Hajo Seppelt

Man hat den Sport durchkapitalisiert

Seit Gründung der ARD-Doping-Redaktion 2007 hat der Journalist Hajo Seppelt mit vielen Reportagen über Manipulation im Sport für Aufsehen gesorgt. Jetzt hat er sein Buch „Feinde des Sports“ veröffentlicht. Ein Gespräch über Sportler als Täter und Opfer, verdeckte Recherchen und Verbände in der Zwickmühle.

Hajo Seppelt

© Sebastian Wells

Herr Seppelt, Sie beschreiben in Ihrem Buch „Feinde des Sports“ wie Sie in der ARD einst als Schwimmreporter abgesetzt wurden, weil sie intern die Sportberichterstattung als zu unkritisch bemängelt hatten. Inzwischen können Sie sich für Ihre Doping-Recherchen „keine bessere Heimat vorstellen“. Hat sich das Denken in der ARD in Bezug auf Doping gewandelt?
Hajo Seppelt: Ja, dafür war die Gründung der ARD-Doping-Redaktion 2007 sozusagen die Initialzündung. Wir Journalisten haben die Möglichkeit bekommen, frei zu recherchieren, ich wurde aufgefordert, meine Expertise zu nutzen, wir konnten reisen und unter viele Teppiche gucken. Es war auch kein Problem, wenn eine Recherche mal mehr Zeit in Anspruch nahm. Am Ende wurde die ARD für dieses Wagnis belohnt, mit vielen positiven Reaktionen. Wir haben in den letzten zwölf Jahren viel aufgedeckt, öffentlich gemacht und die andere Seite der Medaille gezeigt, wie vor uns wahrscheinlich noch keine andere Sportredaktion. In manchen Ländern ist der Name ARD auch erst durch unsere Recherchen bekannt geworden. In der Sportberichterstattung werden wir heute weltweit als seriöser Player wahrgenommen. Und innerhalb des Senders sind wir zum festen Bestandteil der Berichterstattung über Sportereignisse geworden.

Ihre Doping-Recherchen erstrecken sich über verschiedene Sportbereiche. Gibt es eine Disziplin, die Sie als Zuschauer noch unbelastet genießen können?
Seppelt: Ich bin ja kein Sportfan. Deswegen stellt sich für mich die Frage nicht.

Aber Sie waren doch begeisterter Schwimmer und später Schwimmreporter…
Seppelt: Da habe ich eine Entwicklung durchgemacht. Ich habe mir früher noch Gedanken gedacht, wie man Schwimmwettbewerbe im TV besser überträgt, wie man einen Sport attraktiver macht. Heute sehe ich es eher als meinen Job, dazu beizutragen, dass die Zuschauer besser verstehen, was dort hinter den Kulissen passiert.

Wann waren Sie denn zuletzt Sportfan?
Seppelt: Ich denke, so 1974/75, mit elf oder zwölf Jahren. Damals war ich Hertha-Fan…

…und sind auch ins Stadion gegangen?
Seppelt: Ab und zu. Ich habe vor allem die Radio-Reportagen gehört, die fand ich toll, die haben bei mir den Wunsch geweckt, Reporter zu werden. Sport war aber nie etwas, wovon mein Seelenheil abhängt. Ich bin nicht mit Fanschal ins Stadion, ich hatte auch keine Dauerkarte. Als Schwimmer war ich natürlich sozialisiert im Sport. Aber als ich später Sportjournalist wurde habe ich das in erster Linie als handwerkliche Plattform gesehen. Ich habe in diesem Beruf so viel gelernt, von Moderation über Live-Kommentare für Radio und Fernsehen, Features produzieren, Live-Reportagen…

Inzwischen haben Sie mehr Journalistenpreise gewonnen als die meisten Sportler Medaillen. Ist der Journalismus Ihr Sport geworden?
Seppelt: Gute Frage. Ich bin auf jeden Fall ein leidenschaftlicher Journalist, ich bin auch extrem neugierig, schon immer gewesen. Selbst Freunde sagen mir, ich würde ihnen oft so bohrende Fragen stellen. Ich erinnere mich auch noch, wie 1985, nach meinem Praktikum beim SFB der damalige Hörfunk-Sportchef zu mir meinte: „Junger Mann, Sie können als freier Mitarbeiter bei uns bleiben – aber Sie sind ganz schön neugierig.“ Für mich war das nie ein ‚Aber‘, im Gegenteil, Neugier ist eine journalistische Tugend.

