Hellmuth Karasek

Das digitale Medium ist mir unendlich fremd.

Hellmuth Karasek über die Digitalisierung, Literatur im TV, seinen Verlagswechsel und warum er heute mit der Hand schreibt

Hellmuth Karasek

© Christian Geisler

Herr Karasek, was ist Ihnen eigentlich lieber, Interviews führen oder geben?
Hellmuth Karasek: Gute Frage… ich glaube, ich gebe lieber welche. Da bin ich jemandem ausgeliefert und muss nicht schon vorweg selber nachdenken.
Ich habe natürlich in meiner „Spiegel“-Zeit sehr viele Interviews geführt, von denen einige auch Folgen hatten – Woody Allen, Billy Wilder oder Steven Spielberg zum Beispiel. Da war der „Spiegel“ ein solcher Türöffner, dass man auch über das Interview hinaus etwas behielt oder weiterverfolgte. Es gab aber auch Interviews, die ziemlich folgenlos blieben.

Zum Beispiel?
Karasek: Robert de Niro. Ein Schauspieler, den ich wahnsinnig geliebt habe, der im Interview für mich aber völlig unergiebig war.
Das war 1980 auf der Berlinale, als er den Boxer-Film „Raging Bull“ vorstellte. Er hatte sich dazu eine Wampe angefressen und danach wieder abgenommen. Damals sind wir gemeinsam nachts durch Berlin gezogen, in die Paris Bar usw. – aber niemand hat ihn erkannt, weil er so ein Chamäleon-Schauspieler war. So hatten wir unsere Ruhe, das war auch schön. Trotzdem habe ich beim Interview keinen Weg durch seine Austern-Schale gefunden.

Mit was für einer Technik haben Sie damals in der „Spiegel“-Redaktion gearbeitet?
Karasek: Mit der Schreibmaschine. Wir durften ja nicht an die neuen Geräte. Infolge der Streiks der IG Druck und Papier wurde damals die Existenz bestimmter Berufe garantiert, das waren bei uns die Setzer, Drucker und Sekretärinnen. Wir durften also nicht an die Laptops, sonst hätten wir den Sekretärinnen das Brot weggenommen.
Ich habe dann irgendwann mit der Schreibmaschine aufgehört, als die Apparate halbelektrisch wurden und rot und grün aufleuchteten. Ich habe es nicht mehr ausgehalten, wenn ich jedes Mal „druch“ statt „durch“ tippte, oder „dei“ statt „die“. Diese Dreher, welche die Schreibmaschine bei mir erzeugte, sahen so hässlich aus. Da habe ich wieder angefangen, mit der Hand zu schreiben.

Bis heute?
Karasek: Ja, ich schreibe immer noch mit der Hand. Meine Sekretärin überträgt das dann in den Laptop.

Sie selbst haben sich nicht irgendwann an den Laptop rangetraut?
Karasek: Doch, rangetraut schon. Ich habe jetzt auch ein Ipad, weil meine Frau zu mir gesagt hat, das sei idiotensicher. Jetzt kann ich damit am Wochenende die Fußballergebnisse anschauen oder die ägyptische Revolution in entscheidenden Phasen verfolgen. Es gibt aber auch Situationen, wo ich dann nicht weiterkomme mit dem Gerät.

Dass heißt, so richtig Einzug hat die ganze technische Entwicklung bei Ihnen nicht gehalten.
Karasek: Nein. Ich habe ja gerade den zweiten Band der Reihe „Briefe bewegen die Welt“ im TeNeues Verlag herausgegeben. Dafür wähle ich Briefe großer Persönlichkeiten aus, die dann als Faksimile zu sehen sind, im ersten Band beispielsweise ein Briefwechsel zwischen Heuss und Adenauer über die Nationalhymne oder ein Brief von Brecht, der in der DDR um Radeberger Bier bittet, das eigentlich nur für den Export bestimmt war.
Als der Band dann besprochen wurde schrieb ein Kritiker, ich sei der letzte analoge Mensch. „In einem digitalen Zeitalter ist der Karasek noch nach Briefen verrückt“ usw. – Das mag so sein, ich gehöre noch zu einer analogen Generation und das digitale Medium ist mir unendlich fremd. Ich sammle Lexika, weil ich lieber in Lexika nachschlage als in Google. Dafür bräuchte ich dann meine Frau oder meinen Sohn, die sind dann aber vielleicht gerade nicht da…

