Jasmin Tabatabai

Das sind menschliche Dramen!

Jasmin Tabatabai über ihre Rolle als Mann in "Fremde Haut", Homosexualität im Iran und die bürokratische Asylpolitik in Deutschland

Jasmin Tabatabai

© Ventura Film

Frau Tabatabai, Sie haben vor kurzem den "Persian Academy Award" erhalten. Wofür genau steht diese Auszeichnung und was bedeutet sie Ihnen?
Tabatabai: Das ist eine Auszeichnung von Exiliranern für besonders erfolgreiche Iraner im Ausland. Den gab es dieses Jahr zum ersten Mal und den haben ich und ein sehr berühmter iranischer Schauspieler erhalten. Das war toll, in der Köln Arena vor 13 000 Iranern, beim Neujahrfest! Ich habe den sozusagen für mein frühes Lebenswerk bekommen.(lächelt)

In Ihrem aktuellen Flim "Fremde Haut" spielen Sie eine lesbische, iranische Immigrantin, die sich in Deutschland als junger Mann ausgibt. Was war für Sie bei diesem Film die größte Herausforderung?
Tabatabai: Ich glaube, die größte Herausforderung war eben diese Verwandlung in einen Mann, ohne dass es in ein Klischee abfällt, das irgendwie subtil hinzukriegen, auch mit der Stimme. Eine andere große Herausforderung war für mich witzigerweise der Akzent. Ich spreche zwar Persisch, und auch Deutsch, aber Deutsch eben ohne Akzent. In der Vorbereitung habe ich mir dann überlegen müssen, wie mache ich diesen Akzent, ohne dass er klischeehaft orientalisch ist? Ich habe dafür dann fünf verschiedene Iranerinnen aufgenommen, die schon lange hier leben, aber noch einen Akzent haben, habe das dann miteinender verglichen und mir daraus etwas zusammengebacken. Abgesehen davon durfte ich mir acht Wochen lang die Beine nicht rasieren. Und die Haare auf dem Kopf mussten ab. Das war sehr hart für mich, weil das bedeutete einfach, ein Jahr lang kurze Jahre – und ich hasse kurze Haare an mir! Ich bin einfach ein Langhaartyp. Und morgens in der Maske wurde bei mir dann immer das Gegenteil von dem gemacht, was eine Frau schön macht. Also, für die Eitelkeit war dieser Film nichts.

Fiel es Ihnen denn leicht, männlich zu spielen?
Tabatabai: Eigentlich ja. Zum einen bin ja eigentlich auch so der burschikose Typ. Dann habe ich aber auch eigentlich nur meinen Bruder kopiert. Er ist ein Jahr älter, mit ihm bin ich aufgewachsen – und dazu habe ich noch ein paar Haltungssachen von meinem Vater übernommen. Ab und zu musste mich die Regisseurin aber doch korrigieren, sie meinte dann immer: "Du bist jetzt zu weiblich, du musst dass jetzt noch ein bisschen männlicher hinkriegen!" Wenn wir das dann konkretisierten, was ist männlich und was ist weiblich, dann kamen wir zum Beispiel darauf, dass Männer einen fester anblicken, weniger mit den Augen weggehen oder den Blick niederschlagen. Ich schaue beim Gespräch öfter mal weg, für mich ist das eher natürlich – und dann hat sie mich korrigiert.

War die persönliche Berührung größer als bei Ihren anderen Filmen, da Sie selbst Ihre Kindheit in Teheran verbracht haben?
Tabatabai: Naja, meine Geschichte ist ja trotzdem eine komplett andere. Aber dadurch, dass ich das erste Mal eine Iranerin gespielt habe, war es natürlich schon ein besonderer Film für mich. Ich habe auch wahnsinnig viel Wert darauf gelegt, dass die persischen Szenen stimmen, dass die Übersetzungen stimmen, dass die ganze Mentalität stimmt, man guckt dann eben etwas genauer hin. Ich habe dann auch der Regisseurin gesagt, dass ich mich ja nicht blamieren könne, vor allen Iranern.

Welche Erfahrungen haben Sie bislang als Halbiranern in Deutschland gemacht?
Tabatabai: Ich habe in Deutschland noch nie schlechte Erfahrungen gemacht, das hat aber natürlich auch damit zu tun, wie ich mich gebe und wie ich bin, dass ich akzentfrei deutsch spreche, somit auch die Deutschen anders mit mir umgehen. Ich bin ja auch Halbdeutsche, und eigentlich sehr deutsch. Ich sage immer, der Iran ist das Land meiner Kindheit, aber Deutschland ist das Land meines restlichen Lebens. Und wie es aussieht werde ich auch weiterhin hier leben.
Ich finde auch, man muss immer die Gepflogenheiten des Landes, in dem man lebt, respektieren. Ich spreche jetzt nicht von Assimilation, jeder soll seine Kultur haben. Aber wir leben nun mal hier in Deutschland und ich finde es wichtig, dass man sich hier auch zum Beispiel zur Demokratie bekennt und zu freiheitlich-demokratischen Prinzipien.
Ich bin auch sehr froh, dass ich in einem Land lebe, wo ich als Frau viel mehr Rechte habe, als in einem Land, wo zehnjährige Mädchen verheiratet werden dürfen, oder wo bei einer Zeugenaussage einer Frau nur die Hälfte dessen gilt, was ein Mann dazu sagt.
Aber das mit den Gepflogenheiten gilt andersherum auch für Deutsche im Ausland. Ich habe mich im Iran immer sehr geärgert über Ausländer, Deutsche oder Amerikaner, die respektlos mit den Gepflogenheiten des iranischen Landes umgegangen sind, im Bikini durch die Stadt gelaufen sind oder ähnliches.