Zitiert

Dopingmittel habe ich nie ausprobiert.

Hajo Seppelt

Sie führen im Buch eine anonyme Umfrage der WADA und des Leichtathletik-Weltverbands IAAF an, bei der 29 Prozent aller Teilnehmer der Leichtathletik-WM 2011 angaben, Doping-Mittel genutzt zu haben…
Seppelt: … genauer gesagt ging es darum, ob sie im Jahr vor der WM Dopingmittel zu sich genommen oder Doping-Methoden angewendet haben.

29 Prozent, ist das ein brauchbarer Richtwert? Lässt sich daraus ableiten, dass knapp ein Drittel der Leichtathleten Dopingmittel nehmen?
Seppelt: Die Zahl war nur vorsichtig schätzt, es war eingerechnet, dass ein Teil der Befragten möglicherweise unwahre Angaben macht, dafür gibt es bestimmte Methoden und Erfahrungswerte. Ein paar Monate später, bei den Panarabischen Spielen in Doha waren es dagegen 45 % der Teilnehmer.
Was sich in jedem Fall sagen lässt, egal ob nun 20 oder 45 Prozent: Die Tatsache, dass bei Doping-Kontrollen die Quote der positiven Tests bei 0,5 Prozent oder noch darunter liegt, steht in eklatantem Missverhältnis zu diesen Zahlen. Deswegen muss man davon ausgehen, dass die Grauzone des Betrugs und der Manipulation im Sport riesengroß ist. Und genauso müssen wir leider davon ausgehen, dass die Fernsehanstalten über Jahrzehnte hinweg dazu beigetragen haben, großflächig Sportbetrug zu übertragen. Das finde ich schon sehr ernüchternd.

Trifft die Sender eine Verantwortung?
Seppelt: Nein, für den Betrug können die Sender ja nichts. Was ich aber schon sehe, ist, dass wir im Journalismus über viele Jahre nicht alle nötigen Fragen gestellt haben. Natürlich ist es wichtig, dass wir auf der einen Seite den klassischen Sport zeigen, mit Mehrwert und klug kommentiert. Aber genauso gehört dazu, den Zuschauer über Hintergründe aufzuklären. Ansonsten sieht er nur den grünen Rasen. Er sieht nicht, wenn ein Sportler gedopt hat, bestochen wurde oder Wettbetrüger ist. Diese Seite des Sports gehört genauso erzählt und ich kritisiere, dass dazu jahrzehntelang geschwiegen wurde. Es bestand lange Zeit kein Interesse daran, die andere Seite der Medaille zu beleuchten.

Wäre es denn richtig, von den TV-Sendern zu verlangen, Doping-betroffene Sportarten nicht zu übertragen?
Seppelt: Wir wissen ja nicht, ob die Leute dopen.

Wenn wir einmal das Paradebeispiel Tour de France betrachten…
Seppelt: Ja, wir wissen, dass der Radsport ein massives Doping-Problem hatte und in Teilen noch immer hat. Und wenn der Radsportverband nichts dagegen unternimmt, würde ich schon sagen: Wir können das nicht übertragen, wir können dafür keine Gebührengelder ausgeben. Insofern finde ich es richtig, dass die Tour ein paar Jahre lang nicht übertragen worden ist.

