Yundi Li

Die Technik kann eigentlich jeder erlernen — aber es gehört eben noch mehr dazu.

Der chinesische Pianist Yundi Li über Chopin, sein Publikum in China und die dortige Musikausbildung

Yundi, deine Plattenfirma hat vor kurzem in Berlin eine Klassik-Lounge organisiert, wo du gespielt hast, wo Bier und Wein ausgeschenkt wurde und wo du vom Publikum mit reichlich Applaus bedacht wurdest. Wie war das für dich?
Li: Also, ich spiele ja normalerweise nie in einer Bar oder so, insofern war das eine neue Erfahrung für mich. Diese Veranstaltung war eine Möglichkeit, Leuten diese Musik nahe zu bringen, die sonst wahrscheinlich nicht so viel klassische Musik hören. Und vielleicht haben ja ein paar von denen gemerkt, dass das einfach großartige Musik ist.

Seit dem du 2000 den Chopin-Wettbewerb in Warschau gewonnen hast, bist du vor allem in China ein bekannter Mann und hast schon eine Reihe von Konzerten gegeben. Was kannst du über das chinesische Publikum sagen?
Li: Also, es ist nicht einfach, in China Konzerte in vielen verschiedenen Städten zu machen. Denn nicht überall mögen die Menschen klassische Musik, nicht jeder weiß etwas mit klassischer Musik anzufangen.

Was mögen denn die Chinesen?
Li: Nun, die älteren Menschen, die hören ja generell nicht so viel Musik. Das hat mit der Geschichte zu tun, die Menschen haben sich bisher in ihrem Leben nur sehr wenig mit Musik beschäftigt.
Die jungen Leute hören natürlich vor allem Pop-Musik. Es gibt heute noch nicht so ein großes Publikum für klassische Musik. Aber als ich den Chopin-Wettbewerb gewonnen habe, hat mich das berühmt gemacht in China und so haben Leute von mir erfahren, die eigentlich gar keine klassische Musik hören. Ich denke, da kommen die Leute zum Teil ins Konzert weil sie mich spielen sehen wollen, aber nicht wegen der Musik. An dem Punkt will ich natürlich versuchen, diese Leute auch für die klassische Musik generell zu begeistern. Vielleicht kann ich deren Interesse wecken, vielleicht werden sie eines Tages auch andere klassische Konzerte besuchen.

Und wie hältst du es mit der Pop-Musik?
Li: Oh, da kenne ich mich absolut nicht aus.

Bei dir stehen zu Hause also nur Klassik-CDs im Regal?
Li: Nein, ich habe auch ein paar Pop-CDs. Die höre ich aber nur, wenn ich Freunde zu Besuch habe. Ich für mich höre sonst nur klassische Musik.

Wie sehen im Moment die Chancen für einen jungen Chinesen auf eine musikalische Ausbildung aus?
Li: Die Chancen sind heute auf jeden Fall größer als früher. Früher haben nicht so viele Menschen gut verdient, dass sie ihren Kindern eine Musikausbildung ermöglichen konnten. Heute ist die wirtschaftliche Situation besser, immer mehr Leute können ihre Kinder zum Musikunterricht schicken. Ich denke, dass heute generell fast jedes Kind in China mindestens einer Freizeitbeschäftigung nachgehen kann. Sicher ist das immer vom Geld abhängig, denn wenn das Geld da ist, musst du nicht nur daran denken, was du am nächsten Tag zu essen hast, sondern kannst dich mit anderen Dingen beschäftigen.

Und wie beurteilst du die heutige Situation an den chinesischen Musikhochschulen?
Li: Auch da hat sich die Situation gebessert. Heute stehen unsere Hochschulen viel mehr in Kontakt mit ausländischen Hochschulen, es werden ausländische Professoren eingeladen, es gibt einen internationalen Austausch. Viele chinesische Musiker, die vor Jahren ausgewandert sind, im Ausland gelernt haben, kommen jetzt zurück nach China, um zu unterrichten. Und wie gesagt, es können heute viel mehr Kinder Musik studieren als früher. Ich denke, China ist berufen dazu, gute Musiker hervorzubringen. China hat eine romantische, menschliche Seite. Aber China ist auch sehr stark, widerstandsfähig. Und China eine so lange Geschichte, was den Chinesen auch hilft, andere Kulturen zu verstehen.

Du studierst im Moment an der Musikhochschule Hannover — gibt es da für dich große Unterschiede zu den Schulen in China?
Li: Was die Technik des Klavierspiels anbelangt, lerne ich in Hannover das Gleiche wie in China, nach dem gleichen System. Die Lehrer sind natürlich unterschiedlich, sie haben alle unterschiedliche Herangehensweisen. Und natürlich ist Deutschland ganz anders als China, ich erlebe hier die westliche Kultur. Das hat aber für die Musik letzten Endes nur eine geringe Bedeutung.