Und wie ergeht es Ihnen heute, wenn Sie in den Iran fliegen?
Tabatabai: Ich war schon seit 1987 nicht mehr im Iran.

Warum nicht?
Tabatabai: Damals hatte das damit zu tun, dass gerade mein Vater gestorben war und es hat mir damals sehr weh getan, überhaupt vom Iran getrennt zu sein. Aber ich hatte das Gefühl, ich muss damit jetzt etwas abschließen und einfach nach vorn schauen. Damals wusste ich gerade, dass ich Schauspielerin werden möchte und habe mich dann eben auf’s Hier und Jetzt konzentriert. Mittlerweile glaube ich, dass ich im Iran heute ziemlich fremd wäre. Aber ich habe noch sehr viele Verwandte dort und es ist ein wunderschönes Land. Irgendwann werde ich bestimmt mal wieder dorthin fahren.

Der Film thematisiert auch immer wieder die Asyldebatte. Was ist Ihr persönlicher Eindruck, wird die Asylbewerbung in Deutschland generell zu schwer gemacht?
Tabatabai: Das ist ein schwieriges Thema, bei dem man jeden Fall individuell betrachten muss. Ich denke aber, ein Mensch, der seine Heimat verlässt – das ist ein großer Schritt! Es ist mir damals auch nicht leicht gefallen, meine Freunde, mein gewohntes Umfeld, mein Zuhause zu verlassen. Und Deutschland ist jetzt nicht unbedingt ein Einwanderungsland, in dem alle offen sind und man alle willkommen heißt. Es ist schon ein Land, in dem man sich erst einmal schwer tut als Ausländer, das ist so. Und wenn man dann die Sprache nicht spricht und die Staatsbürgerschaft nicht hat… das sind oft menschliche Dramen! Am schwierigsten ist dieser lange bürokratische Prozess, mit dem man Asylanten behandelt. Sie werden ja teilweise jahrelang in diesen deprimierenden, unwürdigen Heimen untergebracht, dürfen nicht arbeiten, rutschen dadurch natürlich früher oder später in die Kriminalität ab. Die Leute werden so wahnsinnig lange in Unwissenheit gelassen, was man dem Bürokratie-Irrsinn zu verdanken hat. Aber das ist generell ein Problem hier in unserem Land, und das weiß jeder, der mal aufs Jugendamt, zum Standesamt oder auf irgendein anderes Amt musste. Jeder stöhnt. Da muss sich etwas ändern.

Im Film verlangt ein deutscher Beamter eine beglaubigte Kopie eines Todesurteils – ist so etwas tatsächlich vorgekommen? Hat das die Recherche zum Film ergeben?
Tabatabai: Ja, die Autoren haben das auf jeden Fall so recherchiert. Und wir haben uns ja vorher zusammengesetzt und alles durchgesprochen. Ich persönlich hatte zum Beispiel, als ich geheiratet habe, wahnsinnig lange damit zu kämpfen, dass ich eine beglaubigte Kopie meiner Geburtsurkunde bringen sollte. Ich hatte aber nur eine Kopie von einer beglaubigten Kopie. Und die Beamten meinten, ich solle doch einfach dort anrufen. Aber Mensch, das ist im Iran! Dort gibt es außerdem keine Geburtsurkunden, dort hat man einen Personalausweis, aber den hat natürlich nach 35 Jahren niemand mehr. Und das funktioniert auch nicht so, dass ich dort anrufe und dann schicken die es mir einfach per Einschreiben, das ist eben nicht so!
Noch irrsinniger war, dass ich dann plötzlich beweisen musste, dass mein Name so geschrieben wird, wie er dort im Pass steht – das wäre für das Standesamt nicht bindend, sagte man mir! Das Einzige, was mich dann noch gerettet hat, war die Hochzeitsurkunde von meiner Schwester, das war ein Familienbuch, und das haben sie dann akzeptiert. Manchmal ist es wirklich pervers, womit man seine Zeit zubringen muss.

