Heiko Sakurai

Beim Zeichnen ist kaltes Blut besser.

Der Karikaturist Heiko Sakurai spricht im ausführlichen Interview über seinen Werdegang, seine politische Einstellung, gezeichnete NS-Vergleiche, die Karikaturen von „Charlie Hebdo“ und wie er sich in zehn Jahren mit Angela Merkel als Bundeskanzlerin arrangiert hat.

Heiko Sakurai

Herr Sakurai, im Klappentext Ihres Angela Merkel-Comics „Miss Tschörmanie“ steht über Sie: „Sakurai begann früher zu zeichnen als zu laufen“…
Es stimmt, dass ich sehr früh begonnen habe, zu zeichnen. Meine Oma hat immer erzählt, dass ich bereits auf dem Töpfchen den Stift in der Hand hatte. Also hat das mit dem Laufen und Zeichnen wohl in etwa parallel stattgefunden.

Nach dem Abitur haben Sie unter anderem Politik studiert. Ist man durch ein Politikstudium im Besonderen qualifiziert, Karikaturen zu zeichnen?
Es qualifiziert nicht, aber es ist gut. Meine Arbeit hat ja immer zwei Aspekte: Zum einen den Zeichenanteil, auf der anderen Seite die tagtägliche Auseinandersetzung mit politischen Inhalten. Wem Letzteres schwer fällt, der sollte mit dem politischen Zeichnen gar nicht erst anfangen. Ich habe schon während des Studiums begonnen zu zeichnen und dementsprechend einen sehr sanften Einstieg in die Arbeitswelt gehabt.

Andere Berufspläne hatten Sie nicht?
Es gab schon Planungen, die dann aber anders verliefen. Gezeichnet habe ich immer gerne und wollte daher erst Kunst studieren. Das hat dann aber leider nicht geklappt. An der Kunstakademie Düsseldorf wurde ich nicht angenommen, man muss ja Zeichnungen einreichen, Mappen abgeben. Da haben meine Werke nicht gereicht, was mich zunächst sehr verunsichert hat. Dann habe ich als Plan B mit dem Studium Germanistik/Geschichte/Politik begonnen und da es mit dem Zeichnen dann auch so ganz gut geklappt hat, habe ich mich gegen eine erneute Bewerbung entschieden.

Spielte Geld eine Rolle bei Ihrer Berufswahl?
Nicht wirklich. Ob Sie jetzt Künstler werden oder Zeichner, Geld ist da sicherlich nicht der treibende Faktor. Allerdings war damals die Aussicht im Zeitungsgeschäft nicht vergleichbar mit der heutigen Situation. In den 90er-Jahren war das Geschäft ein sicherer Dampfer, ich konnte davon ausgehen, dass ich monetär gesehen ein sicheres Leben habenwürde, wenn ich mich auf dem Markt durchsetzen würde. Heute ist das anders. Sie können sich zwar im Markt durchsetzen, aber der Markt geht insgesamt unter. Da haben sie am Ende auch nicht mehr erreicht.

Worin besteht für Sie die Aufgabe des Karikaturisten, ausschließlich im Kommentieren, oder auch darin, Debatten zu befeuern?
Ich würde der Wirksamkeit von Karikaturen nicht zuschreiben, Debatten wirklich anstoßen zu können. Sehr wohl kann man aber beim Leser dafür sorgen, dass überhaupt erst ein Wille zur Auseinandersetzung mit bestimmten Themen geschaffen wird. Natürlich hat die Karikatur den Anspruch, über die rein deskriptive Zeichnung hinaus zu gehen. Manchmal reicht es aber auch, politische Situationen in Bildern umzusetzen, um daraus Schlüsse zu ziehen.

Welchen Einfluss hat dabei die Stimmung in der Bevölkerung, wollen Sie diese vor allem abbilden oder auch hinterfragen?
In erster Linie bilde ich ganz subjektiv meine persönliche Meinung ab. Allerdings stecke auch ich im Strudel der allgemeinen Informationen und sehe mich manchmal als Teil des Mainstreams. Es ist wichtig, speziell massenhaft geäußerten Meinungen mit Skepsis zu begegnen. Doch grundsätzlich gegen den Strom zu schwimmen, also eine Minderheitenstellung um ihrer selbst Willen einzunehmen, fände ich falsch.

