Christoph Schneider

Ich denke nicht, dass Free-TV verschwinden wird.

Christoph Schneider ist Video-Chef bei Amazon Prime, wo aktuell die letzte Staffel von "Pastewka" anläuft. Im Interview spricht Schneider über das Streaming-Angebot von Amazon, Geheimhaltung der Abrufzahlen, den Verkauf von "Tatort"-Folgen, lineares Fernsehen und warum er nur wenig auf die Konkurrenz schaut.

Christoph Schneider

© Thorsten Jochim

Herr Schneider, Sie sprechen häufig von einem „unvergleichlichen Streaming-Erlebnis“ bei Amazon Prime Video. Was sind die Kern-Bausteine, die Sie von den anderen Diensten unterscheidbar machen sollen?
Schneider: Als wir vor vielen Jahren gestartet sind, waren wir so ein bisschen der ‚Catch-Up‘-Service in Deutschland. Das heißt, wir haben ein sehr breites Angebot – auch heute noch – an TV-Serien, die die Zuschauer vom Free-TV her kennen und die sie lieben. Darunter ikonische Serien wie „Friends“, „Lost“, „The Big Bang Theory“, „Two and a Half Men“ oder „King of Queens“. Das ist ein sehr breites Angebot, das alle Staffeln umfasst.

…also für den Kunden, der gerne nochmal Folgen von früher gucken will.
Schneider: Genau. Wir versuchen aber auch, die besten neuen Serien im ‚First Run‘ nach Deutschland zu holen, da haben wir zum Beispiel die deutsche Erstausstrahlung von „Vikings“, „Lucifer“ oder „Fear The Walking Dead“. Dazu kommt ein tolles Angebot an Filmen, darunter auch viele Filme, die wir bereits neun oder zwölf Monate nach Kinostart haben. Und eine Library von Klassikern, die man immer mal wieder anschauen will, wie zum Beispiel „Der Pate“. Es gibt bei uns auch ein großes Angebot von Kinder-Content, alle gängigen großen Kinderserien. Auch tolle Sachen wie „Meister Eder und sein Pumuckl“, das nach sieben Jahren aus rechtlichen Gründen von Fernsehschirmen verschwunden ist. Die haben wir zurückgeholt, neu abgetastet – ein riesiger Erfolg, vor allem in Süddeutschland ist „Pumuckl“ unglaublich erfolgreich.

Das heißt, wenn die ARD jetzt eine Neuauflage von „Pan Tau“ produziert, bringen Sie die alten Folgen?
Schneider: Ich weiß nicht, ob „Pan Tau“ die gleiche Attraktivität oder Involvement hat wie ein Pumuckl. Bei „Pumuckl“ ist es ja ähnlich wie bei „Pastewka“: Es ist nicht für jeden, aber die, die es gucken, die lieben es über alles. Womit wir bei den „Amazon Originals“ sind, also deutsche Produktionen wie „Beat“, „Inside Borussia Dortmund“, „You are wanted“ und aus den USA Serien wie „Carnival Row“ oder „Jack Ryan“.
Wir sind heute ein sehr breit aufgestellter Service. Dazu kommt bei Amazon Prime dann ja noch Free Shipping, Musik, Cloud Services, Gaming – es ist ein umfangreiches Basis-Produkt und meine Traumvorstellung ist, dass wir in irgendwann in jedem deutschen Haushalt als Entertainment-Grundversorgung genutzt werden.

Wetten Sie darauf, dass das lineare Fernsehen in 20 Jahren verschwindet, oder kalkulieren Sie eher damit, dass es dann noch existiert?
Schneider: Wir kalkulieren das gar nicht. Wir gucken eigentlich nicht auf die Konkurrenz, sondern auf unsere Kunden. Wir schauen, ob unser Angebot dem Kunden gefällt oder nicht. Und dann versuchen wir, es besser zu machen. Die Konkurrenz können wir ja nicht beeinflussen.

