Incognito

Für mich ist eine neue Platte immer die Fortsetzung meines Lebens.

Jean-Paul 'Bluey' Maunick, Mastermind von Incognito über das Album "Who needs Love", seine Sammelsucht und die Liebe zum House

Bluey, ich habe gelesen, dass du zwischen Album-Aufnahmen und Tourneen immerzu durch die Welt reist.
Jean-Paul Maunick: Ja, das macht zwei Pässe pro Jahr.

Wie?
Maunick: Ich muss mir jedes Jahr zwei Mal einen neuen Pass ausstellen lassen, wegen der vielen Visa. An zweiter Stelle, nach der Musik, ist das Reisen meine absolute Leidenschaft. Ich komme ja von einer kleinen Insel, Mauritius, und ich wollte schon immer durch die Welt reisen. Ich habe zwar mit Musik angefangen als ich fünf oder sechs Jahre alt war. Aber bereits mit vier Jahren habe ich meinen Vater immer gefragt, wann die Schiffe kommen. Ich habe als Junge sehr oft die Schiffe beobachtet. Damals dachte ich allerdings noch, wenn die Schiffe am Horizont verschwinden, dass sie dann in eine andere Welt fallen würden. Na ja, als Kind hat man eben noch dieses Flache-Welt-Konzept.

Gibt es eine Gegend, die dich besonders geprägt hat?
Maunick: Nein, die Welt überhaupt prägt einen. Thailand ist nicht wie Indonesien, Indonesien nicht wie Süd-Amerika, Süd-Amerika nicht wie Deutschland … Die Menschen sind unterschiedlich, der Spirit der Leute kann höchstens ähnlich sein.

Was sagst du zum Spirit der Deutschen?
Maunick: Die Deutschen sind anders auf ihre Weise, schöne Menschen, mit enormer Willenskraft, sehr kreative Menschen. Und was Musik angeht habe ich in Deutschland sowieso meine besten Erfahrungen gesammelt.

Was ist mit Japan, dort hast du seit Jahren einen enormen Erfolg.
Maunick: Ja, die Japaner waren immer schon sehr gut zu mir. Ich habe mich am Anfang halt getraut nach Japan zu gehen, obwohl mir mein Management sagte, ich würde dort nur vor 200 Leuten spielen und das auch noch auf meine eigenen Kosten. Ab der zweiten Tournee waren es dann aber 2000 Leute, und bei der nächsten Tournee 4000 die zu einem Konzert kamen, später 10000 Leute in einer Stadt. Die Japaner haben etwas, was mir sehr gefällt und was ich irgendwie verstehe. Also, wenn ich das mit Europa vergleiche, hier hören die Leute eine Single einer neuen Band im Radio, wenn die ihnen gefällt, kaufen sie die. Wenn den Leuten die nächste auch noch gefällt, dann kaufen sie die und vielleicht auch noch das Album – hier muss man die Leute immer wieder überzeugen, will ich damit sagen. In Japan, wenn die Leute dort etwas im Radio hören, das ihnen gefällt, die gehen sofort in den CD-Laden und kaufen die gesamte Diskographie der Band. Sie wollen die Geschichte der Band erfahren, sie wollen wissen, wo das alles begonnen hat und wo es hinführt. Das ist vergleichbar damit, wenn Japaner ein anderes Land besuchen. Die wollen dann nicht nur zwei oder drei Städte sehen – die wollen sofort alle Städte und alle Sehenswürdigkeiten sehen. Die Japaner sammeln Geschichte, könnte man sagen.

Was sammelst du?
Maunick: Ich sammle Platten – und Briefmarken.

Wirklich Briefmarken?
Maunick: Ja, hauptsächlich Briefmarken, die etwas mit Musik zu tun haben. Ich sammle auch Instrumente aus der ganzen Welt. Und mich schmerzt es immer noch sehr, dass ich vor ein paar Jahren meine Sammlung von Blues- und Soulzeitschriften verloren habe – mit den Jahren musste ich mich leider von ein paar Dingen trennen. Meine Fußballspielerkartensammlung, die hatte ich bis in meine 30er. Irgend jemand hat die dann leider weg gegeben, während ich auf Tournee war.

Hast du ein extra Sammelzimmer zu Hause?
Maunick: Nein, die Sachen waren früher in meiner ganzen Wohnung verstreut, im Schlafzimmer, in der Küche, überall. Heute ist mein Haus aber mehr so nach Feng-Shui, sehr spartanisch eingerichtet. Ich habe aber trotzdem noch diese Angewohnheit, Dinge einzustecken und zu behalten, deswegen muss ich auch alle paar Monate meine Wohnung aufräumen. Wenn ich von einer Tournee nach Hause komme habe ich meistens noch mehrere Hotelschlüssel in meiner Hosentasche und viel Hotelseife oder irgendwelchen Matchbox-Autos dabei. Einmal bin ich zu Hause angekommen und hatte fast 400 von diesen Shampoo-Fläschchen in meiner Tasche. Komisch, was? Oder auf einer Tournee durch Indonesien habe ich dieses ganze Zeug aus den Hotels gesammelt, Zahnbürsten, Seife, Duschgel – die habe ich am Ende alle in eine Tüte gepackt und einem Bettler geschenkt.

