Heinz Rudolf Kunze

Ich habe mir gedacht: „Protest“, das ist so ein Wort, das kann man mal wieder positiv einsetzen.

Heinz Rudolf Kunze über Protest- und Liebeslieder, Texte wie 'Schlamm', elitäre Hardcore-Fans und das literarische Ich

Heinz Rudolf Kunze

© Martin Huch

Herr Kunze, wo haben Sie die Operette "Das Land des Lächelns" zum ersten Mal gehört?
Kunze: Sie meinen, weil ich aus ihr die Zeile "Dein ist mein ganzes Herz" geborgt habe?

Ja. Werden Sie nicht gerne auf Ihren größten Hit angesprochen?
Kunze: Nur dann nicht, wenn die Menschen mich darauf reduzieren. Aber es wäre sehr undankbar, dieses Lied zu verteufeln. Ich weiß nicht, ob meine Karriere sonst weitergegangen wäre. Damals, Mitte der achtziger Jahre, lief mein erster Plattenvertrag gerade aus. Da kam der Hit gerade recht.

Der Operette sei Dank.
Kunze: Mein Vater war ein theaterbegeisterter Mann und hatte ein Abo in Osnabrück. Er hat mich als Kind immer mitgeschleppt, auch in Franz von Lehars "Land des Lächelns". Ich fand Operette aber nie besonders aufregend, eher kitschig und musikalisch unangenehm.

Ist "Dein ist mein ganzes Herz" von diesen Kindheitserlebnissen inspiriert?
Kunze: Das kann ich nicht ausschließen. Ich weiß nicht mehr so genau, was ich mir damals gedacht habe. Ich wollte ein Liebeslied mit Augenzwinkern schreiben und mir fiel für die Titelzeile nichts Besseres ein als dieses Operettenzitat. In dem Alter tut man sich ja auch mit großen Bekenntnissen etwas schwer, man findet so was eher pathetisch. Also habe ich lieber Lehar zitiert, ganz korrekt. Wir haben bei seinen Erben nachgefragt und die haben uns diese Verpoppung gestattet.

Welche Musik fanden Sie denn gut als Kind?
Kunze: Ich habe sehr früh angefangen, mich für Rockmusik zu interessieren. Als ich elf Jahre alt war, hat mir meine Oma "Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band" von den Beatles geschenkt. Meine westliche Oma. Das hat mich fasziniert, die Melodie, die Sprache, obwohl ich noch gar nicht richtig englisch konnte.

Sie hatten also auch eine Oma im Osten?
Kunze: Ja, die wohnte direkt an der Stadtgrenze zu Berlin, in Schöneiche. Das war ein ganz wunderbar in der Zeit zurückgebliebenes Dörfchen mit Kopfsteinpflaster und Gaslaternen. Ich bin als Kind praktisch in allen Oster- und Herbstferien dort gewesen. Meine Oma und ich sind dann reingefahren nach Karlshorst und andere östliche Bezirke, und sie hat mir immer Spielzeugsoldaten gekauft.

Sie haben über zwei Dutzend Platten veröffentlicht, Ihre letzte vor wenigen Monaten. Welche Bedeutung hat ein neues Album noch für Sie?
Kunze: Die gleiche wie vor zwanzig Jahren. Nur der Markt hat sich verändert. Man muss wissen, dass man, wie alle Kollegen, zwei Drittel weniger verkauft. Insofern ist das Verhältnis von Arbeitsaufwand und Ertrag nicht mehr so wie früher. Aber ich mach’s trotzdem gerne, es muss ja raus.

"Protest", heißt Ihre aktuellen Platte. Aber besonders wütend klingt sie nicht.
Kunze: Man findet auf diesem Album ungewöhnlich viel privaten Einfluss, ich habe das Leben direkt umgesetzt. Das hat ganz eindeutig mit meiner neuen Frau zu tun. Früher habe ich mich, wie gesagt, mit direkten Bekenntnissen etwas schwer getan und Liebeslieder rein erfunden. Mich freut zwar, wenn Frauen mir sagen, dass sie ein Lied sehr berührt hat, aber das war eben reines Handwerk.