Zitiert

Eine gezeichnete Fülle deutet auch eine Machtfülle an.

Heiko Sakurai

Wenn wir als Journalisten arbeiten, haben wir im besten Fall gut recherchiert. Blicken auch Sie tief hinter Inhalte und Persönlichkeiten, die Sie abbilden?
Ich versuche mich breit zu informieren, indem ich nicht nur die Medien nutze, die mir vielleicht politisch nahe stehen. Im Abo beziehe ich Süddeutsche Zeitung und FAZ, die das politische Spektrum ausreichend für mich abdecken.Auch wenn es da sicherlich radikalere Varianten gibt, bewerten sie oft genug unterschiedlich.

Dienen Ihnen auch satirische Formate wie die „heute-show“ oder „Der Postillon“ als Inspirationsquelle?
Der Postillon spielt keine Rolle für mich. Die heute-show schaue ich mir dagegen privat sehr gerne an. Allerdings, wenn ein Witz bereits gelaufen ist, kann ich ihn nicht mehr verwerten. Solche Veröffentlichungen sind also mehr ein Konkurrenzmodell, anstatt Ideengeber.

Sie sprachen davon, dass Sie subjektiv Ihre persönliche Meinung abbilden. Wo ordnen Sie sich politisch ein?
Meine politische Einstellung würde ich in der Mitte verordnen. Eine radikale Meinung in meinem Job einzunehmen, erscheint mir auch nicht als sinnvoll. Man muss als Karikaturist ja alle Themen abdecken können.
Früher herrschte bei den Zeichnern noch ein größeres Lagerdenken, heute sehe ich, dass sich die Meinungen bei bestimmten Themen eher in der Mitte treffen.

Wenn Sie in Rage über ein bestimmtes Thema sind, gelingt die Karikatur dann besser?
Generell halte ich eine persönliche Distanz zu den gezeichneten Themen für wichtig. Trotzdem ist ein innerer Antrieb, sei es aus Emotion oder reinem Interesse, in der Vorarbeit befruchtend. Bei der tatsächlichen Umsetzung ist kaltes Blut dann allerdings besser. Das muss Empathie oder Antipathie nicht ausschließen, sollte aber letztlich mit ausreichend Abstand geschehen.

"In der Mitte der Gesellschaft angekommen?" Karikatur von Heiko Sakurai

„In der Mitte der Gesellschaft angekommen?“ Karikatur von Heiko Sakurai


Könnten Sie sagen, wie viele Karikaturen Sie schon zur Griechenland-Krise gezeichnet haben? ***

Keine Ahnung. Sehr, sehr viele.

Ist das ermüdend?
Ja. Es gibt immer wieder Themen, die sich über Monate dahinschleppen. Das ganze Jahr 2014 drehte sich ja um die Ukraine und den IS. Wenn man morgens aufsteht und dann immer wieder das gleiche Thema behandeln muss, ist das in der Tat ermüdend. Es ist aber auch deprimierend, denn die Lage verbessert sich ja nicht. Sie wird eher schlimmer.

Wie sehr berührt Sie die Krise Griechenlands emotional?
Einerseits berührt es mich, weil ich mitbekomme wie sehr die griechische Bevölkerung leidet. Auf der anderen Seite nehme ich die arroganten Reaktionen vieler Politiker gegenüber Griechenland wahr, es gibt die Wutbürger, die den sofortigen Zahlungsstopp fordern und die Kampagnen in der BILD-Zeitung, die gegen die „Pleite-Griechen“ hetzen. Und dann sehe ich, was die griechische Regierung für eine Politik macht und welche Konsequenzen dieses Handeln hat. Da fällt es mir manchmal wirklich schwer, Stellung zu beziehen. Ich will nicht hartherzig sein, weil ich durchaus Mitleid habe. Aber manche Dinge gehen sowohl politisch als auch wirtschaftlich einfach nicht. Aus diesem Zwiespalt heraus berührt mich das Thema schon.

Haben Sie die Griechenland-Krise denn in der gesamten Komplexität verstanden?
Ich bezweifle, dass ich alle Details verstanden habe. Jedoch hoffe ich, den groben Überblick zu haben. Wie viele Hilfspakete es gab weiß ich, wie hoch die Summen genau waren dann aber nicht mehr. Ich könnte mich kurzfristig darüber informieren, im Kopf habe ich die genauen Konstellationen aber nicht.

