Abbas Khider

Wir sollten nicht plötzlich alles infrage stellen.

Abbas Khider flüchtete einst aus dem Irak nach Deutschland, studierte Literatur und Philosophie und schreibt in seinem vierten Roman „Ohrfeige“ über das Schicksal eines Flüchtlings in Deutschland. Im Interview spricht Khider über erlebte Folter, verdrängte Erinnerungen, seinen Umgang mit der deutschen Sprache und darüber, wie er Pegida-Anhänger umstimmen würde.

Abbas Khider

© Peter-Andreas Hassiepen

Herr Khider, als Gymnasiast hatten Sie einen folgenschweren Nebenjob: Sie verkauften Bücher von irakischen Exilanten und Regimegegnern auf den Straßen Bagdads.
Ja, ich brauchte möglichst interessante Bücher, und verbotene waren immer das beste Geschäft. Dadurch habe ich viele Menschen kennengelernt, die gegen die Regierung waren. Plötzlich war ich mittendrin, ohne zu wissen, dass ich gerade den Fehler meines Lebens begehe. Ich wusste damals nicht, dass so etwas im irakischen Gesetz als Landesverrat galt. Darauf stand lebenslängliche Haft bis hin zur Todesstrafe.

Sie landeten 1993 im Folterknast, nachdem Sie verraten worden waren. Wissen Sie, von wem?
Später habe ich es erfahren, aber das spielt keine Rolle. Mir war schnell klar, was es bedeutet, in einem Verhörraum zu sitzen. Man wird gefoltert, und man kann nicht alles ertragen. Die Methoden sind unmenschlich, unbeschreiblich. Man ist bereit, alles zu sagen. Ich hatte dasselbe Problem: Ich kannte viele Leute, die mit verbotenen Parteien zusammenarbeiteten – und ich sollte Namen nennen.

Was wurde außer Namen noch verlangt?
Wir mussten zugeben, dass wir Verräter sind. Dass wir die Regierung und Saddam Husseins Baath-Partei beleidigt haben. Es gab keine andere Möglichkeit, sonst wurden wir weitergefoltert.

Wie verarbeiten Sie die Erinnerungen an damals?
Ich bin jemand, der nicht gut mit der Vergangenheit umgehen kann. Es geht dabei nicht nur um Ereignisse und Bilder, sondern auch um Menschen, die mir früher nahestanden. Die Erinnerungen an sie schalte ich aus. Ich habe eine Mauer um mich herum gebaut und lebe dahinter wie ein einsamer Schöpfer. Jeder, der mir etwas Unschönes von früher oder nur vom letzten Jahr mitbringen will, muss draußen bleiben.

Zitiert

Ich bin nicht der einzige komische Vogel in der Literaturgeschichte.

Abbas Khider

In Ihren Romanen schreiben Sie über Folter und Flucht. Wie verhindern Sie, dass die Arbeit alte Wunden aufreißt?
Es gibt nur eine Strategie dagegen: Ich ändere die Vergangenheit, indem ich Geschichte neu erfinde. Ich versuche, auch die schönen Seiten in der Grausamkeit zu finden. Außerdem schreibe ich nur dann über die Vergangenheit, wenn sie nicht mehr gegenwärtig für mich ist.

Den Arabischen Frühling vor fünf Jahren haben Sie hoffnungsvoll begleitet. Wäre er ein Thema für einen Roman?
Ich war damals Teil der Bewegung, ich bin nach Kairo geflogen, als die Menschen dort auf die Straßen gegen die Staatsmacht gingen, ich hockte dann wie sie am Tahrir Platz und habe vieles mitgemacht. Diese Tage waren die schönsten meines Lebens. Das erste Mal erlebte ich eine friedliche Revolution und auch das Ende eines Diktators. Wenn ich jetzt ein Buch darüber schreiben würde, würde ich alles zu sehr romantisieren. Da geht die Literatur verloren, ich brauche Distanz. Auch zu schönen Ereignissen. Ich bin kein Autor der Schlagzeilen und will das auch nicht werden. Ich will nicht über aktuelle Probleme schreiben, sondern über zeitlose.