Ein Lied heißt "Ich wünsche mir länger Tage mit Dir". Protest also gegen Ihre bisherige Weigerung, persönlich zu werden?
Kunze: "Längere Tage" ist einfach ein Liebeslied. Durch glückliche persönliche Umstände ist mir mittlerweile eben die Entspanntheit vermittelt worden, mir selbst auch mal ein euphorisches, optimistisches Liebeslied durchgehen zu lassen.

Nun wissen wir immer noch nicht, warum Ihr Album "Protest" heißt.
Kunze: Ich fand einfach den Titel spannend. In den Siebzigerjahren habe ich ja miterlebt, wie "Protestsänger" zum Schimpfwort wurde, weil die 68er so enttäuscht waren, dass ihre Helden mit ihrer Musik die Welt nicht retten konnten. Ich habe ja so eine masochistische Art, ich mag Wörter, die in einem schiefen Licht dastehen, die man irgendwie ausgraben und wieder beleben muss. Da habe ich mir gedacht, "Protest", das ist so ein Wort, das kann man mal wieder positiv einsetzen. Es gibt nach wie vor genug auf der Welt, über das man sich empören kann.

Allerdings relativieren Sie diesen Begriff im Begleittext zu Ihrer CD, indem Sie Bob Dylan zitieren: "All my songs are protest-songs."
Kunze: Ja, das ist eben eine weitere Definition des Wortes. Wenn Dylan sagt: "Alle meine Songs sind Protestsongs" verstehe ich ihn so: Jedes gelungene Lied ist ein Zeichen, das man gegen das Bestehende setzt. Und wenn es von Liebe handelt, protestiert es damit gegen die Lieblosigkeit in der Welt. Es muss gar nicht jedes Lied den Finger in eine öffentliche Wunde legen. Durch eine gelungene Form kann es aber immer ein Protest sein.

Das heißt, jede Äußerung, die raus muss, jede Kunst, ist als Protest zu verstehen?
Kunze: Nicht jede Äußerung. Jede gelungene Form. Eine gelungene Form liefert ein Modell, wie es auf der Welt sein könnte. Jetzt wird’s sehr Adornistisch, aber das gelingt zum Beispiel durch musikalische Schönheit, die der unschönen Welt entgegengesetzt wird.

Adornistisch? Da spricht der studierte Philosoph aus Ihnen.
Kunze: Adorno hat mich da gedanklich geleitet. Seine "Ästhetische Theorie" ist eines meiner Lieblingsbücher.

Steht Ihnen Ihre Bildung beim Schreiben von Songtexten manchmal im Weg?
Kunze: Ich glaube nicht, das macht meine Texte vielleicht ein bisschen besser als den üblichen Schlamm. Aber wenn ich texte, bin ich ein reines Instinkttier. Worte können mich einfach begeistern und mitreißen, dann baue ich eben um das erste Wort herum, was mir einfällt. Das hat nicht immer einen großen Plan. Erst wenn ich fertig bin, gucke ich, was das eventuell für einen Gehalt hat.

"Zimmer wie aus Kirchenwachs, während sie geschlagen über’n Ku’damm ziehn" haben Sie zum Beispiel gereimt auf "Regen in Berlin". Manch einer würde solche verkopften Zeilen auch als "Schlamm" bezeichnen.
Kunze: Ich weiß das. Bei meinem Material gibt es sehr polarisierte Reaktionen. Es gibt Leute, die das wirklich toll finden und Leute, die das hassen. Ich suche diese Konfrontation nicht, aber letztlich ist auch das ja ein ganz schönes Gewürz im Leben und ein Qualitätsmerkmal. Als Mensch bin ich eigentlich eher schüchtern und möchte mit allen Frieden halten.