Und trotzdem kommentieren Sie.
Das kann ich, weil ich immer nur zu Teilaspekten Stellung beziehe, die ich vernünftig recherchiert habe. Das Thema ist ja so weitreichend, dass ich immer nur gewisse Aspekte kommentieren kann. Letztendlich biete ich auch nur meine persönliche Sicht an. Und wenn mir jemand in sozialen Netzwerken vorwirft, das Thema nicht verstanden zu haben, oder dass meine Sicht dumm, kontrovers oder falsch ist, muss ich damit leben.

Ihre griechischen Kollegen gehen mit den deutschen Politikern hart ins Gericht, Angela Merkel wurde mit Hitlerbärtchen gezeichnet, Finanzminister Schäuble ein Eisernes Kreuz angehängt und die folgende Worte in den Mund gelegt: „Wir bestehen darauf, Seife aus Eurem Fett zu machen. Wir diskutieren nur über Düngemittel aus Eurer Asche.“ Wie bewerten Sie solche Karikaturen?
Natürlich finde ich das persönlich geschmacklos. Aber auch solche Veröffentlichungen sind von der Pressefreiheit gedeckt und sollten veröffentlicht werden, wenn die Autoren es für richtig halten. Allerdings halte ich so eine Zeichnung nicht nur gegenüber Herrn Schäuble, sondern besonders auch den Holocaust-Opfern gegenüber für unverantwortbar.

Schäuble selbst kommentierte, die Karikatur sei „widerwärtig“ und „der Autor dieser Karikatur sollte sich schämen.“Wie groß ist Ihr Verständnis für solche NS-Vergleiche, auch vor dem Hintergrund, dass Griechenland kaum Kriegsreparationen erhalten hat?
Mein Verständnis war von Anfang an gering, weil die Karikatur eindeutig auf den Holocaust anspielt. Trotzdem habe ich angesichts der Reparationsfrage auch Verständnis dafür, dass die griechische Seite die Frage noch ausstehender Entschädigungen thematisiert hat. Denn in Deutschland wurde das Thema Reparationen auch nur sehr unbefriedigend abgehandelt.

Wo verläuft für Sie die Grenze zwischen Komik und Herabwürdigung?
Rein rechtlich ist Deutschland sehr großzügig in dem, was Satire darf und was nicht. Bevor sie belangt werden, können Sie sich wirklich eine ganze Menge zutrauen. Trotzdem hat da jeder Künstler andere Grenzen. Harte, manchmal auch übertrieben harte Kritik an Politikern finde ich völlig okay. Was aber etwa die Titanic mit Papst Benedikt gemacht hat….

…ihn mit einem gelben Fleck im Schritt abzubilden…
….so etwas würde für mich nicht in Frage kommen.

Sie haben also eine klar definierte Grenze.
Nein, aber ein Gefühl. Ich teste Grenzen auch mal aus. Tendenziell bin ich aber eher vorsichtig – und bereue dann manchmal in der Rückschau, nicht härter zugelangt zu haben. Manche Kollegen sind da schmerzfreier. Das finde ich gut und ich kann mich wunderbar darüber amüsieren. Nur entspricht es nicht meiner Persönlichkeit.

Haben Sie in der Vergangenheit schon einmal Grenzen überschritten?
Ich glaube nicht, weil ich sehr schnell Skrupel bekomme. Mir fällt kein Fall ein, wo ich wirklich jemanden persönlich beleidigt habe. Das sehen die Betroffenen aber oft anders. Einmal habe ich einen erbosten Leserbrief bekommen. Ich wurde beschuldigt, mich über die Homosexualität des damaligen Außenministers Guido Westerwelle lustig gemacht zu haben. Auch wenn ich ihn nicht nachvollziehen konnte, hat mich der Vorwurf tief getroffen. Ich habe das auch genau nachgeprüft, weil so eine Form der Karikatur ein absolutes No-Go für mich wäre.

Selbstportrait von Heiko Sakurai

Selbstportrait von Heiko Sakurai


Sie sprachen Papst Benedikt an, was denken Sie über die Mohammed-Karikaturen, welche in der Zeitschrift „Charlie Hebdo“ veröffentlicht wurden?

