Axel Ranisch

Ich brauche immer einen Hoffnungsschimmer.

Wenn Alkohol eine Person wäre, dann würde sie Flasche heißen. Aus dieser Idee hat Regisseur Axel Ranisch den Film „Alki Alki“ gemacht, in welchem Heiko Pinkowski einen Alkoholkranken und Peter Trabner dessen Sucht verkörpert. Im Interview spricht Ranisch über die Arbeit ohne Drehbuch, Langsamkeit im Film, seine Arbeit als Medienpädagoge und warum er zum ersten Mal stolz auf Angela Merkel ist.

Axel Ranisch

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Herr Ranisch, stimmt es, dass Sie sich im Vorfeld weigerten, bei „Alki Alki“ Regie zu führen?
Axel Ranisch: Naja, ich hab erstmal mit der Idee gehadert. Peter Trabner wollte eine Alkoholikerstory verfilmen, so richtig der Niedergang eines Mannes bis hin zum Ärgsten. Auf so ein krasses Melodram hatte ich keine Lust. Ich hab ihm gesagt: „Es fehlt mir irgendwas.“ Ich brauche immer einen Hoffnungsschimmer, Humor, irgendwie was Verrücktes. Dann kam er zwei Wochen später wieder und sagte: „Was wäre denn wenn die Sucht was Reales wäre? Ein bester Freund zum Beispiel“ und da hat`s Klick gemacht. Wir erzählen eine Geschichte von zwei besten Freunden. Der eine ist real und der andere ist seine Sucht.

Die beiden haben eine sehr innige Beziehung. Wenn Peter Trabner alias „Flasche“, Heiko Pinkowski und seine Filmfrau Christina Große in einem Bett liegen wirkt das skurril.
Ranisch: Dass die Beziehung von einem Süchtigen zu seiner Sucht das Freundschaftliche übersteigt und manchmal schon mit Liebe zu tun hat, das ist, glaube ich, jedem Süchtigen und auch jedem trockenen Alkoholiker klar. Insofern konnte die Beziehung zwischen Tobias und seinem Kumpel Flasche nicht nur kumpelhaft sein, sondern auch zärtlich.

Wie haben Sie für „Alki Alki“ recherchiert? Waren Sie bei den Anonymen Alkoholikern?
Ranisch: Ja, mit denen sprachen wir auch, aber es war gar nicht nötig, so wahnsinnig viel zu recherchieren. Nachdem mein Film „Ich fühl mich Disco“ sehr viel mit mir persönlich zu tun hatte, ist „Alki Alki“ sehr nah an Heiko (Pinkowski) und Peter (Trabner) dran. Da müssen die beiden aber selbst drüber sprechen.

Zitiert

Ich lasse mir von niemandem Angst einreden.

Axel Ranisch

Eine kleine, aber doch sehr amüsante Rolle spielt Iris Berben. Wie konnten Sie Iris Berben überzeugen?
Ranisch: Ich bin sehr stolz, dass sie die Galina Iwanowna Schnurkinowa spielt; eine sibirische Großinvestorin. Sie hat sich vor drei Jahren, als ich mit „Dicke Mädchen“ für den First Steps Award nominiert war, als Fan geoutet und da dachte ich mir, ich frage sie mal, ob sie nicht Lust hat, einen Tag wild zu improvisieren und mit uns auf die Kacke zu hauen.

War das anders mit einer Dame am Set?
Ranisch: Wir alle waren ordentlicher und höflicher und strukturierter als sonst. Wir sind ein sehr harmonisches Team, aber manchmal sind wir so harmonisch, dass wir uns untereinander Flapsigkeiten erlauben können. Das war an dem Tag nicht so. Wir rissen uns da etwas mehr zusammen. Mit Frau Berben blieben wir die ganze Zeit beim Sie. Abends, als wir dann fertig waren, war mein Papa da. Er war mein persönlicher Setfahrer und hat mich immer von Location zu Location gefahren. Jedenfalls traf da mein Papa auf Frau Berben und sagte. „Ick bin der Vatter, ick bin Kalle.“ Frau Berben sagte: „Schön. Ich bin Iris.“ Dann waren mein Papa und Frau Berben per du.

Mit wie viel Geld haben Sie „Alki Alki“ umgesetzt?
Ranisch: Es war ein bisschen mehr als eine halbe Million.

