Herbert Grönemeyer

In Deutschland herrscht nicht ein rechter Geist.

Herbert Grönemeyer sprach in Berlin auf einer Pressekonferenz über sein Album "Tumult", Musik und Politik, Widerstand gegen Rechts und wie man einen neuen Musikpreis konzipieren sollte.

Herbert Grönemeyer

© Antoine Melis

Herbert Grönemeyer gab am 06.11.2018 eine Pressekonferenz im Berliner Hotel Das Stue. Nachdem die anwesenden Journalisten das neue Album „Tumult“ zu hören bekamen, stellte zunächst Moderatorin Sophie Passmann Fragen an Herbert Grönemeyer.

Herbert, du hast mal gesagt: Kunst ist dafür da, eine Gesellschaft aufzurütteln, wir sind dafür da, die Leute aufzurütteln und nervös zu machen. Wen hast du mit dem neuen Album am meisten geärgert und nervös gemacht?

Herbert Grönemeyer: Das weiß ich noch nicht, das werde ich merken. Beim Song „Doppelherz“ ist das Netz direkt losmarschiert und hat mir irgendwelche Trolle um die Ohren gekloppt, dass es absurd ist, dass ich jetzt auf Türkisch singe. Aber das weiß ich, seit dem ich Musik mache, 1986 hat die CDU meine Musik als deutsche Unkultur bezeichnet, unter Helmut Kohl. Ich weiß, wie das ist, ich kenne das auch nicht anders. Ich finde es auch gut, wenn Leute meine Musik nicht mögen, das ist auch völlig in Ordnung. Ich koche halt. Was ich koche kann man essen, und wer das nicht essen will, muss in ein anderes Restaurant gehen. Aber ich bin auch nicht dafür da, den Leuten das vorzusetzen, was sie wollen, sondern ich gehe davon aus, die Menschen wollen auch mal was Neues hören, was Anderes hören. Und in diesen Zeiten jetzt mache ich mir auch Gedanken, das wollte ich mit der Platte ausdrücken.

War es für dich eine bewusste Entscheidung: Jetzt ein politisches Album, weil die Zeiten das brauchen? Oder kam das organisch aus dir raus?

Grönemeyer: Ich mache das schon immer, das ist ja nicht neu. Ich hatte auch auf „Bochum“ Songs wie „Amerika“ gegen die Stationierung der Pershing-Raketen, und „Jetzt oder nie“. Als ich das Album nach „Bochum“ machte („Sprünge“), da war meine Plattenfirma ganz aufgeregt. Beim Song „Kinder an die Macht“ waren sie noch ganz begeistert, in der nächsten Nummer („Tanzen“) hieß es „wir wollen leise in Polen einmarschieren, wir gemeinden Schlesien wieder ein“, da war die Stimmung schon schlechter, dann kam noch „Ein Lächeln liegt auf diesem Land“ („Lächeln“), da waren sie schon relativ durch und am Schluss kam die Nummer „Angst“, mit der Zeile „Angst vor der Geschichte, Angst vor sich selbst“, da war die Stimmung im Keller. Dann kam aber damals die Bemerkung von Herrn Jung (Wilfried Jung, damals Geschäftsführer von EMI) weil er merkte, niemand sagt etwas: „Ist doch sehr schön auch“, da stieg die Stimmung wieder deutlich.
Ich habe immer über Dinge gesungen, auch nach der Wiedervereinigung, auf „Chaos“ der Song „Die Härte“ oder „Grönland“… Ich glaube, ich singe immer vor mich hin, was ich so denke und dann kann man gucken, was man damit anfängt.

Ich würde die These in den Raum stellen, es gibt auf dem neuen Album den politischen und den privaten Tumult, den gefühligen und den gesellschaftlichen. Welcher hat dich mehr beschäftigt?

Grönemeyer: Eher der gesellschaftliche. Politik wird bei uns immer so gefühlsschwanger besetzt und so tief und so ernst – dabei ist Politik nicht Anderes, als das Zusammenleben von Menschen. Das finde ich sehr beschwingt und leichtfüßig. „Politisch“, das weckt immer so Reaktionen wie „Oh Gott, singen Sie auch politisch, das finde ich ja sehr interessant, finde Sie auch sehr gut von Ihnen, dass Sie mal etwas sagen.“ Ich finde, politisch ist nichts Anderes als die Sortierung, man fängt im Kleinen an mit der Familie, mit seinem Partner und im Großen mit dem Land und seiner Bevölkerung. Das ist alles dasselbe, da gibt es Nervereien, da passt mal etwas und mal passt nichts.