Die meisten Journalisten sind heute auf das Internet als Recherche-Hilfsmittel angewiesen.
Karasek: Ich greife auf andere Techniken zurück, ich gucke im Duden, wie sich ein Wort schreibt, oder ich schlage etwas im Brockhaus, im Meyer oder in der Encyclopedia Britannica nach.

Sie schreiben Zeitungskolumnen für die Berliner Morgenpost und das Hamburger Abendblatt, die nun auch gesammelt als Buch erscheinen. Herr Karasek, warum braucht es Ihre Kolumnen in Buchform?
Karasek: Ich mache Lesungen damit. Da sind immer volle Häuser.

Was ja aber mit dem gedruckten Buch erst mal nichts zu tun hat. Wozu die Buchform?
Karasek: Also, es gibt eine ganze Lesekultur, noch. Ich verdanke diese gut besuchten Lesungen natürlich einem illegitimen Argument, nämlich, dass mich viele Leute vom Fernsehen her kennen und weniger als Buchautor. Das mischt sich auf eine seltsame Weise, aber die Lesungen sind dann immer voll.

Dafür würde ein Ebook doch aber genauso reichen.
Karasek: Nein! Die Leute wollen ja nachher in Schlangen Bücher signiert haben. Also, das geht nicht mit digital.

Einverstanden. Was fehlt dem Leser noch ohne gedruckte Buchseiten?
Karasek: Mir fehlt eine in Fleisch und Blut übergegangene Gewohnheit. Ich könnte zum Beispiel die Zeitung, für die ich schreibe, auch auf dem Ipad lesen. Aber mir ist in Fleisch und Blut übergegangen, dass ich jeden Morgen ein bis zwei Stunden Zeitung lese. Weil ich anders die Neuigkeiten gar nicht aufnehmen kann.
Ich denke auch, dass das digitale Lesen sehr viel schneller ermüdet. Und ich weiß, dass Redakteure, die in neuen Großraumbüros vorwiegend digital arbeiten, sehr viel mehr Rücken- und Augenprobleme haben als die Leute früher. Es strengt ja wahnsinnig an, ich könnte am Bildschirm keine 100 Seiten lesen, auch mit dem Ipad nicht.

Sind Sie denn der Meinung, dass wir – entgegen dem Trend – an der Buchform auch in Zukunft festhalten sollten?
Karasek: Ich denke nie, „wir sollten“. Die Entwicklung zwingt uns zu dem, was wir machen. Man kann sich natürlich aus der Entwicklung zurückziehen. Es gibt inzwischen sehr viele Leute, die sich wieder exquisit teure Grammophone und Schallplattenspieler kaufen. Oder nehmen wir meine Lexikasammelei. Aber das ist eigentlich ein elitärer Quatsch gegenüber der Entwicklung. Ich kann das noch benutzen, meine Kinder werden das aber zum Verramschen wegtragen, wenn ich tot bin, weil sie das genauso gut bei Google bekommen.

FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher hat in seinem Buch „Payback“ beschrieben, wie der Umgang mit digitalen Medien unsere Aufmerksamkeit und unsere geistigen Fähigkeiten verändert. Er zitiert u.a. Studien aus den USA, die belegen, dass die Zahl von College-Absolventen, die komplexe Texte erfassen können, seit den 90er Jahren zurückgeht. Bereiten Ihnen solche Beobachtungen Sorge?
Karasek: Nein. Ich habe einen Lieblingssatz von Musil über den Fortschritt. Der sagt: Beim Fortschritt geht ein Bein voraus und eins bleibt immer zurück. Als Beispiel führt er die Post an: „Früher waren die Postverbindungen schlechter, dafür sind bessere Briefe geschrieben worden.“ So einfach ist das.