Als du in China angefangen hast, Klavier zu lernen, hast du da auch Werke von chinesischen Komponisten gespielt?
Li: Sehr wenig, am Anfang spielt man schon vor allem die westlichen Komponisten. Zum Beispiel die Czerny-Etüden, die solltest am Anfang auf jeden Fall gespielt haben, vor allem wegen der Fingertechnik. Später spielt man gelegentlich auch ein Stück eines chinesischen Komponisten, meistens sind das Stücke, die auf chinesischen Volksweisen basieren. Aber es sind eben keine Pflichtstücke.

Spielst du denn Werke chinesischer Komponisten im Konzert?
Li: Ja, aber nur manchmal als Zugabe.

Kommen wir noch einmal zum Chopin-Wettbewerb. Dieser findet ja nur alle fünf Jahre statt und bis zu deinem Erfolg wurde der erste Preis 15 Jahre lang nicht vergeben. Mit welchem Gefühl bist du damals nach Warschau gefahren?
Li: Also, ich habe mir damals gar nicht in den Kopf gesetzt, diesen Wettbewerb unbedingt gewinnen zu müssen. Ich wollte mich nur üben, auf der Bühne, vor einem Publikum zu spielen. Ich war sehr jung und wollte wissen, wie das ist auf so einem großen Wettbewerb zu spielen. An die Jury habe ich also gar nicht so viel gedacht, viel mehr an das Wettbewerbspublikum. Man kann sich ja auch nicht nach so einer Jury richten, da sitzen so unterschiedliche Leute drin, mit unterschiedlichen musikalischen Vorstellungen. Also muss man einfach seinem eigenen Stil vertrauen.

Und so wie du Chopin gespielt hast …
Li: … gaben mir die Leute Recht, das habe ich gefühlt. Dieser Wettbewerb hat ja vier Runden — ich haben schon nach der ersten Runde gemerkt, dass die Menschen meinen Stil mochten. Das war gut für mich, so konnte ich viel entspannter in die nächsten Runden gehen.

Ist denn Chopin eigentlich dein Favorit unter den Komponisten?
Li: Ich denke erst mal, alle Leute die klassische Musik mögen, die mögen auch Chopins Musik. Ja, für mich ist er der größte Komponist. Er hat ein sehr warmes Herz, er hat viel erlebt, er hat sehr innig komponiert. Das merkt man schon in seinem Klavierkonzert, dass er mit 19 Jahren komponiert hat.

Wo du jetzt das Klavierkonzert ansprichst — Chopin hat ja nur sehr wenig für Orchester komponiert. Warum?
Li: Chopin hat eben hauptsächlich am Klavier gearbeitet, es gibt überhaupt kaum Werke von ihm für andere Instrumente. Und das Klavierkonzert ist ja auch nicht große Orchestermusik, es ist mehr wie Kammermusik komponiert. Er verwendet nicht so viele unterschiedliche Instrumente, das Orchester ist eigentlich nur die Begleitung für den Pianisten, es kommt auch nicht zum großen Orchesterklang.
Für das Klavier hat Chopin dafür aber so unterschiedliche Stücke komponiert: Etüden, Polonaise, Walzer … Ich mag ihn jedenfalls sehr.
Allerdings, wenn man Klavier studiert wie ich, dann kann man natürlich nicht nur Chopin spielen — vor allem bei den Prüfungen wäre das ausgeschlossen.

Wie lange würdest du sagen, brauchst du, um einen Komponisten zu verstehen, seine Musik zu verinnerlichen?
Li: Das ist schwer zu sagen. Es braucht schon sehr lange, bis man ein Stück verinnerlicht hat, man sollte auch lesen, sich informieren über diese Musik, über die Geschichte des Komponisten. Wenn ich etwas über Entstehungshintergründe weiß, dann hilft mir das oft, zu verstehen, was ich genau will, was ich bei dieser Musik fühlen muss. Ich brauche einfach das richtige Gefühl für diese Musik, manchmal geht das schnell, manchmal dauert es länger.

