Dianne Reeves

Meine Stimme ist das, was ich im Innersten fühle.

Jazz-Sängerin Dianne Reeves über die Jazz-Community, Standards, die Verbindung zwischen Stimme und Person und warum Amy Winehouse musikalisch nichts Neues ist

Dianne Reeves

© EMI / Christian Lantry

Freu Reeves, Ihr Tourkalender ist oft sehr eng – haben Sie da zwischendurch auch mal einen schlechten Tag?
Reeves: Also, sobald du auf der Bühne bist, schwindet alles Schlechte dahin. Aber das Reisen ist oft sehr anstrengend und stressig. Du bist dem Flugzeug ausgeliefert, betest, dass es pünktlich ankommt… Wenn du dann aber am Abend erst einmal auf der Bühne stehst, fühlst du dich richtig gut.

Was gehört noch dazu, damit ein Konzert gut gelingt?
Reeves: Du brauchst einen Kreis von wirklich guten Leuten um dich herum, die eine angenehme Situation herstellen, die verstehen, wie ich arbeite und was für ein Konzert notwendig ist, so dass ich mich nicht um alles kümmern muss.

Welche Erfahrungen haben Sie da im Live-Business gemacht, zu Beginn Ihrer Karriere?
Reeves: Als ich meine Karriere begann war ich so aufgeregt und gierig nach dem Singen, ich wäre die Alpen hochgeklettert, um zu einem Gig zu kommen. Ich war voller Energie, das hat mir geholfen.
Natürlich gab es auch Gigs, wo dich mal ein Veranstalter nicht bezahlen wollte, aber aus solchen Situationen lernst du sehr schnell. Die positiven Erfahrungen haben jedenfalls deutlich überwogen, ich habe mich immer sehr gefreut, die Möglichkeit zu haben, auf die Bühne zu gehen und mit anderen Musikern zu musizieren.

Als Sie in den 70ern Ihre ersten Auftritte absolvierten, spielte Hautfarbe da eine Rolle?
Reeves: Nein, es ging immer um Musikalität und Künstlertum. Das ist anders als im Pop-Business, die Jazz-Community war schon immer sehr aufgeschlossen, sozial und politisch und hat ganz verschiedene Leute einbezogen. Es gab eine große Vielfalt an Musikern, die in der Community waren. Rassismus habe ich da nicht erlebt.

Ihre Kollegin Dee Dee Bridgewater beklagt sich darüber, dass die Plattenindustrie weiße Jazz-Musiker bevorzugt.
Reeves: Sicher, die suchen immer nach einer Ella in weiß. Das wollten sie schon immer – aber das funktioniert so nicht, das entwickelt sich anders.
Wie auch immer: Es gibt viele schwarze Musiker, die es geschafft haben, aufzusteigen und unglaublichen Erfolg haben, die weiter gekommen sind, als ich es für möglich gehalten habe. Ich für mich sage, es ist wichtig, immer weiter zu machen, den Leuten zu zeigen, dass es dich gibt und das dein Künstlertum intakt ist.

Warum klingen die Stimmen schwarzer und weißer Sängerinnen eigentlich so unterschiedlich?
Reeves: Da geht es um unterschiedliche Kulturen und Lebenserfahrungen. Für mich war Jazz immer ein Ausdruck dieser afrikanisch-amerikanischen Art zu Leben, von der Sklaverei zu den Spirituals, zum Gospel usw. Das ist alles Teil des Jazz, deswegen singen wir diese Musik so, wie wir sie singen. Ich habe eben nicht die Art von Stimme, mit der man ein irisches Volkslied singt, so eine hübsche, hohe, trällernde, pure Sopran-Stimme. Ich könnte es zwar versuchen, daran arbeiten – aber das hätte mit meiner Kultur nichts zu tun. Insofern denke ich, dass der Unterschied der Stimmen sehr viel damit zu tun hat, wo du herkommst.

In Ihrem Elternhaus sind Sie sehr früh mit Musik in Berührung gekommen. Wie wichtig ist das generell für Kinder? Und welche Art von Musik empfehlen Sie?
Reeves: Also, ich denke, Kinder sollten natürlich richtig gute Musik zu Hause haben. Aber bei der Stilrichtung sollte es keine Grenzen geben, sie sollten Musik aus der ganzen Welt hören können.
Und ich finde, dass junge Leute auf jeden Fall auch Musik hören sollten, die vor ihrer Zeit entstanden ist, sie sollten die Geschichte dieser Musik kennen. Damit meine ich nicht nur den Jazz, sondern alle verschiedenen Musikrichtungen. Sie sollten die Entwicklung in der Musik hören, von ihrem puren Kern bis heute.