Bei „Dicke Mädchen“ waren es 500 Euro, oder?
Ranisch: Richtig, jetzt waren es drei Nullen mehr.

Was verändert sich, wenn man so eine große Summe bekommt?
Ranisch: Man kann die Leute bezahlen. Das ist schon mal sehr viel wert. Viele Schauspieler, die auch in „Alki Alki“ mitspielen, drehen ja seit vielen Jahren Filme mit mir und haben mich während der ganzen Studienzeit unterstützt.

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Heiko Pinkowski, Iris Berben und Peter Trabner in „Alki Alki“  © MissingFilms


Sie nehmen sich Zeit, Geschichten langsam zu erzählen, mit langen Einstellungen. Sind Sie ein ‚entschleunigter‘ Mensch?

Ranisch: Ich kann es nicht leiden, wenn das so schnell geht. Aber das Leben ist sehr schnell. Auch mein Leben ist furchtbar schnell.
Ich habe mit sechs Jahren die klassische Musik für mich entdeckt und bis zu meinem 18. Lebensjahr immer gehört hören. Da lernt man, dass das Wichtigste in der Musik die Pausen sind. Und das ist im Film genauso. Weil Film und eine gute Geschichte nichts anderes als Rhythmus sind. Wenn man die Pausen nicht beachtet, dann kommt man nicht zum Luft holen und kann dann die Emotionen nicht verdauen. Deswegen sind meine Filme manchmal etwas ruhiger geschnitten, obwohl nicht weniger passiert.

Sie drehen ohne Drehbuch. Ist es nicht schwierig, die Schauspieler so sehr loszulassen?
Ranisch: Man muss sich als Regisseur nur ein bisschen zurücknehmen und nicht ganz so wichtig nehmen. Für „Alki Alki“ haben wir die gesamte Handlung auf ungefähr 20 Seiten aufgeschrieben. Da war jede Szene relativ genau beschrieben. Es war also klar, was passiert, nur wie es passiert, das schreibe ich nicht auf. Das finden wir am Set.

Arbeiten Sie ohne Drehbuch, weil Sie die Realität nicht skripten sondern erleben möchten?
Ranisch: Ich mag es, wenn etwas ungeplant passiert. Deswegen ist der erste Moment immer heilig und es gibt keine Proben im Vorfeld.

ranisch plakatIhre Großmutter, Ruth Bickelhaupt ist seit „Dicke Mädchen“ bis auf eine Ausnahme immer mit von der Partie. Gehört Ihre Oma schon zum Konzept?
Ranisch: Das Drehen mit ihr macht einfach wahnsinnig viel Spaß. Ich habe so schrecklich viel zu tun und wenn wir miteinander drehen können, dann sehen wir uns ja auch.

Welchen Einfluss hat Ihre Großmutter auf Sie?
Ranisch: Einen sehr großen. Als ich ganz klein war, waren meine beiden Eltern berufstätig. Meine Mutter hat sich als Physiotherapeutin selbstständig gemacht und mein Vater war Trainer und viel in der Welt unterwegs. Ich bin einen beträchtlichen Teil meiner Jugend bei meinen Großeltern aufgewachsen und die haben mich genauso geprägt wie meine Eltern. Insofern ist meine Oma wahnsinnig prägend für mich.

Treibt Sie Sie auch an, ihr bestimmte Rollen auf den Leib zu schreiben?
Ranisch: Ganz im Gegenteil. Immer wenn ich wieder was für sie habe, dann lacht sie: „Was für mich? Ich soll spielen?“ „Oma, du bist doch jetzt Schauspielerin.“ „Na wenn du meinst. Mich alte Schachtel.“ Und am Anfang habe ich gedacht, wir müssen genau auswählen, was sie spielt und was nicht und jetzt denke ich mir „Mensch, das macht ihr so viel Spaß. Die soll mal alles drehen“, denn wenn sie nicht dreht, dann sitzt sie vielleicht zu Hause bei sich in ihrer Wohnung. Sie ist alleinstehend, seit Opa gestorben ist. Sie macht zwar Chi Gong und Thai Chi und Wassergymnastik und Pipapo, aber trotzdem, man will ja auch nicht alleine in seiner Wohnung rumhängen. Und die Leute sind sehr nett zu ihr. Wenn man als 93-jährige Dame irgendwo hinkommt, wird man meistens auch sehr gut behandelt.

