Christine Nöstlinger

Ich bin keine Erzieherin.

Wie am Wochenende bekannt wurde, ist Christine Nöstlinger Ende Juni verstorben. Für uns führte Natascha Mahle im Jahr 2011 ein Gespräch mit der Autorin, über eine missglückte Blondierung, junge und leidenschaftliche Leser, Erziehungsratgeber, Fremdenfeindlichkeit und die Aufgabe eines jeden Kinderbuches.

Christine Nöstlinger

© Paul Schirnhofer

Frau Nöstlinger, wegen Ihnen habe ich mich als Teenager anfangs nicht getraut die Haare zu färben. Ich hatte Angst, dass meine erste Färbung auch so in die Hose geht, wie die von Wetti in Ihrem Buch „Wetti und Babs“. Bis heute färbe ich mir die Haare lieber beim Friseur.
Nöstlinger: Das hätte ich nicht gedacht, dass jemand auf das Haare-selbst-färben nur wegen einer Lektüre verzichtet. Aber gut wenn ich so eine Jugendliche vor einem desaströsen Haarfärbe-Unfall bewahren konnte.
Ich habe in meinen Jugendjahren von einer amerikanischen Freundin ein Mittel bekommen, um meine Haare zu blondieren. Das habe ich dann an meinen dunkelbraunen Haaren ausprobiert und… – kennen Sie Szegediner Gulasch? Dieses Gulasch mit Sauerkraut? Als ich die Haare fertig gefärbt hatte, sagte mein Vater: „Madl, du siehst ja aus, als hättest du Szegediner Gulasch auf dem Kopf.“ Meine Haare waren teilweise orange und grün. Ich konnte so nicht in die Schule, weshalb meine Mutter dann mit mir zum Friseur gegangen ist.

Ihr Buch hat mich in diesem Fall jedenfalls geprägt…
Nöstlinger: Ich höre immer wieder, dass meine Bücher prägend sind. Auch mich haben Bücher geprägt, aber nicht als Kind, sondern als Erwachsene. Als Kind hatte ich sehr wenig Bücher.

Wird heute weniger gelesen? Können Sie das als Kinder- und Jugendbuchautorin bestätigen?
Nöstlinger: Es wird immer behauptet, dass weniger gelesen wird. Aber seltsamerweise werden immer mehr Kinderbücher verkauft. Irgendwie passt das nicht zusammen. Ich glaube es gibt eine Schicht von Kindern, die gar nicht mehr lesen können oder wollen, denen fällt das Lesen schwer. Sie sind sehr auf elektronische Medien fixiert. Dann gibt es Kinder, die leidenschaftliche Leser sind. In meiner Kindheit hat ein Kind vielleicht vier oder fünf Bücher besessen und hin und wieder ein Buch aus einer Bücherei ausgeborgt. Ich kenne heutige Kinder, die ganze Wände voll Büchern haben.

Denken Sie, dass in 10 oder 15 Jahren das gedruckte Buch der Vergangenheit angehört?
Nöstlinger: Nein, das glaube ich nicht. Ich möchte es nicht glauben und ich glaube es nicht. Ich zum Beispiel mag überhaupt nichts lesen, was nicht auf Papier steht. Sogar meine eigenen Texte drucke ich aus, damit ich sie korrigieren kann. Ich gehe noch immer viel lieber, wenn ich etwas nicht weiß, zu meinen Lexika, als dass ich bei Google nachschaue. Ich bin halt ein Mensch von gestern.

In Ihrem Buch „Achtung Kinder“, das im Juni erschien, geht es um die Sorgen und Nöte von Kindern und Jugendlichen. Ein Kind ist von seiner übervorsichtigen Mutter geplagt, eines ist Bettnässer, eines leidet unter seinen schrecklichen Eltern, einer ist übergewichtig. Man könnte meinen dieser Generation geht es sehr schlecht?
Nöstlinger: Aber nein (lacht). Man kann überhaupt nicht sagen, wie es einer Generation geht. Aber wie bei den Erwachsenen heute die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter ausklafft, so ist das auch bei Kindern und Jugendlichen. Es gibt eine Schicht, denen es sehr gut geht. Ich möchte fast sagen, dass es seit dem Bestehen der Menschheit keinen Kindern und Jugendlichen bisher so gut gegangen ist, wie dem Nachwuchs von gut verdienenden, gut gebildeten, liberalen Eltern. Die haben gemessen an meiner Kindheit das wahre Paradies auf Erden. Aber ich glaube, dass es Kindern in der Unterschicht, was man heute merkwürdigerweise „Prekariat“ nennt, womöglich noch schlechter geht als früher.