Du hast gerade mit „Who needs Love“ das neunte Incognito Album rausgebracht. Für mich vermittelt auch diese Platte immer noch dieses Gefühl, das sich am besten mit den Worten beschreiben lässt „Don’t you worry ‚bout a thing.“. Wie war die neue Platte für dich?
Maunick: Für mich ist eine neue Platte immer die Fortsetzung meines Lebens, das sind Geschichten aus meinem Leben. Es ist nicht so, dass die Plattenfirma ankommt und sagt: mach dies und das, dann landest du in den Charts. Die Songs sind Geschichten aus meinem Tagebuch. Ich führe Tagebuch und da gucke ich immer wieder rein und schreibe basierend darauf meine Songs. Zum Beispiel hat mich mal ein japanischer Fan gebeten, einen Song zu schreiben. Er meinte, dass ich immer sehr gute Dinge über Japan erzählen würde, dass aber Japan zum Beispiel auch die höchste Selbstmordrate unter jungen Müttern hat oder dass Jugendliche Selbstmord begehen, weil sie es nicht auf die richtige Schule geschafft haben. Und so habe ich diesen Song geschrieben „Morning Sun“. Der Titel des Songs bezieht sich darauf, dass mein Großvater früher immer jeden Morgen zu mir sagte: „Schau in die Sonne“. Ich spüre jetzt noch diese Sonne im Gesicht, wunderbar! Dann sagte er: „Guck hinter dich, das ist dein Schatten, lass den immer hinter dir“. Ich habe „Morning Sun“ also geschrieben, um den Japanern ein wenig Optimismus geben.

Würdest du dich selbst als einen Optimisten bezeichnen?
Maunick: Ich denke, ich bin der ewige Optimist. Ich bin glücklich, ich mache heute das, was ich immer wollte. Worüber sollte ich mich beklagen? Außer, wenn ich einen Menschen oder eine Liebe verliere. Aber sonst bin ich glücklich, ich wache morgens auf und mache Musik. Was aber wäre, wenn ich als Bergarbeiter in einer Mine arbeiten müsste – das ist verdammt harte Arbeit. Ich habe aber das Glück, nicht unter die Erde fahren zu müssen, wo man kaum atmen kann, wo die Arbeiter keine besonders hohe Lebenserwartung haben. Ich sollte mich heute also wirklich nicht beklagen. Klar, allgemein sieht es nicht so gut aus in der Politik, es gibt wahnsinnig viel Ungerechtigkeit. Wieso leben wir auf einem so reichen Planeten, wo es dennoch so viel Armut gibt? Wieso gibt es Vorurteile, Ignoranz, wieso kann man die Leute nicht anders erziehen?

Gab es denn mal einem Punkt in deinem Leben…
Maunick: .. wo ich kein Optimist war? Ja, als ich mit zehn Jahren nach England kam wurde ich einmal von jungen Skinheads verprügelt. Ich habe mich damals gefragt, wieso ich überhaupt auf dieser Welt bin, mit gebrochenen Rippen und zwei gebrochenen Armen.

Hast du darüber einen Song geschrieben?
Maunick: Ja, einige. Ich habe viele Songs geschrieben über wichtige Ereignisse in meinem Leben. Zum Beispiel mein Song „Still a friend of mine“, vom Album „Positivity“, das ist ein Brief an meine Ex-Frau Marion. Den habe ich ihr geschrieben, um zu sagen, dass es mir leid tut, dass es mit uns nicht funktioniert hat, dass wir aber immer Freunde bleiben. Sie ist auch heute meine beste Freundin und sie hat gesagt, dieser Brief hätte ihr am meisten über unsere Scheidung hinweg geholfen. Was dann der Rest der Welt damit gemacht hat ist mir eigentlich schon nicht mehr so wichtig, dass der Song zum Beispiel einer der beliebtesten Songs in Bandung in Indonesien geworden ist. Mir war viel wichtiger, dass Marion diesen Brief liest. Ich denke ja auch nicht in den Kategorien wie: Ist der Song jetzt eine Single? Werde ich damit Erfolg haben? Wird der Song im Radio laufen? Das wäre doch krank.