Neben Ihrer Oma sind auch dicke Männer ein wesentlicher Bestandteil Ihrer Filme. Könnten Sie sich vorstellen, auch mal mit dünnen Menschen was umzusetzen?
Ranisch: Schon, ich bin ja tolerant!

Sie haben mal in einer Sauna gejobbt. Was haben Sie dort gelernt, was Sie jetzt umsetzen können?
Ranisch: Erst mal gab`s dort tolle skurrile Typen. Das ist für jemanden, der gerne Menschen beobachtet und studiert, Gold wert. Und es hat sehr schön geerdet. Gerade in der Zeit, als wir mit „Dicke Mädchen“ so viel in der Welt herumgereist sind und so viele Preise gewonnen hatten. Dann war ich in Österreich und habe die Hauptrolle in einem Kinofilm gespielt. Du wirst so gepempert. Alle tun so, als wärst du so ein großer Schauspielstar. Dann kommste nach Hause und arbeitest erst mal in der Sauna. Du machst sauber, machst `nen Aufguss für die Leute, die alle nackt vor dir sitzen, dann machste die Kasse und putzt am Ende noch. Man hatte auch viel Zeit zum Nachdenken. Das war eine schöne Arbeit.

Und was erdet Sie jetzt?
Ranisch: Meine Familie, mein Freund.

Hat man als Filmemacher eigentlich noch Lust auf Fernsehen?
Ranisch: Ja. Ich gucke alles mit Tieren. Natursendungen und Fernsehfilme. Auch sehr gerne schlechte deutsche Fernsehfilme. Manchmal kommt so Kitschquatsch und dann freue ich mich immer. Wenn diese Leute Filme machen dürfen, dann ist das schon ok, wenn ich auch Filme mache. Und ich schaue gerne Bundestagsdebatten. Ich kann mich dann herrlich über Abgeordnete aufregen.

Was denken Sie über die aktuelle Flüchtlingssituation?
Ranisch: Ich freue mich enorm über Vielfalt. Deutschland braucht Zuwanderung, um nicht auszusterben. Ich bin das erste Mal so richtig stolz auf die Haltung meiner Kanzlerin. Ich lasse mir von niemandem Angst einreden. Deutschland ist weltoffen und tolerant. Die Bürger, die ihre Toleranz-Hausaufgaben nicht gemacht haben, sind zwar laut, aber in der absoluten Minderheit. Aber wir müssen die Menschen, die zu uns kommen auch ernst nehmen. Niemand kommt, um sich `nen faulen Lenz auf Staatskosten zu machen. Das stimmt einfach nicht. Die Menschen wollen arbeiten. Dafür müssen wir aber ihre Qualifikationen und Talente anerkennen und sie nicht mit der Bürokratie-Keule erschlagen.

Engagieren Sie sich?
Ranisch: Klar. Ich habe zum Beispiel gerade eine Folge „Löwenzahn“ zum Thema Toleranz gedreht, die am 29. November TV-Premiere hat. Toleranz ist etwas, was man jeden Tag aufs Neue erlernen muss, wir alle müssen jeden Tag daran arbeiten. Da kann sich keiner mit Intoleranz rausreden. Wer nicht tolerant ist, der hat einfach seine Hausaufgaben nicht gemacht.

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In Ihrer Zeit als Medienpädagoge haben Sie auch einmal mit einem Neonazi gearbeitet.
Ranisch: Ja, ganz am Anfang, da haben wir in einer Bildungsstätte in Brandenburg mit Jugendlichen an einem Filmprojekt zum Thema Rassismus gearbeitet. Da kam immer wieder einer aus dem Ort und pöbelte rum. Das war ein großer Typ mit Glatze. Ich war Anfang 20 und hatte auch ein bisschen Schiss. Wir haben ihn gefragt: „Was willst du denn eigentlich? Was ist denn los?“

Und was war los?
Ranisch: Der Typ hatte einfach Langeweile und nichts zu tun. Dann haben wir uns ein Herz gefasst und gefragt: „Sag mal, willst du uns nicht helfen anstatt hier rumzupöbeln? Wir drehen hier Filme gegen Rechts. Wir brauchen Bomberjacken, Springerstiefel, wir brauchen all den ganzen Kram und auch ein bisschen Vokabular. Was sagt man so als Nazi?“ (lacht). Dann ist er losgefahren und hat uns Bomberjacken besorgt und Springerstiefel…

