Mathias Richling

Kerner ist ein Wischiwaschi-Friedman.

Der Kabarettist Mathias Richling über Geschmacksgrenzen, Reizwörter, Eva Herman und die Frage, ob politisches Kabarett immer links ist

Mathias Richling

© SWR / Kluge

Herr Richling, gibt es für Sie in Ihrem Beruf als Kabarettist Grenzen des guten Geschmacks?
Richling: Ja, selbstverständlich. In meinem Berufsbereich ist der Geschmack vor allem da gefragt, wo es um Dinge geht, für die der Betreffende nichts kann: Behinderungen oder Katastrophen. Ein gutes Beispiel sind die Anschläge vom 11. September – für mich sind die nicht satirefähig. Wohl aber die Umstände drumherum. Also, die Frage: Was macht Herr Schäuble mit diesem Staat auf Grund der Terrorgefahr? Was ist hier eigentlich der größere Terrorismus?

Da kann es keine Grenzen geben?
Richling: Nein. Nur bei der Sache selbst, die Comedians später oft abgehandelt haben, ist aus meiner Sicht die Geschmacklosigkeitsgrenze überschritten. Sehr obsolet sind auch Witze über Namen. Bei Helmut Kohl stellte sich zum Beispiel immer die Frage, ob man sich darüber lustig macht. Aber dafür konnte er ja nichts. Und das war das Einzige, wofür er nichts konnte.

Über den Bundeswirtschaftsminister sagten Sie: „Wenn man sich Michael Glos anguckt, sollte man noch mal über die Genmanipulation am Menschen nachdenken…“ Geht das nicht schon zu weit?
Richling: Das geht gerade noch, denke ich. Weil es in diesem Fall nicht inhaltlich begründet wird. Es wäre dann geschmacklos, wenn Herr Glos wirklich eine Behinderung hätte. Da er aber offensichtlich, bis auf eine emotionale – oder sagen wir: „moralische“ – Behinderung nichts aufweist, kann man das so sagen. Ich gebe aber zu, dass dieser Satz als solcher populistisch ist. Wenn ich da meine eigenen strengen Regeln anwenden würde, müsste ich Vorträge an der Universität halten und dürfte nicht im Theater auftreten. Außerdem würde man sich wahrscheinlich ähnlich langweilen wie alle Oberen der SPD-Führung bei der Rede von Kurt Beck auf dem Bundesparteitag, die ihre Nägel geschnitten oder Zeitung gelesen haben. Man braucht beim Kabarett auch Mittel aus anderen Bereichen. Um auf diese Weise die Leute übers Lachen mitzunehmen und ihnen dann ganz andere Sachen – zum Beispiel Herrn Schäuble, der für die Abschaffung des Rechtsstaats plädiert – unterzujubeln.

Sehen Sie Comedians als „Kollegen“ an?
Richling: Natürlich. Die Mittel sind ähnlich, die Inhalte sind logischerweise andere. Die Comedy-Mittel, die ich verwende, nannte man früher komödiantische Mittel: Die Verkleidung, herbe Kalauer. Es gibt in der Comedy ausgezeichnete Leute, über die ich mich köstlich amüsiere. Nur geht meine Arbeit noch eine politische Ecke weiter. Die Comedians haben diesen Anspruch gar nicht. Also kann ich sie deswegen auch gar nicht schimpfen und sollte nicht glauben, ich sei etwas Besseres.

Ihr Anspruch ist, Politik zu verändern.
Richling: Ja, klar. Und genau das ist eben der große Unterschied zur Comedy: Ich erzähle keine Witze. Aber das sich existenziell wirklich etwas verändert, passiert ganz selten. Ich habe Literatur studiert, da liest man viel. Aber wann hat mich ein Buch richtig verändert? Wann habe ich auf Grund dessen schon mal gesagt: „Das ändere ich morgen!“ Das war vielleicht drei Mal der Fall…

