Hannes Stöhr

Wie reden wir miteinander?

Der Regisseur Hannes Stöhr über seinen Wettbewerbsfilm "One Day in Europe", sein Verständnis von Europa und Kurzfilm-Anfänge zu Beginn der 90er Jahre

Hannes Stöhr

© Arne Höhne Presse

Herr Stöhr, einer Ihrer ersten Kurzfilme entstand Mitte der 90er Jahre und trug den amüsanten Titel „Biete Argentinien, Suche Europa“. Worum ging es da?
Stöhr: Das war die authentische Geschichte eines argentinischen Trapezkünstlers, der vor einigen Jahren nach Europa kam, aber keine Aufenthaltsgenehmigung hatte. Da hat er diese Anzeige in die Zeitung gesetzt: „Biete Argentinien, Suche Europa “. Daraufhin haben sich auch einige Frauen bei ihm gemeldet, allerdings kamen die meisten aus Ländern, die ihm in Bezug auf die Aufenthaltsgenehmigung nicht geholfen hätten. Und mit den deutschen Frauen gab es immer irgendwelche Probleme. Er hat also keine zum Heiraten gefunden, aber durch diese Anzeige trotzdem ganz tolle Frauen kennen gelernt. Diese Geschichte haben wir dann als eine Art Komödie verpackt, wo er am Ende allerdings auch die richtige, heiratswillige Frau findet.

Wenn Sie mal den Bogen spannen, von Ihren Anfängen mit Kurzfilmen bis heute, wo ihr jüngster Film „One Day in Europe“ beim wichtigsten deutschen Filmfestival läuft: wie schafft man es als Regisseur in den Wettbewerb der Berlinale?
Stöhr: Schwierige Frage. Also, mit „Berlin is in Germany“ waren wir 2001 ja bereits im Panorama der Berlinale und haben den Publikumspreis gewonnen. Und heute… ich weiß es nicht. Wie genau es dazu gekommen ist, kann ich nicht sagen.

Ist das auch ein wenig Glücksache?
Stöhr: Klar, Glück gehört immer dazu. Du kannst ja nie beeinflussen, wer bei der Filmauswahl noch mit dir konkurriert.

Auch Berechnung?
Stöhr: Ja, das Thema des Films ist ja auch ein aktuelles Thema. Darauf achtet man als Filmemacher, man fragt sich: wie kann ich das, was mich bewegt, so erzählen, dass das ein Publikum erreicht? Und Europa ist ja jetzt definitiv ein Thema. Das war bei „Berlin is in Germany“ noch ganz anders. Da dachten alle, das Thema Wiedervereinigung wäre schon lange gegessen: „Was willst du noch von Ost und West erzählen?“ hat man mich gefragt. Dabei hatte ich den Eindruck, dass wir noch überhaupt nicht richtig darüber geredet hatten. Und das Publikum hat das glaube ich ähnlich gesehen.

„Berlin is in Germany“ wurde mit sehr vielen Preisen ausgezeichnet, wie sehr hat das die Arbeit an „One Day in Europe“ erleichtert?
Stöhr: Ich bekam durch den Film sehr viele Kontakte, weil er ja auch in Kinos in Frankreich, Spanien und der Türkei gezeigt wurde. Die Co-Produzenten von „One Day In Europe“ sind Spanier, es gab auch eine gewisse Aufmerksamkeit bei EurImages. Da ist dann schon Berechnung dabei, wo ich mir sage: den vorigen Film hat man in anderen europäischen Ländern gezeigt, warum soll ich nicht jetzt einen Film machen, der dieses Publikum genauso oder vielleicht noch mehr anspricht?

„One Day in Europe“ spielt in Moskau, Istanbul, Santiago de Compostela und Berlin – wie kam es zu dieser Städteauswahl?
Stöhr: In Santiago de Compostela habe ich mal gewohnt, da kenne ich viele Leute, in Istanbul habe ich auch viele Freunde, in Moskau war ich schon ein paar Mal und in Berlin wohne ich. Man hatte also überall bestimmte Vorteile.

Dennoch muss der Film, logistisch gesehen, eine große Anstrengung gewesen sein.
Stöhr: Ja, auf der Reise nach Moskau ist die Technik erst mal beim russischen Zoll hängen geblieben, wodurch wir zwei Drehtage verloren haben. Die Härte war ja, dass wir alles an einem Stück durchgedreht haben: wenn nach acht Drehtagen in Spanien am Freitag Abend die letzte Klappe fiel, ging Samstag morgen die Technik bereits nach Moskau. Das bedeutete: alles, was du in Spanien bis Freitag Abend nicht gedreht hattest, konntest du auch nicht mehr drehen – eben Pech gehabt. Die ganzen Flugtickets für die Crew und die Technik waren ja schon vorher alle fest gebucht.