Hilft dir der private Tumult über den gesellschaftlichen hinweg?

Grönemeyer: Ich glaube nicht, dass die Platte den Rückzug ins Private propagiert. Das Lied „Warum“ hat eher mit der eigenen Unsicherheit zu tun, mit eigenen Selbstzweifeln. Es ist nicht so, dass ich von morgens bis abends aufrecht und gerade, vor Selbstbewusstsein strotzend durch die Welt gehe. Ich habe auch Momente, wo ich mich relativ grausam fühle, mich auch in mir verliere.

Du beschreibst an mehreren Stellen den Rechtsruck im Land. Was ist wahrscheinlicher in Zukunft, eine SPD über 20 Prozent oder ein Aufstieg des VFL Bochum?

Grönemeyer: Wenn sie sich zusammentun, schaffen sie es vielleicht beide.

Lars Klingbeil und Andrea Nahles beim VFL?

Grönemeyer: Ich sehe Andrea Nahles eher als Masseurin, oder als Platzwart, im Tor sehe ich sie nicht. Vielleicht auch auf dem Feld, vielleicht mit einem lila Hemd oder kreischend hellgrün, dann zieht es die Bälle an.

Du singst (in „Bist du da“): „Wir meiden die richtigen Fragen, wir streunen ums Problem“ Was sind die richtigen Fragen, die man aktuell stellen müsste?

Grönemeyer: Wie rücken wir zusammen in so einer Phase, egal ob wir von einer linken Seite kommen oder von einer wertkonservativ rechten. Wie schaffen wir es, uns zusammenzurotten, damit wir den Rechten klare Kante zeigen und sagen: Wollen wir nicht, ist nicht gefragt, ihr könnt weiter pöbeln, wenn ihr wollt, ihr lauft euch irgendwann ins Leere, wir stehen fest zusammen und damit hat’s sich.

Findest du, man muss als Künstler politisch sein?

Grönemeyer: Ich glaube, jeder ist gefragt, jetzt sich zu engagieren und zu überlegen, wie kann er seine Stimme laut tun, wie kann er Gesicht zeigen. Die Zeit ist nicht mehr dafür da, dass man gemütlich auf dem Sofa sitzt. Es ist brenzliger als man denkt. Aber das kann auch leichtfüßig passieren, auch Widerstand und Haltung muss nicht streng und verkrampft sein, sondern sie kann auch lächelnd, ruhig und selbstbewusst sein. Das ist ein wichtiges Thema jetzt. Wir haben es gesehen bei der ‚Unteilbar‘-Demo, wir haben gedacht es kommen 30.000-40.000, es kamen aber 240.000. Das zeigt, dass der Block der Gesellschaft klar weiß, worum es geht und auch jede Chance nutzen will um zu zeigen, wie sie das Land wollen und wie sie es nicht wollen.

Du beschreibst in „Doppelherz“ ein Mittel gegen Fremdenfeindlichkeit, nämlich das Verreisen, bzw. fremde Dinge sehen. Ist das eine Methode gegen Fremdenfeindlichkeit, eine Fernreise für die gesamte AfD-Fraktion?

Grönemeyer: Ich habe ja nach der Wiedervereinigung 1993 in Leipzig ein Jugendheim für rechte Jugendliche eröffnet, weil ich gesagt habe, man muss sich jetzt um die kümmern, denn wenn man sich jetzt nicht um die Jugendlichen kümmert wird es echt kompliziert, auch weil die Eltern mit dem neuen System nicht klarkommen. Wir haben die Jugendlichen damals zum ersten Mal nach England geflogen, sie rausgebracht aus (Leipzig-)Grünau. Und ich glaube, das war ganz wesentlich, dass die mal eine andere Umgebung sehen, das Gefühl haben, es wird sich um sie gekümmert. Das täte der AfD auch ganz gut, mal einen kleinen Ausflug zu machen, vielleicht nur in Richtung Kyffhäuser.

Du hast die ‚Unteilbar‘-Demo angesprochen, da hatte man gedacht, dass der Tumult, den du beschreibst, schon wieder abklingt. Andererseits gibt es wieder Ereignisse, bei denen man denkt: Wir haben den Höhepunkt vom negativen Tumult noch nicht erreicht. Was glaubst du, wo stehen wir, kommt da noch viel mehr Scheiß auf uns zu? Oder sind wir durchs Gröbste durch und können jetzt wieder anfangen, den Karren aus dem Dreck zu ziehen?