Deine Debüt-Aufnahme bei der Deutschen Grammophon war Chopin. Nun hast du vor kurzem Liszt eingespielt. Was ist für dich der wesentliche Unterschied zwischen diesen beiden Komponisten?
Li: Chopin ist für mich immer Musik, die von innen kommt, vom Herz. Liszt, das ist mehr Show, mehr Inszenierung. Bei den Stücken von Liszt spielt vor allem die Technik eine große Rolle. Wenn Liszt selber seine Stücke gespielt hat, gab es immer Standing Ovations, weil die Leute begeistert waren von seiner Virtuosität. Liszt erfordert ein sehr kräftiges Spiel, während man Chopins Musik von innen, mit dem Herzen spielen muss.
Beide sind sie aber Romantiker, das ist eine Epoche, die mir gut passt, da habe ich das richtige Gefühl für.
Ich spiele aber jetzt gerade auch Beethoven. Beethoven ist großartig für jeden Pianisten, seine Konzerte und Sonaten. Und früher oder später werde ich mich auch mit Rachmaninow beschäftigen.

Zu Rachmaninow fällt mir ein, dass sein drittes Klavierkonzert ja als eines der schwierigsten Werke in der Klavierliteratur überhaupt gilt.
Li: Es lässt sich nur schwer sagen, welches Stück das Schwierigste ist — das hängt auch davon ab, was du dem Publikum damit vermitteln willst. In der Hinsicht ist für mich jedes Klavierstück schwierig — schwierig, es gut zu spielen. Sicher ist das dritte Klavierkonzert von Rachmaninow technisch schwieriger zu bewältigen, als andere Stücke. Aber die Musik entsteht ja nicht nur durch die Technik. Es gibt ja technisch perfekte Pianisten, aber die machen nicht automatisch gute Musik. Das muss gut ausgewogen sein, die Musik und die Technik. Für mich kommt die Musik immer zuerst, dass ist die Kunst, nicht die Maschine dahinter. Die Technik kann eigentlich jeder erlernen — aber es gehört eben noch mehr dazu.

Spielst du im Konzert eigentlich mit Noten?
Li: Im Konzert? Natürlich ohne Noten, das machen alle Pianisten so.

Nun, ich sah einmal den vor wenigen Jahren verstorbenen Swjatoslaw Richter in einem Konzert mit Noten spielen.
Li: Ja, aber ich glaube, das hat er nur in seinen letzten Jahren gemacht. Er war schon sehr alt und hatte ein wenig Angst vor den Konzerten, er war nervös. Er hat die Noten nicht wirklich gebraucht, wollte sie aber immer zur Sicherheit dabei haben, das gab ihm ein sicheres Gefühl.

Hast du die Musik mehr in deinem Kopf oder in deinen Händen?
Li: Das lässt sich nicht trennen, am besten ist es, wenn das ein fließender Vorgang ist. Mit deinen Augen saugst du die Noten auf und lässt die in deine Hände fließen. Und im Konzert musst du die Noten einfach schon im Kopf haben, die Musik muss aus deinem Kopf kommen — da kannst du nicht auf die Noten achten.

Du verbringst im Moment die meiste Zeit in Hannover — wie informierst du dich da über die Geschehnisse zu Hause in China?
Li: Ehrlich gesagt, für uns Künstler ist das nicht so wichtig. Ich interessiere mich nicht so besonders für die Nachrichten. Sicher erfahre ich einiges, wenn ich mit Freunden in China telefoniere. Aber ich habe gar nicht die Zeit, jeden Tag Nachrichten zu lesen. Und wenn, dann interessieren mich höchstens die Nachrichten aus der Klassik-Welt.

Wie viele Stunden pro Tag spielst du?
Li: Normalerweise fünf Stunden. Wenn ich länger spiele, dann verliere ich schnell das Gefühl dafür. Wenn du zu lange übst, dann wirst du verrückt, dann spielst du wie eine Maschine.

Und den Rest des Tages …
Li: … lese ich, telefoniere ich, beschäftige ich mich mit meinen Konzertplänen.

Wie sieht es denn mit dem Essen in Deutschland aus?
Li: Es gibt nur wenige deutsche Gerichte die ich mag, die meisten Sachen sind zu schwere Kost für mich. Ich mag die chinesische Küche sehr, und ab und zu esse ich auch italienisch.

Woher bekommst du in Hannover chinesisches Essen?
Li: Es gibt natürlich die chinesischen Restaurants. Nur, richtige chinesische Küche ist das meistens auch nicht

Du gehst also jeden Tag ins Restaurant?
Li: Fast jeden Tag. Manchmal koche ich mir zu Hause auch Nudeln, aber meistens habe ich einfach nicht die Zeit, mir etwas zu kochen.

Aber wie lange braucht man denn, um chinesische Nudeln zu kochen?
Li: 20-30 Minuten. Nudeln dauern nicht so lange.
Richtig chinesisch koche ich selbst eigentlich nur, wenn ich Freunde zu Besuch habe, das macht man nicht für sich allein. Ich wohne aber im Moment allein.

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