Würden Sie jede Ihrer Parodien heute wieder genauso machen?
Richling: Gute Frage. Mir ist nichts in Erinnerung, von dem ich sagen würde, dass ich es nicht so hätte machen dürfen. Einen eklatanten Fall gab es, der ist jetzt aber schon fast zwanzig Jahre her. Die berühmte Geschichte mit der Papst-Nummer: Da saß ich in einem großen Bett und es ging um die Aids-Politik von Papst Johannes Paul II., der gesagt hatte: „Ein Aids-Kranker darf mit seiner Frau schlafen – aber nur ohne Kondom“. Das ist nach deutschem Recht eine Aufforderung zur vorsätzlichen Körperverletzung, es ist also ganz einfach strafbar. Und dagegen habe ich etwas gemacht. Ich habe dann – und das würde ich inhaltlich wieder genauso machen – eine formale Zwei-Fronten-Ebene aufgebaut, indem ich mir gleichzeitig am ganzen Körper überall Kondome herausgezogen habe, die wie benutzt aussahen. Abends um elf, als die Leute zum Teil noch beim Essen saßen. Heute liegen Kondome auf jedem Tisch, in den 80ern war das aber alles noch ein bisschen anders. Die Zuschauer waren sowieso schon in der „Aber-Haltung“ – dann zusätzlich noch so schweres Geschütz aufzufahren, war geschmacklich schon einigermaßen riskant. Heute geht es um ganz andere Dinge, die in Grenzbereiche kommen, die ich aber auch ganz anders behandele als mit 18 oder 20.

Welche Dinge meinen Sie?
Richling: Die Palästinenserfrage, das Verhältnis von Palästinensern und Juden oder was im Libanon-Einsatz alles geschieht etc. Wenn Sie da rangehen, ist es manchmal sehr schwierig, die richtigen Formulierungen zu finden. Auch, um Missverständnisse zu vermeiden. Es gibt Menschen, die in einer Weise zuhören, dass sie nur Stichworte mitbekommen. Gerade in unserer jüngeren Geschichte gibt es bestimmte Stichwörter, bei denen alle sofort aufschreien. Wenn Kardinal Meisner sagt: „Die Kunst ist entartet“, hat man sofort bestimmte Assoziationen. Denn es ist nun mal ein Begriff aus der Nazi-Zeit, der sonst nicht verwendet wurde. Er ist daher okkupiert. Und auch wenn Herr Meisner nichts damit zu tun haben möchte, kann er das so einfach nicht sagen. Gleiches gilt für mich: Ich muss vorsichtig damit sein, bestimmte Reizwörter zu verwenden. Sonst besteht die Gefahr, dass sie auf eine falsche Fährte locken, die ich gar nicht beabsichtigt habe.

Ein Beispiel?
Richling: Ich habe vor vielen Jahren eine Nummer über Gewalt im Fernsehen gemacht. Meine Frage war: Wo ist der Sinn, sich im Fernsehen Gewalt anzuschauen? In dem Zusammenhang habe ich das Attentat auf den damaligen Papst erwähnt. Es ging aber gar nicht um den Papst, sondern er diente nur als Beispiel für Gewalt an öffentlichen Personen. Dennoch schrieb mir ein Mann auf einer Postkarte: „Sobald Sie das Wort Papst erwähnen, kann ich vor Aufregung nicht mehr zuhören.“ Ich musste also gar nichts gegen den Papst gesagt haben – da hatte dieser Zuschauer schon abgeschaltet.

Sie sprechen von Reizwörtern. Ein derzeit wieder viel diskutiertes Reizwort wären auch die „Autobahnen“. Ist Eva Herman ein Fall fürs Kabarett?
Richling: Auf jeden Fall. Aber Sie werden sich wundern: Eigentlich gar nicht so sehr Eva Herman selber, sondern diejenigen, die mit ihr umgehen.

Zum Beispiel Johannes B. Kerner?
Richling: Als ich die Sendung gesehen habe, habe ich nach zehn Minuten gedacht: Was wollen die eigentlich alle von ihr? Sie hat sich schließlich mindestens zwanzig Mal ganz deutlich als Anti-Nazi-Person erklärt. Sie hat deutlich gesagt, dass sie gegen die DVU und die NPD, die mit ihr werben, klagen will. Es war einfach so, dass Herr Kerner wörtlich haben wollte, dass sie sich für etwas entschuldigt, für das sie sich eigentlich gar nicht entschuldigen kann, weil sie ja der Ansicht ist, dass sie es gar nicht getan hat. Das ist das gleiche, als wenn ich jetzt zu Ihnen sagen würde: „Sie haben mich Arschloch genannt. Entschuldigen Sie sich dafür!“ Eva Herman ist eine naive Person, die vielleicht nicht weiß, wie sie Reizwörter richtig einsetzt.