Grönemeyer: Meine Erfahrung mit dem Jugendheim war ja die: Ich dachte, ich bin ein populärer Künstler, ich gehe jetzt dorthin und die Jugendlichen freuen sich, wenn ich komme. Die fanden mich aber relativ dämlich, die fanden das auch nicht wichtig, dass ich kam. Es hat acht Jahre gedauert bis die nicht plötzlich links waren, sondern die Aggression raus war, so dass die Polizei-Station abgezogen werden konnte. Ich gehe davon aus, dass das ganze Thema, das wir jetzt gerade beginnen uns sicherlich in den nächsten zehn Jahren begleiten wird und wenn wir uns darauf einstellen, dass es lange dauert ist es einfacher, weil dann wissen wir gemeinsam, welche Strecke wir gehen müssen. Das ist nichts, was man mal eben mit einem Mausklick wegkriegt, sondern da muss man einen ganz langen Atem haben, ich glaube den haben wir auch alle gemeinsam – und dann kriegen wir das auch wieder eingedämmt.

Auf „Tumult“ habe ich keine Stelle gefunden, die hoffnungslos ist. Sondern du hast immer so eine „wir wuppen das jetzt schon“-Mentalität. Ist das ein NRW-Phänomen? Kann man das lernen oder muss man dafür im Ruhrpott geboren sein?

Grönemeyer: Ich komme aus dem Ruhrgebiet, und wir sagen halt: ‚Red nicht so lange rum, überleg‘ dir, wie du Dinge lösen kannst.‘ Man muss sich überlegen, wie kann jeder von uns sich zeigen und klar machen, sei es durch Demonstrationen, durch Leserbriefe, sei es die Presse, das Radio. Dass auch Journalisten Haltung beziehen, halte ich für sehr wichtig, also nicht nur interviewen sondern selber auch sagen, was einem passt oder nicht passt. Die ganze Öffentlichkeit ist gefragt. Und da geht es jetzt darum, dass wir uns jetzt nicht in Problemen wälzen, sondern sagen: Wir machen jetzt etwas. Solange, bis wir denen den Atem rauben.

Herbert Grönemeyer mit Moderatorin Sophie Passmann © Planet Interview

Herbert Grönemeyer mit Moderatorin Sophie Passmann © Planet Interview

Wie schaffst du es, über Politik zu singen, ohne dass es so wie von oben herab wirkt?

Grönemeyer: Ich bin nicht dafür da, den Menschen zu erklären, was sie zu tun und zu lassen haben. Ich nehme meine Aufgabe wahr als Musiker, ich bin ein kleiner Baustein in einem ganz großen Haus. Ich nehme meinen Teil des Trommelns wahr, aber ich bin nicht dafür da den Leuten zu erklären, wie man zu denken und zu fühlen hat.
Ich versuche, Mut zu machen, dass man was tut. Und das war’s. So verstehe ich Musik. So benutzen Menschen Musik. Ich habe mal ein wunderschönes Lob bekommen von Rupert Neudeck. Der sagte einmal zu mir: ‚Wir haben auf der Cap Anamur immer „Bochum“ gehört über große Boxen‘. Das ist die Funktion von Musik, Mut zu machen, Dinge zu tun. Aber ich bin nicht derjenige, der sich tag täglich bemüht auch die Rechten in den Antifa-Bewegungen zu [unverständlich]…sondern ich bin derjenige, der trommelt. Man muss aufpassen, dass man sich nicht selbst überschätzt. Ich versuche, meine Musik so intensiv wie möglich zu machen, dass Menschen das Gefühl haben: Das stützt mir den Rücken für das, was ich tue.

+++ Ab hier folgen Fragen der anwesenden Journalisten +++

Du hast mal in einem Interview vor zwei Jahren gesagt, das 21. Jahrhundert sei das „Jahrhundert der Menschlichkeit, des Zusammenrückens“. Jetzt haben Sie auf dem neuen Album Texte wie „Fall der Fälle“, die so ein bisschen mehr Sorge tragen. Glaubst du das noch immer?

