Senta Berger

Ich kann mich unsichtbar machen.

Senta Berger über die Krimi-Reihe "Unter Verdacht", die Bedeutung von Präsenz und Ausstrahlung, wie sie mit ihrer Prominenz umgeht und wie eine Rolle gelingen kann

Senta Berger

© ZDF

Frau Berger, in der Krimi-Reihe „Unter Verdacht“ spielen Sie die Kriminalrätin Dr. Eva Maria Prohacek. Für einen Krimi eine eher ungewöhnliche der Hauptfigur…
Berger: Alexander Adolph, der Autor für die ersten Folgen der Reihe hat selbst Jura studiert und kurze praktische Erfahrungen in einer Behörde sammeln können. Er kennt sich sehr gut aus in diesen Hierarchien. Ich wollte keine Kommissarin spielen und fragte ihn nach Alternativen. Er schlug den „Chef“ aller Kommissare vor, den Kriminalrat. Der Kriminalrat ermittelt unter Umständen auch gegen Kommissare.

Sie haben die Figur selbst mitentwickelt. Wie muss man sich das praktisch vorstellen?
Berger: Das erfordert viele Gespräche. Wir haben uns gemeinsam Gedanken gemacht über den Lebensweg der Prohacek. Alexander Adolph hatte alles sehr gut recherchiert. Dann haben wir uns die Charakterzüge der Person weiter ausgedacht und kamen später ins Detail. Wo lebt sie? Wie ist sie eingerichtet? Hat sie an ihrem neuen Wohnort schon die Kartons ausgepackt? Es sind uns viele Dinge dabei eingefallen.

Führt sich die gemeinsame Arbeit auch in der Entwicklung des jeweiligen Drehbuches weiter?
Berger: Ich entwickle Punkte, an denen sich der Autor beim Schreiben orientiert. Dann wird gegengelesen, sich gegenseitig überzeugt, Wiederholungsgefahren diskutiert, die Spannungskurve besprochen und entwickelt. Wir gehen also erst von den großen Bögen aus. Was muss passieren? Wie können wir Eva in Gefahr bringen? Was braucht sie?

Was bei der Reihe auffällt ist die etwas düstere Optik…
Berger: Das ist bei „Unter Verdacht“ ganz wichtig, dass es diese dumpfere, dunklere Atmosphäre bekommt. Die Kostümbildner wissen, es gibt keine Farben in dem Film; wir verwenden überwiegend Grau- oder dunkle Blautöne.

In der neuen Folge „Ein neues Leben“ steht die Kriminalrätin selbst unter Mordverdacht. Die Beweislast ist erdrückend. Kennen Sie selbst so ein Gefühl der Ohnmacht und der Einsamkeit?
Berger: Nein, nicht in diesem spektakulärem Ausmaß, wie das in unserer Folge zu sehen ist. Ich bin noch nicht auf diese Art und Weise verdächtigt worden (lacht). Aber das Leben ist eine merkwürdige Hoch- und Talbahn und das Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit kenne ich natürlich.
Einsamkeit muss man vielleicht anders formulieren. Ich war natürlich sehr viel allein gewesen in meinem Beruf. Aber ich bin nicht wirklich einsam, weil ich weiß, Zuhause wartet jemand auf mich.

Spüren Sie Ohnmacht oder Einsamkeit, wenn Sie solche Szenen spielen?
Berger: Nein, das überlege ich mir ganz genau, was ich da mache. Da kommt etwas zusammen, das schwer zu erklären ist. Wie setzte ich den emotionalen Einstieg um und wie halte ich ihn fest? Das ist immer das Schwierigste beim Filmen, da es oft Unterbrechungen bei den Dreharbeiten gibt, um mit der Kamera die Perspektive zu wechseln oder aus anderen Gründen. Ich probiere es dann einfach zum Teil technisch, damit ich meine Emotionen besser dosieren kann.

Manche Schauspieler berichten, sie identifizieren sich mit der Figur bis sie kaum noch zu ihrer eigenen Existenz unterscheiden können. Kennen Sie das?
Berger: Diese Beschreibungen lese ich ab und an in der Presse über mich. Es stimmt aber nicht. Ich halte das für unmöglich. Ich glaube, du musst ganz bei dir sein, um eine Rolle zu verwalten und zu gestalten.

Was braucht man noch, damit eine Rolle gelingt?
Berger: Es braucht den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Hellsichtigkeit, Handwerk, Emotionen, Technik, Kreativität und Phantasie. Das kommt alles zusammen und wenn es glückt ist es herrlich. Wenn eines der Mittel wegfällt, dann merke ich das. Dann läuft man Gefahr zum Beispiel zu technisch oder zu emotional zu sein. Das ist ein interessanter Prozess. Vieles davon kommt bei mir aus der Intuition – oft überraschend auch für mich selbst. Ich denke aber auch ständig über meine Rollen nach, im Auto oder beim Einkaufen. Da kommen mir dann plötzlich Ideen der Interpretation.