In Ihrem neuen Lied "Astronaut in Bagdad" beschreiben Sie die Erfahrungen eines Soldaten? Sind Sie, wie etwa Ihr Kollege Konstantin Wecker, selbst in Bagdad gewesen?
Kunze: Nein. Ich gucke sehr viel Fernsehen und sehe die armen Schweine da rumtapsen in ihren Panzern, die sehen manchmal ja wirklich wie Astronauten aus, und daraus ist dann dieses Bild entstanden. Ich habe mir versucht vorzustellen, was so einer denkt, der gar nicht genau weiß, wo er da ist und gar nicht da sein will. So kann man dann auch mal mit den sogenannten Tätern Mitleid haben. Denn bei den Tätern gibt es eben auch Unterschiede. So ein Soldat, der da durch den Staub tappt und immer damit rechnen muss, erschossen zu werden, ist für mich auch ein Opfer.

Dieses solidarische Empfinden mit den Soldaten wird auch in der kritischen US-Kultur zelebriert. Aber auf uns wirkt es trotzdem wie ein unangemessener patriotischer Akt, wenn jemand wie Neil Young auf Konzerten der Soldaten gedenkt.
Kunze: Das ist unser deutsches Problem. Andere Länder haben eben ein sehr entspanntes Verhältnis zum Patriotismus, andere ein schon manchmal überdrehtes, wie die Amis. In Deutschland ist das eben nicht so einfach. Deswegen hat mir wohl mein Unterbewusstsein auch nicht eingegeben: "Landser in Kabul" sondern "Astronaut in Bagdad". Für einen deutschen Sänger ist es ja auch immer noch sehr zweifelhaft, sich mit jemandem zu solidarisieren, der "unsere Freiheit am Hindukusch" verteidigt. Das kommt mit Sicherheit in den falschen Hals.

Sie haben den Wehrdienst vermutlich verweigert?
Kunze: Das musste ich gar nicht. Ich war untauglich, weil ich als Schüler eine Knochenkrankheit im linken Bein hatte. Das war zwar nicht schön, ich musste ein Jahr an Krücken gehen. Aber es hat mir den Bundeswehr- und den Ersatzdienst erspart.

Zitiert

Wenn ich texte, bin ich ein reines Instinkttier.

Heinz Rudolf Kunze

Gehört der Wehrdienst abgeschafft?
Kunze: Das ist eine schwierige Frage. Ich glaube, dass es heutzutage unter den veränderten geopolitischen Umständen so etwas wie Wehrgerechtigkeit nicht gibt. Insofern wäre ich durchaus der Meinung, dass auch Deutschland mittlerweile gefestigt genug ist, um eine Berufsarmee zu haben. Ich kann mich mit dem Gedanken der Abschaffung der Wehrpflicht anfreunden.

Was als weiterer Beweis für Ihre Wandlung vom Linksalternativen zum Wertkonservativen gelten kann.
Kunze: Ich finde daran nichts Vorwerfbares. Das ist eine ganz gesunde Entwicklung des Älterwerdens, abgesehen davon sehe ich in den besseren Teilen der ehemaligen PDS durchaus Wertkonservative, mit denen ich sehr gut auf Augenhöhe reden kann.

Da möchten Sie Namen nennen, oder?
Kunze: Nein. Aber viele, die ihr Leben in der DDR gelebt und sich dort Mühe gegeben haben, haben nun das Gefühl, in dieser Ordnung nicht zurecht zu kommen. Ich denke nicht, dass man die alle verteufeln soll. Da kann ich in vielen Biografien etwas Würdiges und Anständiges erblicken. Mir sind eher die Leute suspekt, die sich von westlicher Seite an die ehemalige PDS angenähert haben.

