Milan Peschel

Wir erzählen von Menschen, nicht von politisch korrekten Modellen.

Schauspieler Milan Peschel über Tischler- und Theaterhandwerk, Körperkontakt in der Kantine, den Beziehungsfilm „Mitte Ende August“ und die Hassliebe zwischen Frank Castorf und seinen Kritikern

Milan Peschel

© Central Film

Herr Peschel, Sie haben Tischler gelernt und waren am Theater im Bühnenbau beschäftigt. War das Zufall, oder haben Sie da schon bewusst die Nähe zum Schauspiel gesucht?
Peschel: Das mit dem Tischler ist richtig. Ich wollte aber schon als Kind Schauspieler werden, habe in der Richtung damals auch was gemacht. In der Pubertät wollte ich dann nicht mehr, habe zu spielen aufgehört, aber das Interesse am Theater blieb. Als es dann darum ging, einen Beruf zu erlernen, haben wir festgestellt, dass eine Tischlerlehre am Theater doch eine Superidee wäre. Dann kam auch dieses Interesse für die Schauspielerei wieder durch.

Wie das? Es hätte ja auch sein können, dass Sie dieses Arbeiten hinter den Kulissen eher abschreckt…
Peschel: Das wird man auf der Schauspielschule auch gefragt. „Warum möchten Sie Schauspieler werden?“ Da wusste ich schon damals keine Antwort drauf. Das ist wahrscheinlich eine Mischung aus Exhibitionismus, dem Willen, sich auszudrücken und dem Bedürfnis, gelobt zu werden. Weniger ein Interesse für Literatur, sondern, sich darzustellen, zu verstellen, zu spielen.

Waren Sie als Handwerker auch perfektionistisch?
Peschel: Nö. Ich bin auch als Schauspieler nicht perfektionistisch. Ich weiß, dass Perfektion beim handwerklichen Beruf durchaus von Vorteil sein kann, als Schauspieler ist das manchmal aber auch von Nachteil. Insofern bin ich da schon auf der richtigen Seite.

Fällt es in der Schauspielerei leichter, sich manchmal gegen seinen Chef zu behaupten?
Peschel: Es ist immer wichtig, mit dem Regisseur in Clinch zu gehen, wenn man meint, dass es das Richtige ist. Man muss nur auch immer am Thema und bei der Sache bleiben. Dann weiß man auch, wann man stur bleiben muss und wann man eher zurücktreten und dem anderen seine Sturheit lassen sollte. 

Wie wichtig ist eigentlich die Kantine für das Leben eines Schauspielers?
Peschel: Die Theaterkantine ist nach wie vor einer der wichtigsten Orte. Die von der Volksbühne ist die beste Theaterkantine von Berlin. Gerade bei einer Premiere im großen Haus, da kann man in der Kantine nur stehen. Es ist voller Körperkontakt und voller Qualm. Das ist pures Leben, Freude, Zärtlichkeit und Härte auch. Das ist toll.  

Sie sind also niemand, der sich nach einer Premiere eher zurückzieht und lieber mit sich alleine wäre?
Peschel: Nee. So bin ich nicht.

Apropos alleine. Was treibt in „Mitte Ende August“ Ihre Figur Thomas und seine Freundin Hanna, die von Marie Bäumer gespielt wird, dazu, sich in ein abgeschiedenes Häuschen am Waldrand zurückzuziehen?
Peschel: Da gibt es wohl eine Sehnsucht, die Ruhe und die Einfachheit des Landes zu genießen. Bei mir ist das jedenfalls so. Ich hab auch ein Haus auf dem Land. Von Berlin aus fahre ich da so schnell runter – ich kann da einfach unheimlich gut entspannen. Das ist eine eigene kleine Welt, wo nur die Bäume rauschen und Vögel zwitschern.

Macht den Kern des Films aus, dass diese Ruhe und Entspannung eigentlich eine Illusion ist, die nur über Verdrängung funktioniert?
Peschel: Nee. Das würde ich nicht so sehen. Die Erschütterung, die in dieser Beziehung an diesem Ort passiert, ist lebensnotwendig, damit sie wieder neu verankert werden kann.

Diese Erschütterung beginnt, als Thomas‘ Bruder und Hannas Nichte vor der Tür stehen.
Peschel: Was dann folgt, macht es überhaupt möglich, dass Thomas etwas über sein Leben und die Liebe und über seine Beziehung zu Hanna versteht. Insofern finde ich nicht, dass der Rückzug eine Illusion ist, weil er später auch in der Lage ist, auf sie zuzugehen, ihr zuzuhören und darüber auch nachzudenken, was sie ihm zu sagen hat. Das war vorher nicht unbedingt der Fall. Da lief es zwischen den beiden gut, weil es nie so richtig schlecht lief. In ihrer Abgeschiedenheit, die von den zwei Außenstehenden aufgebrochen wird, läuft es aber plötzlich ganz schön schlecht.

Zitiert

Schauspiel ist eine Mischung aus Exhibitionismus, dem Willen, sich auszudrücken und dem Bedürfnis, gelobt zu werden.

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Woran drohen Hanna und Thomas zu scheitern? Bis zu einem gewissen Grad kann Eifersucht,  die sich zwischen den vier Hausbewohnern einschleicht, ja auch eine positive Dynamik mit sich bringen.
Peschel: Thomas lebt sehr spontan, in den Tag hinein, sehr gegenwärtig. Das ist, was ihn von Hanna auch unterscheidet. Vielleicht passen sie deswegen auch so gut zusammen und haben sich instinktiv gesucht. Ich glaube, Hanna ist auf ihre Nichte gar nicht so eifersüchtig. Sie ist eher wahnsinnig verletzt.