Deshalb spielen Ihre Romane mindestens zehn Jahre in der Vergangenheit, nie in der Gegenwart.
Wie gesagt: Ich brauche Distanz zur Dichtung, um so objektiv wie möglich bleiben zu können. Das ist meine Art, im Leben und in der Literatur mit den Dingen umzugehen. Nach dem ersten Roman haben einige Leute gesagt: „Jetzt hast du deine Geschichte aufgeschrieben, was willst du danach machen?“ Ich habe geantwortet: „Das Buch ist nicht autobiografisch.“ Aber keiner wollte das hören. Beim zweiten Roman war es dasselbe. Beim dritten auch, obwohl sieben verschiedene Figuren darin auftreten, darunter Frauen, Polizisten und Geheimdienstler.

In Ihren Büchern verbinden Sie eigene Erfahrungen mit Fiktion. Wieso diese literarische Strategie?
Meiner Meinung nach gibt es zu viele Geschichtsfälschungen. Das liegt daran, dass die Geschichte nicht von einfachen Menschen geschrieben wird, sondern von Regierungen und Herrschern. Ich aber schreibe darüber, wie die einfachen Menschen die Welt sehen, die Gesellschaft und die Politik.
Ich genieße es, Figuren und Geschichten zu erfinden, eine neue Welt sprachlich darzustellen und dabei selbst mittendrin zu sein.

An Ihrem Roman „Ohrfeige“ über Asylbewerber in Deutschland haben Sie fast vier Jahre gearbeitet. Inzwischen ist das Thema wieder höchst aktuell.
Als ich anfing, konnte ich das nicht wissen. Meine erste Idee war ein Gesamtbild der Migranten und Asylbewerber in Deutschland. Wie sie leben, wie sie träumen, wie ihr Leben funktioniert. Ich hatte keinen Roman in deutscher Sprache gefunden, der in einem Asylantenheim spielt. Da dachte ich mir: Das ist eine Möglichkeit, etwas Neues zu bringen. Eine Parallelwelt, die man nicht kennt. Die Menschen dort sollten greifbarer werden für die Leser, das war meine Idee.

In „Ohrfeige“ erscheinen die meisten Deutschen als starrsinnige Bürokraten ohne Verständnis für die Situation der Flüchtlinge.
Wir müssen das ganz genau betrachten. Es stimmt zwar: Die Deutschen sind hier müde Menschen, gelangweilte Figuren, die herzlos sind und nichts tun. Das hat aber weniger mit ihnen selbst zu tun, sondern mehr damit, wie die Asylbewerber die Deutschen sehen. Sie können mit ihnen nicht richtig reden, weil sie die Sprache nicht beherrschen, sie haben auch keinen Zugang zur Gesellschaft. Sie treffen immer wieder dieselben Berufsgruppen: Hausmeister, Caritas-Angestellte, Polizisten. Und diese Menschen, die ständig mit den Asylanten zusammen sind, sind im Laufe der Zeit fix und fertig.

Warum sind sie das?
Es gibt so viele Probleme, die man nicht lösen kann, weil jeder sagt: „So ist das Gesetz.“ Diesen Satz kennt man ganz gut von den Behörden, selbst die Einheimischen kennen ihn. Ich kritisiere also nicht die deutsche Gesellschaft, sondern ich kritisiere das Verwaltungssystem, das uns zu komischen, gelangweilten Kreaturen gemacht hat. Auf der einen Seite stehen die Einheimischen als diese Kreaturen, auf der anderen Seite Asylanten, die nur in Angst leben: Erst um die Aufenthaltserlaubnis, dann vor dem Widerruf. Und dazwischen ist das System.

© Peter-Andreas Hassiepen

© Peter-Andreas Hassiepen

Wie sah Ihre Recherche für den Roman aus?
Ich war ja früher selbst in vielen Asylantenheimen, auch in einem Obdachlosenheim. Deswegen fiel es mir leicht, über solche Dinge zu schreiben. Ich musste nur ein paar Bilder aus der Vergangenheit suchen und ein paar Dokumente von früher, von denen ich Gott sei Dank noch viele besitze. Ich habe auch Leute von damals angerufen und Interviews mit ihnen geführt. Sie haben mir geholfen, mich an die Geschichten zu erinnern. Wie gesagt: Ich bin jemand, der vieles vergisst, auch Namen. Die Recherche hat aber nur rund drei Monate gedauert, der Rest war Schreiben.