Grönemeyer: Ich glaube das nach wie vor. Ich glaube, dass der Versuch, die Gesellschaft zu spalten, oder auch zu popularisieren genau damit zu tun hat. Generell, man merkt, wir rücken näher aneinander. Das war auch bei der (Unteilbar-)Demonstration der Fall. Ich glaube, wir haben alle das Gefühl, wir können diese Situation, diese Zeit nur verleben wenn wir uns untereinander stark machen, aufmerksamer werden. Ich glaube, dass das Positive an dieser ganzen nervösen Zeit ist: Uns werden viele Dinge viel bewusster, sei es auch im eigenen Land, was Altersarmut angeht, was Obdachlosigkeit angeht, was Armut alleinerziehender Mütter angeht… Wir werden uns bestimmter Probleme bewusst, wir beschäftigen uns mit Problemen. So tragisch das ist, mit diesem ganzen Wust, das ist der Positive Teil. Ich denke, wir rücken deutlich zueinander und alle, denen das nicht passt, denen das unangenehm ist, die versuchen das nicht stattfinden zu lassen.
Es ist noch früh im Jahrhundert, aber ich glaube, in den nächsten 10 Jahren wird das weiter so gehen. Denn die Welt ist offen, wir nehmen viel mehr wahr von anderen Menschen und wir haben auch viel mehr Interesse an anderen Menschen. Das muss man ja auch mal klar machen: In Deutschland herrscht nicht ein rechter Geist. Sondern die Menschen sind den Geflüchteten entgegen gegangen, sie kümmern sich um die seit Jahren, ich glaube, das darf man nicht unterschätzen. Man redet ständig nur von dem Gespucke der Rechten im Netz – das ist eine pöbelnde Mikro-Einheit, der Rest ist offen, aufgeklärt und humanistisch.

Allein das neue Album hat 16 Texte. Mit welcher Methode merkst du dir die Texte für die Live-Performance?

Grönemeyer: Die Texte in der ganzen Komplexität und Masse ist schwierig. Ich habe ein relativ photographisches Gedächtnis, ich habe aber auch Lieder wie „Mensch“, wo jeder Chorus verschieden ist. Den Song kann ich bis heute nicht, das gleiche bei „Morgen“, da habe ich jeden Chorus anders geschrieben, da stolpere ich und warte eine Millisekunde ab, was das Publikum singt und dann hake ich mich ein (lacht). Das habe ich perfektioniert. Ich habe ab und zu Lücken, aber generell geht das noch ganz gut.

Wann entsteht so ein Album-Titel wie „Tumult“? Am Anfang oder erst am Ende, wenn alle Lieder feststehen?

Grönemeyer: Ich habe immer schon ganz gerne einen Titel, dann hat das schon mal so… Ich setze mir immer so ein Thema, darauf versuche ich dann hin zu arbeiten. Das ist ganz hilfreich. Ich brauche ein Thema und dann arbeite ich dem Thema zu, das hilft mir sehr, das ist wie so ein Rahmen. Der Titel stand also schon relativ früh.

Sie beschreiben in den Texten die Situation in Deutschland. Sind Sie angesichts der derzeitigen Entwicklung glücklich oder unglücklich darüber, dass Sie – soweit ich richtig informiert bin – Ihren Wohnsitz in England haben?

Grönemeyer: Das ist eine schöne Frage, weil speziell die rechte Presse das immer gerne erwähnt. Ich wohne sein neun Jahren in Berlin. Das habe ich nicht jedem auf die Nase gebunden, weil das ganz angenehm ist. Ich zahle auch mein Leben lang Steuern in Deutschland, selbst zu der Zeit als ich in England gewohnt habe, dort habe ich bis 2009 gewohnt. Ich lebe in Berlin seit neun Jahren und bin mir relativ klar darüber was hier gerade läuft. Aber ich bin jetzt nicht so öffentlich, dass ich meine, wenn ich zurückkomme, alle Zeitungen anrufen zu müssen um mitzuteilen, dass ich hier wohne. Es gab auch einen sehr beliebten Freund, ein Journalist, der meine private Londonder Adresse auf seinem Twitter-Account veröffentlicht hat. Ich bin ganz froh, dass ich meine Ruhe habe, freue mich auch sehr, schon lange wieder in Deutschland zu leben. Ich zahle hier Steuern und das auch nicht zu wenig.

Sie sind der erfolgreichste deutsche Pop-Künstler, Sie könnten sich auch zurückziehen in die Hall of Fame der Pop-Legenden. Was treibt Sie an? Ist es die politische Situation? Ihre Kreativität?

