meine Zeit. Das ist schlecht für mein persönliches Wohlbefinden. Meist regeln das andere User für mich. Ich bin auch nicht empört, jeder soll machen, was er möchte. Was ich nicht will, ist, dass Leute zu meinen Auftritten kommen und denken: „Jetzt kann ich Judenwitze machen.“ Deshalb mache ich selbst keine in meinen Shows. Ich mag auch diesen Ansatz nicht, den andere Comedians vertreten: „Ich inkludiere Behinderte, indem ich sie verarsche.“ Glaubst du wirklich, dass die Rollstuhlfahrer dann vor dem Backstage-Bereich warten, um sich bei dir zu bedanken? Als würden sie nicht schon genug Witze abbekommen.

Geht dir Hate Speech nahe?
Shapira: Es war schon schlimm, was ich Ende 2017 abbekommen habe. Man muss erst mal damit umgehen können, dass Leute deiner Mutter schreiben, dass sie eine Judenhure ist und sie mit ihrem Sohn vergast werden sollte.

Warum verlässt du die sozialen Plattformen nicht?
Shapira: Dann würde ich mich durch diese Leute rausekeln lassen, das will ich auch nicht. Man muss eher daran glauben, dass die meisten dich mögen, aber es nicht sagen. Wenn Leute gehässig sind, schreiben sie gehässige Dinge. Wenn Leute dich mögen, lassen sie es dich eher selten wissen.

Die Schriftstellerin Juli Zeh hat sich in einem Interview darüber gewundert, dass es den Deutschen seit der Wende immer besser geht, die Stimmung im Land aber einer kollektiven Depression ähnelt.
Shapira: Das ist ein bisschen wie in Israel. Als ich das Land während der Zweiten Intifada verlassen habe, sind mehr Menschen gestorben als heute. Seither wurde es sehr viel sicherer – und ironischerweise ist die israelische Gesellschaft stark nach rechts gerückt. Das ist absurd und hässlich: Je besser es den Leuten geht, desto weniger wollen sie, dass es anderen gut geht. Aber dann sollen sie ehrlich sein. Es heißt immer: „Wir können nicht alle Flüchtlinge aufnehmen.“ Die Wahrheit lautet: Wir wollen nicht alle aufnehmen. Sagt, wie es ist!

Das Land scheint voller Wutbürger.
Shapira: Ich nehme gerade Schauspielunterricht, um auf der Bühne besser zu werden, und mein Lehrer hat neulich etwas sehr Interessantes gesagt: Vor zwanzig Jahren wollten alle lernen, wie man Wut spielt. Leute konnten nicht auf Befehl wütend sein. Heute ist es dasselbe mit der Liebe: Keiner
weiß, wie man sie zeigt. Wie man wütend ist, wissen dafür jetzt alle perfekt.

Deine Mutter lebt noch in Sachsen-Anhalt, wo du aufgewachsen bist. Besuchst du sie häufig?
Shapira: Nee, sie kommt immer zu mir nach Berlin. Ich war kurz dort, als ich mich eingebürgert habe, aber ansonsten seit drei oder vier Jahren nicht mehr richtig.

Knapp drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung entdeckt Deutschland einen Rechtsruck im Osten. Ist er dir schon früher aufgefallen?
Shapira: Er ist allen aufgefallen, die damals da waren.

Warum war er in Politik und Medien so lange kein Thema?
Shapira: Weil es bequem war, ihn zu ignorieren. Es ist auch bequem zu sagen: „Die Ossis sind alle rechts.“ Man sucht immer einen Schuldigen. Die Araber sind alle Antisemiten. Oder Jan Böhmermann. Es gibt im Osten ein größeres Problem, aber das ist nicht erst seit gestern da.

Will man es nicht wahrhaben?
Shapira: Man will glauben, dass immer andere schuld sind, nie man selbst. Die Probleme in Ostdeutschland bestehen seit Jahrzehnten, sie wurden einfach ignoriert. Die Leute, die ich kenne und die jetzt AfD wählen, haben vorher NPD gewählt. Man hat sie nicht beachtet, jetzt sind es mehr geworden. Probleme verschwinden selten, wenn man sie ignoriert.

Wie weit verbreitet ist rechtes Denken in Ostdeutschland?
Shapira: Es sind ja nicht alle rechts, aber es gibt eine große Masse, die rechts zu sehr duldet. Das kann man denen ruhig vorwerfen. Die dürfen sich dann auch nicht beklagen, so nach dem Motto: „Alle halten uns für Nazis.“ Die Frage lautet: Warum lasst ihr euch als Nazis verkaufen, wenn es angeblich nur ein paar sind, die so denken? Ich mag diese duckmäuserische Art nicht, mit so was umzugehen.

Im Sinne einer Opferrolle?
Shapira: Genau. Nazis stehen auf deinem Marktplatz und du heulst, dass man dein Dorf für rechts hält. Geht man etwa so undifferenziert mit euch um, als wärt ihr Ausländer? Willkommen im Club! Der Unterschied ist: Ihr könnt etwas dagegen machen. Du bist beleidigt, weil man deinen Wohnort
„rechts“ nennt? Dann mach’s besser oder zieh weg! Lasst dir nicht von Nazis die Suppe versalzen!