Wie viel in „Ohrfeige“ beruht auf Tatsachen, und wie viel ist Ihrer Fantasie entsprungen?
Ich habe das Gefühl, dass ich die Welt immer neu entdecke, wenn ich über etwas schreibe – auch meine Welt. Ich sehe viele Dinge heute ganz anders als früher, auch durch das Schreiben. Man kann Geschichte nie wortwörtlich wiedergeben und sagen: „Das ist wahr, das ist die Realität.“ Es gibt keine Realität. Und in einem literarischen Werk gibt es nur eine einzige Wahrheit: die Wahrheit des Romans.

Während Sie am Buch schrieben, holte Sie die Aktualität des Themas ein. Wie war das für Sie?
Ich hatte mich von den politischen Nachrichten distanziert, solange ich am Roman gearbeitet habe. Erst als ich fertig war, habe ich verstanden, wie aktuell das Thema ist. Als ich dann wieder anfing, die Nachrichten zu verfolgen, stellte ich fest, dass die Zeit vorher sehr schön für mich gewesen war. Ich hatte mich richtig erholt, war sehr stabil. Danach war ich nur zornig. Auf das, was die Politiker sagen, und darauf, dass Leute gegen Flüchtlinge auf die Straße gehen. Wenn ich darüber geredet habe, wurde ich zum ersten Mal in meinem Leben laut, auch vor Freunden. Irgendwann saß ich da und sagte mir: „Hör auf damit!“ Heute lese ich politische Nachrichten ausschließlich am Wochenende, unter der Woche nur Feuilletons und interessante Gesellschaftsartikel. Das gibt mir unglaublich viel Kraft.

Sie sind ehemaliger Flüchtling, aber seit 2007 auch deutscher Staatsbürger. Aus welcher Perspektive betrachten Sie die aktuelle Lage?
Ich bin schon so lange in Deutschland, ich fühle mich als Teil der Gesellschaft. Mein Alltag ist ein deutscher Alltag. Und ich muss auch manchmal kritisch sein, wenn mir in diesem Land etwas nicht gefällt.

Wie groß ist für einen Asylbewerber in Deutschland die Hoffnung, wirklich bleiben zu dürfen?
Die Mehrheit der Asylanten, früher wie heute, hat keine Chance auf eine Zukunft. Das ist die Wahrheit. Nur einige haben Glück, und da rede ich nicht mal über zehn Prozent, eher über fünf.

Glück ist entscheidend?
Ja. Es gibt Pech und Glück, mehr nicht. Die Mehrheit hat Pech, die meisten werden irgendwann abgeschoben. Sie leben immer in der Angst, dass ihre Aufenthaltserlaubnis nicht verlängert wird oder ein Widerruf kommt. Dass sie ihre Arbeit verlieren, und vor schlechter Behandlung in den Ausländerbehörden. Diese ständige Angst spiegelt sich in einer Familie wider, die Kinder kriegen alles mit. Und diese Ängste haben fast alle. Nur die nicht mehr, die es irgendwann schaffen, die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen.

Ihnen ist das nach sieben Jahren in Deutschland gelungen.
Das war Glück. Ich würde nicht sagen, dass ich besonders kämpferisch war, das ist Quatsch. Ich habe nur deshalb nicht aufgegeben, weil ich allein war. Weil ich hier keine Familie hatte, die ich hätte ernähren müssen.

Was ist am wichtigsten im Umgang mit Flüchtlingen?
Diese Menschen sind Menschen wie wir. Daran müssen wir glauben, dann ändert sich viel. Das größte Problem liegt darin, wie man einen anderen Menschen ansieht. Wenn man ihn als minderwertig betrachtet, kann man ihm alles antun, ohne schlechtes Gewissen. Und das passiert mit den Asylbewerbern. Eine einfache Sache, die man am System ändern sollte: Alle müssten vor dem Gesetz gleich sein.

Im Buch entwickelt sich unter den Asylbewerbern eine Zweckgemeinschaft. Wie war das bei Ihnen?
Ich hatte nur zu ein paar Leuten Kontakt. Es war wie im Roman: Wir waren gezwungen, miteinander klarzukommen. Wir waren unterschiedliche Charaktere, aber plötzlich alle allein, ohne Familie und Freunde. Stellen Sie sich vor, Sie kommen aus demselben Land und haben viele Probleme hier. Dann sind Sie wie die Tiere, wenn es ein Gewitter gibt: Plötzlich hockt der Wolf neben dem Schaf.

Wo lebt Ihre Familie heute?
Im Irak.