Im Lied "Dagegen" singen Sie "Ihr seid der VIP-Bereich, wir dagegen sind nicht die Welt". Was hält Sie von VIP-Bereichen fern, zu denen Sie doch sicher Zutritt haben?
Kunze: Davon hält mich gar nichts fern. Man darf nicht den Autor mit den handelnden Personen in einem Lied verwechseln. Zu diesem "Wir" gehöre ich nicht.

Sie protestieren im Namen derer, die nicht wie Sie zum "Perfekten Promi-Dinner" ins Fernsehen eingeladen wurden?
Kunze: Genau. Ich kann schon hier und da rein und werde hier und da erkannt. Ich bin wohl so ein B-Promi.

Auch wegen Ihres Auftritts beim "Perfekten Promi-Dinner" scheinen Ihre Aktivitäten manchmal "ebenso vielseitig wie widersprüchlich" zu wirken. So steht es jedenfalls bei Wikipedia.
Kunze: Ich weiß auch nicht, warum sich offenbar ein paar Leute von solchen Auftritten gestört fühlen. Der einzige Grund, warum ich so etwas nicht schon früher getan habe, ist schlicht der, dass mich früher niemand gefragt hat. Ich hätte auch früher gerne ab und zu mal einfach Blödsinn im Fernsehen gemacht. Ein Journalist hat mir kürzlich gesagt: "Ja, das geht natürlich nicht, Herr Kunze. Sie haben uns, das Publikum erzogen. Wir wollen nicht sehen, wie sie öffentlich Spaß haben." Tut mir sehr leid, aber ich habe das mit dem "Perfekten Promi-Dinner" mit Vergnügen gemacht.

Sie haben nun mal eher das Image des Lehrers, der es immer ein bisschen besser weiß.
Kunze: Aber so richtig erklären kann ich mir das nicht. Da ich mich im Popbereich und nicht an der Universität bewege, mag es damit zu tun haben, dass ich eine Brille trage. Buddy Holly hat sie getragen, John Lennon durchgesetzt, Elton John trägt auch welche, aber wir Brillenträger sind in dem Geschäft immer noch die Ausnahme, die einen vielleicht automatisch als Schlaumeier stigmatisiert.

Sie haben auch in der Fernsehserie "In aller Freundschaft" mitgespielt. Sind solche Ausflüge ein Protest gegen ihr altes Image?
Kunze: So ernsthafte Überlegungen gab es da gar nicht. Ich fand das lustig und habe mich gefreut, dass ich für so was mal gefragt wurde. Da hat sich irgendwas entkrampft.

Sind Sie als TV-Prominenter mittlerweile bekannter als für Ihre Musik?
Kunze: Nie bin ich so oft angesprochen worden wie nach der Koch-Show. Die müssen eine unfassbare Einschaltquote haben. Dass dann irgendwelche elitären Hardcore-Fans die Nase rümpfen, damit muss man leben. Ich fand das einfach absurd witzig. Ich hab denen gesagt: Was wollen Sie eigentlich von mir? Ich kann doch gar nicht kochen. Als Antwort kam: Macht nichts, dann rühren sie eben nur.

Nächste Station "Dschungelcamp"?
Kunze: Das wurde mir wenig später tatsächlich angeboten. Da habe ich dann aber ohne zu zögern zurückgeschrieben: "Vielen Dank, dass Sie an mich gedacht haben. Den Part von Dirk Bach würde ich gerne übernehmen, aber in den Dreck lege ich mich nicht." Von denen habe ich nie wieder was gehört.

Im neuen Lied "Auf einem anderen Stern" bezeichnen Sie sich als "windiger Verlierer, seit Kindesbeinen". 1991 haben Sie sich in Ihrem Lied "Brille" noch als Junge beschrieben, der besser dran sei als "der Rest". Ist Ihre Selbstwahrnehmung melancholischer geworden?
Kunze: Ehrlich gesagt finde ich das Stück "Brille" auch sehr melancholisch. Erstens möchte ich hier noch mal einflechten: Vorsicht mit dem "Ich" in den Liedern. Damit bin ja nicht automatisch ich selbst gemeint. Und zweitens kann ich nicht leugnen, dass ich mich manchmal als windiger Verlierer fühle. Aber das vergeht auch wieder.