Warum geht es diesen Kindern heute schlechter?
Nöstlinger: Weil sie völlig allein gelassen werden. Sie haben keine Vorbilder um sich zu orientieren, sie werden wahrscheinlich weniger geschlagen als früher, aber stattdessen haben sie keine Kontrolle, leben äußerst unbewusst. Sie können schlechter schreiben, schlechter lesen und wahrscheinlich können sie auch schlechter denken. Ich rede jetzt von Österreich, ich weiß nicht, wie es woanders ist.

Wie wurden Sie erzogen?
Nöstlinger: Meine Erziehung war gemessen daran wie andere Kinder zu dieser Zeit erzogen wurden sehr frei und locker. Ich bekam meine gesamte Kindheit keine einzige Ohrfeige, was damals sehr außergewöhnlich war. Ich bekam auch nie eine Strafe, klar haben meine Eltern mal geschimpft, aber das Schlimmste, was ich zu hören bekam, war in starkem Wiener Dialekt von meinem Vater: „Madel, jetzt scham di.“ Um diese Eltern wurde ich von vielen Kindern beneidet.

Sie haben Ihre beiden Töchter ganz bewusst „nicht erzogen“, wie Sie einmal erklärten…
Nöstlinger: Ich kann das ja auch nicht, ich bin keine Erzieherin. Ich glaube nicht, dass man Kinder wirklich erziehen muss oder erziehen kann, denn sie orientieren sich automatisch an den Bezugspersonen, die sie als ihre Vorbilder ansehen. Natürlich war ich für meine Kinder eine Autorität und hatte Vorbildcharakter, das ist ganz klar. Genauso wie ich ihnen meine Meinung sagte, wenn mir etwas nicht zusagte was sie machten. Es gibt einen schönen Satz von Karl Valentin: „Kinder brauchen nicht erzogen werden, sie machen uns eh alles nach.“

Erziehungsratgeber haben Hochkonjunktur in der Buchbranche. Warum? Sind die Eltern heute so verunsichert?
Nöstlinger: Das ist auch wieder nur eine gewisse Schicht von Eltern, die sich unentwegt Erziehungsratgeber besorgen. Aber Ratgeber boomen überhaupt, nicht nur im Erziehungssektor, es gibt für alles Ratgeber – für die Partnerschaft, für das Alt werden und Frau sein. Es ist eine Generation, die in solch komischer Sachliteratur Rat sucht. Ich merke aber nicht, dass sich diese Menschen danach richten. Ja, Gott lob halten sie sich nicht daran. Gerade jetzt, wo wieder Erziehungsratgeber auf den Markt kommen, die strenge Zucht und Ordnung, mehr Anstand und Sitte propagieren. Ich lese so was ja nicht, aber wenn ich bei Buchbesprechungen darauf stoße, denke ich nur: Was sollen Eltern denn damit anfangen? Sie sollen vor allen Dingen netter zu ihren Kindern sein, sollen sich daran erinnern, wie es selbst war Kind zu sein. Dann verstehen sie ihre Kinder auch wieder besser. Und brauchen keine Ratgeber mehr.

In Ihrem aktuellen Buch „Lumpenloretta“ geht es um den Bildungstick vieler Eltern: Jene „sozialen Aufsteiger“, „die ,etwas Besseres‘ sein wollen als ihre Eltern, und von ihren Kindern erwarten, dass sie ,etwas Besseres‘ werden als sie selber.“ Was halten Sie davon, wenn Eltern das eigene Kind auf Teufel komm raus kreativ, musikalisch, sportlich und sprachlich zu fördern versuchen?
Nöstlinger: Es ist nichts dagegen zu sagen, die Kinder zu fördern, sofern diese einverstanden sind. Aber manche Mütter, die selber keine Karriere machen, weil sie ans Haus gebunden und auf die Kinder fixiert sind und sich dann in ihren Kindern verwirklichen möchten, finde ich für die Kinder sehr grauslig. Wenn ich als Kind für meine Mutter überall die Beste sein muss, dann vielleicht noch Geige spielen und Chinesisch lernen soll – das gefällt mir nicht.