Hat er mitgespielt?
Ranisch: Ja, da hat er dann auch nicht mehr rumgepöbelt. Das fand er gut. Der hat mit uns drei Kurzfilme gedreht und sich total in unsere Gruppe integriert. Am Ende war er total handzahm. Dann irgendwann waren die Filme fertig und es sollte eine große Präsentation geben, wo die ganzen Filme gezeigt wurden. Er fragte dann, ob er zur Präsentation seine Kumpels mitbringen kann. Uns ging der Arsch auf Grundeis: „Oh Gott, jetzt kommt er mit den Neonazis an!“

Ging das gut?
Ranisch: Ja. Er hatte versprochen, dass die Neonazis friedlich bleiben. Wir haben die Präsentation in so `ner Dorfkirche gemacht. Da saßen wir, die Jugendlichen, ein paar Dorfbewohner und so `ne Gruppe von Glatzen, die den Typen in den Filmen abgefeiert haben. Der hat auch einfach richtig gut gespielt. Dann haben wir denen nach der Präsentation eine DVD mitgegeben. Filme gegen Rechts direkt ans Zielpublikum gebracht. Das war geil.

Würden Sie gerne wieder Aufklärungsarbeit leisten?
Ranisch: Als Medienpädagoge haben wir diese Workshops gemacht und das war toll. Es ist immer dann am Nachhaltigsten, wenn man über einen langen Zeitraum mit den gleichen Leuten zusammenarbeitet, aber wenn das mit dem Filmemachen nicht klappt, dann kann ich mir hervorragend vorstellen, zurück in die Medienpädagogik zu gehen.

Auf mich wirken Sie manchmal wie ein Youtuber. Könnten Sie sich vorstellen auf Youtube aktiv zu werden?
Ranisch: Und nach vielen Klicks zu hecheln? Ich weiß nicht. Ich kenn mich mit Computern nicht so gut aus. Als Youtuber müsste man ständig in einer bestimmten Richtung up to date sein. Dann muss man möglichst im Alleingang preiswert den ‚heißen Shit‘ produzieren. Das ist, glaube ich, nicht meins. Das geht mir dann auch zu schnell. Obwohl ich viele Ideen habe, daran liegt`s nicht. Aber ob das dann was ist, was viele Leute anklicken. Man kann damit Geld verdienen, oder?

Ja. So ein Kanal, in dem Sie alles erzählen können, was Sie wollen. Reizt Sie das nicht?
Ranisch: Ich würde etwas zu klassischer Musik machen, aber das würde ja keiner anklicken.

Doch.
Ranisch: Schon, ja? Das wäre was Schönes: Ich erkläre Musikstücke und erzähle Geschichten von Komponisten.

Sie haben schon mehrfach Opern inszeniert. Was reizt Sie daran?
Ranisch: Das Doofe an dem Beruf des Regisseurs ist, dass man so viel mit Technik zu tun hat. Das ist immer schön, wenn man eine Oper inszenieren darf, dass da Technik fast keine Rolle spielt. Plötzlich ist man sechs Wochen lang mit den Sängern, der Geschichte und der Musik allein. Da wird alles selber gemacht. Die Leute singen, jemand sitzt am Klavier und spielt und man selbst lässt die Geschichte auf der Bühne entstehen. Das liebe ich.

Nach seinem Regie-Kurzfilmdebüt im Jahre 2002 produzierte der 1983 in Berlin geborene Axel Ranisch in sieben Jahren an die 80 Kurzfilme. Bis 2004 absolvierte Ranisch eine Ausbildung zum Medien- und Theaterpädagogen. Von 2004 bis 2011 studierte er an mehr

Ein Kommentar zu “Ich brauche immer einen Hoffnungsschimmer.”

  1. marianne beckmann |

    Hallo Herr Ranisch!

    Mögen Sie Filme wie „Eis am Stiel“ und „Münchner G’schichtn“?

    Angenommen, ich hätte ein Buch in der Art geschrieben, mit lauter guten Typen, hätten Sie Lust einen Film daraus zu machen?

    Nix für ungut! War nur eine Frage.

    Herzliche Grüße aus Bayern nach Berlin
    Marianne Beckmann

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