Inzwischen wird sie von der ARD wieder übertragen.
Seppelt: Im Moment gibt es aber auch keine klaren Beweise dafür, dass dort großflächig manipuliert wird. Sollte dies der Fall sein und der Weltradsportverband schreitet nicht ein oder versucht gar es zu vertuschen, dann hätte ich größtes Verständnis dafür, wenn die ARD wieder die Reißleine zieht.

Verlieren Sie den Respekt vor Sportlern, wenn sie gedopt haben?
Seppelt: Nein, nicht zwangsläufig. Ich sehe ja die Sportler nicht als das alleinige bzw. primäre Problem des Dopings im Spitzensport, wenngleich sie natürlich am Ende den entscheidenden Anteil dazu beitragen -indem sie es sind, die die Mittel verwenden. Ich sehe es dennoch differenziert: Einen Lance Armstrong sehe ich anders als einen Johannes Dürr. Armstrong ist für mich eindeutig Täter, da war so viel Eigenverantwortung dabei, er hat ein ganzes System geschaffen, von dem er sozusagen der Boss war.

seppelt-coverWürden Sie Armstrong als ‚Feind des Sports‘ bezeichnen?
Seppelt: Ja, in gewisser Weise schon. Er ist ein Profiteur des Sportsystems und ein Feind des Kulturguts Sport. Er beklagt Heuchelei, dabei hat er jahrelang selbst geheuchelt.

Und der Skilangläufer Dürr ist kein Täter wenn er dopt?
Seppelt: Doch, aber er ist anderseits auch ein Stück weit Opfer der Verhältnisse geworden. Man muss ja auch sehen, dass das System der Abhängigkeiten im Spitzensport dazu beiträgt, dass Leute in diese Doping-Falle geraten. Doping hilft, ein Ereignis attraktiver zu machen, weil die Leistungen attraktiver sind. Das führt dazu, dass der Sportler, sein Manager, der Verband, die Sponsoren und die Ärzte profitieren, durch höhere Einschaltquoten, mehr Werbeeinnahmen, höhere Prämien etc.

Im Buch zitieren Sie einen Radprofi, der Ihnen die Doping-Entscheidung als Weggabelung zwischen Wasserträger und Teamkapitän erklärt – und dann fragt er Sie, ob Sie ihm seine Entscheidung für Doping übel nehmen.
Seppelt: Ich habe darauf keine eindeutige Antwort. Weil es vielschichtig ist. Wenn ich zum Beispiel einen kenianischer Läufer sehe, der seine Familie ernähren muss, der aus einem kleinen Dorf stammt, wo es weder Strom noch fließend Wasser gibt – dann habe ich Verständnis dafür, dass er irgendwann sagt: Ich nehme jetzt Epo, damit ich beim Rennen das Preisgeld bekomme, womit ich meine Familie ernähren kann. Die Sportler zu Kriminellen zu machen ist mir ohnehin ein bisschen zu simpel, die ‚Schwarze Schaf‘-Theorie des Spitzensports ist aus meiner Sicht der falsche Weg.
Das heißt aber nicht, dass ich die Sportler nur als Opfer sehe und stattdessen die Sportverbände beschuldige, so einfach ist es nicht. Es ist ein graues Milieu von vielen Verantwortlichkeiten. Wir Journalisten müssen diese benennen und die Sportverbände auch an ihre Verantwortung erinnern.

Wie bewerten Sie denn die Rolle der Verbände?
Seppelt: Natürlich sind die Sportverbände häufig quasi „Täter“ gewesen, weil sie Doping vertuscht haben, wie zum Beispiel in Russland. Oder denken wir an das IOC vor vielen Jahren, 1984 bei den Olympischen Spielen in Los Angeles gab es den Verdacht, dass positive Doping-Proben unter den Teppich gekehrt worden sind. Oder vier Jahre vorher in Moskau, die „Anabolika-Spiele“, da gab es keinen einzigen positiven Doping-Test, aber die Sportler waren laut Stasi-Akten häufig voll bis oben hin.
Die Verbände sind in einer Zwickmühle: Wenn sie wirklich aktiv gegen Doping kämpfen, erhalten sie dafür kein Lob, sondern bekommen gesagt ‚deine Sportart ist so verseucht, die können wir nicht mehr unterstützen‘. Man kann sagen, dass die Verbände am meisten davon haben, nicht etwa wenn es kein Doping gibt, sondern wenn über Doping nicht geredet wird. Aus meiner Sicht wäre es daher am besten, wenn der Sport sich nicht selbst kontrolliert sondern von außen kontrolliert wird.