Braucht man als Texter ein literarisches Ich?
Kunze: Mir sind Leute, die ganz offensichtlich ihr Privatleben ausbreiten, einfach nur klebrig und peinlich. Das bedeutet meistens, dass sie zum Autor und Erfinder nicht taugen, dass sie keine poetische Ader haben.

Lernt man das bei Ihnen an der Fachhochschule Osnabrück, wo Sie Dozent fürs Songschreiben sind?
Kunze: Wir fahren da immer zweigleisig. Zum einen halte ich regelrechte Vorlesungen über Rockgeschichte. Da versuche ich den jungen Leuten zu erzählen, was es alles so gibt. Zum anderen machen wir aktive Schreibübungen. Wir nehmen zum Beispiel ein Gedicht von Günter Grass, das in reimloser, ungestrophter Fast-Prosa auf dem Blatt steht und bauen daraus ein singbares Lied.

Erlauben Sie noch einen Exkurs zum Thema "Deutsch-Rock-Quote".
Kunze: Ach nee, bitte nicht .

Das Thema verfolgt Sie in der Tat, seit Sie sich 1996 für eine Quote eingesetzt haben, die den Anteil deutschsprachiger Musik im Radio festlegen sollte.
Kunze: Das ist so eine blöde Aktion gewesen. Ich kann auch Fragen nicht mehr ertragen, die mit "Sie waren doch für die Quote ." anfangen. Da muss ich immer sagen: Moment. Ich sollte, darum hatten mich Kollegen gebeten, einen Beschluss von vielen, vielen Musikern öffentlich vortragen, als Klassensprecher. Ich habe intern sogar davor gewarnt, das zu machen. Ich habe gesagt: Das hat keinen Sinn, das klappt in Deutschland sowieso nicht. Es gibt nur einen Riesenärger, wir sind nicht Frankreich. Aber so sind Musiker, wenn sie sich aufregen wollen, dann richtig, auch wenn sie sich ’ne blutige Nase holen. Das Dumme ist nur, dass ich der einzige war, der die blutige Nase bekommen hat. Als es dann nämlich Ärger gab, haben mich die Kollegen im Stich gelassen.

Mittlerweile haben die großen Erfolge deutschsprachiger Bands wie Silbermond, Juli und Wir sind Helden den Ruf nach der Quote obsolet gemacht. Verspüren Sie darüber eine gewisse Befriedigung?
Kunze: Es ist doch schön, wenn ein sowieso politisch sinnloses Anliegen sich auf diese Weise erledigt. Ich muss allerdings sagen, dass ich diese heilige Trias, die da immer genannt wird, nicht so richtig wahrnehme. Die Leute in diesen Bands sind sehr viel jünger als ich, die könnten meine Kinder sein, ich bin auch nicht deren Adressat. Ich höre eigentlich ausschließlich angloamerikanische Musik. Wenn ich etwas von diesen Bands höre, dann erinnern mich die Helden doch sehr an Ideal und bei Silbermond und Juli höre ich sehr stark die frühe Nena. In meinem Alter bleibt einem als beiläufiger Hörer dann nicht erspart, sich wie in einem Revival-Karussell zu fühlen.

Sie haben vorhin gesagt, der Protestsong sei in den Siebzigerjahren in Verruf gekommen, weil er so wirkungslos gewesen sei. Aber ist er nicht auch ästhetisch gescheitert, als politische Inhalte wichtiger wurden, als die Kunst des Songschreibens?
Kunze: Das waren dann schlechte Protestsongs, von denen es sicher Massen gibt. Aber es gibt doch auch Lieder, gerade von Hannes Wader, die einen sehr bewegen können. Wenn er in "Es ist an der Zeit" sang: "Du hast ihnen alles gegeben, deine Kraft, deine Jugend, dein Leben" – das hat mich früher zu Tränen gerührt. Der Hannes hat eine große Stimme, ist ein toller Gitarrist und eine überaus beeindruckende Persönlichkeit. Seine kommunistischen Irrtümer seien ihm verziehen, man soll bei Künstlern nie so genau hinhören, wenn sie über Politik reden.