Sie haben das ja alles beeindruckend unter einen Hut bekommen: Ehe, Kinder, Karriere….
Nöstlinger: Ohne meine Mutter, die sich immer um die Kinder kümmerte, wenn ich keine Zeit  hatte, wäre das nicht gegangen. Und meine Karriere hat sich eher zufällig entwickelt. Ich war eben nur Hausfrau, hatte zwei kleine Kinder und war mit dieser Situation sehr unzufrieden. So hatte ich mir mein Leben nicht vorgestellt. Ich liebe meine Töchter sehr, aber es waren keine Wunschkinder. Damals hat man eben geheiratet, wenn man schwanger war und dann saß man als Frau in der Falle. Ich wusste nicht, wie ich aus dieser Falle herauskommen sollte, denn hast du keinen Kindergartenplatz für deine zwei Kinder, kannst du nicht arbeiten gehen, gehst du nicht arbeiten bekommst du keinen Kindergartenplatz. Da biss sich die Katze in den Schwanz.

Also haben Sie mit dem Schreiben angefangen…
Nöstlinger: Ich habe mir überlegt: Was kann ich von den eigenen vier Wänden aus tun? Ich war studierte Gebrauchsgrafikerin, also habe ich überlegt ein Kinderbuch zu machen. So entstand die „Feuerrote Friederike“. Der erste Verlag, den ich anschrieb, nahm sofort die Geschichte, ich bekam dafür einen Preis. Ich dachte mir, wenn die alle meinen, dass ich schreiben kann, dann mache ich es weiter. Ich war sehr froh etwas zu haben, was ich konnte und was nach Erfolg schmeckte. Aber ich bin mir auch sicher, wenn dieser Verlag mein Buch abgelehnt hätte, dann hätte ich es keinem anderen Verlag angeboten und hätte auch kein zweites Buch geschrieben. Ich wäre resigniert. So wie ich damals war, hätte ich mir eingeredet, dass ich zu nichts zu gebrauchen bin und eben nichts kann, außer kochen und waschen.

Haben es die Frauen von heute einfacher, berufstätig zu sein?
Nöstlinger: Sie haben es in Österreich jetzt vielleicht ein bisschen einfacher mit Kindergartenplätzen. Aber nach wie vor gibt es ganz wenige Ganztagesschulen. Da haben sie es nicht weniger einfach als früher. Es gibt natürlich Neuerungen wie den Pflegeurlaub, wenn die Kinder krank sind, aber das reicht meistens ja doch nicht aus. Vor allem haben es die alleinerziehenden Frauen, die im Billiglohnsektor arbeiten, wie zum Beispiel Kassiererinnen, nicht leicht. Ich glaube, dass ihr Lebensstandard sogar ein bisschen geringer ist als vor 30, 40 Jahren. In Österreich hat es jetzt wieder eine neue Statistik gegeben: die Frauen verdienen immer noch bei gleicher Beschäftigung ein Viertel weniger als die Männer. Wir sind in der EU-Statistik an vorletzter Stelle.

Dann ist die Emanzipation der Frau noch nicht am Ende?
Nöstlinger: Nein, die ist noch nicht am Ende. Sie macht mir sogar manchmal Sorgen. Ich möchte da nicht ungerecht sein, aber die junge Generation, die heute 20 bis 25-Jährigen, kommt mir als sehr unpolitisch vor. Das stelle ich in deren Wertesystem fest, welches sie vertreten. Sie finden sich emanzipiert genug und finden eine weitere Emanzipation sei nicht notwendig. Sozusagen sei jeder auf sich selbst gestellt, von Solidarität ist bei ihnen nichts zu spüren. Aber vielleicht irre ich mich da auch mit meiner Vermutung.

Sie sind in Wien in ein anderes Viertel gezogen. Seit Sie dort wohnen, stellen Sie fest, dass viele junge türkische Frauen Kopftuch tragen, während Mütter und Großmütter unverschleiert über die Straße gehen.
Nöstlinger: Ja, das ist mir aufgefallen. Ich wohne in einer Gegend, in der sehr viele Türken wohnen. Direkt vor meiner Türe ist ein großer Obst- und Gemüsemarkt. Da sehe ich drei Generationen sozusagen Hand in Hand gehen. Die Ältesten, Mutter und Großmutter, haben eine Lockenpracht und die Töchter tragen ein Kopftuch. Ich mutmaße, dass das einfach eine Reaktion ist, ein Kulturverhalten der türkischen Generation, die sagen möchte: Ihr mögt uns hier sowieso nicht, wir sind anders und das zeigen wir auch. Denn das es sich um Reizverhüllung handelt stimmt nicht. Die Mädchen, von denen ich rede, sind sehr geschminkt, tragen hautenge Jeans manchmal schaut ein Stück Bauch heraus. Da kann es nicht um das Bedeckt sein gehen.