Arbeitet es sich als Regisseur unter so einem Druck besser, konzentrierter?
Stöhr: Das weiß ich nicht, das waren halt die Spielregeln bei diesem Projekt. Ich selbst will immer so wenig Druck wie möglich. Druck hast du natürlich immer, das ist auch gut so, weil du präzise sein musst.

Welche Idee, welches Thema lag dem Film zugrunde?
Stöhr: Natürlich geht es um Europa – wohlgemerkt nicht nur um die europäische Gemeinschaft – und die Frage: Wie reden wir miteinander? Welche Sprache sprechen wir? Jeder kennt ja diese Situation, wenn eine Handvoll Europäer an einem Tisch sitzen, dann kommt dabei dieses Englisch-Kauderwelsch heraus, je nachdem, wie viel Englisch-Kenntnisse die Leute haben. Und mit solchen Situationen haben wir gespielt. Wir hatten solche Situationen natürlich auch hinter der Kamera, am Set. Wir haben uns die ganzen Kommandos immer in den jeweilige Ländersprachen gegeben, weil auch ein großer Teil der Techniker-Crew aus dem jeweiligen Land kam. In Moskau klang das am Set dann zum Beispiel so: „Svuk – Kamera – Motor – Natschile“ und am Ende: „Spassibo“.

Der Film basiert konkret auf einem Drehbuch: an welchen Punkten haben aber die Städte selbst den Verlauf der jeweiligen Eposode beeinflusst?
Stöhr: Die Drehbücher waren natürlich auf die Städte bezogen. Und als wir dann am Originalschauplatz gedreht haben, war unser Set nie abgesperrt, weil wir für so etwas ja gar kein Geld hatten. In einer Szene mit einem Fußball liefen uns zum Beispiel ganz viele Kinder durchs Bild und haben ein Fußballspiel draus gemacht – aber das haben wir dann in den Film eingebaut.

Auch als roter Faden dient Ihnen ja im Film ein Fußballspiel, ein fiktives Championsleague-Finale zwischen Galatasaray Istanbul und Deportivo La Coruña, das in Moskau stattfindet. Steckt da auch die Aussage dahinter, dass Fußball eines der wenigen Dinge ist, das die Menschen in Europa wirklich verbindet?
Stöhr: Also, wenn man ein kulturelles Ereignis sucht, dass diese verschiedenen Städte und Länder verbindet, wo Europa Realität ist und kein Hirngespinst – da fällt mir kaum ein anderes Ereignis ein, also so ein Spiel der Championsleague. Das ist ein ganz realistisches Setting und da kann man schon sagen, dass das die Menschen verbindet.

Würden Sie Ihren Film als einen „europäischen“ bezeichnen?
Stöhr: Ja. Schon allein wegen den vielen verschiedenen Sprachen, die im Film gesprochen werden.

Gibt es denn so etwas wie den „europäischen Film“, wie man auch vom „deutschen Film“ oder vom „Hollywood-Film“ spricht?
Stöhr: Pedro Almodovar hat einmal gesagt: ein Film braucht Identität. Ein spanischer Film sollte eine spanische Handschrift tragen, ein deutscher Film eine deutsche Handschrift usw. Wir wollten einfach von dem erzählen, was in Europa passiert, ob es einen bestimmten „european way of Life“ gibt. Ich würde jedenfalls sagen, der europäische Film ist stark im Kommen.

Verbinden Sie mit dem Film auch eine Art politische Vision?
Stöhr: Den Titel des Films kann man ja auf zweierlei Weise übersetzen: „Ein Tag in Europa“ oder „Eines Tages in Europa“. Ich stelle schon die Frage nach den „United States of Europe“. Denn im Moment hat die Welt kein Gleichgewicht und ich glaube schon, dass ein stärkeres Europa zu mehr Gleichgewicht führen würde. Wenn wir es schaffen, noch mehr die „vereinten Staaten Europas“ zu sein. Das meine ich nicht im Sinne von anti-amerikanisch. Ich sehe nur, dass das Fehlen eines starken Europa viele Probleme mit sich bringt.