Könnten Sie sich vorstellen, in den Irak zurückzukehren, wenn sich die politische Lage stabilisiert?
Ist die Frage ernst gemeint? Ich bin jetzt 42, das heißt: etwa 20 Jahre arabische Welt, 20 Jahre Exil. Erwachsen geworden bin ich erst in der Fremde. Im Irak vermisse ich nichts außer meine Familie. Wenn sie nicht da wäre, wäre es vorbei mit dem Ort. Das sieht man auch an meinen Büchern: es gibt keine Sehnsuchstorte in meinen Romanen. Ich beschreibe Orte nicht wie andere alte irakische oder arabische Autoren, die im Exil leben. Die malen sie regelrecht, weil sie in der Kindheit eine schöne Zeit erlebt haben. In meiner Kindheit begann der Krieg. Ich hatte nur Diktatur und Kriege erlebt. Deswegen habe ich keine Sehnsucht nach alten Zeiten, keine Nostalgie. Wenn ich jetzt sage, ich komme zurück nach Hause, dann meine ich Deutschland, dann meine ich Berlin.

Nach mehreren Anschlägen in Europa steigt vielerorts die Angst vor islamistischem Terror. Erleben Sie als Araber Misstrauen und verschärfte Kontrollen?
Zurzeit ist es schlimmer als nach dem 11. September 2001. Ich bin herzlich willkommen auf allen Flughäfen (lacht). Es ist natürlich traurig, aber manchmal mache ich Witze. Man hat immer das Gefühl, der Fremde zu sein, das Zugehörigkeitsgefühl geht verloren. Ich kenne das von früher und wünsche mir nur, dass es sich ändert. Aber dann kommt das nächste politische Problem, und alles wiederholt sich. Früher gab es in Europa sogenannte Völkerschauen, auf denen wurden zum Beispiel Afrikaner ausgestellt. Das ist dasselbe: Alle Weißhäutigen gucken die komischen Kreaturen an, wie sie von den Polizisten kontrolliert werden. Dabei sind wir inzwischen im 21. Jahrhundert, das ist schon ziemlich absurd und peinlich. Ich habe den Polizisten am Flughafen schon mal ein Spiel vorgeschlagen: „Ihr könnt gerne alle Schwarzhaarigen kontrollieren, aber bitte auch mal einen Blonden. Damit man wenigstens halbwegs das Gefühl hat, ihr macht eure Arbeit richtig.“ Die Polizisten finden so was nicht lustig.

Rechtsradikale, Pegida- und AfD-Anhänger, „Asylkritiker“: Wie würden Sie all diese umstimmen?
Ich organisiere für sie eine Ausbildung, für eine Woche: Zwei Tage müssen sie dort leben, wo die Flüchtlinge herkommen. Zum Beispiel in einem afrikanischen Dorf, oder in Syrien mit ISIS. Dann zwei Tage in einem Asylantenheim in Bayern oder in Brandenburg. Und anschließend müssen sie zwei Tage lang bei den deutschen Behörden ihren Papieren hinterherlaufen. Am siebten Tag ist Pause, sie dürfen in die Kirche gehen, und dürfen auch jammern und Jesus am Kreuz erzählen, wie beschissen das Diesseits sei. Danach lass uns reden!

Khider_25054_MR.inddIhre Romane haben Sie allesamt auf Deutsch geschrieben, nicht in Ihrer Muttersprache. Weshalb?
Es ging mir wie den deutschen Exil-Autoren während des Dritten Reichs: Sie hatten kein Publikum im Exil. Viele Arabisch sprechenden Menschen hier hatten genug zu tun mit ihrer Aufenthaltserlaubnis und keine Zeit meine Texte zu lesen (lacht). Im Irak waren meine Bücher verboten, dort konnte ich sowieso keinen erreichen. In den anderen arabischen Ländern hatte ich auch keine Möglichkeit gehabt, frei zu sein und frei zu schreiben. Das waren ein paar Gründe, warum ich die Sprache gewechselt habe. Außerdem gibt es ja unendlich viele Literaten, die das gemacht hatten.

Zum Beispiel?
Nabokov zum Beispiel oder Kundera. Von meiner Sorte gibt es also viele, ich bin kein Einzelfall und nicht der einzige komische Vogel in der Literaturgeschichte. (lacht)

Welche Vorzüge hat das Arabische?
Dort gibt es unendliche Synonyme für eine Sache. Um einfache Inhalte zu erklären, braucht man viele Sätze. Das ist schön, wenn man malerisch schreiben will. Wenn man es aber in andere Sprachen übersetzt, kommt es nicht so gut an.