Aber geschieht das nicht schon? Agiert die Nationale Doping-Agentur (NADA) hierzulande nicht unabhängig von den Sportverbänden?
Seppelt: Die NADA sagt von sich selbst, dass ihr operatives Tagesgeschäft bezüglich der Dopingkontrollen weitgehend frei von Einflüssen der Verbände ist. Das würde ich ihr erstmal für die gegenwärtige Situation so glauben. Aber wie Verbände politisch Einfluss nehmen wollen auf Art und Umfang von Dopingbekämpfung im Sport, das ist eine andere Sache. Der organisierte Sport zahlt ja auch seinen Beitrag ins System ein und nimmt – aus seiner Sicht zu recht – dafür in Anspruch, auch über die Gremien des Sports und der NADA mitreden zu dürfen. So sitzen Vertreter des Sports im Aufsichtsrat der NADA. In der Vergangenheit war das nicht immer unproblematisch.

Sie recherchieren häufig verdeckt: Wie schwierig ist es, einen ‚Doping-Arzt‘ und einen Lockvogel zusammenzubringen?
Seppelt: Das kann manchmal schnell gehen, wie im Fall des russischen Wissenschaftlers, den ich im Buch beschreibe, der hat damals sofort angebissen. Bei anderen kann es Wochen oder Monate dauern, bis man den Fuß in der Tür hat. Früher war ich oft selbst der Lockvogel, in letzter Zeit ist es aber eher wie bei Wallraff: Der läuft auch nicht mehr selbst überall hin, sondern hat ein Team von Leuten, die manche Tätigkeiten übernehmen.
Am Anfang bekommt man Hinweise von Informanten, denen geht man nach, man checkt die Lage, schaut in welchem Milieu man unterwegs ist… Inzwischen habe ich dafür ein gewisses Gespür. Ich denke, dass der ganze Hochleistungssport immer ein Stück weit ein Ritt auf der Rasierklinge ist: Die Leute gehen immer so weit, wie es gerade geht – und manchmal auch einen Schritt darüber hinaus.

Ist schon mal ein Lockvogel von Ihnen aufgeflogen?
Seppelt: Nein.

Ihr Einreiseverbot nach Russland sorgte 2018 für Aufsehen. Können Sie im Moment wieder nach Russland reisen?
Seppelt: Ich habe im September 2018 nochmal versucht ein Visum zu beantragen, habe aber keins bekommen.

Kommt es vor, dass Sie für Informationen bezahlen?
Seppelt: Nein, wir bezahlen nicht für Informationen. Nur wenn Leute für uns arbeiten, wenn zum Beispiel eine Person eigens für uns einen zusätzlichen Aufwand hat, weil die Informationen noch nicht ausreichen, etwa wenn sie irgendwo hinreisen muss, Leute treffen muss, zu denen wir keinen Zugang haben, oder eine Woche lang eine Datenbank nach für unsere Recherche wichtigen Informationen überprüfen muss – in solchen Fällen versteht es sich von selbst, dass der dafür entstandene Aufwand an Zeit und Arbeit irgendwie entlohnt werden muss. Es ist ja dann eine Tätigkeit, die von uns veranlasst ist. Leute aber für die alleinige Bereitstellung von Informationen zu bezahlen, machen wir generell nicht. 