Als die Situation eskaliert verschwindet Thomas mit Hannas Nichte im Wald, Hanna betrügt Thomas jedoch nicht, sie landet bei einer nächtlichen Ruderpartie mit ihrem Schwager im Wasser. Beschreibt das, wie sich Männer und Frauen typischer Weise in so einer Situation verhalten?
Peschel: Von ihm ist das sicher auch eine Trotzreaktion. Aber ob das typisch ist? Segmente davon wahrscheinlich, auch wenn die nicht immer so ausgelebt werden. Der Mann stürzt sich eher verzweifelt in ein fragwürdiges Vergnügen und die Frau geht baden, in diesem Fall im wahrsten Sinne des Wortes. Sie setzt sich ihrem Schmerz sehr viel mehr aus, das kann schon sein.

Das klingt nicht gerade nach vollzogener Emanzipation.
Peschel: Nee. Aber solche Überlegungen bringen einen bei der konkreten Arbeit ja nicht weiter. (lacht) Wir erzählen ja von Menschen und nicht von politisch korrekten Modellen.

Der Regisseur des Films, Sebastian Schipper, hat auch zuvor mit seinen Filmen „Absolute Giganten“ und „Ein Freund von mir“ ein besonderes Gefühl für Komik bewiesen, die aus einem bestimmten Rhythmus von Sprache und Handlung entsteht. Wie zeigt sich das bei der Arbeit mit den Schauspielern?
Peschel: Er kann wahnsinnig gut mit Schauspielern umgehen und sein Gefühl fürs Timing wird einem schon klar, wenn man sein Drehbuch liest. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass er auch selber studierter Schauspieler ist. Er kann auch wunderbar über Sachen reden, Geschichten erzählen, auch am Set vorspielen. Ich habe ihn gefragt, warum er nicht selber mehr spielt, aber er meinte, sobald er vor der Kamera steht, wäre das weg. Also nutzt er sein Schauspieltalent indirekt, indem er uns seine Vorstellung von den Rollen vorspielt. 

„Guter Wein wird überschätzt,“ heißt es in dem Film. „Man wünscht sich doch, dass es einem so gut geht, dass daran auch ein schlechter Wein nichts mehr ändern kann.“
Peschel: Das ist ein guter Satz. Den kann man auf vieles übertragen. Der heißt ja: man fühlt sich gut, weil die Menschen um einen herum und die Umstände toll sind. Ich ziehe zwar auch einen guten Wein einem schlechten Wein vor und ich trinke auch mal lieber gar nichts, als dass ich am nächsten Tag einen Kater habe. Aber der Satz meint ja, dass man sich von solchen Fetischen nicht abhängig machen sollte, vom guten Wein und guter Salami, dem ganzen Scheiß, der im Leben so angehäuft wird. Es geht auch ohne.

Auf diesen Satz hin leert im Film jeder ein Tetrapack Weißwein von der Tankstelle. Kennen Sie solche extremen Spiele?
Peschel: Manchmal ergibt sich so ein Abend. Aber das plane ich nicht, um bewusst an meine Grenzen zu gehen oder so. Wenn ich einen guten Abend in der Kantine habe, verlier ich auch gerne mal die Kontrolle oder so. Aber es ist nicht so, dass ich das brauche oder kultivieren müsste.

Ist das Schauspiel schon Droge genug?
Peschel: Das würde ich auch nicht sagen, auf gar keinen Fall. Es ist ja immer die Frage, mit wem man zusammen sitzt und Zeit verbringt.     

Sie gehören zu den bekanntesten Schauspielern der Berliner Volksbühne, die in den letzten Monaten von der Berliner Presse sehr einhellig und scharf kritisiert wurde. Von Krise ist die Rede. „Schal und abgestanden“ fand der Spiegel schon 2007 das Konzept der Volksbühne. Wie wirkt so etwas auf ein Ensemble?
Peschel: Ich bin ja nicht mehr Ensemblemitglied. Aber ich fühle mich der Volksbühne trotzdem sehr zugehörig und habe große Sehnsucht nach meinen Kollegen. Natürlich tut so was weh und verletzt auch, auf jeden Fall. Es erfüllt mich auch mit großer Traurigkeit und Bitterkeit, dass die Volksbühne so runtergeschrieben wird. Natürlich ist eine Krise da, aber man kann ja in der Krise, so macht man das in Beziehungen ja auch, versuchen, zueinander zu halten und über Probleme auch zu reden. Was da in Berlin von der Presse teilweise kommt, hat mit Liebe oder Passion zum Gegenstand aber nichts mehr zu tun. Das ist eine Mischung aus blankem Neid und blankem Hass.

Hass kann ja durchaus aus enttäuschter Liebe entstehen.
Peschel: Ja, aber selbst wenn, ist das kein Grund, so einseitig und respektlos auf einen einzuschlagen. Auch eine enttäuschte Liebe hatte ja ihre guten Zeiten. Und was die Kritiker an Frank Castorf (Intendant und Regisseur der Volksbühne, Anm.)  mal geliebt haben, dafür kann er ja auch nichts. Vielleicht war diese Liebe ja auch nur ein Missverständnis.

In „Mitte Ende August“ geht es darum, seinen Platz im Leben zu finden. Haben Sie Ihren schon gefunden?
Peschel: Das sage ich Ihnen, wenn das Leben vorbei ist. (lacht)

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