Wie beurteilen Sie denn die Musik von heute?
Reeves: Weil der Zugang einfacher geworden ist, ist heute leider sehr viel mittelmäßiges Zeug dabei. Aber vielleicht wollen die Leute das auch so, vielleicht wollen sie nichts, was sich kontinuierlich entwickelt und wächst.

Sie meinen, früher war das anders…
Reeves: Als ich groß geworden bin hat Musik erfordert, dass du als Zuhörer aktiv bist. Und die Leute wollten auch aktive Zuhörer sein. Sie wollten etwas, was nicht nur ihre Füße in Bewegung bringt, sondern sie auch ihr Gehirn, ihre Emotionen und Gefühle.

Wenn Sie an Ihre musikalischen Vorgänger denken, wen hätten Sie gerne live erlebt?
Reeves: Dinah Washington. Ich weiß alles über sie, es gibt auch ein paar Filmaufnahmen. Aber ich hätte sie gerne aus nächster Nähe beobachtet. Sie zu sehen, wie sie arbeitet, wie sie mit den Musikern kommuniziert, wie sie Klavier spielt – da wäre ich sehr glücklich gewesen.

Wenn Sie heute Jazz-Standards singen, spielt es da eine Rolle für Sie, wie andere Sänger sie vor Ihnen gesungen haben?
Reeves: Als ich jung war, war das noch wichtig für mich. Aber was ich dann gelernt habe, war: du singst es, wie du es singst. Jeder Jazz-Musiker… nehmen wir Trompeter, wenn sie Wynton Marsalis, Terence Blanchard, Nicolas Payton und Roy Hargrove den gleichen Song spielen lassen, dann wird das bei jedem anders klingen. Jazz bedeutet ja auch, dass du deine eigenen, einzigartigen Qualitäten einbringst, darauf baust du deine individuelle Stimme auf. Als ich mir all die großen Sänger angehört habe, während ich groß geworden bin, war das sicher verblüffend für mich. Aber heute mache ich ganz mein eigenes Ding.

Und es gibt keinen Song, den Sie ablehnen würden zu singen, weil er schon zu oft interpretiert wurde?
Reeves: Wenn ein Song mich anspricht, dann arrangiere ich den auf die Art und Weise, die notwendig ist, um die Emotionen zu kommunizieren, die ich bei diesem Song fühle. Aber zu sagen: Der wurde schon so oft gemacht, den mache ich nicht – das wäre nicht meine Art. Ich würde mich fragen: Was kann ich diesem Song noch geben? Weil das wird es am Ende einzigartig machen, das wird den Unterschied machen zu jeder anderen Version, die du bisher gehört hast. Das haben ja all die Jazz-Musiker früher auch gemacht, sie haben die Songs der großen Komponisten des „Great American Songbook“ genommen und sie mit ihrer ganz eigenen Erfahrungswelt verbunden. Zum Beispiel Billie Holiday, die diesen Songs eine besondere Art von Glanz verliehen hat. Und die war bestimmt anders, als es sich die Komponisten ursprünglich gedacht hatten.

Die Songs und Texte der damaligen Zeit sind so anders als heutige Popmusik…
Reeves: Also, was ich sehe, ist, dass im Pop heute alles alte wieder auf neu gemacht wird. Ich höre viel Pop-Musik, und viele Musiker machen heute wieder das, was ich in meiner Jugend gehört habe.

Wen meinen Sie, Amy Winehouse?
Reeves: Ja, zum Beispiel. Sie ist eine Wiederholung von Maria Muldaur und all der Musik, die aus der New Orleans Szene stammt. Das ist nichts Neues, das ist nur neu verpackt. Sie hat vielleicht eine neue Art von Texten, aber die musikalische Herangehensweise – das habe ich schon gehört, als ich jung war.
Aber es ist klar, wenn das heute junge Leute hören, die die Musik von früher nicht kennen, dann denken sie natürlich, das wäre ganz etwas Neues.

Kommen wir noch auf Ihre Stimme zu sprechen: Wie beeinflusst das Alter die Stimme?
Reeves: Meine Stimme ist immer noch hoch, mein Stimmumfang ist noch der gleiche wie in meinen Zwanzigern – das betrifft jetzt das Instrument. Aber dann ist die Stimme ja auch noch etwas anderes, sie ist mein Geist, meine Person, sie ist das, was ich im Innersten fühle. Und da habe ich mich natürlich verändert, ich bin weiser, aufmerksamer, geduldiger geworden. Ich kann heute schneller meinen Frieden finden. Sprich, es gibt Erfahrungen in meinem Leben, die in meiner Stimme zum Ausdruck kommen, weshalb ich sagen würde, der Klang ist heute viel reifer.

Das Interview entstand im Februar 2008.

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