Einige der Zeichnungen hätte ich so nie gezeichnet. Die sind mir schon in der Sache zu weit gegangen. Ich finde es aber vollkommen korrekt, dass sie veröffentlicht wurden. Das hat auch mit dem Naturell von Charlie Hebdo zu tun: Wäre es ein Fachblatt für Islam-Anfeindungen, würde ich das anders beurteilen. Es ist aber ein Fachblatt für die Verunglimpfung jeglicher Autoritätund für Zweifel an jeder Art von Religion und kein antiislamisches Hetzblatt. Es hat auch eine andere Bedeutung, wenn man die Tradition der französischen Karikatur bedenkt…

…die aber vermutlich für einen streng gläubigen Muslim, der seine religiösen Gefühle verletzt sieht, keine Rolle spielt.
Es gibt das Recht der freien Meinungsäußerung und das Recht darauf, in der religiösen Ausübung nicht beleidigt zu werden. Wo diese Rechte an ihre Grenzen stoßen, wird es immer Verletzungen geben. Als Zeichner vertrete ich die Meinung, dass im Zweifel die Zeichnung erscheinen sollte. Besonders dann, wenn es sich um ein Satireblatt handelt, niemand zum Kauf gezwungen wird und dies nicht den Mainstream der öffentlichen Meinung darstellt. Das muss man eher ertragen, als dass jemand für so etwas ermordet wird. Am Ende muss dann eben, jedenfalls in diesem konkreten Fall, die Meinungsfreiheit ein wenig über der religiösen Würde stehen.

Ihre Antwort auf das Charlie Hebdo-Attentat war keine verunglimpfende Mohammed-Karikatur. Wollten Sie nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen, oder hatten Sie Angst?
Das ergab sich aus der unmittelbaren Situation heraus. Der Anschlag passierte zur Mittagszeit, dementsprechend musste ich zügig reagieren. Man hatte relativ schnell die Befürchtung, dass der Anschlag einen islamistischen Hintergrund hatte, sicher war man sicher aber nicht. Deswegen habe ich diesen Hintergrund bewusst ausgeklammert. Nicht aus Feigheit, sondern aus der Seriosität heraus, Menschen nicht vorzuverurteilen. Sicher war nur, dass es einen Anschlag auf die Pressefreiheit gab. Damit konnte ich arbeiten.

Charlie-Hebdo-Zeichner Laurent Sourisseau hat im „Stern“ geäußert, er werde Mohammed nicht mehr karikieren und gesagt: „Nun sind andere dran.“ Wäre es eine Niederlage und ein Verlust, wenn Mohammed als Objekt von Karikaturisten verschwindet?
Ja, natürlich wäre es eine Niederlage. Es geht nicht darum, dauernd zu provozieren und Mohammed oder den Islam zu verunglimpfen. Aber genauso, wie hier Satire übers Christentum möglich ist, sollte hier bei uns, geschützt durch Meinungsfreiheit und Rechtsstaat und den Regeln des Rechtsstaats, der ja juristische Mittel anbietet, um gegen Beleidigung und Verleumdung und Volksverhetzung vorzugehen, unterworfen, auch Satire über den Islam – und Islamismus erst recht – möglich sein.

Haben Sie schon einmal Feedback von Politikern bekommen, die Sie zeichnen?
Nein, noch nie. Manchmal wird mir zugetragen, dass sich Politiker wohl amüsiert haben. Aber ein Protestbrief war nie dabei. Das wäre auch das Dümmste, was ein Politiker machen könnte.

Sie haben Andrea Nahles einmal als „karikabel“ bezeichnet, was genau heißt das?
Diese Wortschöpfung stammt vom großartigen Karikaturisten Dieter Hanitzsch und eignet sich gut, um zu verstehen, welche Eigenschaften Politiker für uns Zeichner attraktiv machen: Zum einen das Gesicht, das können sie beim einen besser und beim anderen schlechter zeichnen, zum anderen spielt aber natürlich auch die Persönlichkeit eine entscheidende Rolle. Frau Nahles ist da eine Frau, die man schon phänotypisch gut zeichnen kann. Sie hat kein durchschnittliches Gesicht und ist von ihrer Persönlichkeit her energisch im Auftritt. Besonders gut eignete sich auch Gerhard Schröder: Markantes Aussehen, polternd im Auftritt, immer auf Krawall gebürstet – das waren optimale Bedingungen für uns Karikaturisten.