Fühlten Sie sich von Anfang an sicher genug in der fremden Sprache?
Weil ich mich im Studium so sehr mit ihr beschäftigt habe, hat sich ein Selbstbewusstsein entwickelt. Aber ich werde auch ängstlich, weil das Verantwortungsbewusstsein wächst. Man wird genauer, deswegen wird auch das Deutsch stärker. Es ist eine sehr dominante Sprache, und sie gibt mir unendliche Möglichkeiten. Ich mag es, mit wenigen Worten viel zu erzählen. Das kann man gut durch Komposita, durch zusammengesetzte Wörter. Ich bin jemand, der kurze Sätze schreibt. Das entspricht nicht der arabischen Tradition, sondern eher der europäischen.

Wie war es, in der neuen Sprache literarisch zu arbeiten?
Am Anfang war es ein Spiel für mich, ein sprachliches Abenteuer. Ich hatte das Gefühl, ich lerne viel beim Schreiben. Jedes Mal, wenn ich eine Seite geschrieben hatte, hatte ich das Gefühl, etwas Neues entdeckt oder erfunden zu haben. Die Sprache kam mir immer näher und näher. Aber es gab auch Momente, in denen sie weit, weit weg war.

Wie arbeiten Sie? Schreiben Sie eher schnell oder langsam?
Ich bin jemand, der lange an einem Satz arbeitet. Deswegen dauern bei mir 200 Seiten auch vier Jahre. Ich genieße es, Literatur zu schreiben, und versuche immer, alles genau zu machen. Ich denke an jedes Wort, jeden Satz, auch jeden Absatz. Ich glaube, das habe ich schon auf Arabisch so gemacht, und ich mache es auch auf Deutsch – aber doppelt so sehr. Auf Arabisch hätte ich das Buch in zwei Jahren geschrieben, nicht in vier.

Kritiker heben an Ihren Romanen den nüchternen Sprachstil hervor, oft fällt das Wort „lakonisch“.
Das war eine Entdeckung im Deutschen für mich. Ich hatte schnell das Gefühl, dass ich meine Geschichten verfremden kann und so die zweite Seite der Medaille zum Vorschein kommt. Die andere Seite der Hässlichkeit ist Schönheit – und Humor ist ein Teil davon. Ich bin ein Mensch, der immer versucht, das Schöne am Leben zu sehen, das Beste daraus zu machen. Wenn ich alles hässlich darstelle, langweile ich den Leser. Deswegen versuche ich, ihm beim Schreiben näherzukommen. Also brauche ich Techniken, um Spannung aufzubauen. Humor ist ein literarisches Mittel dafür.

Ihr Roman dreht sich um junge arabische Männer. Sexualisierte Gewalt geht von ihnen nicht aus. Wie erklären Sie sich die Ereignisse der Kölner Silvesternacht?
Jeder ist für sich allein verantwortlich. Wenn du jemanden auf der Straße schlägst, bist du ein Verbrecher. Wenn das aber ein Asylant oder Flüchtling tut, ist er plötzlich zuständig für sein ganzes Land und Volk, er ist Träger einer Kultur. Dabei sind das auch nur einfache Menschen, überfordert und gelangweilt. Wir wissen nicht so viel von ihnen.

Sie sehen also kein problematisches Frauenbild in der islamischen Welt?
Frauen sind überall auf diesem Planeten in einer beschissenen Situation. In der arabischen Welt natürlich doppelt so sehr. Aber warum reden wir nicht generell über Sexismus? Oder über Männer, die auf Mallorca oder in Thailand komisches Zeug machen? Hier in Europa gibt es den Feminismus, was großartig ist. Trotzdem werden Frauen ausgenutzt, sie sind ein Spielzeug der Werbung. Wir alle müssen über Sexismus reden, selbst im offenen Deutschland. Auch hier haben Frauen unendliche Probleme. Deswegen geht es bei Köln mehr um Sexismus als um Migranten.

Man sollte die Themen trennen?
Selbst wenn Flüchtlinge in der Silvesternacht dabei waren: Die haben Scheiße gebaut, da gibt es ein Gesetz und das gilt. Für alle, Deutsche wie Migranten. Basta. Machen wir daraus kein Drama, fangen wir nicht an, plötzlich alles infrage zu stellen. Weil darunter die Hundertausenden leiden, die nur Sicherheit suchen. Die haben sie nämlich dann nicht mehr, sie bekommen Angst vor Deutschen. Die Deutschen bekommen wiederum Angst vor ihnen. Das ist ein Teufelskreis.