Sie vergleichen in Ihrem Buch Doping mit dem Nichtbeachten der Straßenverkehrsordnung. Heißt das, ein dopingfreier Sport ist Utopie?
Seppelt: Genau. Es gibt ja auch keine Gesellschaft ohne Betrug, Raub und Mord. Die Frage ist nur: Welches Interesse hat der organisierte Sport, dieses Thema in den Griff zu kriegen? Was ist denen wichtiger: Der Sport, oder die Illusion vom sauberen Sport? Ich würde behaupten, dass jahrzehntelang versucht wurde, die Illusion vom sauberen Sport als große Mär aufrecht zu erhalten.

Hat sich die Situation denn bis heute noch verschlechtert?
Seppelt:  Nein, ich denke sie hat sich verbessert, Doping ist meines Erachtens heute nicht mehr ganz so weit verbreitet wie es noch vor ein paar Jahren der Fall war. Dass in bestimmten Sportarten geradezu flächendeckend gedopt wird, sehe ich nicht mehr. Aber nicht weil die Menschen besser geworden sind, sondern weil der Druck größer ist, weil genauer hingeschaut wird, auch von uns Medien. Die soziale Ächtung spielt eine größere Rolle. Dennoch passiert es auch 2019 noch, dass sich ein Max Hauke während der Ski-WM in Seefeld eine Nadel zum Zwecke des Blutdopings setzt.

Seit 2015 hat Deutschland ein Anti-Doping-Gesetz. Zeigt es schon Wirkung?
Seppelt: Ja, der Sportmediziner Mark Schmidt sitzt derzeit in Untersuchungshaft. Ich denke, die Ermittler sind eifrig bemüht, aber es ist eben auch unglaublich schwer, in das Doping-Milieu hinein zu kommen.

Das Gesetz macht demnach für Sie Sinn?
Seppelt: Auf jeden Fall. Die Selbstreinigungskräfte des Sports haben über Jahrzehnte völlig versagt, insofern darf man sich jetzt nicht wundern, wenn er in diesen Belangen mehr von außen kontrolliert wird. Der Sport wird öffentlich subventioniert, vom Steuerzahler teilfinanziert, er ist ein Kulturgut der Gesellschaft. Ich finde es völlig in Ordnung, dass die Autonomie des Sports dort seine Grenzen hat, wo auf der einen Seite die Hand aufgehalten wird, und es auf der anderen Seite heißt: Wir lassen uns nicht in die Karten gucken.

Würden Sie sagen, dass die Jagd nach Rekorden im Sport auch von den Medien gefördert wird?
Seppelt: Mit der Pauschalisierung ‚die Medien‘ tue ich mich schwer. Aber ich kritisiere, wenn dieses ‚Höher schneller weiter‘ permanent perpetuiert wird. Deswegen sage ich: Sportjournalismus braucht eine Intellektualisierung. Es ist so offenkundig, dass der Sport so viele essentielle Probleme hat, die sich in der medialen Inszenierung über viele Jahre nicht widerspiegelten. Ich bedaure, dass es immer noch einige Kolleginnen und Kollegen gibt, die sich weit mehr als Entertainer in der Unterhaltungsindustrie des Sports denn als Journalisten präsentieren, unangenehme Fragestellungen umgehen und tatsächlich glauben, sie müssten wie Verkäufer eines Produkts agieren.

Ist die weite Verbreitung von Doping auch eine Folge des Turbokapitalismus?
Seppelt:
 Sicher. Wie auch andere Gesellschaftsbereiche hat man den Sport durchkapitalisiert und immer mehr dem ökonomischen Benefit untergeordnet. Da darf man sich über die Konsequenzen nicht wundern. Doping, wenn es nicht auffliegt, kann ein lukratives Geschäftsmodell sein. 

© WDR/Herby Sachs

© WDR/Herby Sachs

Wie stehen Sie eigentlich zum Sportsponsoring: Wenn Sportler im TV Werbepartnerschaften mit Cola- und Bierproduzenten eingehen, stört Sie das?
Seppelt: Nein, ich finde, da sollten wir keinen Gesinnungsterror betreiben.
 Cola und Bier sind nicht gut, wenn man zu viel davon trinkt, das ist bekannt. Aber zu sagen: Jetzt darf man nicht mehr für Bier werben, das geht mir zu weit. Als Sportler hat man vielleicht ja auch von selbst eine Antenne dafür, was passt und was nicht.