Wenn Sie jemanden füllig zeichnen, kann das dann auch einen einnehmenden Charakter symbolisieren?
Es ist immer wichtig, die Charakterzüge einfließen zu lassen, das geschieht bei mir auch um so mehr, je länger ich eine Person zeichne. Insbesondere bei Angela Merkels Mimik hat da über die Jahre eine Anpassung stattgefunden. Andererseits dürfen Sie es auch nicht übertreiben. Wer dünn ist und einnehmend, den können Sie nicht plötzlich dick zeichnen. Wenn aber jemand wie Helmut Kohl als Kanzler dick und bräsig ist, Hunger auf Nahrung und Macht hat, passt das wunderbar und Sie können übertreiben. Letztlich kann man aber nur mit den Eigenschaften arbeiten, die wirklich vorhanden sind. Wichtig ist, körperliche Makel eher übertrieben darzustellen und nicht zu relativieren.

Vergleicht man Ihre Karikaturen von Angela Merkel, so scheint sie von Jahr zu Jahr fülliger geworden zu sein.
Ja, diese Tendenz gibt es bei meiner Comic-Angie. Besonders ist mir das aufgefallen, als sie in der Realität nach einer harten Griechenland-Verhandlung völlig übermüdet und ausnahmsweise sehr schmal aussah. Doch selbst wenn das längere Zeit der Fall wäre, würde ich sie wahrscheinlich nicht schmaler malen. Das ist einfach mit ihrem Charakter nicht verträglich. Eine gezeichnete Fülle deutet ja auch eine gewisse Machtfülle an. Personen die ich massig zeichne sitzen meist fest im Sattel, strahlen Selbstsicherheit aus, fühlen sich mächtig. Das kann gut über die Statur ausgedrückt werden.

"Mutti führt" Karikatur von Heiko Sakurai

„Mutti führt“ Karikatur von Heiko Sakurai


Sie haben Angela Merkel nun schon zehn Jahre als Kanzlerin gezeichnet. Sehen Sie sich ein Stück weit als Chronist Angela Merkels?

Das bin ich wohl automatisch, da ich ihr Handeln über die Jahre begleite. Den einzigen Wert, den Karikaturen schon wenige Tage nach ihrer Veröffentlichung noch haben, ist ja der Chronistenwert als historisches Element. Sie können sich nach einigen Jahren ältere Karikaturen ansehen und einen guten Blick auf die damaligen Themen und Machtkonstellationen gewinnen. So gesehen sind wir also Chronisten. Allerdings bitte nicht Hofchronist ihrer Majestät!

Vielleicht wäre dafür auch das ein oder andere Treffen nötig. Gab es das mit Merkel schon einmal?
Nein, getroffen oder auch nur live gesehen habe ich sie noch nie. Das ist für meine Arbeit aber auch nicht nötig.

Wie würden Sie Ihre Einstellung zu Angela Merkel beschreiben: Respektvoll oder eher enttäuscht? Sind Sie vielleicht auch genervt von ihr?
Genervt bin ich erstaunlicherweise nicht. Wahrscheinlich weil ich ihre Erscheinung aus einer professionellen Perspektive betrachte. Viele Menschen waren ja am Ende seiner Amtszeit von Gerhard Schröder genervt, ich komischerweise nie. Ich war immer froh, dass er mir ausreichend Stoff geliefert hat, von daher hätte das auch gerne so weiter gehen können.

Es kann also auch bei Merkel so weiter gehen?
Ich glaube ja, dass ich sie zu Beginn unterschätzt habe. Als sie damals CDU-Chefin wurde, hat sie rein körperlich eher eine schwache Figur abgegeben. Da habe ich mich schon gefragt, ob so jemand wirklich ganz oben ankommen kann. Mit Beginn ihrer Kanzlerschaft entstand dann aber erstaunlicherweise sehr schnell das Gefühl, dass es vor ihr nie jemanden in diesem Amt gegeben hätte.
Ich persönlich komme mit ihrer unaufgeregten Art ganz gut klar. Insofern nötigt mir all das schon Respekt ab. Auch wenn ich sie nicht unbedingt wählen muss, kann ich mit ihr als Kanzlerin gut leben.