Spielen Sie vor allem Rollen, die Ihnen persönlich nahe sind?
Berger: Nein, gar nicht. Die Kriminalrätin ist sicherlich am weitesten entfernt von mir. Sicherlich war die „Schnelle Gerdi“ mir sehr nahe, da mein Mann gemeinerweise auch private Eigenschaften in das Drehbuch hineingeschrieben hat. Aber die Eva Maria Prohacek ist im Gegensatz zu mir eine sehr strenge Person.

Wie schlägt sich Ihre Prominenz im Alltag nieder?
Berger: Das ist ganz verschieden. Nehmen wir als Beispiel das Zugfahren. Ich fahre sehr ungern Zug, denn es ist ein Ort, an dem ich sehr lange an einem Platz ruhig sitzen muss. Das heißt, man kann mich sehr schnell ausmachen. Ich habe dann keine Möglichkeit woanders hinzugehen. Das kann manchmal ein wenig mühselig sein, obwohl die Leute es freundlich meinen. Aber die Menschen gehen dann betont oft an dem Platz oder Abteil vorbei und äußern Wünsche nach Autogrammen. Es ist ja nicht so, dass ich nicht gestört werden will, aber ich fühle mich dann beobachtet und fühle mich nicht frei. Daher fahre ich nicht so gerne Zug.

Wie gehen Sie mit dieser ständigen Aufmerksamkeit um?
Berger: Ich kann mich unsichtbar machen. Zum Beispiel, wenn ich auf der Strasse sehr schnell gehe und mich nicht auffällig anziehe, dann werde ich auch nicht so schnell erkannt.
Ich habe auch gelernt, bestimmte Dinge nicht zu tun. Ich kann zum Beispiel nicht schwimmen gehen. Als meine Kinder noch klein waren, haben sie sich immer gewünscht, dass ich mit ihnen in ein öffentliches Schwimmbad gehe. Das ist dann immer sehr anstrengend gewesen. Es ist zum Teil auch komisch, wenn man im Becken schwimmend angesprochen wird, ob man ein Autogramm geben kann (lacht).

Belastet Sie es, in der Öffentlichkeit zu stehen?
Berger: Ich habe von diesen kleinen Einschränkungen kein Schaden genommen. Ich bin kein Rockstar. Ich werde nicht bedrängt. Ich bin nicht Caroline von Monaco und brauche keine Helfer an meiner Seite, wenn ich das Haus verlasse. Das ist eine ganz andere Art von Popularität. Meine gehört ganz stark zu meinem Beruf. Ich bin auch nicht mehr in der Altersklasse, wo man mit Teleobjektiv heimlich Bikinifotos von mir schießt. Das hatte ich schon.

Sie haben eine starke Ausstrahlung und Präsenz. Was glauben Sie, welche Eigenschaften geben einem Menschen eine starke Ausstrahlung?
Berger: In solchen Kategorien denkt man nicht über sich selber nach.

Hintergrund der Frage war, ob man eine starke Ausstrahlung von Natur aus in „die Wiege“ gelegt bekommt oder es sich um lernbare Eigenschaften handelt?
Berger: Das mit dem Lernen ist ein bisschen schwer. Es gibt zum Beispiel sehr extrovertierte Schauspieler, die sich auf der Bühne unglaublich öffnen können und die im wirklichen Leben sehr scheue und eher introvertierte Menschen sind. Trotzdem haben die eine Präsenz und du musst dich auf diese Präsenz einlassen. Es kann auch sein, dass eine Präsenz spürbarer ist, wenn man keine Scheu hat auf Menschen zuzugehen. Ich habe diese Scheu nicht. Ich habe auch keine Scheu davor, Fragen zu stellen. Ich rede gern mit Menschen, es interessiert mich auch. Es interessiert mich nicht nur aus einer künstlerisch ausbeutbaren Sicht – um alles zu verwerten. Ich bin einfach interessiert am Leben. Ich möchte wissen, wie die verschiedenen Menschen denken und in welcher Gesellschaft wir leben. Welche Vorurteile sie hegen, welche Urteile sie haben, das finde ich alles sehr interessant. Möglicherweise verwechselt man das ein wenig mit Präsenz, weil ich mich nicht so stark zurücknehme in der Öffentlichkeit.

Glauben Sie, dass die Ausstrahlung, die Sie jetzt haben, auch da wäre, wenn Sie keinen künstlerischen Beruf ergriffen hätten.
Berger: Ja. Das ist einfach mein Temperament.

Welches große Wunschprojekt haben Sie?
Berger: Hab ich nicht. Ich bin kein Mensch, der dafür Pläne hat. Ob ich noch weiter spiele oder nicht, das hängt von so vielen Faktoren ab. Es ist nicht wichtig, was ich spiele. Für mich zählt eher die Frage: Wie will ich spielen?

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