Tobias, du hast eine klassische Gitarrenausbildung hinter dir, ein Jazzstipendium in Texas, dann ein abgebrochenes Psychologiestudium – und jetzt die Teilnahme am Vorentscheid zum Grand Prix. Das ist kein ganz gewöhnlicher Weg.
Schacht: Das liegt wohl daran, dass ich ein ungewöhnlicher Mensch bin.
Von dir stammt der Satz "Ich gehe gern dorthin, wo es weh tut" – was tut weh am Grand Prix?
Schacht: Einmal das Unbekannte, das Neue, was auf einen zukommt. Fremdes macht den Menschen doch immer Angst. Dann aber vor allem, dass man verletzlich und angreifbar wird, wenn man Musik aus dem Herzen heraus macht und es ehrlich meint. Man muss sich daran gewöhnen, dass man irgendwo auch mal stört.
Wer stört denn beim diesjährigen Grand Prix?
Schacht: Na ja, es gab da diesen Typ, mit Nachnamen Deutschland, der eine ganz eigenartige Show abgezogen hat. Bei einer Pressekonferenz hat er zum Beispiel die Hosen runtergelassen. Aber was soll’s, letztendlich geht es ja um Musik und nicht um Krieg oder Frieden. Deutschland hat den Grand Prix nicht so wirklich ernst genommen. Man muss sich immer wieder vor Augen halten, dass man mit dieser Veranstaltung 20 Millionen Leute erreicht. Und wenn ich die erreicht habe, ist es eigentlich egal, ob ich gestört habe oder nicht. Bad promotion is good promotion. Und das unterscheidet die Teilnehmer voneinander. Es gibt diejenigen, die versucht haben etwas zu machen, was wirklich passend ist, und es gibt eben die anderen.
Für mich war es wichtig, dass ich einen Song schreibe, in dem ich mich wiedererkennen kann, aber der auch zu der Veranstaltung passt. Und gleichzeitig ist es auch ein Angebot für Deutschland sich vor Europa zu präsentieren. Das ist ein anderer Anspruch als bloß auf die Aufmerksamkeit der Medien zu schielen und deshalb mal so richtig auf die Kacke zu hauen. Es ist für mich auch eine politische Aufgabe.
Was ist denn das Politische an dem Song "Die Seite wo die Sonne scheint", den du zum Grand Prix singen wirst?
Schacht: Das ist natürlich schwer zu sagen ohne den Text zu zitieren – das darf ich ja noch nicht. Aber der Song sagt etwas sehr schönes aus, ohne etwas auch nur im Ansatz zu beschönigen. Es ist kein Kitsch, kein Heile-Welt-Song, aber einer, der die Welt trotzdem ein wenig heiler macht. Politisch finde ich diese Aufgabe nicht unbedingt wegen dem Song, sondern dadurch, dass man beim Finale Deutschland vertritt und so eine gewisse Botschafterfunktion hat. Dann ist man ja auch durch einen gewissen Konsens an diese Funktion gekommen. Normalerweise braucht Musik ja keine Mehrheiten. Es gibt 60 Millionen Musikkonsumenten in Deutschland, aber es reicht, wenn 200 000 deine Musik mögen. Nur beim Grand Prix braucht man eben etwas konsensfähiges, was auch die anderen begeistert. Es steht ja die Frage, ob Deutschland sich mit etwas blamiert oder nicht. Und da spielt man nicht länger nur für sich selbst, sondern man repräsentiert eben sehr viel.
Nun wird die BILD-Zeitung Kanzlerimitator Elmar Brandt nach Kiel schicken, du wirst von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung unterstützt. Andere Musiker haben diese Möglichkeiten nicht – wird der Wettbewerb dennoch fair ablaufen?
Schacht: Elmar Brandt wird bestimmt jedes BILD-Feature bekommen, was es gibt. Aber letztes Jahr hat die BILD den Beitrag von Dieter Bohlen, Isabel, unterstützt – und sie hat nicht gewonnen.
Isabel wurde allerdings auch erst zehn Tage vor dem Grand Prix ausgewählt.
Schacht: Trotzdem hängt einfach viel vom Angebot ab. Wenn Deutschland sich wirklich vor ganz Europa über seinen selbstgewählten Kanzler lustig machen will, dann ist das auch irgendwo berechtigt. Ich glaube aber nicht, dass die Leute da draußen so blöd sind und glauben, dass derjenige, der den meisten Wind bekommt auch am besten segeln kann. Zumal hasst die BILD-Zeitung ja den Kanzler. Die nageln jede Woche irgendwen ans Kreuz, den Kanzler aber eben ganz besonders.
Was Elmar Brandt macht, das respektiere ich in jedem Fall, er kann ja auch viel mehr als nur den Kanzler imitieren. Und als ich ihn bei der Pressekonferenz getroffen habe, war er echt nett. Fraglich ist nur, ob Deutschland sich wirklich von ihm vertreten lassen will. Ich möchte daran zweifeln.
Wie wird man eigentlich Kandidat der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung?