Aber die Sehgewohnheiten sind ja dabei sich zu verändern…
Schneider: Ich denke nicht, dass Free-TV verschwinden wird, sondern ich glaube, dass es das noch lange geben wird. Vielleicht wird es andere Formate und Inhalte geben, aber in Anbetracht der Alterspyramide in Deutschland und der Trägheit, mit der die Menschen Verhaltensweisen ändern, glaube ich nicht, dass sich da in den nächsten 20 Jahren etwas tut.
Für uns spielt das aber wie gesagt keine große Rolle. Wir müssen uns auf unsere Sachen konzentrieren. Es ist ja auch kein Entweder-Oder-Geschäft, sondern die Leute können ja sowohl lineare als auch non-lineare Angebote konsumieren.

Bieten Sie eigentlich auch Dokumentarfilme an?
Schneider: Ja, in die Richtung gehen wir auch. Klar, je größer wir werden, desto breiter werden wir und um so mehr müssen wir natürlich auch anbieten, weil die Zielgruppen sehr diversifiziert sind, was den Geschmack angeht.

Nun wird das öffentlich-rechtliche Mediatheken-Angebot in letzter Zeit größer. Sehen Sie das kritisch oder ist Ihnen das egal?
Schneider: Das ist uns egal, weil die Kunden eben nicht nur eine Quelle nutzen. Beim Free-TV wechseln die Leute ja auch von ARD zu RTL, von ZDF zu Sat1. Da gibt es keinen Sender mit Alleinherrscheranspruch.
Wir betrachten uns idealerweise als Grundversorgung, bei der Leute dann zusätzlich auf verschiedene, andere Services zurückgreifen. Das Angebot von ARD/ZDF ist kostenlos, beziehungsweise schon bezahlt – warum sollten die Leute das nicht nutzen?

Sie verkaufen auch öffentlich-rechtliche Inhalte auf Amazon, zum Beispiel Folgen von „Tatort“ oder „Polizeiruf“. Können Sie ungefähr sagen: Wenn eine „Polizeiruf“-Folge bei Ihnen für 4 Euro verkauft wird, welchen Anteil behält Amazon dann ein?
Schneider: Das ist ein Revenue-Share, sprich wir sind wie ein Händler, der die Folgen weiterverkauft. Vom Erlös bekommt der Produzent eine Marge von etwa 50 Prozent.

Das heißt, von einer „Polizeiruf“-Folge gehen dann etwa 2 Euro an Amazon?
Schneider: Ja, in etwa. Bei Library-Sachen ist die Aufteilung meistens grob 50/50. Bei neueren Produktionen bekommt aber das Studio nochmal deutlich mehr. Wir haben ja auch den Service „Prime Video Direct“, da ist diese Marge auch von uns transparent gemacht.

Sie haben Rechte an der Champions-League (ab der Saison 2021/22) erworben. Wird dadurch das Prime-Abo teurer?
Schneider: Dazu gibt es im Moment keine Pläne.

Haben Sie, ähnlich wie ein TV-Sender, eine Redaktion, die bei einer Serie wie „Pastewka“ den Machern über die Schulter schaut?
Schneider: Wir gucken uns das natürlich vorher an. Ich selbst habe mir alle Folgen der ersten sieben „Pastewka“-Staffeln angeguckt. Danach wusste ich, wie die Serie funktioniert, wie der Humor ist – und in dem Moment ist unsere Philosophie, den Produzenten nicht groß reinzuquatschen. Wenn Sie sich ein Restaurant aussuchen gehen Sie ja auch nicht in die Küche und reden dem Koch in die Rezepte rein. Ich vertraue einfach darauf, dass Bastians Team das besser kann als ich. Insofern haben wir uns bei der Produktion weitgehend rausgehalten und überhaupt keine Texte, Gags oder sonstwas umgeschrieben.