Welche Vorzüge bietet für Sie die Digitalisierung?
Karasek: Zum Beispiel, dass es früher mehr Analphabeten gab als heute. Das steht fest. Die Digitalisierung hat nicht etwa zu mehr Analphabetismus geführt, wie das schon beim Fernsehen befürchtet wurde, sondern im Gegenteil: Du musst die Schrift und die Sprache beherrschen, um damit umgehen zu können. Vielleicht nur minimal, vielleicht nur mit Denglisch oder Basic Englisch, aber du musst sie beherrschen.

Ist das Wesen der Literatur für Sie trotzdem mit dem gedruckten Buch verbunden?
Karasek: Nein, das Wesen der Literatur war vor der Erfindung des Buchdrucks auch nicht damit verbunden. Damals sind große Lyriker noch wie Popsänger aufgetreten. Die Leute haben Handschriften gelesen, manche haben gar nix gelesen und die Dichter hießen Sänger.

Der Verleger Vito von Eichborn sagte uns im Interview: „Das Lesen von gedruckten Büchern wird zu einer Nische“. Sehen Sie das ähnlich?
Karasek: Ja. Wobei ich glaube, dass das Lesen von gedruckten Büchern immer eine Nische war. Denn die meisten Leute haben von 6 Uhr morgens bis 12 Uhr nachts entweder in der Fabrik oder auf den Feldern gearbeitet, sind dann todmüde ins Bett gefallen und hatten nie Zeit, ein Buch in die Hand zu nehmen.

Ein Nischendasein führt die Literatur bereits im Fernsehen. Können Sie erklären, warum sie in diesem Medium heute so wenig präsent ist?
Karasek: Ich denke, das Fernsehen spielt heute insgesamt eine geringere Rolle. Meine Frau hat mir neulich erzählt, wie in ihrer Redaktion nach einer bestimmten Fernsehsendung gefragt wurde – aber von 16 Redakteuren hat niemand mehr ins Fernsehen reingeguckt.
Dafür gibt es inzwischen Literaturrezensionen im Internet, von Leuten, die eigentlich gar nicht dazu berufen sind, die anderen Lesern ihren Eindruck mitteilen. Und ich muss sagen: Die klügste Besprechung über mein Buch „Süßer Vogel Jugend“ habe ich im Internet von einem Unbekannten gelesen.

Die Aufbereitung im Fernsehen ist Ihrer Meinung nach gar nicht mehr notwendig?
Karasek: Das würde ich so sagen, ja.

Zitiert

Es gibt sehr viele Leute, die sich wieder exquisit teure Grammophone kaufen. Oder nehmen wir meine Lexikasammelei - aber das ist eigentlich ein elitärer Quatsch.

Hellmuth Karasek

Das überrascht mich.
Karasek: Ich muss gestehen, dass ich die Sendung von Ijoma Mangold und Amelie Fried nicht einmal gesehen habe. Frau Heidenreich habe ich am Anfang sehr viel gesehen, später immer weniger. Sie müssen das jetzt aber auch im Verhältnis dazu sehen, dass ich langsam sehr alt werde und damit an bestimmten Dingen das Interesse verliere, ich bin da kein typischer Zeitgenosse.
Meine Hauptvermittler für Bücher sind Zeitungen, obwohl die Literaturteile am Wochenende bis auf ganz wenige abgeschafft worden sind. Dafür gibt es jetzt bei manchen Zeitungen tägliche Literaturseiten.