Die norwegische Zeitung Dagbladet veröffentlichte 2018 zur Verabschiedung des Nationalstaatsgesetzes in Israel eine Karikatur, auf der Arme und Beine von Ministerpräsident Netanjahu ein Hakenkreuz formen. Ist so was für dich vertretbar?
Shapira: Warum muss ich das immer beurteilen? Nee, ich mag das nicht. Das ist einfach so: „Hier, guck mal, Jude, die diskriminieren dich.“ Es ist beschissen, seht ihr das nicht? Holocaust-Vergleiche sind beschissen, weil antisemitisch. Natürlich ist es kein Holocaust, was in Israel geschieht. Und wenn es ein Holocaust wäre, könnte man sich ruhig mal fragen, warum die Welt sich nicht einmischt. Naja gut, die Welt mischt sich ein. Das tut sie immer.

Sollte eine solche Karikatur verboten werden?
Shapira: Vielleicht sollte man den Leuten nicht den Gefallen tun, sie zu verbieten.

Die Süddeutsche Zeitung warf Dieter Hanitzsch wegen einer Netanjahu-Karikatur raus.
Shapira: Das ist nicht vergleichbar. Es war zwar auch ein bisschen israelhasserisch, mit dem Davidstern auf der Rakete. Aber sollen Leute dafür gefeuert werden? Nein.

Gibt es in Deutschland einen Antisemitismus, der sich hinter Israelkritik versteckt?
Shapira: Na klar, aber ich will nicht darüber sprechen. Denn sobald ich damit anfange, kriege ich E-Mail-Anfragen: „Wollen Sie bei unserer Doku über Antisemitismus mitmachen? Wollen Sie gemeine Tweets vorlesen neben einem Pfarrer und einer Frau mit Kopftuch?“ Nein, ich bin Atheist, ich will das nicht. Das ist euer Problem, arbeitet es gefälligst selbst auf.

Tut sich Deutschland zu schwer mit Israelkritik?
Shapira: Die Deutschen glauben sehr wohl, dass ihnen Israelkritik zusteht. Allein dass es dieses Wort gibt. Es gibt keine „Nordkoreakritik“.

Du hast schon öffentlich über Antisemitismus diskutiert, etwa mit dem Rapper Kollegah.
Shapira: Mit dem sprichst du, dann geht er nach Auschwitz und rafft es immer noch nicht. Es ist Zeitverschwendung. Ich dachte mal, man könnte mit diesen Leuten ernsthaft diskutieren, kann man aber nicht. Ich habe mich da auch ein bisschen verändert, bin skeptischer geworden. Es gibt hier einen Konsens, dass Migranten oder Ausländer die Verantwortung dafür tragen, in der Öffentlichkeit gegen ihre eigene Diskriminierung zu kämpfen, das Antisemitismusproblem aufzuarbeiten. Nein, das sollen andere machen.

Das klingt nach Kapitulation.
Shapira: Nee, es ist eher so: Ich habe keinen Bock, immer das Opfer zu sein. Tut mir leid, das ist ein Stück Antisemitismus. Man stellt hier Juden immer als Opfer dar. Was müssen wir noch machen? Durch die Straßen laufen und Deutsche und Muslime schlagen? Guck mal, was Antisemitismus für einen riesigen Anteil dieses Interviews vereinnahmt. Ich will das nicht. In Amerika hast du so viele Menschen, so viele Schauspieler, die jüdischer Herkunft sind. Aber die sind das nicht an erster Stelle. Natalie Portman ist nicht an erster Stelle Jüdin, sie ist erst mal Schauspielerin, Regisseurin und Produzentin. Oder Marc Maron, einer meiner Lieblingscomedians. Seinfeld: Niemand sagt: „der Jude“. Er ist der Comedian Jerry Seinfeld. In den USA ist das viel normalisierter. Ich habe das gemerkt, als ich in New York Comedy gemacht habe. Da waren alle Juden. Hier sind nur noch fünf da: ich, Polak und drei andere.

Auf dem Cover deines ersten Buchs bist du mit Kippa zu sehen, daneben steht: „Wie ich der deutscheste Jude der Welt wurde“.
Shapira: Das war ein Fehler. Im Buch geht’s eigentlich sehr wenig darum, aber ich hätte das Foto mit Kippa nicht machen sollen. Und „der deutscheste Jude der Welt“: Das war ja nicht mal der Titel, sondern der Untertitel, aber alle haben sich darauf gestürzt. Man spielt mit einem Klischee, weil man den Leuten was Prägnantes geben will. Sollte man vielleicht nicht machen. Es hilft am Anfang, aber es zieht einen Rattenschwanz nach sich. Wobei ich erfolgreicher wäre, wenn ich immer noch darauf
reiten würde. Ohne Frage.

[Das Interview entstand im November 2018.]

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