Mir ging es um die Verbindung mit dem Sport. Auch eine Fastfood-Kette war häufig als Werbepartner bei der Fußball-WM im TV zu sehen.
Seppelt: Ich würde das nicht kritisieren. Sportsponsoring ist in Ordnung, das Geld wird ja auch gebraucht. Gut fände ich, wenn sich die Sportverbände verpflichten, von jedem Sponsoren-Euro, den sie kriegen, einen bestimmten Prozentsatz in die Dopingbekämpfung zu stecken. Und wenn dann McDonalds Geld für die NADA gibt, das wäre doch super.

Unter den Sportarten vermutlich am weitesten kommerzialisiert ist der Fußball. Finden Sie es richtig, dass dort die öffentlich-rechtlichen Sender, wie im Fall ZDF/Champions-League, ab einem bestimmten Punkt aussteigen?
Seppelt:
 Ich finde, Sport im Fernsehen ist richtig und wichtig, weil er zum großen Feld der gesellschaftlich relevanten Güter gehört, die der öffentlich-rechtliche Rundfunk abbilden muss. Live-Sport muss es indes nicht immer sein.
Natürlich sind TV-Sender die ideale Abspielfläche für Sponsoren, in dem Moment tragen wir zu der Spirale der Kommerzialisierung bei. Gleichwohl muss man sagen, dass es auch einen simplen, aber wichtigen Grund gibt, warum wir Live-Sport im TV zeigen: weil es schlicht unterhaltsam für Millionen von Menschen ist. Manche Entwicklung im Sportbusiness ist natürlich vollkommen hanebüchen. Wenn 100 Millionen für einen Fußballer ausgegeben werden, frage ich mich auch, ob die Verhältnismäßigkeit noch gegeben ist. Und bei manchen astronomischen Summen, die mitunter für TV-Übertragungsrechte zu zahlen sind, stehe ich an der Seite derjenigen, die sagen: Das machen wir nicht mehr mit.

Warum gab es von Ihnen eigentlich noch keine Bundesliga-Recherche?
Seppelt:
 Die Behauptung, dass es keine Bundesliga-Recherche gab, will ich nicht bestätigen. Die Frage ist stets, was reif zur Veröffentlichung ist. Aber es stimmt auch schon, dass angesichts der vielen großen Recherchen der letzten Jahre Fußball nicht immer ganz oben auf der Prioritätenliste stand. Wir werden oft danach gefragt, was und ob wir zum Fußball recherchieren. Wir halten es dann stets so wie bei anderen Anfragen zu Recherchen: Darüber reden wir, wenn die Zeit gekommen ist. 

Öffentlich-rechtliche Inhalte verschwinden nach bestimmten Fristen aus den Online-Archiven. Würden Sie es befürworten wenn Ihre Recherchen den Gebührenzahlern unbegrenzt zur Verfügung stehen?
Seppelt: Ja. Ich bin total für die Öffnung der Archive. Der SWR macht ja gerade damit den Anfang und das befürworte ich. Dort wo es rechtlich möglich ist, finde ich es gut, wenn die Archive offen sind.

Was ist eigentlich Ihr Doping?
Seppelt:
 Ich bin leidenschaftlicher Kaffeetrinker und esse für mein Leben gern Vanilleeis. Und Caesar Salad liebe ich. Wenn Zeit ist, gehe ich in die Sauna oder ins Kino. Diese neumodischen Kinos mit den tollen Sitzen, das ist für mich Entspannung pur. Genauso mag ich lange Spaziergänge, manchmal laufe ich kilometerlang durch die Straßen Berlin, einfach so. 