Gibt Ihr Film Anlass zur Hoffnung auf die Verwirklichung dieser Vision?
Stöhr: Also, Probleme gibt es in meinem Film noch genug. Ich mache ja immer Tragikkomödien, das spiegelt auch meine Haltung zur Welt wider. Denn ich finde, diese Welt ist sowieso eine Tragödie. Und ohne Humor… also ich könnte sie nicht ertragen.

Ist diese Haltung auch ein Grund dafür, dass Sie Filmschaffender geworden sind?
Stöhr: Ja, das spielt bestimmt eine Rolle. Wobei ich mich da auch abgrenzen will zu Regisseuren, die in Interviews dann immer erzählen, sie wären schon mit 13 Jahren mit der Super-8-Kamera unterwegs gewesen und hätten mit 18 genau gewusst, dass der Film für sie der einzige Weg ist – so war das bei mir nicht. Für mich war es einfach die Faszination für das Medium Film. Und für das Geschichtenerzählen. Ich habe schon immer gerne geschrieben, Geschichten erzählt, Witze gemacht…

Also stand für Sie erst einmal der Spaß im Vordergrund.
Stöhr: Ja, das war schon viel Spaß, dieses Make-it-happen, bei Kumpels in der Wohnung drehen usw. Meinen aller ersten Kurzfilm habe ich zu meiner Zivildienstzeit gemacht…

… in einer Psychiatrie.
Stöhr: Ja, ich habe mit Behinderten gearbeitet, zumindest mit Leuten, die die Gesellschaft „behindert“ nennt. Dort gab es einen, der hieß Peter Gilde und war am Down-Syndrom erkrankt, der ist immer aus dem Heim abgehauen und mein Job als Zivi war es auch, ihn zu suchen. Das haben wir dann verfilmt, seine Flucht aus dem Behindertenheim, unter dem Titel „Peter Gilde goes to Hollywood“. Er war für uns ein super Schauspieler, sobald die Kamera an war, hat er genau gewusst, was er machen muss.

Hat er es in Ihrem Film nach Hollywood geschafft?
Stöhr: Nein, nur bis zum Flughafen.

Aus Hollywood kommt dieses Jahr Roland Emmerich zur Berlinale, als Präsident der Jury. Kennen Sie ein paar Filme von ihm?
Stöhr: Klar, „Das „Arche Noah Prinzip“ zum Beispiel, wo er für eine Szene eine Kopfschmerztablette ins Wasser gelegt und das rückwärts in Zeitlupe gedreht hat, was er den Leuten dann als das Weltall verkauft hat. „The Day After Tomorrow“ fand ich auch sehr spannend. Da muss man auch sehen, was der Mann handwerklich alles macht. Es gehört schon eine Menge dazu, bei so großen Filmsets den Überblick zu behalten. Natürlich ist das eine andere Art von Kino, über die ich selbst nicht nachdenken kann, weil ich dazu nicht das Geld hätte. Ich glaube, Emmerich ist auch ein unglaublicher Geschäftsmann.

Viele hätten sich vielleicht jemand anderes als einen Action-Blockbuster-Regisseur in die Jury gewünscht. Sie nicht?
Stöhr: Nein, ich finde Dieter Kosslicks Ansatz gut, die Verbindung nach Hollywood aufrecht zu erhalten. Die gab es ja immer auf der Berlinale, mit Leuten wie Billy Wilder, Wolfgang Petersen oder Ernst Lubitsch. Ich würde mich ja auch freuen, wenn es mehr Deutsche geben würde, die in Hollywood drehen. Einen internationalen Aspekt reinzubringen, finde ich bei der Berlinale immer gut.

Wie haben Sie persönlich die Berlinale in den letzten Jahren erlebt?
Stöhr: Ich begebe mich auf der Berlinale immer auf eine Entdeckungsreise. Viele Filme kann man ja später im Kino sehen, weshalb ich versuche, Filme zu gucken, die es bei uns wahrscheinlich nicht ins Kino schaffen, vor allem im Forum und Panorama.

Dafür werden Sie dieses Jahr allerdings kaum Zeit haben, oder?
Stöhr: Nein, dieses Jahr leider nicht. Ich werde wahrscheinlich die meiste Zeit mit Interviews verbringen, den Film repräsentieren… Und ich habe außerdem seit längerem ein Drehbuch für einen neuen Film – das gilt es wenn möglich an den Mann zu bringen.

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