Sie wurden 1936 geboren. Ihre Mutter schilderte Ihnen recht eindrücklich, wie sie diese Zeit erlebte.
Nöstlinger: Als Kind hält man seine Eltern für allmächtig. Meine Mutter hat während der Nazizeit immer empört erzählt, dass der Herr Fischerl mit einer Zahnbürste den Gehsteig putzen musste. Ihre Rechfertigung vor sich selbst war: Wenn ich nicht euch zwei Kinder gehabt hätte, dann wäre ich dazwischen gegangen und hätte diesen SA-Männern eine runtergehauen. Als Kind dachte ich dann immer, dass ich daran schuld bin, dass der Herr Fischerl weggeführt wurde. Weil ich meiner Mutter zugetraut hätte, dass sie ihn gerettet hätte. Ich dachte, nur weil meine Schwester und ich auf der Welt sind, ist der arme Herr Fischerl nicht gerettet worden.

Zitiert

Kennen Sie Szegediner Gulasch? Dieses Gulasch mit Sauerkraut? Als ich meine Haare gefärbt hatte, sagte mein Vater: Madl, du siehst ja aus, als hättest du Szegediner Gulasch auf dem Kopf.

Christine Nöstlinger

In einem Interview sagten Sie: „Die Menschen haben sich seit 1938 nicht gravierend weiterentwickelt. Früher waren es die Juden, heute sind es die Moslems, die gefürchtet und gehasst werden.“
Nöstlinger: Ja. Das können auch wieder Juden werden, oder andere. Anscheinend brauchen die Menschen immer jemand auf den sie herabblicken, die an irgendetwas schuld sein müssen, das ist das Einfachste. Die Welt ist sehr kompliziert, wird zunehmend kompliziert, dann sucht man simple Lösungen und so kommen die ganzen Rechtsparteien darauf, dass an allem die Ausländer schuld sind. Ich mache nicht die herrschende Politik dafür verantwortlich, allerdings hat sie auch äußerst wenig dagegen getan, weil sie eben auch ziemlich populistisch agiert und gegen so viele Wähler nichts unternehmen will.

Begegnen Ihnen im täglichen Leben Hass und Ausgrenzung?
Nöstlinger: Ja, natürlich. Vor allem, seit ich in dieser Gegend wohne, kann ich bei Wienern Hass, lautstark geäußerten Hass, hören.

Woher kommt dieser Hass?
Nöstlinger: Das ist Fremdenfeindlichkeit. Es ist aber auch nicht einfach. Es sind Menschen, die kommen nicht aus der Großstadt Istanbul sondern aus dem hintersten Anatolien, es sind keine Intellektuellen, sie haben andere Sitten und Gebräuche, nicht viel Geld, wohnen geballt in kleinen Wohnungen. Wenn man als alter Wiener in einem Haus mit diesen Menschen wohnt, braucht man natürlich sehr viel Toleranz. Ich in meiner Dachwohnung habe es leichter, da oben habe ich meine Ruhe und werde von niemandem belästigt. Es ist nicht so, dass nur Ablehnung herrscht, die keine Ursachen hat. Das Zusammenleben ist manchmal schon nicht sehr einfach.

Sind Sie eigentlich religiös?
Nöstlinger: Nein. Ich bin nicht mal das, was man Agnostiker nennt. Ich bin durch und durch Atheist.

Woher kommt Ihr Idealismus, das Einstehen für Werte, Ihre Sympathie und Engagement für sozial Schwache, wenn es nicht religiöser Art ist?
Nöstlinger: Man muss doch nicht religiös sein, um ein Gewissen zu haben. Das sagt der Humanismus auch.
Ich habe mich durch das Vorbild meiner Eltern, meiner Familie so entwickelt. Es sind die Dinge, die ich gelesen habe und Menschen, mit denen ich zu tun hatte. Man muss wirklich nicht religiös sein, um das Gute zu wollen.