Die Hauptfigur in „Ohrfeige“ ist ein junger Mann mit weiblichen Brüsten, der im Irak Ächtung fürchtet und deshalb flieht. Warum haben Sie so eine spezielle Fluchtursache gewählt?
Dafür gibt es gute Gründe, diese körperliche Besonderheit ist ein wichtiger Punkt im Roman. Ich schreibe über Asylantenheime, okay. Was erwartet man also? Dass ein Mann in der Heimat gefoltert wird und deshalb herkommt. Ich wollte aber die Erwartungen der Leser nicht erfüllen. Der Stoß ist in der Literatur sehr wichtig, also dass man erschüttert wird. Ich wollte vermitteln, dass nicht alle Flüchtlinge die üblichen Probleme haben. Nicht für alle finden wir Schubladen wie „politischer Flüchtling“ oder „Wirtschaftsflüchtling“. Es gibt unendliche Gründe, warum Menschen ihre Heimat verlassen, eben auch Geschlechtsprobleme. Manche Menschen sind von Anfang an fremd – und sie können gar nichts dafür.

[Das Interview entstand im Januar 2016.]

Ein Kommentar zu “Wir sollten nicht plötzlich alles infrage stellen.”

  1. Habnix |

    „Den Arabischen Frühling vor fünf Jahren haben Sie hoffnungsvoll begleitet. Wäre er ein Thema für einen Roman?“

    Jede Demo wird organisiert und jedes organiseren braucht Mittel, denn ohne Mittel keine Demo.

    Auch die „Facebook Revolution“ also der Arabische Frühling brauchte Mittel und wo kamen diese Mittel her?

    Folge der Spur des Geldes.

    Eine friedliche Demo in der DDR 1989 konnte es nur werden,weil viele mit den Füssen abgestimmt haben und dem Staat im wahrsten Sinn des Wortes die Substanz abhanden kam.

    Das selbe geschieht zur Zeit mit Syrien.

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    Wo wir auch immer die Infrastruktur gebrauchen müssen oder glauben sie gebrauchen zu müssen,sind wir in Ohnmacht der Macht der Politiker und ihrer Drahtzieher ausgeliefert.Die Infrastruktur der Macht, die Heute mittels Handy durch die Überwachung von dem selben, bis ins Private hinein reicht, ist die Macht die alles durchdringt.

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    Viele die nach Deutschland geflüchtet sind, wissen scheinbar nicht das hier noch viele Bomben aus dem zweiten Weltkrieg liegen und entschärft werden müssen.Meist in Ballungsgebieten. Viele sind sich auch scheinbar gar nicht bewusst das hier in Deutschland(BRD)nur ein Waffenstillstand existiert.Sie flüchten also aus einem Kriegsgebiet in das nächste Kriegsgebiet.Bieten diese Flüchtlinge sich in Deutschland als Kombatanten an?

    Der Gegner wird auf jedenfall keinen Unterschied machen.

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    Wirtschaft ist Krieg im Frieden.Erst wird der Konkurrent und der mögliche Konkurrent(Arbeitnehmer) bekämpft und falls das Ziel erreicht und es nichts mehr zu gewinnen gibt,folgt der Satz: “Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln”

    “Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.”, lautet ein berühmtes Zitat des preußischen Generals Carl von Clausewitz,der Anfang des 19. Jahrhunderts in den napoleonischen Kriegen eine entscheidende Rolle spielte.

    In fast jedem Land auf der Erde herrscht Krieg.

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    Global gesehen ist jede Regierung in der Welt ein Resultat(Ergebnis) durch Kriminelle und jede Regierung durchdrungen von Kriminalität im Auftrag der Konzerne.

    Der beste Beweis das Regierungen in aller Welt kriminell sind, ist der Abwurf von Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki 1945

    The best proof the governments are criminal all over the world, is the dropping of atom bombs on Hiroshima and Nagasaki 1945.
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    Die beste Demo gegen Kernkraft ist,wenn man sich den Strom mit Solar oder/und Wind oder Bachlauf,wenn möglich selbst macht.Der beste Widerstand gegen eine Diktatur ist es, wenn man sich so viel wie möglich das nötige zum Leben selbst macht.
    Diese Information ist zu unser aller Schutz gedacht und erhebt keine Anspruch auf Vollständigkeit.

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