Merkel bekam zwischenzeitlich den Ruf der „Teflon-Kanzlerin“, an der alles Unangenehme abperlt. Hat das das Zeichnen schwieriger gemacht?
Für mich war eher der Einstieg schwierig. Zu Oppositionszeiten der CDU war sie ja noch als Kohls Mädchen bekannt, völlig ohne Ecken und Kanten, da hat sie wenig Angriffsfläche geboten. Während ihres Aufstiegs hat sie dann aber echte Härte bewiesen und auch Leute kaltblütig aus dem Weg geräumt. Das ist auch nicht verwerflich, so sind die Regeln des Geschäfts. Dadurch hat sie sich Respekt verschafft, sodass ich sie niemals wieder unterschätzen werde.

Wie hat sich Ihre Arbeit in den letzten Jahren technisch verändert? Zeichnen Sie analog mit Bleistift oder ist das Tablet Ihr Arbeitsmittel?
Ich zeichne mit Tablet, nur die Skizzen entstehen mit dem Bleistift. In der Hinsicht hat sich insgesamt sehr viel geändert, allein schon in meiner 15-jährigen Karriere. Zu meinen Anfängen war noch das Faxgerät die Spitze des Fortschritts. Relativ lange habe ich dann noch mit Tusche gearbeitet. Seit einigen Jahren bin ich komplett auf das Tablet umgestiegen.

Weinen Sie der Zeit hinterher?
Ganz klar. Allein schon aufgrund der schönen Originale. Auch der handwerkliche Charakter geht mit dem technischen Fortschritt verloren. Aber ich weiß auch die großen Vorteile der Flexibilität zu schätzen. Die Schnelligkeit ist zeitsparend, man kann korrigieren, Zeichnungen im Aufbau verändern und verschiedene Formate anpassen. Das alles ging früher nicht.

Hat die Karikatur ihren sicheren Platz in der Tageszeitung?
Solange die Tageszeitung und der bezahlte Journalismus insgesamt bestehen, ist auch die Karikatur gesichert. Wenn das alles untergeht und kein adäquates Produkt entsteht, wird es auch die politische Zeichnung schwer haben. Denn ohne politischen oder gesellschaftlichen Kontext ist die Karikatur wertlos.

Könnte sie auch ein reines Blogprodukt sein?
Wenn man kein Geld verdienen möchte, geht auch das. Ob die alleinstehende Karikatur aber eine Relevanz besitzt, ist fraglich. Der Text muss die Vorarbeit geleistet haben, damit die Karikatur ihre Wirkung entfalten kann.

Sollte es tatsächlich schief gehen, was wäre Ihr beruflicher Plan B?
(lacht). Ich weiß, dass ich nichts so gut kann, wie Männchen zu zeichnen. Demzufolge werde ich ein Problem haben. Man kann aber immer noch andere Dinge illustrieren, für die Werbung arbeiten oder eigene Formate entwickeln. Aber die Verbindung von gezeichneter Komik und Politik finde ich schon sehr reizvoll.

Zum Schluss: Das Leben ist ein Comic, welche Figur sind Sie?
Wahrscheinlich wäre ich eine Mischung. Zum einen Gaston, der immer improvisieren muss, zum anderen Dilbert, der jeden Tag in sein Büro tappt, irgendetwas macht und hofft, dass es gefressen wird. Auch wenn er sich selber fragt, ob das alles so kompetent ist, was er macht.

(*** Das Interview entstand im Juli 2015)

Heiko Sakurai wurde 1971 in Recklinghausen geboren und interessiert sich seit seiner ersten „Asterix“-Lektüre für Comics. Nachdem er an der Kunstakademie Düsseldorf nicht angenommen wurde studierte er Germanistik, Geschichte und Politik in Münster. mehr

2 Kommentare zu “Beim Zeichnen ist kaltes Blut besser.”

  1. Fan |

    Danke für das passende Interview! Ich schätze die Karikaturen von Heiko Sakurai und bin immer erstaunt, dass ihm jeden Tag etwas einfällt… Wie auch immer so etwas geht. Mir würden irgendwann die Metaphern ausgehen oder die Wortspiele. Freue mich auf neue Denkanstöße!

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  2. Gast |

    Nur damit ich es mal sagen konnte: Ich finde Sakurais Karikaturen nicht ansatzweise lustig. Er präsentiert m.E. lediglich Holzhammerpädagogik aus grünen Kreisen.

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