Felix van Groeningen

Ehrliche Geschichten, die dein Herz brechen können

Felix van Groeningen über sein auf der 63. Berlinale ausgezeichnetes Drama „The Broken Circle“, die Bedeutung des Schnitts und wie er aus kleinen Details Geschichten entwickelt

Felix van Groeningen

© Hans De Greve

Herr van Groeningen, „The Broken Circle“ erzählt die Geschichte der großen Liebe zwischen der Tätowiererin Elise und dem Musiker Didier, die an der Erkrankung der kleinen Tochter zu zerbrechen droht. Bei der Premiere auf der Berlinale im Februar rührte Ihr Film selbst hartgesottene Festivalprofis zu Tränen. Was glauben Sie ist mit denen passiert?
Felix van Groeningen: Ich hoffe das Gleiche wie mir, als ich damals das Theaterstück zum ersten Mal sah. Meine Emotionen überwältigten mich, ich habe geheult wie ein Schlossh. Ich saß in der ersten Reihe, das Stück wurde nicht in einem klassischen Theater aufgeführt, sondern in einem gemütlichen Raum, in dem jeder in intimer Atmosphäre in kleinen Sitzgruppen saß und die Bühne erinnerte eher an ein Bluegrass-Konzert. Nur Johan (Johan Heldenbergh, der auch im Film die Hauptrolle spielt) und eine Schauspielerin erzählten die Geschichte. Ich saß nur drei, vier Meter vor Johan, der die ganze Seite schrie und spuckte, während ich flennte.

Was bedeutet Ihnen Musik im Allgemeinen und Bluegrass im Speziellen?
van Groeningen: Ich hatte vorher keine Verbindung zu Bluegrass, was sich nach diesem Konzert bzw. dieser Aufführung änderte. Vorher dachte ich, diese Musik zu kennen, aber da täuschte ich mich. Die immer gleichen Akkorde lassen dich in eine sehr große Bandbreite von Emotionen eintauchen: Balladen, Songs mit wundervollen Lyrics, energetische Songs, die dich nicht loslassen. Bei diesem Theaterkonzert verharrte ich ganz bei den Figuren, die dir vom Traurigsten erzählen, das dir passieren kann.

Ihr Hauptdarsteller Johan Heldenberg sagte einmal „Countrymusik sind drei Akkorde und die Wahrheit.“
van Groeningen: Es sind einfache, sehr ehrliche Geschichten, die dein Herz brechen können. Deshalb bedeutet die Musik auch so vielen Menschen so viel.

Mit Ihrem Film, der Titel verrät es, arbeiten Sie sich am Kreislauf des Lebens ab. Sie montieren den zeitlichen Ablauf Ihres Films aber nicht linear, was sicher hilft, ihn zu ertragen, da er so immer wieder auf die glücklichen Tage zurückblickt.
van Groeningen: Der Titel ist an den etwas längeren Titel des Theaterstücks angelehnt, der wiederum ist eine Referenz an den Bluegrass-Klassiker „Will the Circle Be Unbroken“ (von Ada R. Habershon), der vom Verlust einer geliebten Person handelt, die der Sänger wieder treffen möchte, wenn er stirbt. Die Idee sieht also vor, dass Liebende sich nach dem Tod auf Erden im Himmel wiedervereinigen. Genau davon erzählt mein Film. Mit dem Song beginnt und endet der „Broken Circle“. Die Idee, mit vermischten Story-Ebenen zu arbeiten, war von Anfang an da und auch so im Drehbuch vorgesehen, aber letztlich haben wir es ganz anders umgesetzt, als geplant.

Zitiert

Es ist Teil meines Filmemachens auf dem Weg zum Ziel, Dinge zu entdecken.

Felix van Groeningen

Wo liegen die Unterschiede?
van Groeningen: Im Drehbuch hatten wir die Zeitsprünge noch genauer erklärt und mehr Psychologie vorgesehen. Unsere erste Schnittversion berührte mich aber nicht so sehr wie das Theaterstück damals. Dann holte ich den Cutter Nico Leunen, der neue Ideen einbrachte, er drängte mich dazu, meine Logik zu überwinden. Der Film folgt jetzt einer anderen Logik als ursprünglich geplant. Es war faszinierend zu sehen, wie eine Story, die auf dem Papier funktionierte, im Film nicht mehr passte, anders montiert aber viel aufregender war.

Ist es typisch für Ihre Arbeit, zu improvisieren oder umzustrukturieren?
van Groeningen: Ja, für meine Arbeitsweise ist der Schnitt sehr wichtig. Ich entdecke da noch sehr viel. Ähnlich beim Casting, da macht es Klick und zwar an Stellen, die nicht vorhersehbar sind. So war es mit Verlee Baetens. Als ich sie sah, wusste ich, dass wir den Weg gemeinsam gehen werden. Das zieht sich bei mir durch das Filmemachen: Ich weiß beim Schreiben nicht, wie die Bilder, die wir drehen, aussehen sollen. So entstehen neue Richtungen. Es ist Teil meines Filmemachens auf dem Weg zum Ziel, Dinge zu entdecken. Die Prozesse während der Drehs haben eine Bedeutung und sollen nicht einfach das Abbilden, was in meinem Kopf ist. Schnitt bedeutet Loslassen. Es beinhaltet ein Spiel mit einzelnen Teilen und die Möglichkeit, Neues zu entdecken. Das ist die Magie des Schnitts.

Welche Rolle spielen die Tattoos, die Elises Körper zieren, für den Film?
van Groeningen: Sie erzeugen ein Bild im Bild. Es hat viel Spaß gemacht, die Tattoos zu designen und auf dem Körper nach passenden Stellen zu suchen. Beim Schreiben kamen mir die Ideen dazu. Im Theaterstück erzählt die Figur davon, dass sie viele Tattoos hat, wie sie Didiers Namen überdeckt und wie sie das schon vorher gemacht hat. Ausgehend von diesem wundervollen Bild gestalte ich die Figur für meinen Film. Ich mache Details größer, schließlich zeige ich sieben Jahre ihres Lebens. Vielleicht ist sie eine Tattoo-Künstlerin und die beiden treffen sich in ihrem Tattoo-Studio. Sie erzählt ihm von ihren Ex-Freunden und den Tattoos, die sie überstechen lässt, wenn sie sich trennt. Dann taucht sein Name auf ihr auf und am Ende ist er plötzlich verschwunden. Dieser wichtige Teil der Story ist aus einem winzigen Monologfetzen des Stücks entstanden. Ich verdichte solche Details und mystifiziere die Figur so.

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