Gilt das auch für Sie?
Kunze: Auch ich musste gewisse Aussagen im Laufe der Zeit wieder zurücknehmen. Das ist so im Leben. Ansichten ändern sich. Deswegen sollte man Ansichten von Musikern über Politik nicht auf die Goldwaage legen. Auch von Politikern nicht. Wenn ich jetzt beobachte, wie Herr Steinmeier Dinge vertreten muss, die genau das Gegenteil sind, von dem, was er damals mit Schröder ausgeheckt hat, dann tut mir der Mann einfach leid.

Wir befinden uns im Wahljahr. Auf welcher Seite stehen Sie?
Kunze: Ich mache schon lange keinen Hehl daraus, dass ich ein eher bürgerlich denkender Mensch bin. Ich halte es mit Rüdiger Safranskis wunderbarem Buch "Romantik – eine deutsche Affäre", wo er am Ende sagt: Es ist schon besser, wenn die Pragmatiker die Welt regieren und die Romantiker in der Kunst bleiben. Sobald sich Romantiker in die Politik verirren, endet das sehr oft mit Blutbädern.

Und die Romantiker, die Künstler, sollen mit ihrem Werk die reale Politik lediglich erträglich machen?
Kunze: Entweder tun sie nur das, und selbst das wäre nicht zu verachten, oder sie sind mit Politikern befreundet, wie ich es bin, mit Politikern verschiedener Parteien, und können vielleicht hier und da einen kleinen Tipp geben, einen Stups in die eine oder anderer Richtung. Wer weiß.

Gibt es etwas in Ihrer Karriere, das Sie besonders freut, woran Sie sich in Momenten des Selbstzweifels wieder aufrichten können?
Kunze: Mich hat Lob und Anerkennung von bestimmten Leuten, die ich sehr toll finde, sehr beglückt. Wenn jemand wie Mario Adorf sagt, dass er meine Musik gut findet, ehrt mich das.

Warum ausgerechnet Adorf? Ist das zurückzuführen auf erste Kinoerlebnisse in Osnabrück?
Kunze: Auch. Und ich habe in den Neunziger- jahren mit ihm an seiner Platte arbeiten dürfen, als Texter. Und wenn ich daran denke, dass ich mal einen sehr guten Kontakt zu Randy Newman hatte, der jetzt leider ein bisschen eingeschlafen ist, dann freut man sich schon, dass man das erreicht hat, dass man tatsächlich ein paar seiner Helden hat kennen lernen dürfen.

Sind Sie auch ein Mario Adorf für andere Künstler?
Kunze: Inzwischen gibt es eine ganze Reihe aus der jüngeren Garde der "Tatort"- und "Polizeiruf"-Kommissare, denen meine Musik gefällt und die mir das auch sagen. Ich habe Jan Josef Liefers und Axel Prahl kennen gelernt, auch Bernd Michael Lade. Die kennen zumindest einige meiner Platten und mögen sie. Das freut mich natürlich. Auf die Weise wird das Altern etwas leichter

Warum hören ausgerechnet "Tatort"-Kommissare Ihre Musik?
Kunze: Bei Liefers und Prahl liegt das wohl daran, dass beide selbst Musik machen. Aber es gibt auch andere Bands, die nicht mehr angeekelt weggucken, wenn sie mich sehen, sondern sagen: Ja, wir haben deine Musik gehört und sie hat uns beeinflusst. So ein spätes Lob ist doch ganz schön.

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