Beschäftigen Sie sich mit dem Tod und was danach kommen soll?
Nöstlinger: Notgedrungen. Weil ich alt, nicht ganz gesund bin und viele Freunde schon verstorben sind. Nach dem Tod kommt nichts mehr. Aus. Schluss. Ende.

Der katholischen Kirche laufen die Gläubigen weg. Hat die Kirche als Wertevermittler versagt?
Nöstlinger: Zum Wertevermitteln braucht man doch keine Kirche. Das können Philosophen, Schriftsteller, Politiker sein. Dazu brauche ich keine Kirche. Welche Werte hat denn die Kirche mir vermittelt? Scheinheiligkeit? Verlogenheit? Teilweise Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten? Nazis verstecken nach 45?

Welche Rolle spielt die Schule bei der Wertevermittlung?
Nöstlinger: Die Schule, wie ich sie mir vorstelle, könnte dabei eine große Rolle spielen.

Wie sollte diese aussehen?
Nöstlinger: Es ist eine gemeinsame Schule der 6 bis 15-Jährigen. Sie ist eine Ganztageschule, in der Förderung an erster Stelle steht und nicht Noten.

Pädagogik ist in vielen Interviews mit Ihnen ein Thema.
Nöstlinger: Ja, obwohl ich davon keine Ahnung habe. Aber wenn alle meinen mich dazu fragen zu müssen, bitte. Ich gebe halt Antworten. Aber das ist typisch, immer wenn es um Literatur für Kinder geht, kommt an erster Stelle die Pädagogik. Aber Kinderbücher sind keine pädagogische Veranstaltung, sondern eine literarische. Und das Wichtigste bei einem Kinderbuch ist immer noch die Sprache und nicht was der Autor den Lesern beibringen möchte.

In Bezug auf die Sprache in Ihren Büchern mussten Sie sich zum Teil  auch Kritik gefallen lassen …
Nöstlinger: Ja, ich musste mir am Anfang meiner Berufslaufbahn überhaupt sehr viel Kritik gefallen lassen. Die kam immer von Stellen, denen ich es zugetraut hatte. Es hätte mich gewundert, wenn es von dort keine Kritik gehagelt hätte. Das waren die 70-er Jahre, es waren andere Zeiten. Aber es gab nicht nur Kritik aus den konservativen oder reaktionären Löchern, sondern auch viel Lob, Anerkennung und Engagement für Kinderliteratur. Die Kritik war leicht auszuhalten.

Wie sieht es heute aus?
Nöstlinger: Heute gilt als gutes Kinderbuch, wenn es viele Kinder lesen mögen. Aber wo gibt es denn noch Kinderbuchkritiken? Nicht einmal mehr DIE ZEIT hat diese Kinderbuchseite mit der Kritik, die einmal im Monat erschienen ist. Höchstens vor Weihnachten oder Ostern gibt es noch welche. Da wird dann besprochen, welches Osterhasenbuch nett ist.

Wird dem Genre Kinder-und Jugendbuch zu wenig Bedeutung beigemessen?
Nöstlinger: Ich denke schon. Nur in Ausnahmenfällen werden aus nicht lesenden Kindern und Jugendlichen lesende Erwachsene. Normalerweise beginnt ein Mensch, der ein Leser wird, schon als Kind zu lesen. Was er als Kind zu lesen bekommt, was ihm gefällt, was er da an guter Sprache erkennt, wie ein gutes Buch zu sein hat, bringt ihn als Erwachsener weiter zum Lesen. Deshalb wäre der Ursprung des Lesens, also lesende Kinder, ein bisschen besser zu betreuen.

Was macht ein gutes Kinderbuch aus?
Nöstlinger: Gerade liegt neben mir eine rote Kuscheldecke, die hat mir jemand aus dem Astrid-Lindgren-Reservat aus Schweden geschickt. Da ist groß aufgedruckt, auf Deutsch übersetzt: „Gute Kinderbücher bringen die Welt zum Kind und das Kind in die Welt.“ Das sollte ein gutes Kinderbuch erfüllen.