Haben Sie sich vorgenommen, dazu eine Nummer zu machen?
Richling: Ja, und zwar in Bezug auf Kerner. Übrigens, das fällt mit schon seit einiger Zeit auf: Herr Kerner hat einen Stil, der dem von Herrn Friedman sehr ähnlich ist.

Inwiefern?
Richling: Friedman kennt wirklich inquisitorische Fragestellungen und war teilweise immer richtig bösartig. Kerner kommt dem nahe – allerdings auf einem niedrigeren Niveau: Für mich ist Kerner ein Wischiwaschi-Friedman.

Zitiert

Ich erzähle keine Witze.

Mathias Richling

Um zurückzukommen auf Ihre Politiker-Parodien: Ulla Schmidt hat Sie ursprünglich sogar dazu aufgefordert, sie zu karikieren, Johannes Rau hingegen zeigte sich sehr pikiert. Erleben Sie hin und wieder richtig böse Reaktionen von Politikern?
Richling: Meistens halten sie sich zurück, oder man erfährt es Jahre später über Umwege, zum Beispiel über Fernsehdirektoren, die solche Dinge mit den Politikern aushandeln. Das einer ganz direkt auf mich zukommt und sagt: „Sie haben mich beleidigt“, kommt ganz selten vor. Meistens ist es so, dass die Leute sich bemüßigt fühlen, es gut zu finden. Andere, wie eben Ulla Schmidt, finden es tatsächlich gut. Oder Herta Däubler-Gmelin. Die hat mich sogar dazu aufgefordert, zusammen mit ihr im Kostüm aufzutreten. Aber das ging mir dann doch zu weit (lacht).

Sind Regierungspolitiker einfacher zu karikieren als Oppositionspolitiker?
Richling: Nein, die Leute brauchen einfach die permanente Konfrontation mit den Personen, dann werden sie auch erkannt. Aber genau das ist das Schicksal der Oppositionspolitiker. Manche Leute sind auch derartig nivelliert, dass man sie auch dann nicht erkennt, wenn man sie oft gesehen hat. Man weiß ja gar nicht, wie Herr Westerwelle spricht. Er ist als Oppositionspolitiker nur einmal in der Woche in der „Tagesschau“ – anders als die Frau Merkeline, die kommt da fünf Mal am Tag vor. Die kann so langweilig sein, wie sie will – da weiß jeder, wie sie spricht.

Sie sind der „Mann mit den tausend Gesichtern“. Werden Sie als jemand, der auf der Bühne und im Fernsehen immer ein anderer ist, auf der Straße erkannt?
Richling: Ja, schon. Ich bin ja nicht dauernd in Maske…

Gefällt es Ihnen erkannt zu werden und dass Menschen auf Sie zukommen?
Richling: Man braucht es und ich mache es ja auch dafür, sonst müsste ich Bücher schreiben und nicht in der Öffentlichkeit erscheinen. Dann erkennt man mich auch nicht. Ich darf mich also nicht beschweren, was ich auch nicht tue. Ich forciere es hingegen aber auch nicht. Wenn ich in ein Restaurant gehe, setze ich mich nicht unbedingt an den Mitteltisch, damit mich jeder sieht. Sondern ich gehe möglichst dann in ein Restaurant, wenn es dort nicht so voll ist, oder ich setze mich irgendwo an die Seite. Ich habe nichts dagegen, wenn die Leute einen so behandeln, als wenn man dazugehört und sie einen normal grüßen. Wenn das aber zur Gafferei verkommt, wird es mir unangenehm.

Sehen sich viele junge Leute Ihr Programm an?
Richling: Ich habe jetzt wieder das Gefühl, ja. Ich kann das aber schlecht sagen, weil ich im Gegenlicht immer nur die ersten drei Reihen sehe. Aber man sagt mir, dass in letzter Zeit verstärkt sehr junge Leute kommen. Wobei ich oft die Erfahrung gemacht habe, dass 16- oder 18-jährige, die noch zur Schule gehen, ganz anders damit umgehen und sich sehr viel wahrhaftiger damit beschäftigen und das, was ich sage, mit sehr viel mehr Begeisterung aufnehmen als 30-jährige.

Ist politisches Kabarett eigentlich zwangsläufig links?
Richling: Möchte man meinen. Das hängt von der Definition, was ist „links“, was ist „rechts“, ab. Wir haben bestimmte Attribute, die wir automatisch mit „rechts“ und mit „links“ gleichsetzen. Unsere Crux heutzutage ist, dass das von politischen Parteien nicht mehr gewährleistet ist. Ich habe mir das ja nicht ausgedacht, dass Herr Lafontaine sagt: „Die Nazis waren nicht fremdenfeindlich, sie waren nur rassistisch“. Das ist ein wörtliches Zitat. Die politischen Anschauungen treffen sich nicht in der Mitte, sondern dort, wo rechts und links hinten aufeinander stoßen.