Kommt es vor, dass Kollegen Sie ermuntern, sich mit einer erfreulicheren Thematik zu beschäftigen, anstatt ausschließlich mit Doping?
Seppelt:
 Ja, mich fragen manchmal Kollegen: Warum machst du nicht mal etwas Heiteres im Sport, berichtest einfach mal von anderen schöneren Dingen bei Sportevents? Die denken ja, dass mich der Sport als Ereignis noch interessiert. Das tut er aber nicht. Mich interessiert er als Phänomen und Spiegelbild gesellschaftlicher Verhältnisse. Ich bin bei vielen Olympischen Spielen gewesen, ich fahre dort hin, um zu arbeiten, aber nicht weil ich Sport-Fan bin.

Aus Ihnen wird also kein Reisejournalist mehr…
Seppelt:
 Nein. Ich denke, ich bleibe wohl, wo ich bin. Im Bereich Doping habe ich mir schon so viel Wissen angeeignet, verfüge über viel Informationen und Expertise – es wäre in anderen Ressorts jahrelange Arbeit von Grund auf nötig, um auch nur annähernd so viel Detailkenntnisse zu erwerben. Was ich alles mitgenommen habe in meinem bisherigen Journalistenleben, ist wertvoll, davon profitiere ich. Dazu kommen die Verbindungen zu etlichen Kollegen auf diesem Recherchegebiet über so viele Jahre. Und ganz wichtig inzwischen: auch die Verantwortung für mein Team mit tollen Kollegen, die sich entschieden haben, diese Themenfelder an meiner Seite zu beackern. Natürlich gibt es auch Tage, wo ich denke, die Geschichten wiederholen sich. Aber dann tauchen immer wieder Dinge auf, die mich überraschen und die spannend sind.

Sie erwähnten vorhin Günter Wallraff. War er ein wichtiger Einfluss für Sie?
Seppelt: Nein, das würde ich nicht sagen. Mir war auch so klar, dass es zur Aufdeckung von Missständen nicht reicht, die Frage zu stellen: Haben Sie gedopt?

Wallraff hat als Undercover-Journalist viele verschiedene Berufe angenommen…
Seppelt:
 Soweit gehe ich nicht, aber trotzdem wenden wir manche investigative Recherche-Methoden an.

Gehörte es denn für Sie schon mal zur Recherche, eine Doping-Substanz selbst auszuprobieren?
Seppelt:
 Nein, Dopingmittel habe ich nie ausprobiert. Angst hätte ich keine, aber warum sollte ich? Das brauche ich nicht, um darüber zu berichten. 

4 Kommentare zu “Man hat den Sport durchkapitalisiert”

  1. Heinz Köhli |

    In vielen anderen Bereichen ist die Journaille viel viel kritischer und neugieriger als im Sport. Danke Herr Seppelt, dass sie versuchen, die andere Seite der Medaille zu beleuchten. Es ist bitter nötig. Dürr hat es gesagt und Armstrong zumindest zwischen den Zeilen auch. Es wird allerorten, sportartspezifisch, gedopt, dass sich die Balken biegen. Wenn man schon nur weiss, was alleine Blutmanipulation an Verbesserung bringt, dann kann man sich auch denken, dass man auf die saubere Art schlicht im Nirgendwo landet. Dann kommen die Abkömmlinge vom Testosteron, das Insulindoping, Aicar und vieles mehr. Ob von Staates wegen systemisch oder privatisiert, es ist ein Sumpf mit unvorstellbaren Dimensionen.

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  2. Jens D. |

    Warum gibt es die Frage „Warum gab es von Ihnen eigentlich noch keine Bundesliga-Recherche?“ doppelt, mit nicht ganz identischen Antworten??

    Antworten
    1. Jakob Buhre Artikelautor|

      Danke für den Hinweis, das war ein Fehler meinerseits. Hajo Seppelt hat seine Antwort im Zuge der Autorisierung nochmal präzisiert. Versehentlich ist dann die alte Fassung mit im Text gelandet.

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      1. Frau Shakira |

        dilletantisch

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