Sie haben im Literarischen Quartett oft über sehr anspruchsvolle Literatur diskutiert – wie stehen Sie dazu, dass die Bestsellerlisten heute von Fantasy und Krimis dominiert werden?
Karasek: Ich hatte mit der „Spiegel“-Bestenliste ja sehr viel zu tun, weil ich 22 Jahre Kulturchef beim „Spiegel“ war. Zuerst einmal haben wir gesagt: In unsere Bestenlisten kommen keine Rechtschreibelehrbücher oder Handwerksgebrauchanweisungen. Das ist ja schon eine Art Zensur, denn wenn man die wirklich meistverkauften Bücher nimmt, sind das ganz andere als man vermutet.
Dann haben wir gesehen, dass bei der Belletristik auf den ersten zehn Plätzen nur Publikumsrenner wie heute Rowling oder die Vampirromane standen – also haben wir die Listen noch um ein paar Plätze verlängert, um der Belletristik eine Chance zu geben. Dann haben wir zusätzlich die Art der Erhebung verändert…

…alles mit dem Ziel, anspruchsvolle Literatur in die Liste hineinzubekommen?
Karasek: Ja, natürlich. Man hat dann ausgewählte Buchhandlungen gefragt, was natürlich auch Anlass für Manipulationen war.

Inwiefern?
Karasek: Also, überspitzt dargestellt hat der Buchhändler dann zur Volontärin gesagt: „Guck mal, wir haben hier einen Stapel Günter Grass liegen, kannst du den nicht in die Liste setzen, damit er sich verkauft?“ – Inzwischen weiß man, wie Thalia da wirklich vorgeht. Du kannst dir den Bestsellererfolg kaufen, in dem du die Titelseite der Thalia-Zeitschrift kaufst. Da gibt es heute unendlich viele Manipulationen und Mittel.

Aber kommen wir nochmal zurück zur Dominanz von Krimi und Fantasy…
Karasek: Ich habe darüber neulich mit meinem Sohn diskutiert, der sagte zu mir: „Geh mal in eine „Herr der Ringe“-Verfilmung rein, das sind wirklich gute Filme.“ Also, ich kann damit nichts anfangen. Allerdings, wenn Sie es genau nehmen, ist „Gullivers Reisen“ ja auch ein Fantasy-Roman. Und das ist das wichtigste Buch, das ich je in der Hand gehabt habe, ein satirischer Spiegel der Wirklichkeit.
Oder nehmen wir Dürrenmatt: „Besuch der Alten Dame“ oder „Die Physiker“, das war hochstehende Literatur mit einem Wahnsinns-Anspruch der Weltdeutung. Doch für mich ist heute das Beste von Dürrenmatt die Verfilmung „Es geschah am helllichten Tag“ mit Heinz Rühmann, ein Krimi über einen Kindermord, in einer Schweizer Gegend.

Im „Literarischen Quartett“ wurde teilweise sehr harte Kritik an Bücher und Autoren ausgesprochen. Wie sind Sie damit umgegangen, wenn eines Ihrer Bücher so harsch kritisiert wurde?
Karasek: Da muss ich sagen: Im Fall meiner Bücher war das immer tiefste Ungerechtigkeit, falscher Neid und Missgunst – wie Kollegen halt so sind. Das dürfen Kollegen aber auch von mir denken, wenn ich ihre Bücher verreiße. (lacht)

Wenn also die Zeit 2001 über ihr Buch „Der Betrug“ schrieb, es sei eines der „schlechtest geschriebenen ernst genommenen Bücher der Saison“, dann war das Neid und Missgunst unter Kollegen?
Karasek: Ja, das war es in diesem Fall. Das hat sich dann aber mit den guten Kritiken im „Spiegel“ oder in der FAZ wieder ausgeglichen.