Grönemeyer: Naja, nur weil man schon 60 Jahre lang geküsst hat hört man nicht auf zu küssen, hoffe ich. Ich glaube, das hat damit nichts zu tun. Es treibt einen einfach, weil man Musik machen will und muss. Es gibt den wunderbaren Film „Buena Vista Social Club“, da war einer der Musiker 96 Jahre alt. Ich werde so lange weiter machen und nerven, oder auch schlechte Platten veröffentlichen, bis ich das Gefühl habe: jetzt bin ich nur noch peinlich. Für mich selber mache ich das gerne, ich stehe gerne auf der Bühne, ich singe gerne, das ist das ultimative Glücksgefühl. Und so küsse ich auch. Ich freue mich über jeden Kuss, der sitzt, da denke ich ‚du lebst‘.
Die Außenbetrachtung ist eine völlig andere als meine Innenansicht: ich bin unsicher, ich bin nervös, wenn ich Platten mache, der Druck ist fast unerträglich, aber das dann fertiggestellt zu haben, etwas hingekriegt zu haben, und das dann auch noch live zu spielen und dann vielleicht noch Glück zu haben, dass das jemand anderer das gut findet – das ist ein herrlicher Antrieb. Auf der Bühne zu stehen, wenn die Leute einem zuwinken, das ist das größte Glücksgefühl. Ich weiß nicht, ob Sie beim Radio sind oder bei der Zeitung: Ich glaube, es klatscht keiner wenn Sie morgens kommen. Wenn die Leute klatschen würden, würden Sie jedenfalls noch nicht in den Ruhestand gehen.
Es ist eine komplizierte Frage: Der Erfolg macht die Selbstzweifel eher stärker, weil man sich fragt, ‚bist du jetzt auch saturiert, wiederholst du dich, findest du dich inzwischen selbst besonders‘ – man findet sich, um so älter man wird weniger doll.

Wann sehen Sie sich selbst am Ähnlichsten, wie in Ihrem Text von „Sekundenglück“ beschrieben?

Grönemeyer: Wenn mich mal jemand plötzlich anguckt, anlächelt, ich eine Überraschung erlebe… Oder es passiert mal gar nichts und ich merke, ich bin glücklich, selbst wenn der Tag bis dahin furchtbar war. Ich glaube, das geht uns allen so, das ist auch die Würze vom Leben, dass es kurze aufblitzende Momente gibt, wo man denkt, ich existiere und ich bin mit mir im Reinen, für eine kurze Zeit.

goeenmeyer-__-tumult-cms-sourceWie schaffen Sie es, dass Ihre Texte nicht abrutschen ins Kitschige?

Grönemeyer: Grundsätzlich habe ich vor Kitsch nicht so viel Angst. Meine Mutter kommt aus Estland, meine Vorfahren mütterlicherseits aus Russland, ich habe auch einen gewissen Hang dahin, das merkt man auch an meinen Chören. Aber es ist immer die Frage: Wo hört man auf? Ich glaube, dass man sich dem Kitsch schon nähern sollte, das ist nicht falsch. Ich bin schon auch sehr gefühlvoll, trotz des protestantischen Westfalen. Auch meine Musik ist sehr gefühlvoll, deswegen müssen meine Texte immer einen gewissen Bruch haben, sonst kann das überschwappen. Ich schreibe sehr melodische Songs und dann muss der Text immer wieder kurz mal was brechen, dass man denkt: Huch! Bei Sekundenglück zum Beispiel die Zeile „leider gibt es auch kein Problem“, wo der Hörer erstmal irritiert ist. Das ist ganz gut, da kann man danach wieder etwas Weiches nachliefern.

Der Musikpreis Echo wurde abgeschafft. Wonach sollte mach bei einem neuen Musikpreis die Künstler auszeichnen? Weiterhin nach Verkaufszahlen oder sollte man die Musiker eher nach Qualität auszeichnen?