Das Genre Fantasy erlebte vor einigen Jahren einen enormen Boom. Joan K. Rowling schreibt über Zauberlehrlinge, Stephenie Meyer über Vampire, Cornelia Funke über Buchfiguren, die real werden. Wie stehen Sie zu Fantasy?
Nöstlinger: Sie ist nicht meins. Gegen Harry Potter kann man nichts sagen, das ist sehr gut geschrieben. Aber alles, was Fantasy ist, interessiert mich nicht. Ich habe auch aufgehört „Herr der Ringe“ zu lesen, es hat mich gelangweilt. Ich habe schon genug mit der Welt tun, in der ich lebe zu. Über die will ich lesen, möchte mehr über sie verstehen. Ich muss mich nicht in andere Welten flüchten und sehen, was die für Regeln haben und wie sich dort das Gute und Böse bekämpfen. Ich verstehe wenn Kinder, denen ihr Leben hier nicht sehr gefällt – und das sind anscheinend sehr viele – sich in andere Welten flüchten.

Aber auch viele Erwachsene begeistern sich für fantastische Welten.
Nöstlinger: Denen wird es genauso gehen wie den Kindern, dass sie sich in eine andere Welt sehnen. Ich sehe sonst keinen Grund, warum solche Bücher so begehrt sind. Aber es ist ja das Recht eines jeden Menschen zu entscheiden, in welcher Welt er abtauchen möchte.

Was die wenigsten Leser wissen, Sie haben auch drei Kochbücher geschrieben…
Nöstlinger: Ja, das erste war „Mit zwei linken Kochlöffeln“, wobei links nicht politisch gemeint ist, sondern sich auf „zwei linke Hände haben“ bezieht. Meine Töchter und andere junge Menschen wussten, dass ich gut kochen kann und haben sich öfters Tipps von mir geholt. So entstand die Idee dazu.

Kochen Sie gerne?
Nöstlinger: Solange mein Mann lebte, habe ich gerne gekocht, er war ein freudiger Fresser. Auch für Gäste habe ich gerne gekocht. Man bekommt ja für nichts Anderes so leicht Komplimente wie für ein gutes Essen. Ich habe schon für manche Menschen viel mehr getan als eine gute Ente gebraten und habe weit weniger Lob dafür bekommen, wie wenn die Ente wirklich gut ist. Wenn nachher das Karamell auch noch gut ist, wird man mit Lob überhäuft. Man kann sich leicht Lob und Liebe durch gutes Kochen einheimsen. Allerdings gehöre ich zu den wenigen guten Köchen, die gerne kochen aber nicht gern essen. Ich esse überhaupt nicht gern. Ich habe keinen Hunger, Essen bedeutet mir nicht viel.

Im Fernsehen wird heute zu jeder Tages- und Nachtzeit gekocht.
Nöstlinger: Das Interessante daran ist: Kochsendungen überall, Kochbücher wandern in Massen über den Ladentisch, aber die Leute kochen viel weniger. Kochbücher sind Bilderbücher für Erwachsene. Man schaut rein und freut sich an den bunten Bildchen.

Im Oktober wurden Sie 75 Jahre alt. Haben Sie Ihre Gäste bekocht?
Nöstlinger: Gott bewahre. Ich habe 15 Freunde zum besten Italiener von Wien eingeladen. Ich kann doch für 15 Menschen nicht kochen. Solche Töpfe habe ich ja gar nicht.

Ein Kommentar zu “Ich bin keine Erzieherin.”

  1. petra |

    liebe frau nöstlinger, ….und heute schreib ich ihnen ein paar zeilen. Ich hab als kind nicht viel gelesen, aber es gibt immer eine zweite chance und durch meine drei töchter lernten wir ihre bücher und die beteiligte figuren richtig gut kennen. da ich meinen mädchenschon sehr, sehr früh bücher anbitten wollte sind wir nach diversen bilderbüchern, erst stoff, holz, karton,….endlich zur MINI
    gekommen, FRANZ; CHRISTERL; GRETCHEN; ERIKA&ILSE, & CO, …Die geschichten von FRÖHLICHE WEIHNACHTEN LIEBES CHRISTKIND, gehören zum advent, wie die lieder, wir sagen euch an und es wird schon glei dumpa,…
    Sehr nachträglich gratulieren wir Ihnen zu Ihren runden geburtstag und möchten DANKE sagen für die begleitung durch unseren alltag. für mich sind sie eine frau die immer schon jahre voraus mit Ihrer wahrnehmung, achtsamkeit und gelassenheit war und ist. ….ich bin ein fan und besonders gefallen mir die geschichten von eine frau sein ist kein sport. Die niedrigstaplerin und das verhältnis 1 zu 5 ist sowas von genieal. wir wünschen ihnen noch viele schöne jahre. herzlichst petra&familie

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