Linkin Park

Wir haben immer groß gedacht.

Chester Bennington von Linkin Park über moderne Rockstars, unterschätzte Härte und die Eltern seiner Fans

Linkin Park

© Warner Music

Mr. Bennington, Linkin Park wurde vor über einem Jahrzehnt mit einem musikalischen Mix aus Metal und HipHop berühmt. Man nannte Sie damals ‚moderne Rockstars’. Was macht heute einen modernen Rockstar aus – und würden Sie sich selbst noch als einen bezeichnen?
Zumindest würde ich unsere Musik noch als zeitgemäß bezeichnen. Und was das Rockstar-Dasein angeht: Allgemein gilt man ja als Rockstar, wenn das, was man macht, ziemlich viele Menschen ziemlich cool finden. Mittlerweile hat buchstäblich jeder die Chance, über Nacht ein Rockstar zu werden. Wenn man einen Song hat, kann man ihn problemlos veröffentlichen und sich damit im Internet einem riesigen Publikum präsentieren. Dazu braucht man eigentlich nur eine Idee und eine Gitarre – und womöglich wird man damit der nächste Justin Bieber! Das ist in diesen Zeiten durchaus möglich. Was man bei all dem aber nie vergessen sollte, ist Selbstkritik. Niemand ist so gut, dass er nicht weiter an sich arbeiten, sich verändern und verbessern könnte.

Rockstars leben auch von ihrem Image. Der amerikanische „Rolling Stone“ hat über Ihre ersten Bandjahre geschrieben: „Linkin Park waren die Sorte Nu-Metal-Band, die man auch seiner Mutter vorspielen konnte.“ Weil Sie auf Ihren Alben nicht fluchten. Wollten Sie damals trotzdem härter wirken als Sie wahrgenommen wurden?
Wir haben uns damals nicht bewusst vorgenommen, in unseren Songs nicht zu fluchen. Und es war schon ein wenig seltsam, dass teils konservative Eltern kaum etwas dagegen hatten, dass ihre Kinder uns hörten – auch zu Hause. Denn auch wenn wir nicht ständig die F-Wörter benutzten, haben wir doch immer über ziemlich düstere Dinge gesungen. Spätestens wenn Eltern ihre Kids mal zu einem Linkin’ Park-Konzert begleiteten, bekamen sie das auch mit und dachten hinterher wahrscheinlich: ‚Vielleicht sollte man das doch nicht unterstützen!’

Die Härte Ihrer Band wurde also unterschätzt?
Ja, schließlich entsteht Härte nicht nur durch einen ständigen Gebrauch von Schimpfwörtern. „Crawling“ zum Beispiel ist ein ziemlich harter Song. Darin geht es um eine Sucht und einen Teil deiner Persönlichkeit, den du nicht kontrollieren kannst. Es ist schon heftig, wenn solch einer plötzlich zum Lieblingssong von unzähligen Teenagern wird.

Zumindest musikalisch sind Linkin Park mit den Jahren softer und Mainstream-freundlicher geworden. Veränderungen dieser Art beobachtet man bei anderen Bands oft nur, wenn sie Probleme mit Plattenverkäufen haben. Sie hatten diese Probleme mit Linkin Park nie – was also hat sie weicher werden lassen?
Wir wollten einfach mit ein paar alten Konzepten brechen. Jahrelang hatte man eine ganz klare Vorstellung von uns und unserer Musik. Und weil man von uns erwartete, dass wir immer einen ganz bestimmten Klang anbieten, wollten wir mal mit etwas anderem überraschen. Ich will als Musiker frei sein und mich nicht an irgendwelche Formeln krallen, nur um zu gefallen. Sicher, als wir anfingen, Musik zu machen, gab es diese Verbindung von Metal und HipHop noch nicht. Es gab Soul und HipHop, Funk und HipHop, aber eben noch nicht Metal und HipHop, wie wir ihn in Songs wie„Pushing Me Away“ oder „One Step Closer“ spielten. Damit waren wir erfolgreich, wollten uns aber nicht wiederholen, nur weil es funktioniert.

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Mittlerweile hat buchstäblich jeder die Chance, über Nacht ein Rockstar zu werden.

Linkin Park

Woran Sie im Laufe Ihrer Karriere hingegen festgehalten haben, sind Songs zu politischen und gesellschaftlichen Geschehnissen. Ob Hurricane Katrina, der Krieg im Irak und die Bush-Administraion oder das Erdbeben in Haiti – Sie haben sich zu all dem mit Songs geäußert. Gehört es in Ihren Augen zum Job von Rockstars dazu, in gewissen Momenten politisch zu werden?
Wenn es etwas gibt, das uns besonders inspiriert, fließt es auch in unsere Musik ein. So war es zum Beispiel mit dem Irak-Krieg. Ich persönlich halte Kriege grundsätzlich für unnötig und sehe einfach keinen Sinn im Töten von Menschen. Damals hat mich die Entscheidung für einen weiteren Krieg so sehr geärgert, dass ich darüber schreiben musste.

Sie hatten das Glück, Ihre Botschaften schon früh vor einem Massenpublikum verbreiten zu können. In Europa sind Sie von Beginn an in großen Hallen aufgetreten. Ging Ihnen das manchmal zu schnell – oder haben Sie eine typisch amerikanische Höher-Schneller-Weiter-Größer-Einstellung?
Wenn man in einer kapitalistischen Gesellschaft aufwächst, in der größer eben auch geiler ist, entwickelt man tatsächlich sehr schnell eine solche Einstellung. Bei uns war es ja so, dass wir innerhalb von nur zwei Jahren von Mini-Gigs in den Gärten von Freunden zu Auftritten in den größten Arenen weltweit kamen. Außerdem haben wir jeden Monat hunderttausend Platten verkauft. Ich habe mich bis heute nie an diese Zustände gewöhnt, deshalb fällt es mir auch nach wie vor schwer, von mir selbst als von einem Rockstar zu sprechen. Wir haben als Band zwar immer groß gedacht, aber wir haben durch unsere extreme Entwicklung nie gelernt, was ‚groß’ eigentlich bedeutet. Was wir wissen ist, dass wir uns unser Publikum immer wieder verdienen müssen. Mit jeder neuen Platte müssen wir uns beweisen und können nicht erwarten, dass jemand, der eines unserer Konzerte besucht hat, auch selbstverständlich ein zweites sehen will.

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