Auf „Who needs Love“ sind deutlich House-Einflüsse zu hören. Konntest du dich schon immer für House begeistern?
Maunick: Ja, als 15-Jähriger hatte ich irgendwelche Jobs, habe mir Geld zusammengespart, um am Wochenende in die Clubs gehen zu können oder um mir die neuesten Import-House-Platten aus Chicago zu kaufen. House ist ein wichtiger Teil meines Lebens. Und schließlich haben schon viele gute House-DJs meine Songs geremixt, David Morales oder Roger Sanchez. Ich habe viel getanzt, damals als Teenager. Und auch, wenn ich heute auf der Tanzfläche nicht die beste Figur abgebe, ich tanze gerne, ich stelle mich irgendwo in eine Ecke, schließe die Augen und ‚groove‘ zu der Musik. Ich mag besonders Clubs, die nicht so hell sind, wo man sich einfach rein begibt und die Musik genießen kann.

Du bist also heute noch ein eifriger Clubgänger?
Maunick: Ich gehe meistens einmal pro Woche tanzen. Und das werde ich wohl solange machen, bis ich nicht mehr laufen kann.

Und um welche Uhrzeit verlässt du die Clubs? Um zwei, drei, vier Uhr morgens?
Maunick: Also, ich bin meistens gar nicht vor zwei oder drei Uhr im Club. Ich bin meistens bis spät im Studio, da ist der Club für mich wie ein Chillout zwischen der Arbeit im Studio und ins Bett gehen.

Bluey, der Nachtmensch.
Maunick: Ein bisschen schon. Ich gehe eigentlich nie vor fünf oder sechs Uhr am Morgen ins Bett. Und um zehn oder elf stehe ich wieder auf.

Nach nun knapp 25 Jahren im Musikbusiness, was waren deine besten Erfahrungen, was die schlechtesten?
Maunick: Die besten Erfahrungen habe ich gesammelt, wenn mir jemand gesagt hat: „Ich habe mir dein neues Album angehört, es hat mich zum Lachen gebracht.“ Das spiegelt dann am besten meine Arbeit wieder. Ich erinnere mich noch sehr gut an eine der ersten Aufnahme-Sessions 1979. Wir waren zehn Musiker, alle in einem Studio und haben die Songs gemeinsam eingespielt. Wir mussten aber eigentlich die ganze Zeit lachen, weil wir wussten, gleich macht wieder jemand einen Fehler und dann geht wieder alles von vorne los. Und wenn wir einen Song aber tatsächlich fertig hatten, dann war das wie ein Golden Goal im Fußball, alle haben sich umarmt und gefreut. Ich denke, das ist genauso, wie bei einer Comedy-Show. Wenn die gut ist, dann wird der Autor hinter den Kulissen beim Schreiben der Witze sicher auch eine Menge gelacht haben.

Aber war die Arbeit nie hart für dich?
Maunick: Ab und zu schon. Am härtesten waren Momente, wo ich einen Musiker leider rausschmeißen musste, weil er eigentlich nur Mist gebaut hat. Oder, als ich einen meiner besten Musikerfreunde durch einen Unfall verloren habe. Das war ganz am Anfang und ich konnte danach sechs Monate keine Musik machen. Ich habe Toiletten geputzt und bei McDonalds gearbeitet, weil ich keine andere Ausbildung habe, ja, das war hart. Aber Musik ist nicht so eine harte Arbeit, wie die eines Bergarbeiters, der jeden Tag unter die Erde fährt und froh ist, wenn er Luft zum Atmen hat. Ich habe keinen harten Job, ich hatte nur manchmal Schwierigkeiten, wenn nicht genügend dabei rausgesprungen ist, um meine Familie zu ernähren. Ich habe deswegen auch mal mein Studio aufgeben müssen. Trotzdem, ich bin in der glücklichen Lage, mir nicht jeden Tag Gedanken machen zu müssen, wie ich über die Runden komme. Ich kann in Hotels wohnen, die Leute laden mich zum Essen ein … Hart ist es, wenn man in Indien Fußbälle zusammennäht und nur hoffen kann, dass der Lohn für eine Mahlzeit in drei Tagen reicht. Die Bälle werden dann vielleicht nach England exportiert – und wenn er den Spielern über den Zaun fliegt, die scheißen doch drauf und nehmen einfach einen neuen Ball.

Die Welt ist ein Orchester, welches Instrument bist du?
Maunick: Das ist eine gute Frage. Ich glaube, ich würde mich für das Schlagzeug entscheiden. Das bestimmt das Tempo, es dirigiert sozusagen die Band.

Dabei hat das Schlagzeug doch nicht so viele verschiedene Töne, wie zum Beispiel das Klavier.
Maunick: Aber wenn ich Musik mache, dann ist die Person, die mich immer am meisten fasziniert, mein Schlagzeuger. Er leitet die Band, er macht die Stimmung, er bringt den Sänger zum Singen – er treibt uns alle an.

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