Die Kritiker der Elche waren früher selber welche. Trifft der Satz auf Sie zu?
Karasek: Lassen Sie mich mal von mir absehen. Es gibt sehr wichtige deutsche Kritiker, die gleichzeitig auch Autoren gewesen sind, Reinhard Baumgart zum Beispiel oder Dieter Wellershoff.
Ich denke, dass diese Berufe immer ineinanderübergegangen sind. Goethe und Schiller waren Kritiker, die haben Kollegen sehr gnadenlos, oft auch falsch kritisiert – und sie haben selber geschrieben. Also, ob man darüber schreibt, dass jemand in einem Roman eine Eisenbahn beschreibt oder diese Eisenbahn selber beobachtet, der Unterschied hält sich in Grenzen. Das eine ist eine vermittelte das andere eine unvermittelte Eisenbahn.

Sie schreiben Ihre Beobachtungen heute in Kolumnenform auf.
Karasek: Ja, die Kolumnen sind eine angenehme Begleiterscheinung. Ich fühle mich auch wohl in der Gesellschaft von Kollegen wie Harald Martenstein oder Axel Hacke.

Sie waren beim „Spiegel“, bei der „Zeit“ und beim „Tagesspiegel“, heute schreiben Sie für den Springer-Verlag. Hatten diese Wechsel auch politische Gründe?
Karasek: Also, vom Spiegel bin ich aus keinerlei politischen Gründen weggegangen, sondern das hatte damit zu tun, dass man mir unterstellte ich sei bei einem Text zu Helmut Dietls Film „Rossini“ korrupt geworden. Der Film ist dann später im Spiegel genauso besprochen worden, wie ich das vorgehabt hatte, aber da war der Augenschein gegen mich und das war ok.
Ich war sehr gerne als Herausgeber beim Tagesspiegel, die Kollegen dort waren auch wahnsinnig nett zu mir. Aber dann kam der Punkt, als ich Schröders Abwendung von der Bush-Politik nicht nachvollziehen konnte. Mich hat niemand gehindert, das im Tagesspiegel zu schreiben, aber die Kollegen guckten mich an, nach dem Motto „Er ist so ein kluger Kerl wenn er über Bücher und Theater schreibt, warum macht er das jetzt?“ Es tat denen weh, obwohl sie mich sonst mochten.

Also wechselten Sie zu Springer.
Karasek: Ich hatte schon immer eine Anfrage von Mathias Döpfner. Zugesagt habe ich dann in einem Moment als ich sah, wie auf einer Demonstration Bush-Puppen verbrannt wurden und sich Bundestagspräsident Wolfgang Thierse danebenstellte. Da habe ich zu Döpfner gesagt: Ja, ich komme gerne zu ihnen.

Das heißt, die politische Ausrichtung des Verlags spielte durchaus eine Rolle.
Karasek: Ja, das spielte eine große Rolle. Mir missfällt heute einfach diese Selbstzufriedenheit der so genannten Linken, dass sie die guten Menschen sind. Wenn ich Herrn Trittin bei Atomprotesten höre, da wird mir ganz schlecht dabei. Oder bei Stuttgart 21 – es ist alles so falsch!
Ich habe einen Bruder gehabt, der war zu Beginn der 80er Jahre Dorfschreiber der Gegner der Startbahn-West in Frankfurt. Die haben damals ein Dorf besetzt, damit der Wald nicht für die neue Startbahn abgeholzt wird, mein Bruder hat dort in den Wäldern gehaust. Im Nachhinein denke ich: Das war ein solcher Tinnef! Der Wald ist nicht gestorben, Frankfurt brauchte das wirtschaftlich – und dafür sind 20 Jahre ins Land gegangen, Polizisten haben Demonstranten verletzt, Polizisten sind gestorben. Also, ich habe vieles erlebt, was so unsinnig war.

Der Wechsel der Redaktionen spiegelt in gewisser Weise also auch den Wandel Ihrer politischen Einstellung wider…
Karasek: Ja. Das hat aber auch etwas mit dem Alter zu tun. Ich habe schon bei der Stuttgarter Zeitung von meinem damaligen Herausgeber den Satz übernommen: „Wer mit 20 Jahren kein Kommunist ist, hat kein Herz, wer mit 30 Jahren noch Kommunist ist, hat keinen Verstand.“

Schreiben Sie heute eigentlich auch für die „Bild“?
Karasek: Ja, ab und zu.