Also an den Rändern?
Richling: Ja, linkes Gedankengut schwappt plötzlich rüber in ein rechtes und man fragt sich „Wie passt das denn plötzlich zusammen?“ Wir sehen es auch im seichten politischen Geschäft. Frau Merkel wird geziehen, dass sie sehr viele SPD-Positionen übernommen hat und die SPD sich so gar nicht profilieren kann in ihrer Mitte. Denn da ist gar kein Platz mehr. Oder Frau von der Leyen: Ihre Positionen müssten eigentlich von der SPD kommen. Die SPD kann sich nur retten, indem sie Positionen von der Linkspartei übernimmt und so wieder links von der CDU dazustehen. Das heißt, rechts und links haben sich in dem Parteienspektrum, so wie wir es kennen als Definition, längst verwischt.

Aber „rechtes Kabarett“ wird es vermutlich nie geben.
Richling: Natürlich ist Kabarett nie „rechts“. Aber das heißt nicht automatisch, dass Kabarett unbedingt SPD ist. Ich habe es immer vermieden, für eine Partei Wahlkampf zu machen, gerade aus diesen Gründen. Wenn wir links und rechts nicht mit den Parteien identifizieren, dann kann man sagen, politisches Kabarett ist „links“. Aber es ist nicht gleichbedeutend mit linken politischen Positionen, und schon gar nicht gleichbedeutend mit „Der Linken“.

Sie sagten einmal, dass Sie nie vor 5 Uhr ins Bett gehen und nachts neue Nummern schreiben.
Richling: Stimmt. Heute war’s um sieben… (lacht).

Wie kann man sich diese nächtlichen Arbeitsphasen vorstellen? Arbeiten Sie die ganze Zeit über hoch konzentriert?
Richling: Nicht die ganze Zeit über. Und es ist sehr unterschiedlich, denn es fällt einem schließlich auch nicht pausenlos etwas ein. Es ist ein großes Sammeln und Aufsaugen von Materialien. Dann gibt es Sachen, die sehr schnell gehen. Meine Sigmund Freud-Nummer, die für mich eine sehr runde Nummer ist, habe ich zum Beispiel in einer Stunde geschrieben. Andere muss ich mir mühselig erarbeiten.

Gibt es Tage, an denen Sie nicht in Stimmung sind – und trotzdem auf die Bühne müssen?
Richling: Entweder geht es mir so schlecht, dass ich den Leuten das Geld zurückgeben muss, weil ich nicht auftreten kann. Oder ich spiele, dann muss ich so tun, als ginge es mir gut.

Wollten Sie schon immer auf der Bühne stehen?
Richling: Hm, seit ich 16 war, ja.

Gab es einen Auslöser?
Richling: Ja. Wir hatten einen Schauspiellehrer an der Schule. Der hat mit uns Stücke geprobt. Shakespeare und ein Antikriegsstück. Das waren drei Vorstellungen, wo nachher viele Menschen auf mich zukamen und sagten „Du musst zum Theater“. Das habe ich dann verinnerlicht und mein Studium entsprechend dazu aufgebaut – Literatur, Philosophie, Geschichte usw. Damit es ein großes Ganzes gibt.

Unsere Schlussfrage lautet: Das Leben ist ein Comic – welche Figur sind Sie?
Richling: (lacht) Schwierig. Ich weiß es nicht! Ich kann diese Frage nicht beantworten. Und ich will Ihnen gerne sagen, warum.

Bitte.
Richling: Wenn Sie mich gefragt hätten: „Wer ist Ihr Vorbild?“, hätte ich Ihnen keines nennen können. Das habe ich schon immer abgelehnt. Ich habe keine Vorbilder, es gibt nur Leute, die mich sehr angeregt haben: Karl Valentin, Samuel Beckett, Ionesco, Wittgenstein, Franz Xaver Croetz. Aber ich würde nicht sagen: „Ich möchte schreiben wie Samuel Beckett.“ Ich möchte gerne ich selbst sein.

Kommentar schreiben

* Erforderliche Angaben. Emailadresse wird nicht veröffentlicht.