Schacht: Die FAS hatte nach dem letzten Grand Prix in einem großen Artikel den Wettbewerb kritisiert. Daraufhin haben sich der NDR und der Deutsche Phonoverband an die Zeitung gewendet und angefragt, ob sie nicht selber mal was machen wollen – wenn sie schon so tun, als könnten sie alles besser. Dann hat Alexander Marguier, der Chef vom Gesellschaftsressort, zufällig meine Platte gehört. Vor einem halben Jahr hat er mich angerufen und wir haben uns getroffen. Ich hab mir das einen Moment lang überlegt. Ich musste erst mal nachdenken, wie ich auftreten will: will ich provozieren, oder will ich was Schönes machen?
Eigentlich geht es auch weniger um die FAS, auch nicht um den "Jungen mit der Gitarre". Es geht eher um eine Art "Gentlemen-Agreement" zwischen Tobias Schacht und Alexander Marguier. Mir war klar, dass sie mich nicht funktionalisieren wollen, sondern wirklich Interesse an einer ehrlichen, fruchtbaren Zusammenarbeit haben.
Was unterscheidet denn den Kandidaten der BILD vom Kandidaten der FAS?
Schacht: Erst mal die inhaltliche Sache: ich trete an, als derjenige, der ich bin. Elmar Brandt tritt auf als jemand, den er imitiert. Vom Humor her unterscheidet uns vielleicht nicht so viel, aber vom Ansatz, wie wir an diese Veranstaltung herangehen. Vom Angebot, was wir Deutschland machen. Er ist ein Medienmann, ich bin ein Künstler.
Hm, jetzt hast du aber vor kurzem – sehr medienwirksam – über die FAS die Sängerin Nicole um ihre weiße Gitarre gebeten, mit der sie 1982 den bisher einzigen deutschen Sieg beim Grand Prix errungen hat.
Schacht: Natürlich war das auch sehr medienwirksam. Ich bin ja auch nicht das kleine Mäuschen, das nicht in der Öffentlichkeit stehen will. Ein bisschen Spaß muss sein. Die Nicole-Aktion ist ein Beweis dafür, dass wir wirklich gewinnen wollen. Deshalb wollen wir die Gitarre haben. Und wenn ich die Vorentscheidung gewinne, wird das bestimmt auch möglich sein. Zur Zeit hängt die ja bei Ralph Siegel zu Haus, der sich in allerletzter Sekunde doch noch mal gemeldet hat. Für ihn hängen da natürlich eine Menge Erinnerungen dran. Ich weiß nicht, ob ich sie an seiner Stelle einem Newcomer für die Vorentscheidung geben würde. Aber wenn ich gewinne, werde ich auf jeden Fall noch mal nachfragen. Übrigens handelt sowohl das Lied von Nicole als auch meins vom Frieden.
Die Leute von der FAS haben mir noch nie etwas vorgeschrieben. Die haben immer nur gesagt, sie fänden gut, was ich so mache, und dass ich mein Ding einfach durchziehen soll. Ich schreibe, texte und produziere meine Songs selbst. Ich meine was ich sage. Das fanden sie gut und unterstützen mich dabei. Ihnen ist wichtig, dass ich mich dabei wohl fühle.
Auf deiner Homepage heißt es: "Folgende Hinweise müssen beim Gebrauch des Jungen mit der Gitarre beachtet werden: (…) Der Junge mit der Gitarre ist Autodidakt, weshalb er Musik mit den Ohren und nicht mit den Augen spielt." Wie soll man diese Erklärung verstehen?
Schacht: Als Songwriter kommt es ja vor allem darauf an, dass man das, was man schreibt auch fühlt. Es geht weniger um die Noten, oder um die Anzahl der Akkorde die man spielen kann, sondern darum, wie man etwas spielt und wie viel Charakter man in sein Instrument hineinlegen kann. Das ist auch das Merkmal der Autodidakten. Authentizität entsteht durch Autodidaktik. Dieter Bohlen ist auch Autodidakt. Kein Mensch klingt so wie er. Man kann davon halten was man will. Er macht seine Sache, wie kein anderer. Das muss man ihm zugestehen, ob man das mag oder nicht. Er hat sein Ding gefunden und hat es sich selbst beigebracht. Das will ich auch. Ich bin kein Interpret, ich bin ich selbst. Ich bin das Mensch gewordene Produkt. Meine Zielgruppe ist jeder.
Aber kann man als Popsänger in der heutigen Musikindustrie überhaupt noch man selbst sein?
Schacht: Hmm, auf meinem aktuellen Album gibt es ja sehr unterschiedliche Songs. Viele Leute haben gesagt, ich soll nur so was machen wie "Meer sehen", dann wäre ich der neue Reinhard Mey. Andere haben gesagt, ich solle mehr Songs machen wie "Ficken fürs Volk" und "Nur die Liebe zählt". Dann wäre ich der neue Micky Krause und säße jetzt schon am Ballermann. Beides interessiert mich aber nicht. Mir geht es um die Vielfalt. Ich möchte schocken und versöhnen. Weder die schönen, noch die hässlichen Seiten ignorieren. Ich zeige die Beobachtungen meines Lebens. Und gerade dadurch, dass ich kein Konzept habe, außer mir selbst, werde ich für alle Menschen interessant.
Das Leben ist ein Comic – welche Figur bist du?
Schacht: Ich wäre Duffy Duck, denn der fällt immer auf die Nase und steht trotzdem wieder auf. Außerdem ist er der frechste von allen. Das passt auch zu mir.