Grönemeyer: Ich bin ja schon länger in dieser Branche. Es gab in den 80ern Preise, die habe ich nie angenommen [schlecht verständlich] Ich habe gesagt, man sollte das ganze doch kleiner machen in einem kleinen Theater, feiner, mehr Kritiker-bezogen, so ein bisschen wieder Mercury Musik Award. Und dann hat man den ersten Echo in der Kölner Flora gemacht, in einem kleinen Raum. Queen war damals da, alles war sehr fein und klein. Ich glaube, auch in Deutschland täte es gut, wenn man einen kleinen Preis macht, in einem kleinen Rahmen und das auch ganz stark kritiker-Bezogen macht. Das nur zu machen, um den Verkauf zu pumpen, führt zu nichts, ist auch für die Szene nicht gut. Ich finde, es haben auch Menschen einen Preis verdient, wie zum Beispiel Balbina oder Kettcar, die vielleicht nicht so viel Platten verkaufen, aber für die Sprache und die Szene unheimlich viel tun. Ich denke, das wäre gut, wenn man eine Mischung hinkriegt. Nur über Verkaufszahlen, da kommt man irgendwann nicht mehr weiter, da kriegen immer die gleichen Leute die Preise und das hilft niemandem. Es müsste eine gute Mischung sein, man müsste eine Jury miteinbeziehen. Einer bekommt vielleicht auch einen Preis weil er viel verkauft hat. Aber der Rest, also es sollte nicht in jeder Kategorie darum gehen, wer die meisten Platten verkauft hat, das erzählt ja auch nicht so viel über die Qualität.

Haben Sie dieses Jahr mit dem Gedanken gespielt, wie andere Musiker Ihre Echos zurück zu gegeben?

Grönemeyer: Ich fand den Vorgang kompliziert. Ich habe das nicht ganz mitgekriegt. Ich hätte es merkwürdig gefunden, die Echos da hinzuschicken, ich weiß auch gar nicht, wo die sind, wenn ich ehrlich bin. Ich glaube, es war eher fatal: Weil einerseits haben sich die beiden vorher entschuldigt, das ist nur in der Presse nicht durchgegangen. Auch an dem Abend vorher gab es glaube ich ein klares Statement von den beiden Jungs. Und dann ist das… ich glaube, es war sicherlich nicht besonders klug, denen dann auch einen Preis zu geben. Das war sicherlich fatal. Gleichzeitig tut es dem Preis wirklich gut, wenn man ihn überdenkt, sich zusammensetzt und überlegt, wie konzipieren wir den neu, wie passen wir ihn auch der Szene an. Dass das eben nicht so bombastisch ist, sondern wieder einen Tick feiner wird und präziser.

5 Kommentare zu “In Deutschland herrscht nicht ein rechter Geist.”

  1. Rrrrrr |

    Würde es der respekt nicht gebieten, „herbert“ nicht einfach so zu dutzen?
    hat er dem zuugwstimmt?

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  2. Süßes Bärli (RBB-Netz) |

    Bin auch schockiert, was die Moderation dieser Kommentarspalte betrifft

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  3. wolfgang fubelkoma |

    Gröhlemeier grabe Dich in London ein und fange an zu üben,vieleicht kannst Du ja dann eines Tages wiklich singen.
    Wie hast Du das nur geschafft mit dieser stotterei geld zu machen?

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    1. Frank Teichert |

      Weshalb werden solche unsäglich dummen und beleidigende Beiträge eigentlich veröffentlicht?
      Dies dient nur der Förderung von Niveaulosigkeit und Intoleranz.
      Verfasser sind ohnehin zumeist frustrierte Männer,die selbst nie etwas
      Gescheites auf die Reihe gebracht haben,was ihren Geltungsdrang halbwegs in erträgliche Bahnen gelenkt hätte.
      In diesem Sinne:Gute Besserung Herr Fubelkoma.

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      1. wolfgang fubelkoma |

        Na Ja Herr Teichert

        Unsäglich dumm und beleidigend?
        Niveaulosigkeit und Intoleranz?
        Einen „Künstler“ Gut oder schlecht zu finden ist Ansichtsache.
        Die steht Jeden frei zu äussern, auch auf die Gefahr hin bei einigen
        Zeitgenossen einen Brechreiz zu provozieren.
        Ich bin das gewohnt hart angegangen zu werden,da ich mein Leben
        auch der Kunst verschrieben habe ,hart einstecken muß und bisweilen hart austeile. “ Gescheites auf die Reihe gebracht“ habe ich ne ganze Menge, desshalb hat sich das mit den „Geltungsdrang“ auch
        erledigt! Mit solchen Patienten ,wie Sie, habe ich eigendlich keine
        ernsthaften Probleme. Ich hör mir das an, und Gut ist!

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