Wie denken Sie über die Kritik an der „Bild“-Zeitung, die es bis heute gibt?
Karasek: (überlegt) Die „Bild“-Zeitung ist für mich ein Medium, das ich so ernst nehme, wie ich Stefan Raab ernst nehme. Ich würde nie eine politische Entscheidung nach „Bild“ treffen, aber ich lese gerne, was da drin steht.

Könnten Sie ungefähr einschätzen wie viel Prozent der „Bild“-Leser über die Zeitung so denken wie Sie?
Karasek: Ich nehme an, dass die „Bild“-Zeitung generell mehr in Anführungszeichen gelesen wird.

Sie waren vor drei Jahren zur „Blattkritik“ bei der „Bild“-Zeitung. Günter Wallraff beschrieb Ihren Auftritt damals mit den Worten: „Wie er sich auf der Überholspur durchschleimt, ist unfassbar. Da biedert er sich beim „Bild“-Chef an (…) Der Professor katzbuckelt und bedankt sich artig.“
Karasek: Tja, wenn er das so sieht…
Ich habe Kai Diekmann auf Umwegen kennen gelernt, schon bevor ich bei Springer war. Ich habe mal im Zug Katja Kessler getroffen, deren Bildunterschriften habe ich immer gerne gelesen, das war so eine Verhöhnung der Männer-Phantasien. Später habe ich dann ihren Preis für Lebensfreude verliehen, da hatte ich noch nichts mit „Bild“ zu tun.
Kai Diekmann war übrigens mein Nachbar in Eppendorf, ich wohnte zwei Häuser weiter und bin abends eingeladen gewesen – ich kann gegen ihn nichts sagen, er ist ein sehr sympathischer und kluger Mensch.

Wie haben Sie denn die „Bild“-Blattkritik erlebt?
Karasek: Also, ich habe nicht geschleimt.

Ich glaube, Ihre härteste Kritik war, dass in einem Artikel über gesunde Fette vergessen wurde, Pflanzenöl zu erwähnen. Gibt es heute Formen der Berichterstattung bei „Bild“, die Ihnen ein schlechtes Gewissen machen?
Karasek: Nein. Kein schlechteres als wenn ich Thomas Steinfeld in der Süddeutschen oder Patrick Bahners in der FAZ lese.

Sie haben einmal gesagt „Das Schreiben ist schön, wenn man es hinter sich hat.“ Heißt das, dass Sie während des Schreibens keinen Spaß daran haben?
Karasek: Naja, es gibt zu viele Unsicherheitsfaktoren. Die Schreibensängste sind sehr groß, die haben mich nie verlassen. Am Tag der Abgabe wache ich manchmal morgens um 4 Uhr auf und denke: Ich kriege die nicht zustande.

Dabei würde Ihnen doch heute niemand mehr eine schlechte Kolumne übel nehmen.
Karasek: Ich mir selbst aber.

Können Sie zum Schluss noch eine Figur aus der Literatur nennen, in der Sie sich wiederfinden?
Karasek: Schwejk. Weil er ein Mensch ist, der die Welt durch Anpassung ad absurdum führt. Der scheinbar alles willig erfüllt was sie von ihm verlangt und sie dadurch lächerlich macht.

[Das Interview entstand im Februar 2011.]

Ein Kommentar zu “Das digitale Medium ist mir unendlich fremd.”

  1. BloodyFox |

    Wow

    Das ist ja echt unglaublich, wie er über die Bild denkt… dass die in Anführungszeichen gelesen werden würde, obwohl so viele „renommierte“ Medien jeden Tag irgendwelche Bild-Meldungen ungeprüft weiterverbreiten und genug Menschen immer noch die Bild-Propaganda glauben. Wie man so blind sein kann mit so einem Intellekt, einfach unfassbar.

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