Haben Sie selbst in Ihrem Leben schon einmal in einer "fremde Haut" gesteckt oder in eine schlüpfen müssen?
Tabatabai: In dem Sinne wie im Film, nein. Falls Sie jetzt so eine Situation meinen, in der man sich vorkommt, als wäre man im falschen Film, dann ja, aber nur im Kleinen. Damals, als ich nach Deutschland gekommen bin, habe ich natürlich Anpassungsschwierigkeiten gehabt, aber das hing auch damit zusammen, dass ich gerade 12 war und in der Vorpubertät und in dem Alter hat man sowieso keinen Bock darauf, woanders hinzugehen und sich neue Freunde zu suchen. Dazu kam, dass der Entwicklungsstand eines Jugendlichen, dort, wo ich herkam, völlig anders als hier war. In der Klasse, in die ich kam, haben alle schon geraucht und rumgeknutscht und Bier getrunken, und das kannte ich überhaupt nicht, ich war echt noch ein Kind. Das war schon schockierend.

Im Iran wird die Homosexualität, so sagt es auch der Film, als Krankheit bezeichnet. Hier ist es mittlerweile "normal"…
Tabatabai: Ja, man ist hier in den letzten 10-20 Jahren sehr tolerant geworden. Es ist ja so, dass du in jeder Soap ein lesbisches Pärchen hast, wir haben einen schwulen Bürgermeister, wir haben schwule Politiker… das ist sind alles recht starke Zeichen dafür, dass es hier akzeptiert wird. Und was ich dann noch erfreulicher finde, ist, dass es eigentlich gar nicht mehr das Thema ist, wir sagen ja nicht ständig: "Wowi, der schwule Bürgermeister".
Im Iran oder anderen Ländern ist es komplett anders, Homosexualität ist dort noch immer ein Thema, dass gesellschaftlich sehr tabuisiert ist. Bei den Frauen wird überhaupt nicht darüber geredet. Als ich für die Rolle recherchiert habe, habe ich auch im Internet nach Weblogs und Foren iranischer Lesben gesucht – ich wollte wissen, wie sie denn eigentlich im Iran leben, im Untergrund. Aber ich habe einfach nichts gefunden.
Vielleicht hat es aber auch damit zu tun, dass über weibliche Sexualität in diesen Ländern überhaupt nicht geredet wird. Frauen haben keine Sexualität zu haben, eine andersartige schon gar nicht. Das beginnt schon bei der Erziehung von Jungen und Mädchen: bei den Jungen wird ein totaler Peniskult betrieben, es sei wichtig, dass ein Mann besonders erfahren in die Ehe geht, viele Frauen hatte – da muss man in Berlin nur nach Kreuzberg fahren und sich die kleinen Machos anschauen. Den Mädchen dagegen wird von Anfang an erzählt, dass Scham etwas Gutes sei, sie sollten sich schämen, sich ihre Unschuld bewahren, sich zurückhalten – sie kommen überhaupt nicht dazu, sich irgendwie zu entdecken, alles ist tabu. Die einzige iranische Lesbe, mit der ich gesprochen habe, lebt seit 25 Jahren hier und lebt es erst seitdem offen aus; im Iran war sie verheiratet.

Sie sind heute selbst Mutter einer zweijährigen Tochter. Wie kommen Sie mit der Doppelbelastung Mutter und Schauspielerin zurecht?
Tabatabai: Das ist ja sogar eine Dreifachbelastung bei mir, dadurch, dass ich auch Musik mache. Ich kann das nicht alles gleichzeitig mit voller Power machen. Nun gut, ich denke, das ist beim ersten Kind auch noch mal so eine Komplettumstellung, die das Leben wirklich sehr umkrempelt. Mein Mann und ich haben uns eben dafür entschieden, auch sehr viel Zeit mit dem Kind zu verbringen, weil wir das toll finden. Letzten Endes geht es da um ein paar Jahre, in denen man sich etwas zurücknimmt. Ich fände es schwierig, mein Kind in einem sehr frühen Alter in eine Krippe zu geben und es kaum zu sehen, nur um arbeiten zu können und als emanzipierte Frau zu gelten.

Haben Sie als Schauspielerin eigentlich bestimmte Vorbilder, Idole?
Tabatabai: Ich finde, Vorbilder kommen eher aus dem Alltag, vor allem Vorbilder, die einen ein Leben lang begleiten, wie zum Beispiel eine ältere Schwester. Es ist aber auch oft so, dass ich bestimmte Schauspieler in einer bestimmten Rolle in einem bestimmten Film einfach ganz toll finde. Und ich bewundere Menschen, die nicht nur in ihrem Beruf glänzen, sondern dazu auch noch herausragende Persönlichkeiten sind, die man dann eben cool findet. Mir fällt da beispielsweise Susan Sarandon und ihr Mann Tim Robbins ein. Ich hatte das Glück, sie auf einer Berlinale mal kennen zu lernen. Das sind einfach Menschen, die noch etwas zu sagen haben. Sie erzählen nicht einfach nur, sondern sie gehen auch mit einem sehr großen politischen Bewusstsein durch die Welt. Und daher sind sie wahre Vorbilder, auch für die Jugend. Man muss ja nicht immer mit allem konform gehen, was sie sagen, aber sie sind auf jeden Fall sehr untypische, herausragende Leute.

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