Abrufzahlen werden bei Ihnen strikt geheimgehalten, noch nicht mal Bastian Pastewka persönlich erfährt, wie oft seine Serie angeschaut wird. Warum diese Geheimhaltung?
Schneider: Wir sind als Streaming-Dienst nicht anzeigengetrieben, sondern wir leben von den Beiträgen, die unsere Mitglieder bezahlen. Insofern spielen die Abrufzahlen für die Öffentlichkeit und den Kunden keine Rolle. Der Kunde soll sich seine eigene Meinung bilden, dafür haben wir das Sterne-System, da stellen wir uns der Kritik, da kann jeder sagen, ob er eine Serie gut findet oder nicht. Ob aber diese Serie von vielen Leuten oder nur wenigen geguckt wird, das tangiert den einzelnen nicht. Ich weiß auch gar nicht, ob sich der Kunde dafür interessiert.
Die Einzigen, die sich für die Abrufzahlen wirklich interessieren, ist die Konkurrenz und vielleicht die Presse. Das werbezeitenfinanzierte Fernsehen muss natürlich mit diesen Zahlen arbeiten, weil sie ihre Reichweite belegen müssen, davon leben die Sender. Wir aber leben nicht davon, insofern sehen wir keine Notwendigkeit darin, die Zahlen zu veröffentlichen. Das kann sich morgen ändern, aber im Moment sehen wir die Notwendigkeit nicht.
Wir selbst gucken uns die Zahlen natürlich an, um zu sehen, ob wir das Geld sinnvoll ausgegeben haben und ob ein Interesse seitens der Kunden besteht, mehr von dem Produkt zu sehen. Aber das ist eine interne Zahl.

Wie wird sich der Kunde in Zukunft weiter entwickeln?
Schneider: Ich glaube, der Zuschauer ändert sich nicht. Er hat heute einfach viel mehr Möglichkeiten, er muss nicht mehr um 20:15 Uhr das gucken, was ihm vorgesetzt wird. Für den Zuschauer ist es, glaube ich, im Moment eine wunderbare Zeit, weil er aus einem riesengroßen Reservoir aus allen Genres wählen kann. Es wird im Moment ja wahnsinnig viel produziert. Und so ein hochwertiges und vielseitiges Programm wie es im Moment angeboten wird, gab es glaube ich noch nie. Konkurrenz belebt das Geschäft, das kommt letztendlich dem Zuschauer zugute. Der einzige „Nachteil“ ist die Qual der Wahl, dass der Zuschauer sich raussuchen muss, was ihm am besten gefällt.

Wenn ich eine Amazon Prime-Mitgliedschaft abschließe, steht auf der Rechnung „Amazon EU S.a.r.l. Niederlassung Deutschland“. Schließe ich dann einen Vertrag mit einem deutschen Unternehmen ab?
Schneider: Die Prime-Mitgliedschaft besteht aus verschiedenen Vorteilen. Ich bin Geschäftsführer der Amazon Digital Germany GmbH mit Sitz in Deutschland, die die Prime Video-Mitgliedschaft anbietet. **

Sie arbeiten schon relativ lange im Unternehmen Amazon. Können Sie sich komplett mit Amazon identifizieren?
Schneider: Natürlich, ich bin ja angestellt bei Amazon. Wenn ich mich damit nicht identifizieren würde, würde ich nicht hier sitzen.

Zum Schluss: Gibt es eigentlich ein Produkt, das Amazon kostenlos anbietet?
Schneider: Ja, „Fußball live bei Amazon“ ist der kostenlose Audio-Livestream von Spielen der Bundesliga, der 2. Bundesliga, des DFB-Pokals und der UEFA Champions League für alle Amazon-Kunden in der Amazon Music App oder mit Alexa.

** Diese Antwort wurde bei der Autorisierung leicht geändert, da Christoph Schneider als Managing Director der Amazon Digital Germany GmbH nur für einen Teil des Angebots von Amazon Prime sprechen kann. Auf Nachfrage antwortete die Amazon-Pressestelle auf die Frage, ob man in Deutschland als Prime-Abonnent einen Vertrag mit einem deutschen Unternehmen abschließt: „Amazon EU Société à responsabilité limitée (Luxembourg) zieht die Mitgliedsgebühr für Amazon Prime ein und ist Anbieter der Versand-Vorteile und der weiteren, nicht-digitalen Leistungen. Amazon Digital Germany GmbH ist Anbieter von Amazon Prime Video und Prime Music (in Deutschland und Österreich), Amazon Digital UK Limited ist Anbieter von Amazon Prime Video und Prime Music (in Belgien, Luxembourg und den Niederlanden), Amazon Media EU S.à r.l. (Luxembourg) ist Anbieter aller anderen digitalen Prime-Vorteile.“

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